Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch
Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch ist der Titel eines Aufrufes, in dem Theologen von Hochschulen – insbesondere des deutschsprachigen Raums – im Februar 2011 eine Reform der römisch-katholischen Kirche forderten.[1] Das Memorandum verlangte unter anderem mehr Beteiligung und mehr Rechtskultur. Es wurde von einer achtköpfigen Redaktion erarbeitet[2] und von 311 katholischen Theologen (darunter über 200 aktive Professoren), Religionspädagogen und anderen Wissenschaftlern unterzeichnet.[3][4]
Einige der Unterzeichner trugen bereits 1989 die Kölner Erklärung und 1995 die Initiative Wir sind Kirche mit. Ein Anstoß aus Österreich war 1995 das Kirchenvolks-Begehren.
Inhalt
Die Autoren beziehen sich auf die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg Berlin und die aus diesen und anderen Fällen resultierende tiefe Krise der römisch-katholischen Kirche. Im Jahre 2010 seien mehr Mitglieder aus der katholischen Kirche ausgetreten als je zuvor. Zur Lösung dieser Krise seien tief greifende Reformen notwendig, 2011 müsse ein Jahr des Aufbruchs für die Kirche werden. Ziel muss nach Ansicht der Autoren die stärkere Übereinstimmung zwischen kirchlicher Sozialgestalt und religiösem Anspruch sein.
Im Einzelnen fordert das Memorandum daher einen offenen Dialog in den folgenden Handlungsfeldern:
- eine stärkere Beteiligung der Gläubigen auf allen Ebenen der Kirche, auch bei der Bestellung wichtiger Amtsträger (Bischof, Pfarrer),
- die Förderung des gemeindlichen Lebens, indem der Bildung von Großpfarreien entgegengewirkt wird, die Gläubigen Mitverantwortung übernehmen und auch verheiratete Priester (Aufhebung der Verpflichtung zum Zölibat für Ordinierte) und Frauen im kirchlichen Amt zugelassen werden (siehe auch Priestermangel),
- die Verbesserung von Rechtsschutz und Rechtskultur in der Kirche und als ersten Schritt dazu den Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit,
- Respekt vor dem individuellen Gewissen, besonders im Bereich der persönlichen Lebensentscheidungen und individuellen Lebensformen (wiederverheiratete Geschiedene, gleichgeschlechtliche Partnerschaft),
- Versöhnung mit denen, an denen die Kirche schuldig geworden ist und
- Reformen im Gottesdienst, indem mehr kulturelle Vielfalt und Ausdrucksformen der Gegenwart zugelassen werden.
Liste der Unterzeichner
Insgesamt 311 Personen haben das Memorandum unterzeichnet:[3] Deutschsprachiger Raum
- Michael Albus
- Franz Annen
- Arno Anzenbacher
- Edmund Arens
- Antonio Autiero
- Karl Baier
- Franz-Josef Bäumer
- Georg Baudler
- Urs Baumann
- Isidor Baumgartner
- Ulrike Bechmann
- Manfred Belok
- Andreas Benk
- Johannes Beutler
- Klaus Bieberstein
- Sabine Bieberstein
- Albert Biesinger
- Franz Xaver Bischof
- Martina Blasberg-Kuhnke
- Thomas Böhm
- Michael Böhnke
- Christoph Böttigheimer
- Karl Bopp
- Karl-Heinz Braun
- Thomas Bremer
- Johannes Brosseder
- Ingo Broer
