Los del Río
Los del Río (auf Deutsch: „Die vom Fluss“) ist ein spanisches Musikduo, das ab 1992 mit Macarena einen internationalen Hit hatte.
Geschichte
Bereits in den 1960er Jahren schlossen sich die beiden in Dos Hermanas, einer Stadt in der Nähe von Sevilla ansässigen Andalusier Rafael Ruiz Perdigones (* 1949) und Antonio Romero Monge (* 1947) zu einem stilistisch vom Flamenco beeinflussten Duo mit Gitarre und Gesang unter dem Namen Los del Río („Die vom Fluss“)[2] zusammen. Als gefragte Interpreten traditioneller und populärer spanischer Musik, meist Rumbas und Sevillanas, spielten sie im Laufe der Jahre über 30 Alben ein. Mit ihrer 1991 veröffentlichten Version der Rumba Sevilla tiene un color especial des Komponisten Romero San Juan (eigentlich Rafael Hornero Romero de la Osa, 1948–2005), die 1992 zur offiziellen Hymne der Weltausstellung in Sevilla wurde, fand das Duo erstmals auch Beachtung außerhalb Spaniens. Im Jahr 1996 diente ihr Rumba-Hit La Macarena im US-amerikanischen Wahlkampf als „Hymne“[3] der Demokraten.
Das Lied Macarena
Entstehungsgeschichte
Während eines Privatkonzerts in Venezuela im Jahr 1991 inspirierte angeblich ein Auftritt der in Caracas lebenden Flamenco-Tänzerin Diana Patricia Cubillán Herrera[4] die beiden Musiker zu der zunächst spontan improvisierten Textzeile Dale a tu cuerpo alegría Diana ‚Schenke deinem Körper Freude, Diana‘,[5] die im Nachhinein zur Grundlage einer Rumba wurde, die im August 1993 in Spanien veröffentlicht wurde.[6] Nachdem die erste Refrainzeile in Rücksicht auf den Reim zunächst zu Dale a tu cuerpo alegría Magdalena verändert wurde, wurde der Titel letztendlich als Macarena veröffentlicht, um eine Verwechslung mit dem im gleichen Jahr erschienenen Lied Magdalena des mexikanischen Sängers Emmanuel zu vermeiden, und als Verweis auf die Herkunft der beiden Künstler aus der Provinz Sevilla.[7]
Textinhalt und Textvarianten
Das Lied handelt in der ursprünglichen, 1993 veröffentlichten Version von einer ebenso rebellischen,[8] wie lebenslustigen[9] jungen Frau, die davon träumt, sich im El Corte Inglés nach der neuesten Mode einkleiden zu können, die in New York leben möchte und lieber einen Freund hätte, der sich nicht über fragwürdig gewordene patriotische Tugenden, wie das Ablegen des Fahneneids[10] definiert. Im Kern lässt sich der Text durchaus als Kommentar eines gesellschaftlich höchst brisanten Themas verstehen, da er auf humorvolle Weise die seit Beginn der Transición zunehmend in Auflösung begriffenen Werte einer von Klerus und Militär geprägten Männerwelt durch die Figur einer jungen Frau in Frage stellt, die sich diesen Werten nicht mehr unterordnen will.
Der zum internationalen Hit avancierte „Bayside Boys Remix“ übernimmt nur den spanischen Refrain und ersetzt die Strophen durch einen Inhalt, der dessen ursprüngliche Aussage geradezu ins Gegenteil verkehrt, da die Protagonistin nunmehr als vergnügungssüchtige und amoralische Hedonistin erscheint.[11] Erst in der Textversion des Remix ist davon die Rede, dass die Macarena an dem Tag, an dem ihr Freund den Fahneneid ablegt, diesen mit zwei seiner Bekannten betrügt. Im Originaltext steht lediglich, dass sie mit diesen gesehen wird. Im Kontext ihrer im Originaltext von 1993 angedeuteten Lebensträume deutet dies aber weniger auf eine ihr zu unterstellende Untreue, sondern ist vielmehr als Ausdruck ihrer Verweigerungshaltung gegenüber einem Ritual zu verstehen, das nach dem Ende der Franco-Diktatur im demokratischen Spanien zunehmend als anachronistisches Relikt einer von Männern und ihren patriotischen Idealen beherrschten Gesellschaft empfunden wurde. Anstatt dem Bild der getreuen Partnerin zu entsprechen, die sich bis zur Rückkehr des novio aus dem öffentlichen Leben zurückzieht, zieht sie lieber mit seinen Freunden „um die Blöcke“ und konterkariert damit das Klischee der militärischen Männerkameradschaft auf ihre Weise.
