Männerfreundschaften
Männerfreundschaften ist ein deutschsprachiger Dokumentations- und Historienfilm des Regisseurs Rosa von Praunheim aus dem Jahre 2018. Er ist inspiriert von Robert Tobins Studie Warm Brothers – Queer Theory and the Age of Goethe und beleuchtet verschiedene berühmte männliche Schriftsteller aus der Weimarer Klassik Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts, beispielsweise Johann Wolfgang von Goethe, in Bezug auf ihre mögliche Homosexualität und ihre homoerotischen Beziehungen.
Film | |
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Originaltitel | Männerfreundschaften |
Produktionsland | Deutschland |
Originalsprache | Deutsch |
Erscheinungsjahr | 2018 |
Länge | 85 Minuten |
Altersfreigabe | FSK 12 |
Stab | |
Regie | Rosa von Praunheim |
Drehbuch | Rosa von Praunheim, Valentina Schütz |
Produktion | Rosa von Praunheim |
Musik | Andreas Wolter |
Kamera | Patrick Richter, Oliver Sechting |
Schnitt | Mike Shephard |
Besetzung | |
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Im Laufe des Filmes kommen verschiedene Literaturwissenschaftler und Historiker in Form von Interviews zu Wort, wodurch sich zum Teil ambivalente Meinungen zu diesem Thema offenbaren. Praunheims Werk durchbricht verschiedene Genres und ist ein Mix aus Dokumentation und historischem Wissen.
Handlung
Zu Beginn des Films tritt von Praunheim selbst auf und erläutert in der traditionellen Kleidung der Weimarer Klassik den grundlegenden Inhalt des Filmes. Dabei macht er darauf aufmerksam, dass alle klassischen männlichen Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts als heterosexuell dargestellt wurden. Dieses Bild werde bis zum heutigen Tag an Gymnasien und Universitäten fortgeschrieben. Außerdem zeigt er, dass sich diesem Thema verschiedene Autoren gewidmet haben und zu diesem Themengebiet diverse Werke verfasst wurden. Zuletzt geht er explizit auf das Werk des Literaturwissenschaftlers Robert Tobins Warm Brothers – Queer Theory and the Age of Goethe ein, welches ihn hauptsächlich zur Produktion dieses Filmes animiert.
Es folgt ein historischer Einstieg und zugleich eine Darstellung, in der erklärt wird, aus welchen Gründen Goethe 1775 nach Weimar kam. Daraufhin folgt ein Szenenwechsel, in dem die Schauspieler Matthias Luckey (Goethe) und Sebastian Lange vor dem Dreh gebeten werden, sich zunächst vorzustellen. Sie werden gefragt, was sie sich vom Filmdreh erwarten und wie sie sich Goethe als Person vorstellen. Die beiden Schauspieler tauschen sich darüber aus, ob die sexuelle Orientierung von Personen Einfluss auf die Art hat, wie sie im Film gespielt werden sollen.
Daran schließt eine flüchtige Vorstellung des Literaturwissenschaftlers Robert Tobin an, welcher seine Forschungsschwerpunkte auf Geschichte der Sexualität und Gay/Lesbian Studies in der Literatur gelegt hat.
Ebenfalls wird am Anfang des Films die Frage in den Raum gestellt, ob sich die Wahrnehmung der Texte von Goethe, Schiller, Kleist etc. ändern würde, wenn man nachweisen könnte, dass diese homosexuell waren oder zumindest solche Erfahrungen gemacht haben. Im Laufe des Filmes werden zu diesem Thema und ihrem Standpunkt dann der Germanist Robert Tobin, die Germanistin Annette Seemann, der Germanist Paul Derks, der Medizinhistoriker Florian Mildenberger und der Germanist Wolfgang Bunzel befragt. Sieht man sich beispielsweise Faust aus einer queeren Betrachtungsweise an: Wird dann das Verhältnis zwischen Faust und Mephisto in den Mittelpunkt der Interpretation gestellt? Des Weiteren stellt sich die Frage: Hat Mephisto homosexuelle Tendenzen? Dies könnte bei genauerer Analyse des Endes von Faust II der Fall sein, da Mephisto beim Betrachten der Engel so begehrlich wird, dass die Wette um Fausts Seele nicht mehr wichtig ist. Nun ist offen, ob dies etwas über die sexuelle Haltung des Autors oder jener der Figur Mephisto aussagt.
Zwischen und nach diesen Interviews werden historische Fakten über gewisse Schriftsteller gebracht, welche von den Schauspieler inszeniert werden. Die Schauspieler fungieren hier häufig als Erzähler des historischen Kontextes. Später kommen unter anderem von Praunheim und Ute Pott zu Wort, die Direktorin des Gleimhauses, des ältesten deutschen Literaturmuseums, und schildern Informationen über Johann Wilhelm Ludwig Gleim, jedoch bleibt hier auch wie bei den übrigen Schriftstellern offen, ob dieser homosexuell war oder nicht. Dennoch lässt sein Gedicht an seinen Freund Jacobi (1760) Ich möchte ein Mädchen sein diesbezüglich verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Zu diesem Thema und insbesondere zu den Freundschaftsbriefen um Gleim meldet sich ebenfalls Andreas Kraß, Universitätsprofessor für ältere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Berlin, zu Wort. Es folgt die Frage, ob sich Homosexuelle in diesen Freundschaftskreis der Dichter und Musen gut eingliedern konnten und sich betätigt haben, ohne zugleich anstößig aufzufallen.