- Anton A. Bucher
- Giancarlo Collet
- Gerhard Dautzenberg
- Sabine Demel
- Detlev Dormeyer
- Gerhard Droesser
- Margit Eckholt
- Peter Eicher
- Volker Eid
- Bernhard Emunds
- Rudolf Englert
- Stephan Ernst
- Wolfgang G. Esser
- Reinhold Esterbauer
- Heinz-Josef Fabry
- Ernst Feil
- Reinhard Feiter
- Michael Felder
- Rupert Feneberg
- Hubert Frankemölle
- Albert Franz
- Christian Frevel
- Edward Fröhling
- Ottmar Fuchs
- Alfons Fürst
- Ingeborg Gabriel
- Karl Gabriel
- Erich Garhammer
- Albert Gasser
- Martin Gertler
- Reinhard Göllner
- Heinz-Jürgen Görtz
- Stephan Goertz
- Norbert Greinacher
- Franz Gruber
- Bernhard Grümme
- Wilhelm Guggenberger
- Gerd Häfner
- Hille Haker
- Hubertus Halbfas
- Hans Halter
- Richard Hartmann
- Linus Hauser
- Christoph Heil
- Marianne Heimbach-Steins
- Theresia Heimerl
- Hanspeter Heinz
- Ulrich Hemel
- Friedhelm Hengsbach
- Bernd Jochen Hilberath
- Georg Hilger
- Konrad Hilpert
- Hans Gerald Hödl
- Rudolf Höfer
- Hans-Joachim Höhn
- Johannes Hoffmann
- Paul Hoffmann
- Adrian Holderegger
- Andreas Holzem
- Reinhard Hübner
- Peter Hünermann
- Hubert Irsigler
- Martin Jäggle
- Bernhard Jendorff
- Hans Jorissen
- Christina Kalloch
- Rainer Kampling
- Leo Karrer
- Othmar Keel
- Walter Kern
- Hans Kessler
- Klaus Kienzler
- Klaus Kießling
- Walter Kirchschläger
- Stephanie B. Klein
- Stefan Knobloch
- Joachim Köhler
- Judith Könemann
- Helga Kohler-Spiegel
- Anton Kolb
- Roland Kollmann
- Wilhelm Korff
- Elmar Kos
- Georg Kraus
- Gerhard Kruip
- Max Küchler
- Joachim Kügler
- Roman Kühschelm
- Hans Küng
- Karl-Christoph Kuhn
- Ulrich Kuhnke
- Lothar Kuld
- Karl-Josef Kuschel
- Raimund Lachner
- Karl Heinz Ladenhauf
- Anton Landersdorfer
- Bernhard Lang
- Georg Langenhorst
- Wolfgang Langer
- Rudolf Langthaler
- Gerhard Larcher
- Karl Josef Lesch
- Ernst Leuninger
- Maximilian Liebmann
- Winfried Löffler
- Adrian Loretan
- Klaus Lüdicke
- Heiner Ludwig
- Hubertus Lutterbach
- Joachim Maier
- Johannes Meier
- Hans Mendl
- Friedhelm Mennekes
- Karl-Wilhelm Merks
- Norbert Mette
- Guido Meyer
- Andreas Michel
- Anja Middelbeck-Varwick
- Dietmar Mieth
- Heinrich Missalla
- Matthias Möhring-Hesse
- Hilary Mooney
- Klaus Müller
- Ilse Müllner
- Doris Nauer
- Peter Neuner
- Monika Nickel
- Heribert Niederschlag
- Christoph Niemand
- Franz-Josef Nocke
- Andreas Odenthal
- Karl-Heinz Ohlig
- Hans-Ludwig Ollig
- Wolfgang Palaver
- Silvia Pellegrini
- Sabine Pemsel-Maier
- Otto Hermann Pesch
- Johann Pock
- Uta Poplutz
- Burkard Porzelt
- Thomas Pröpper
- Gunter Prüller-Jagenteufel
- Walter Raberger
- Michael Raske
- Johann Reikerstorfer
- Elisabeth Reil
- Helmut Renöckl
- Eleonore Reuter
- Klemens Richter
- Bert Roebben
- Eberhard Rolinck
- Hans Rotter
- Karlheinz Ruhstorfer
- Gerhard A. Rummel
- Ralph Sauer
- Sabine Schäper
- Mirjam Schambeck
- Matthias Scharer
- Monika Scheidler
- Hans Schelkshorn
- Karl Schlemmer
- Udo Schmälzle
- Bruno Schmid
- Heinrich Schmidinger
- Thomas M. Schmidt