Ob es zwischen dem Titel des Stücks und der Thematik des Originaltextes einen Bezug gibt, lässt sich nicht ohne die Gefahr einer auf Spekulation beruhenden Überinterpretation sagen, da Macarena sowohl als Eigenname, als Herkunftsbezeichnung für Frauen aus dem Sevillaner Distrikt Macarena, aber auch als umgangssprachliche Bezeichnung für eine attraktive Frau, allerdings mit pejorativem Unterton im Sinne von „hübscher Angeberin“ verwendet wird.[12] Handelt es sich bei Macarena um einen Eigennamen,[13] bleibt offen, ob der Name der Protagonistin, sei es Magdalena oder Macarena, bewusst gewählt wurde, um eine Assoziation zum Topos und der Figur der Maria Magdalena zu schaffen. In diesem Fall würde das Verhalten der Macarena (Magdalena) relativiert, da nach einer als moralisch bedenklich eingestuften Lebensphase irgendwann eine Läuterung, im konkreten Fall die Rückkehr zu den traditionellen Werten, zu erwarten wäre. Auch die Interpretation von Macarena als Bezeichnung für Einwohnerinnen des Distriktes La Macarena (Sevilla) hätte einen relativierenden Beigeschmack, da es bereits in den 1990er Jahren erste Anzeichen gab, dass sich dieser Distrikt zu einer der Problemzonen Sevillas entwickeln könnte, womit sich die Lebensträume der Macarena schnell als unerfüllbares Wunschdenken herausgestellt hätten. Somit erscheint die Deutung der Bezeichnung „Macarena“ als umgangssprachlicher Ausdruck für eine hübsche, ihre realen Möglichkeiten bisweilen überschätzende Aufschneiderin zumindest dahingehend als akzeptabel, dass sie der Protagonistin des Liedes die Option offen hält, ihre Träume von einem Leben gegen die Norm tatsächlich verwirklichen zu können.
Kommerzieller Erfolg
Der Titel wurde in Spanien schnell populär, doch erst in den Jahren darauf war der Song auch in Lateinamerika zu hören. Von dort erreichte er über die spanischsprachigen Radiostationen den Süden der USA. 1995 entdeckte das Produzenten- und Remixer-Duo Carlos Alberto de Yarza und Mike Triay aus Miami das Stück und machte aus den traditionellen Gitarrenklängen mit spanischem Gesang und rhythmischem Klatschen eine diskotaugliche Version mit elektronischen Klängen und weiblichem Chor sowie englischen Textstücken. Ihr „Bayside Boys Remix“ hatte in den USA sofort Erfolg. Im Juni 1996 belegte Macarena 14 Wochen Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts. Der Song wurde alleine in den USA über 4,5 Millionen Mal verkauft – gleichbedeutend mit vier Platin-Schallplatten. Der Macarena-Remix eroberte weltweit fast überall die Spitzen der Pop-Charts und war der Sommerhit des Jahres. Weltweit waren es über elf Millionen verkaufte Singles.[14] Im Sog des Remixes kam das Original noch bis auf Platz 23 der Charts.
Neben den Los-del-Río-Versionen konnte auch das kanadische Duo Los del Mar von dem Erfolg profitieren und sich zum Beispiel in Australien und Frankreich mit dem gleichen Titel hinter dem Original in den Top 5 einreihen. Zahlreiche Coverversionen, Übersetzungen in andere Sprachen und instrumentale Versionen folgten, und bis heute ist das Lied ein beliebter Stimmungshit.
Der Tanz Macarena
Passend zum Hit gab es einen Modetanz, der in einer spanischen Tanzschule entstand und für das zugehörige Musikvideo erweitert wurde, das im Sommer 1996 auf allen Musiksendern zu sehen war. Ob in Stadien bei öffentlichen Musik- und Sportveranstaltungen, in der Dorfdisco oder auf Kindergeburtstagen und Hochzeiten – überall schlug man die Hände in einer bestimmten Abfolge, stemmte sie in die Hüften, drehte die Hüfte, ging in die Knie, um sich dann in einem Aufwärtsschwung seitwärts mit einem leichten Sprung um 90 Grad zu drehen. International bekannt ist die Szene, in der die US-Botschafterin und spätere Außenministerin Madeleine Albright vor einer UN-Sicherheitsratsitzung dem Botschafter Botswanas den Tanz beibringt. Selbst in deutschen Grundschulen wurde der Tanz als Teil der Musikpädagogik unterrichtet.[15]
Spätere Karriere
Für Los del Río war es erwartungsgemäß schwer, diesem Ausnahmeerfolg etwas folgen zu lassen. Eine Weihnachtsversion namens Macarena Christmas erreichte zwar zum Jahresausklang noch einmal die Charts, abgesehen davon blieben sie aber ein internationales One-Hit-Wonder.
