Krüger-Depesche
Die Krüger-Depesche war ein 1896 von Kaiser Wilhelm II. versandtes Telegramm an Paulus Kruger, den Präsidenten der Südafrikanischen Republik auf dem Boden des heutigen Transvaal, dem er darin zum Sieg über eine Gruppe Freischärler gratulierte, die in britischem Interesse Transvaal angegriffen hatten.
Vorgeschichte
Mit der Pretoria Convention erhielten die Buren 1881 zunächst Selbstverwaltung unter britischer Kontrolle. 1884 bekam die Südafrikanische Republik ihre Unabhängigkeit weitgehend zurück, die Zuständigkeit für auswärtige Beziehungen verblieb allerdings bei Großbritannien.[1] Aufgrund des Rohstoffreichtums des Landes, der Pläne von Cecil Rhodes für die Expansion seines Wirtschaftsimperiums und eine durchgehende Landverbindung zwischen Nord- und Südafrika (Kap-Kairo-Plan), strebte dieser an, die Südafrikanische Republik ins Britische Weltreich zu vereinnahmen. Entweder politisch auf gleicher Linie liegend oder sogar direkt von Cecil Rhodes angestiftet führte der in der Kapkolonie tätige Politiker Leander Starr Jameson 1895 einen bewaffneten Überfall auf die Burenrepublik Transvaal durch, der das Ziel hatte, das Land zu annektieren („Jameson Raid“). Transvaal vereitelte diesen Plan. Großbritannien distanzierte sich offiziell von der Aktion. Der britische Kolonialminister Joseph Chamberlain forderte am 30. Dezember 1895 die Bestrafung der britischen Offiziere, die an dem Einfall teilgenommen hatten. Der deutsche Botschafter in London, Paul Graf von Hatzfeldt, hatte eine Unterredung mit dem britischen Premierminister Salisbury. Dabei kam Hatzfeldt zu der Überzeugung, dass die Distanzierung der britischen Regierung ernst gemeint war.
Die Krüger-Depesche
Entstehung
1884 hatte das Deutsche Reich das spätere Südwestafrika (heute: Namibia) zum kolonialen Schutzgebiet erklärt und war durch diesen Schritt politisch zum aktiven Mitspieler im südlichen Afrika geworden. Nach dem Sieg Transvaals über die Freischärler von Jameson hatte Wilhelm II. die Idee, Transvaal in ein deutsches Protektorat umzuwandeln.[Anm. 1] Er wäre dabei auf direkten Kollisionskurs mit Großbritannien gegangen, bildete sich aber ein, einen dann eventuell ausbrechenden Krieg auf einen Landkrieg beschränken zu können.[2]
Über die Idee des Kaisers wurde in einer Konferenz am 3. Januar 1896 gesprochen, an der neben dem Kaiser der Reichskanzler, Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der Staatssekretär im Auswärtigen Amt (Außenminister), Adolf Marschall von Bieberstein, der Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Friedrich von Hollmann, der Chef des Marinekabinetts, Gustav von Senden-Bibran, sowie der kommandierende Admiral, Eduard von Knorr, teilnahmen. Über den Verlauf der Beratungen gibt es unterschiedliche Darstellungen der Beteiligten.[2] Um die wirren Ideen des Kaisers abzufedern, schlug Adolf Marschall von Bieberstein vor, ein Glückwunschtelegramm des Kaisers an den Präsidenten von Transvaal zu dem Sieg über Jameson zu versenden. Die weitere Idee des Kaisers, ein Kriegsschiff nach Südafrika zu schicken, konnten die anderen Beteiligten der Besprechung darauf zurückschrauben, dass Oberst Friedrich von Schele als Privatmann nach Südafrika reiste, um die Situation zu erkunden.[3] Mit dem Entwurf des Telegramms wurde der Ministerialbeamte Paul Kayser beauftragt, die Endredaktion nahm Adolf Marschall von Bieberstein vor.
Wortlaut
Noch am gleichen Tag sandte Kaiser Wilhelm II. dem Präsidenten von Transvaal das Glückwunschtelegramm mit folgendem Wortlaut:
„Ich spreche Ihnen Meinen aufrichtigen Glückwunsch aus, daß es Ihnen, ohne an die Hülfe befreundeter Mächte zu appellieren, mit Ihrem Volke gelungen ist, in eigener Tatkraft gegenüber den bewaffneten Scharen, welche als Friedensstörer in Ihr Land eingebrochen sind, den Frieden wiederherzustellen und die Unabhängigkeit des Landes gegen Angriffe von außen zu wahren.[1]“
Der Text wurde nahezu zeitgleich der Presse zur Verfügung gestellt, darunter den Nachrichtenagenturen Reuters und Wolffs Telegraphischem Bureau.[4]
Am Text fällt unter anderem auf, dass die Passage „die Unabhängigkeit des Landes gegen Angriffe von außen zu wahren“ dem Staat Transvaal eine Unabhängigkeit unterstellt, die er durch seine Einschränkung in außenpolitischen Angelegenheiten rechtlich so nicht besaß. Damit stellt das Telegramm auch einen Angriff auf britische Rechte dar.