- Joachim Schmiedl
- Eberhard Schockenhoff
- Norbert Scholl
- Michael Schramm
- Stefan Schreiber
- Thomas Schreijäck
- Thomas Schüller
- Helen Schüngel-Straumann
- Ehrenfried Schulz
- Hans Reinhard Seeliger
- Josef Senft
- Roman Siebenrock
- Hermann Pius Siller
- Werner Simon
- Egon Spiegel
- Hermann Steinkamp
- Georg Steins
- Hermann Stenger
- Hermann-Josef Stipp
- Klaus von Stosch
- Magnus Striet
- Angelika Strotmann
- Joachim Theis
- Michael Theobald
- Franz Trautmann
- Maria Trautmann
- Wolfgang Treitler
- Bernd Trocholepczy
- Peter Trummer
- Hermann-Josef Venetz
- Markus Vogt
- Marie-Theres Wacker
- Heribert Wahl
- Peter Walter
- Franz Weber
- Wolfgang Weirer
- Saskia Wendel
- Knut Wenzel
- Ludwig Wenzler
- Jürgen Werbick
- Christian Wessely
- Dietrich Wiederkehr
- Annette Wilke
- Ulrich Willers
- Werner Wolbert
- Martha Zechmeister
- Hans-Georg Ziebertz
- Reinhold Zwick
Unterzeichner aus nicht-deutschsprachigen Ländern
- Xavier Alegre
- Joseba Arregi Olaizola
- Jesús Asurmendi
- Lourdes Barrenetxea Urkia
- Gregory Baum
- José Manuel Bernal Cantos
- José Bernardi
- Ignace Berten
- Montserrat Biosca Duch
- Alberto Bondolfi
- Eberhard Bons
- Agnes Brazal
- José María Castillo Sánchez
- José Centeno
- Aldir Crocoli
- Ton Danenberg
- Juan Antonio Estrada
- Marcio Fabri
- Rufo Fernández Pérez
- Dolores Figueras Fondevila
- Bejamín Forcano Cebollada
- Judette Gallares
- Máximo García Ruiz
- Marcelo Juan González
- Jan Jans
- Werner G. Jeanrond
- Miro Jelecevic
- Elisa Jiménez Xifre
- Janez Juhant
- Walter Lesch
- Julio Lois Fernández
- Aloysius Lopez Cartagenas
- Gerar Mannion
- Ivo Marković
- Juan Masía Clavel
- José Mario Méndez Méndez
- Anthony T. Padovano
- José Antonio Pagola Elorza
- Luis Augusto Panchi
- Federico Pastor Ramos
- Jesús Peláez del Rosal
- Richard Penaskovic
- Margarita Pintos de Cea-Naharro
- Félix Placer Ugarte
- John Mansford Prior
- Julio Puente López
- Mertxe Renovales
- Susan Roll
- Giuseppe Ruggieri
- José Sánchez
- Santiago Sánchez Torrado
- Joseph Selling
- Thomas Shannon
- Jon Sobrino
- Jacqueline Stewart
- Silvana Suaiden
- Luíz Carlos Susin
- Paulo Suess
- Juan José Tamayo Acosta
- Marie-Jo Thiel
- Christoph Theobald
- Luiza Etsuko Tomita
- Andrés Torres Queiruga
- Caroline Vander Stichele
- Rufino Velasco Martínez
- Marciano Vidal Garciá
- Evaristo Villar Villar
- Javier Vitoria
- Lode Lucas Wostyn
- Juan Yzuel
- Marta Zubía Guinea
Reaktionen
Kirchliche Reaktionen
Hans Langendörfer, Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, erklärte, man sei zum Dialog bereit. Einige Forderungen des Memorandums stünden aber „in Spannung zu theologischen Überzeugungen und kirchlichen Festlegungen von hoher Verbindlichkeit“.[5]