Ende der 1990er feierten sie ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum und bis heute haben sie zahlreiche weitere Alben veröffentlicht, in denen sie sich wieder ihren musikalischen Wurzeln angenähert haben. Die Musiker leben weiterhin in ihrer Heimat in Dos Hermanas bei Sevilla.
Diskografie
Alben
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Singles
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Auszeichnungen für Musikverkäufe
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Anmerkung: Auszeichnungen in Ländern aus den Charttabellen bzw. Chartboxen sind in ebendiesen zu finden.
Land/RegionAuszeichnungen für Musikverkäufe (Land/Region, Auszeichnungen, Verkäufe, Quellen) |
Gold | Platin | Diamant | Verkäufe | Quellen |
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Australien (ARIA) | Gold1 | 3× Platin3 | — | 245.000 | aria.com.au ariacharts.com.au |
Belgien (BEA) | — | 2× Platin2 | — | 100.000 | ultratop.be |
Deutschland (BVMI) | Gold1 | Platin1 | — | 750.000 | musikindustrie.de |
Frankreich (SNEP) | — | — | Diamant1 | 750.000 | infodisc.fr snepmusique.com |
Japan (RIAJ) | Gold1 | — | — | 100.000 | riaj.or.jp |
Neuseeland (RMNZ) | — | Platin1 | — | 15.000 | nztop40.co.nz |
Niederlande (NVPI) | — | Platin1 | — | 75.000 | nvpi.nl |
Österreich (IFPI) | — | Platin1 | — | 50.000 | ifpi.at |
Schweden (IFPI) | Gold1 | — | — | 15.000 | sverigetopplistan.se |
Schweiz (IFPI) | Gold1 | — | — | 25.000 | hitparade.ch |
Spanien (Promusicae) | 2× Gold2 | Platin1 | — | 200.000 | Sólo éxitos: año a año, 1959–2002 |
Vereinigte Staaten (RIAA) | — | 4× Platin4 | — | 4.000.000 | riaa.com |
Vereinigtes Königreich (BPI) | — | Platin1 | — | 600.000 | bpi.co.uk |
Insgesamt | 7× Gold7 | 15× Platin15 | Diamant1 |
Einzelnachweise
- Charts DE Charts AT Charts CH Charts UK Charts US ES
- Gemeint ist der von Dos Hermanas nur wenige Kilometer entfernte Río Guadalquivir.
- Kersten Knipp: Flamenco. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-518-45824-8, S. 101.
- El Español David López Frías: La Macarena venezolana de Los del Río se va: "No se puede vivir así, en un narcoestado". Artikel vom 26. Mai 2019, abgerufen am 23. Januar 2021 (spanisch).
- Vanity Fair Laura Martín: La verdadera historia de la canción más grande del mundo. Artikel vom 9. September 2015, abgerufen am 23. Januar 2021 (spanisch).
- Los del Río: A mí me gusta. Serdisco, Madrid 1992, Track 1: Macarena (CD).
- Macarena ist ein Distrikt in Sevilla, bekannt durch seine Basilika mit der Statue der María Santísima de la Esperanza Macarena Coronada, im Volksmund La Macarena genannt.
- „Que te gusta la movida guerrillera“ (sinngemäß: Dir gefällt das Aufständische).
- „Que tributo a los veranos de Marbella“ (gemeint ist jemand, der "auf den Tischen tanzt" und damit an die wilden Zeiten des Marbella-Jetsets der 1970er Jahre erinnert).
- In Spanien herrschte bis 2001 Wehrpflicht.
- El Comercio Ein spanischer Zeitungsartikel, der sich allerdings ausschließlich auf die Textversion des „Bayside Boys Remix“ bezieht, kommt zu dem Schluss, dass der in der englisch-spanischen Version des Liedes ausgedrückten „unmoralische Haltung“ der Protagonistin selbst in kirchlich betreuten Jugendtreffs kein Einhalt geboten werde: El significado ‘oculto’ de la Macarena. Artikel vom 11. September 2015, abgerufen am 23. Januar 2021 (spanisch).
- DRAE Eintrag „macareno/a“ im Diccionario der Real Academía Española (spanisch), abgerufen am 23. Januar 2021 (spanisch).
- Bisweilen wird behauptet, eine der Töchter Antonio Romero Monges, Esperanza Macarena, sei Namensgeberin des Liedes gewesen, was aber angesichts der Thematik des Liedtextes bezweifelt werden muss.
- Ben Rayner: Anatomy of a Blockbuster: “Heeeey, Macarena!” In: thestar.com. 1. August 2014, abgerufen am 6. August 2020 (englisch).
- Los del Rio: Macarena – der Tanz; in: Musik in der Grundschule 1/1996, Seite 23 Los del Rio: Macarena – der Tanz www.musikpaedagogik-online.de (Literaturhinweis)