Reaktionen
- Die konservative deutsche Presse stimmte dem Telegramm einhellig zu.
- Die linksliberalen und linken Zeitungen wiesen dagegen auf das Konfliktpotential mit Großbritannien hin, das durch das Telegramm mobilisiert wurde.
- Die Reaktion in Großbritannien war eher verhalten: Die Presse kritisierte das Telegramm, Kaiser Wilhelms II. Großmutter, Königin Victoria, reagierte nicht erfreut, aber in der Parlamentsdebatte zu Transvaal spielte es keine Rolle.[5] Die mittel- und langfristige Wirkung des Telegramms auf das deutsch-britische Verhältnis ist umstritten.[6] Als Reaktion auf die Krüger-Depesche löste Großbritannien schließlich die Mittelmeerentente auf, die aber ohnehin kaum noch Bedeutung hatte.
Die Krüger-Depesche mutierte so in erster Linie zu einem Konfliktstoff zwischen konservativem und linkem Lager in Deutschland. Ohne die internen Gegebenheiten zu kennen, erschien das Telegramm in der Öffentlichkeit als außenpolitisch nur unprofessionell. Der eigentliche Veranlasser im Hintergrund, Kaiser Wilhelm II., versuchte sich deshalb später in seinen Memoiren reinzuwaschen. Er betonte, dass er gegen die Absendung der Depesche wegen der negativen Folgen für das Verhältnis mit Großbritannien gewesen sei, dass er aber vom Kanzler Hohenlohe dazu zwingend überredet worden sei.[7] Diese späte Darstellung ist gegenüber den vorliegenden, unmittelbar nach der Beratung am 3. Januar 1896 aufgezeichneten Tagebucheinträgen von Adolf Marschall von Bieberstein und Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst[8] nicht sehr glaubhaft. Hohenlohe-Schillingsfürst resümiert: „Nicht Überlegung, sondern kaiserliche Laune war das treibende Element.“[9] Es gibt aber auch die Ansicht, dass Adolf Marschall von Bieberstein das Telegramm als Instrument sah, seine bedrohte Stellung zu festigen, indem er dem Kaiser eine grandios wirkende, öffentliche Geste ermöglichte.[10]
Als es vier Jahre später zum Zweiten Burenkrieg kam, verfolgte Deutschland eine sehr zurückhaltende Politik. Eine Intervention zugunsten der Gegner des Britischen Weltreiches wurde ernsthaft nicht (mehr) erwogen.
Bewertung
Die Krüger-Depesche war Teil einer „dilettantischen Politik der Großspurigkeit“, die auch durch Wilhelm II. repräsentiert wurde und eine der Ursachen war, weshalb sich das deutsch-britische Verhältnis in den auf das Telegramm folgenden Jahren zunehmend verschlechterte.[11]
Literatur
- Paul Hoser: Die Krügerdepesche (1896). In: Jürgen Zimmerer (Hrsg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt 2013, ISBN 978-3-593-39811-2, S. 150–163. (Mit umfangreicher Bibliographie)
- Johannes Lepsius u. a.: Die große Politik der Europäischen Kabinette 1871–1914. Bd. 11: Die Krügerdepresche und das europäische Bündessisystem 1896 (darin: S. 1–65 (Kap. LXIII): Die Krügerdepesche und ihre Rückwirkung auf das Deutsch-Englische Verhältnis 1896). Berlin 1923.
- John C. G. Röhl: Wilhelm II. Band 2: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie. 1888–1900. C.H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-48229-5, S. 871–882.
Anmerkungen
- Adolf Marschall von Bieberstein vermerkt in seinem Tagebuch dazu: S [eine] M[ajestät] entwickelt etwas wunderbare Pläne.
Einzelnachweise
- Hoser: Krügerdepesche, S. 150.
- Hoser: Krügerdepesche, S. 152.
- Hoser: Krügerdepesche, S. 153.
- Hoser: Krügerdepesche, S. 157.
- Hoser: Krügerdepesche, S. 157 ff.
- Hoser: Krügerdepesche, S. 158 ff.
- Kaiser Wilhelm II: Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878–1918, Verlag von K. F. Koehler, Leipzig und Berlin 1922.
- Auszugsweise zitiert bei: Hoser: Krügerdepesche, S. 152.
- Norman Rich u. H. Fisher: Die Geheimen Papiere Friedrich von Holstein 1. Göttingen 1956, S. 161 ff.
- Hoser: Krügerdepesche, S. 156.
- Hoser: Krügerdepesche, S. 160.