Die Reaktionen unter den deutschen Bischöfen und Kardinälen waren insgesamt verhalten und uneinheitlich.[6] Bischof Felix Genn, Münster, hielt die Memorandum-Vorschläge nicht für „den Weg, der die Bewältigung dieser Krise leistet“.[7] Kardinal Walter Kasper wies das Memorandum gleichfalls zurück. Die Forderungen seien bekannt und „von vielen anderen Gruppierungen schon fast bis zum Überdruss gesagt“. Er vermisse in dem Memorandum die Nennung des eigentlichen Problems, das die Kirche habe, nämlich die von Johann Baptist Metz so genannte Gotteskrise: „Statt dessen bleibt das Memorandum in einer von ihm selbst voll zu Recht kritisierten Selbstbeschäftigung stecken.“[8] Auch der Bischof von Fulda, Heinz Josef Algermissen, fand das Memorandum „allzu plakativ“. Der von den Bischöfen angestoßene Dialog dürfe nicht durch „Besserwisserei von vornherein blockiert werden“.[9] Demgegenüber sah der Trierer Bischof Stephan Ackermann das Memorandum der Theologen als Ausdruck des Vertrauens in die Kirche und in ihre Kraft zur Erneuerung.[10]
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, äußerte grundsätzlich Verständnis für die Forderungen des Memorandums und wollte auch Strukturfragen explizit nicht aus dem von den Bischöfen angestoßenen Dialog ausgeschlossen sehen. Auf der anderen Seite griff ihm das Memorandum zu kurz, da es den problematischen Eindruck verstärke, dass eine Erneuerung der katholischen Kirche sich in der Abarbeitung von „Mängellisten“ erschöpfe. Das religiöse Element käme im Memorandum viel zu kurz. Den impliziten Vorwurf, das Episkopat zeichne sich durch generelle Reformresistenz und Angststarre aus, wies Zollitsch dagegen als Karikatur zurück.[11]
Notker Wolf, der Abtprimas des Benediktinerordens, sah das Memorandum trotz zahlreicher für ihn zustimmungswürdiger Punkte insgesamt kritisch.[12]
Unterstützende Reaktionen
Für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken würdigte dessen Vorsitzender Alois Glück das Memorandum als „wichtigen Beitrag zum Dialogprozess zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland“.[13] Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend begrüßte das Memorandum und den Dialog, der bald und umfassend geführt werden müsse.[14] Auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands[15] und der Katholische Deutsche Frauenbund[16] begrüßten das Memorandum. Neben diesen Großverbänden begrüßten auch Diözesanräte und -kommissionen das Memorandum und drückten ihren Wunsch nach einem umfassenden Dialog in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland aus.[17] Auch die Arbeitsgemeinschaft Studierende der Katholischen Theologie in Deutschland,[18] der Vorstand der Stipendiaten des Cusanuswerks[19] und das Forum Hochschule und Kirche (FHoK)[20] sprachen sich für eine ergebnisoffene und respektvolle Diskussion der im Memorandum benannten Punkte aus. Vereinzelt wurde dabei bedauert, dass in der Diskussion bisher vor allem Randpositionen dominierten und sich die Diskussion auf einige wenige Skandalthemen wie den Zölibat verenge. Dazu wurde der Wunsch geäußert, dass Papst Benedikt XVI. seinen Deutschlandbesuch nutze, um mit der ganzen Vielfalt der Meinungen in Berührung zu kommen.