Anschließend lenkt Rosa von Praunheim die Thematik auf soziale (Liebes)-Beziehungen. Hierbei geht er auf die männlichen Liebesverhältnisse Goethes ein. Hierfür eröffneten sich ihm bahnbrechende Erlebnisse in Italien, denn derartige Liebesbeziehungen und Erotik zwischen Männern kannte er bislang nur aus griechischen Überlieferungen. Dass Goethe Liebesbeziehungen zum männlichen Geschlecht hatte, ist laut den Forscher aus seinen Gedichten deutlich herauszulesen.
Als nächstes Thema werden Männerfreundschaften thematisiert. Zu dem wohl berühmtesten und interessantesten Freundschaftspaar der Weltliteratur entwickelten sich nach einem intensiven Zusammentreffen 1794 Goethe und Schiller. Nach dem verfrühten Tod Schillers 1805 trauerte Goethe ihm noch lebenslang nach.
Daraufhin verlegt von Praunheim den Schwerpunkt von der Literatur auf die Hygieneverhältnisse zur Weimarer Klassik, denn wegen dem verseuchten Wasser konnten sich die Menschen nicht entsprechend waschen und eine mit der heutigen Zeit vergleichbare Körperhygiene pflegen, weshalb angenommen wird, dass Geschlechtsverkehr mit relativ wenig Körperkontakt vollzogen wurde. Von Praunheim stellte sich selbst die Frage, wie zu der Zeit das Liebesleben und somit der diesbezügliche Akt zwischen Männern konkret abgelaufen ist. In diesen und anderen Sequenzen wird besonders deutlich, wie von Praunheim mit Hilfe von Ironiesignalen den Konstruktionscharakter des Genres Dokumentarfilm subversiv unterläuft.[1]
Die Autorin Monika Utermann leitet zum Thema über und liefert neue Einblicke in das Liebesleben von Schiller. Es wird besprochen, ob Schiller homosexuelle Beziehungen unterhielt. Hierbei ist auch das unvollendete letzte Drama Die Malteser von Schiller interessant, denn darin kommt eine möglichst homosexuelle Rittergestalt und Ritterbeziehung vor, welche er im positiven Sinne darzustellen intendiert hat. Die Liebe zwischen zwei Rittern sollte nämlich genauso sein wie zwischen Frau und Mann, mit dem einzigen Unterschied, dass es zwei männliche Personen in der Beziehung sind.
Neben Schiller wird auch die Beziehung zwischen Alexander von Humboldt und Goethe thematisiert. Kurz angeführt wird auch eine Auseinandersetzung des Konzeptes der Hetero- und Homosexualität im 18. Jahrhundert. Hierin wird deutlich, dass der Film die theoretischen Grundlagen, denen er folgt, auch immer wieder explizit anspricht.
Von den Männerfreundschaften wird der Schwerpunkt schließlich auf Frauenfreundschaften im 18. Jahrhundert gelegt. Zu dieser Zeit ging man davon aus, dass es keine gleichgeschlechtlichen Beziehungen zwischen Frauen geben könne, da man dachte, dass sie Lust nur durch den Mann empfinden können. Eine derartige intensive Freundschaft wird zwischen Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens angenommen, welche aus Sicht der Quellenlage gleichgeschlechtliche Beziehungen unterhielten. In der Folge werden Auszüge aus Liebesbriefen von Sybille Mertens an Adele Schopenhauer von den Schauspielerinnen vorgetragen.
Fürst Carl-August war ein paar Jahre jünger als Goethe und sehr lebenslustig. Dieser Eigenschaft verdankte er viele uneheliche Kinder. Sein adeliger Stand schützte ihn vor den Konsequenzen. Fürst Carl-August und Goethe hatten zwar eine intensive Männerfreundschaft, die sie jedoch vermutlich nicht sexuell ausgelebt hatten. Dasselbe wird auch für die Beziehung zwischen Goethe und seinem Diener Seidel angenommen, welche des Öfteren sogar im gleichen Zimmer schliefen. Zumal gilt dies auch für die Brieffreundschaft von Gleim und Jacobi.
Im Verlauf des Films kommen weitere Personen vor, die aus einer queeren Perspektive behandelt werden. Darunter fallen Johann Joachim Winckelmann, August von Platen-Hallermünde, welcher von Heinrich Heine geoutet wurde, und Herzog August Emil Leopold von Sachsen-Gotha und Altenburg, welcher Napoleon Bonaparte verkleidet als Dragqueen empfangen haben soll. Er war jedoch auch zweimal verheiratet.