Zur Unterstützung des Memorandums bildeten sich zahlreiche weitere Initiativen auf Orts- und Diözesanebene. So brachten im Erzbistum Freiburg etwa 300 Priester ihre Unterstützung für das Memorandum als Beginn eines offenen Diskussionsprozesses zum Ausdruck.[21][22] In Anlehnung an diese Initiative formulierten auch Priester und Diakone der Diözese Würzburg eine Unterstützungspetition für das Memorandum.[23] Ebenso wurde eine eigene Unterstützerinitiative von 300 Religionslehrern ins Leben gerufen und unterzeichnet.[24] Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend schaltete zur Unterstützung des Memorandums eine eigene Facebook-Seite.[25] Zusätzlich zum Memorandum gibt es online-Unterschriftenlisten für weitere Unterstützer als gemeinsame Aktion der Leserinitiative Publik e. V. und von Wir sind Kirche[26] sowie als Privatinitiative zweier Theologiestudenten aus Jerusalem.[27]
In einer Stellungnahme zur vor allem von Kardinal Walter Kasper vorgebrachten Kritik widersprachen Hans Kessler, Eberhard Schockenhoff und Peter Walter dem Argument, dass die Krise der katholischen Kirche sich auf eine reine Glaubenskrise verengen lasse. Stattdessen bestand für sie zwischen Kirchen- und Gotteskrise ein enger Zusammenhang. Die Verfasser betonten, dass Fragen wie die Zulassung Geschiedener zur Kommunion und andere Streitthemen nicht einfach im Sinne des Zeitgeistes beantwortet werden könnten. Andererseits könne man jedoch auch nicht unter Hinweis auf eine „Gotteskrise“ die im Memorandum angemahnten Punkte ignorieren, sondern solle diese im Dialog angehen.[28]
Ähnlich äußerte sich auch Johann Baptist Metz. Dieser erwiderte auf die unter anderem von Kardinal Walter Kasper angesprochene Gotteskrise, dass zu deren Ursachen auch die im Memorandum angesprochenen Probleme gehörten und diese daher angegangen werden müssten.[29]
Kritische Reaktionen
Die Ersteller der Online-Petition „Petition pro Ecclesia“ positionierten sich gegen die Forderungen des Memorandums „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ und warfen dessen Verfassern vor, die Gläubigen getäuscht und verunsichert zu haben.[30][31] Sie konnten in einem Zeitraum von rund zwei Monaten über 15.000 Unterschriften von Katholiken für die in ihrer Petition aufgeführten Punkte sammeln.[32] Eine ähnliche Petition wurde von Theologiestudenten unter dem Titel „Memorandum ‚plus‘ Freiheit“ formuliert.[33]
Im Wesentlichen wurde von Kritikern bemängelt, dass sich das Memorandum in Strukturfragen verliere und wenig zu einer religiösen Neubesinnung beitrage. Stattdessen werde pauschal „die Kirche“ angeprangert. Die Darstellung der Bibel als reine „Freiheitsbotschaft“ sei dagegen verkürzend. Missbrauchsopfer forderten nicht Freiheit, sondern Gerechtigkeit. Der Anspruch Gottes gegenüber den Menschen werde dadurch ignoriert und das Verhältnis zwischen Mensch und Gott regelrecht umgekehrt. Bestehende Probleme wie Priestermangel, Rückgang der Mitgliederzahlen etc. sind nach Meinung der Kritiker jedoch weniger der institutionellen Verfasstheit als vielmehr der auf die katholische Kirche einwirkenden Säkularisierung geschuldet. Als Beleg wird in aller Regel auf die evangelische oder anglikanische Kirche verwiesen. Dort seien die Forderungen des Memorandums erfüllt, ohne dass die allgemeine Situation sich wesentlich von der katholischen Kirche unterschiede. Die Forderungen des Memorandums gingen daher nach Meinung der Kritiker an der Realität vorbei.
Die im Memorandum hergestellte Verbindung zwischen den Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen und der allgemeinen Krise der katholischen Kirche wurde als Unterstützung von Vorurteilen besonders scharf kritisiert. Den verfassenden und unterstützenden Theologen wurde zudem vorgeworfen, ihren eigenen Anteil an der derzeitigen Glaubenskrise zu verschweigen. So sei das Memorandum selbst Ausdruck einer weitverbreiteten Haltung, die kirchenpolitisches Engagement dem religiösen vorordne, und dadurch nur einen weiteren Beitrag zur innerkirchlichen Säkularisierung leiste. Die Notwendigkeit einer Änderung des Zölibats wurde unter Verweis auf den Ständigen Diakonat bestritten. Die Frage der Frauenordination sei hingegen lehramtlich definitiv entschieden und die Diskussion damit beendet (vgl. dazu Ordinatio sacerdotalis). Die Forderung nach Einrichtung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde hingegen zustimmend aufgenommen.
Entsprechende Positionen vertraten unter Theologen beispielsweise Manfred Lütz,[34] Thomas Söding,[35] Manfred Hauke,[36] Helmut Hoping,[37] Jürgen Manemann,[38] Hubert Windisch,[39] Jan-Heiner Tück,[40] Wolfgang Ockenfels,[41] Joseph Schumacher[42] und Bernhard Körner,[43] der im Memorandum jedoch auch viele Punkte angesprochen sah, die außerhalb der verbindlichen Lehre angegangen werden könnten. Als Journalisten äußerten sich vor allem Matthias Matussek[44] und Andreas Püttmann[45] sowie im englischsprachigen Raum George Weigel[46] kritisch gegenüber dem Memorandum.
Eine andersmotivierte Kritik am Memorandum kam vom emeritierten Theologie-Professor Hans Küng. Diesem waren die Formulierungen des Memorandums zu weich; er hätte sich stattdessen klarere Worte gewünscht.[47]
Weblinks
Einzelnachweise
- Wortlaut
- Matthias Drobinski: Reform von innen. Theologen gegen den Zölibat. auf sueddeutsche.de, 3. Februar 2011
- Unterzeichner – 240 der 311 Unterzeichner sind aus dem deutschsprachigen Raum
- Nach einer Analyse der 250 Unterzeichner kam Alexander Kissler zu dem Ergebnis, dass sich unter diesen etwa 104 aktive Professoren der katholischen Theologie in Deutschland befanden. Der Rest setzte sich aus emeritierten (40 % de Unterzeichner waren über 65 Jahre alt) oder ehemaligen Professoren, Pastoraltheologen, Religionspädagogen und anderen Wissenschaftlern zusammen. Vgl. Alexander Kissler: Der Etikettenschwindel. In: Die Tagespost. 19. Februar 2010 (Kurzzusammenfassung)
- Erklärung zum Memorandum „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Pressemeldung der Deutschen Bischofskonferenz, Nr. 14 vom 4. Februar 2011
- Vgl. dazu die Analyse des WDR-Kirchenredakteurs Theo Dierkes in der Tagesschau vom 4. Februar 2011, online (Memento vom 7. Februar 2011 im Internet Archive)
- Siehe das Interview mit Bischof Genn, 11. Februar 2011
- Die vollständige Stellungnahme Kaspers findet sich unter http://www.kardinal-kasper-stiftung.de/Theologen-Memorandum.html
- Gernot Facius: „Schales Bier in alten Schläuchen“. In: Die Welt. 12. Februar 2011
- Konflikt wegen Zölibats. Süddeutsche Zeitung Online, 12. Februar 2011
- Robert Zollitsch: Mängelliste des Glaubens. In: Die Welt. 20. Februar 2011
- KNA: „Wäre unsere Kirche damit froher?“ (Memento vom 2. August 2012 im Webarchiv archive.today) katholisch.de, 28. Februar 2011
- zdk.de/aktuelles, Abruf am 12. Februar 2010
- Kirche braucht Veränderung. auf bdkj.de, 4. Februar 2011
- Memorandum gibt dem Dialog neuen Auftrieb – Katholische Frauen begrüßen Aufruf „Kirche 2011“ als wichtigen Impuls für den innerkirchlichen Reformprozess. (Memento vom 18. Februar 2011 im Internet Archive) auf kfd-bundesverband.de, 7. Februar 2011
- Frauenbund begrüßt Aufbruch-Signal katholischer Theologen. (Memento vom 17. April 2016 im Internet Archive) auf frauenbund.de, 9. Februar 2011
- Vgl. die Stellungnahmen des Dözesankomitees des Bistums Münster (online (Memento vom 19. Februar 2011 im Internet Archive)) oder des Diözesanrates des Bistums Hildesheim (online (Memento vom 19. Februar 2011 im Internet Archive))
- Bundesfachschaft der katholischen Theologie in Deutschland (AGT): Presseerklärung (Memento vom 20. Februar 2011 im Internet Archive), 7. Februar 2011
- Vorstand der studierenden Cusaner: Pressemitteilung (PDF-Datei; 336 kB), 5. Februar 2011
- Forum Hochschule und Kirche (FHoK): Hochschulpastoral unterstützt Memorandum Kirche 2011. 10. Februar 2011
- 100 Freiburger Priester unterstützen Reformappell. auf Stimme.de, 20. Februar 2011
- Vgl. Unterstützer des Memorandums „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Priester und Diakone der Erzdiözese Freiburg unterstützen das Memorandum.