Am Ende des Films meint der Schauspieler Mattias Luckey auf die Frage, ob Goethe und Schiller eine intime Beziehung unterhalten haben, dass ihre sexuelle Orientierung gar nicht so wichtig sei, sondern es stattdessen relevant ist, dass sie ihre Zuneigung und Liebe nicht verleugnet haben. Weiters führt er fort, dass es Liebe zwischen Männern gibt und immer gegeben hat, was nichts Schlechtes ist.
Produktion
Männerfreundschaften wurde von der Rosa von Praunheim Filmproduktion in Koproduktion mit MDR und ARTE in Deutschland produziert und von der Mitteldeutschen Medienförderung gefördert.[2]
Hauptquartier des Filmdrehs war die Other Music Academy um Alan Bern in Weimar; bereits im September 2016 drehte Rosa von Praunheim eine Woche in Weimar für sein Dokudrama, die restlichen Szenen wurden erst 2017 in Gotha und Halberstadt gedreht.[3]
Der Film lief zum ersten Mal am 13. Dezember 2018 in deutschen Kinos, die erste Preview wurde am 4. April 2018 auf dem Frankfurter Lichter Filmfest abgespielt.[4]
- Tonmeister: Ben Vossler
- Kamera und Ton: Thomas Ladenburger, Markus Tiarks, Oliver Sechting, Markus Glahn
- Schnitt und Postproduktion: Mike Shephard
- Produktionsleitung: Markus Tiarks, Lukes Maurice Collin, Oliver Sechting
- Herstellungsleitung: Martin Kruppe
- Redaktion: Heribert Schneiders, Silke Heinz[2]
Experten im Film (Auswahl)
- Florian Mildenberger
- Robert Tobin
- Annette Seemann
- Paul Derks
- Wolfgang Bunzel
- Ute Pott
- Andreas Kraß
- Monika Utermann
- Marco Karthe
- Vinzenz Waldstein
- Valentina Schütz
- Lukes Maurice Collin
- Markus Tiarks
Kritik
Raimund Gerz bezeichnet Männerfreundschaften in epd Film als pädagogisch wertvoll. Er betont die wissenschaftliche Erarbeitung der Thematiken und historischen Personen und hebt den unkonventionell scheinenden Stil Praunheims hervor. Dieser „Workshopcharakter“ bediene sich Elementen aus vergangener Zeit als Fernsehdokumentationen noch nicht mit spannender Hintergrundmusik versehen waren.[5]
Bianka Pieringer von Spielfilm.de sieht ein wesentliches Charakteristikum des Films in der vertieften Spekulation über die möglichen homosexuellen Liebschaften der genannten historischen Personen. Zur damaligen Zeit drückten Männer ihre seelische Bindung in ihren Briefen sehr überspitzt aus. Somit sollte bei diesen ausschweifenden Formulierungen nicht sogleich auf sexuelle Verhältnisse geschlossen werden.[6]
Gaby Sikorski vom Kinomagazin Programmkino.de hebt die dokumentarische Seriosität von Rosa von Praunheim, durch den Einsatz von Interviews internationaler Historikern, Germanisten und Literaturwissenschaftlern, hervor. Im Film ginge es um den Zusammenhang intellektueller und erotischer Freiheit, den Rosa von Praunheim in einem „lustvollen Umgang mit Goethe und seinen Zeitgenossen zum Ausdruck bringt“. Sie schreibt dem Film eine mit Sorgfalt geschaffene leichte, vergnügliche und sinnliche Atmosphäre zu. In Summe handelt es sich für sie um ein Gewinn für kunstinteressiertes Publikum.[7]
Literatur
- Christopher Treiblmayr: Bewegte Männer: Männlichkeit und männliche Homosexualität im deutschen Kino der 1990er Jahre. In: L'Homme. Band 19. Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln/Wien 2015.
Weblinks
- Männerfreundschaften in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
- Christopher Treiblmayr: Bewegte Männer: Männlichkeit und männliche Homosexualität im deutschen Kino der 1990er Jahre. In: L’Homme. Band 19. Bohlau Verlag GmbH & Cie, Köln/Wien 2015, ISBN 978-3-412-20656-7, S. 267.
- Missing Films: Männerfreundschaften. In: Missing Films. Missing Films, abgerufen am 12. Dezember 2021 (deutsch).
- Michael Helbing: Heiße Liebesbriefe unter Männern. In: Thüringer Allgemeine. Thüringer Allgemeine, 8. September 2017, abgerufen am 12. Dezember 2021 (deutsch).
- Filmportal: Männerfreundschaften. In: Filmportal. Filmportal, abgerufen am 12. Dezember 2021 (deutsch).
- Raimund Gerz: Kritik zu Männerfreundschaften. In: epd-film. epd-film, 23. November 2018, abgerufen am 12. Dezember 2021 (deutsch).
- Bianka Piringer: Kritik: Männerfreundschaften. In: Spielfilme.de. Spielfilme.de, abgerufen am 12. Dezember 2021 (deutsch).
- Gaby Sikorski: Männerfreundschaften. In: Programmkino. Programmkino, abgerufen am 12. Dezember 2021 (deutsch).