- Vgl. Unterstützer des Memorandums „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Priester und Diakone der Diözese Würzburg unterstützen das Memorandum. (Memento vom 13. Mai 2011 im Internet Archive)
- Vgl. Aufruf zur Solidarität. Religionslehrer für einen offenen Dialogprozess.
- Vgl. Facebook-Seite Kirche braucht Veränderung.
- www.kirchenaufbruch-jetzt.de
- http://kirche2011.de/ (Memento vom 11. Februar 2011 im Internet Archive)
- Hans Kessler, Eberhard Schockenhoff und Peter Walter: Die Kirche steht sich selbst im Weg. (Memento vom 1. März 2011 im Internet Archive) In: Frankfurter Rundschau. 24. Februar 2011
- http://www.theologie-und-kirche.de/leserbrief-metz.pdf
- Katholische Nachrichtenagentur: Gegenmemorandum fordert Erhalt des Zölibats. (Memento vom 2. August 2012 im Webarchiv archive.today) In: katholisch.de, 9. Februar 2011
- Petition pro Ecclesia
- Ein Jahr danach. Presseerklärung vom 8. Februar 2012, abgerufen am 20. Februar 2013.
- Vgl. Memorandum „plus“ Freiheit (Memento vom 15. Januar 2014 im Internet Archive)
- Manfred Lütz: Ein Dokument der Resignation und Verzweiflung. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 6. Februar 2011
- Norbert Göckener: Professor Söding kritisiert Theologen-Kollegen. Kirchensite.de, 17. Februar 2011
- Manfred Hauke: Dialog setzt Bekenntnis voraus. auf die-tagespost.de, 7. Februar 2011
- Vgl. Regina Einig: „Es muss erkennbar bleiben, wofür die Bischöfe stehen“ Interview mit Helmut Hoping, Die Tagespost. 9. Februar 2011
- https://www.publik-forum.de/publik-forum-05-2011/den-glutkern-entfachen
- Hubert Windisch: Die Kirche am Scheideweg. kath.net, 14. Februar 2011
- Jan-Heiner Tück: Unausgestandene Konflikte. NZZ Online, 16. Februar 2011
- Hier dokumentiert sich der groteske Aufstand theologischer Zwerge. Interview mit Prof. Wolfgang Ockenfels OP, kath.net, 17. Februar 2011
- Joseph Schumacher: Ein Kommentar zum Memorandum der Theologen vom 3. Februar 2011 („Kirche 2011“). (PDF-Datei; 88 kB) 18. Februar 2011
- Vgl. KathWeb: Grazer Theologe Körner: „Memorandum fördert plakatives Denken“. (Memento vom 2. August 2012 im Webarchiv archive.today) 27. Februar 2011
- Matthias Matussek: Die Kirche und die Abrissbirnen. Spiegel Online, 6. Februar 2011
- Andreas Püttmann: Resolutionsselige Theologiebeamte fernab der Wirklichkeit. auf kath.net, 10. Februar 2011. Der Beitrag erschien stark gekürzt auch in der Beilage Christ und Welt Nr. 7 der ZEIT.
- George Weigel: The chutzpa of the German theologians. (Memento vom 31. Mai 2012 im Internet Archive) Denver Catholic Register, 2. März 2011
- Raimund Weible: Neun Tübinger Professoren unterzeichnen Aufruf zur Kirchenreform. In: Schwäbisches Tagblatt. 6. Februar 2011