Wir sind Kirche
Wir sind Kirche ist in der römisch-katholischen Kirche eine Reformbewegung von Laien und Theologen, die sich im Geiste des II. Vatikanischen Konzils und der darauf aufbauenden theologischen Forschung und pastoralen Praxis sieht.[1]
Wir sind Kirche e. V. | |
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Rechtsform | Eingetragener Verein |
Gründung | 1996 |
Sitz | Böblingen |
Schwerpunkt | Förderung von Reformen in der römisch-katholischen Kirche |
Aktionsraum | Deutschland |
Vorsitz | Hans-Josef Weiß |
Website | wir-sind-kirche.de |
Plattform Wir sind Kirche – Verein zur Förderung von Reformen in der römisch-katholischen Kirche | |
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Gründung | 24. März 1996 |
Sitz | Wien |
Schwerpunkt | Förderung von Reformen in der römisch-katholischen Kirche |
Aktionsraum | Österreich |
Vorsitz | Martha Heizer |
Website | wir-sind-kirche.at |
Mit Wir sind Kirche bezeichnen sich eine Reihe regionaler und nationaler Gruppierungen sowie deren Dachorganisation, „Wir sind Kirche - We are Church International“ (WAC-I)[2].
Die „Internationale Bewegung Wir sind Kirche“ ist in allen fünf Erdteilen tätig und in mehr als 40 Staaten vertreten. In Deutschland besteht auf Bundesebene die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche sowie ihr Trägerverein Wir sind Kirche e. V. In Österreich ist die Bewegung als Plattform „Wir sind Kirche“ – Verein zur Förderung von Reformen in der römisch-katholischen Kirche organisiert. In allen österreichischen und deutschen Bistümern existieren regionale Gruppen.
Entstehung
Wir sind Kirche geht in Österreich auf die Initianten des Kirchenvolks-Begehrens zurück, das vom 3. bis 25. Juni 1995 stattfand. In Deutschland wurden die Forderungen des Kirchenvolks-Begehrens unverändert sowohl von der Initiative Kirche von unten wie von der Zeitschrift Publik-Forum übernommen. In der Folge entstanden die deutsche KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche im Februar 1996 und die „Internationale Bewegung Wir sind Kirche“ im November 1996.[3]
Zu den Erstunterzeichnern des Kirchenvolks-Begehrens gehörten in Deutschland unter anderen: Sr. Lea Ackermann, Franz Alt, Roland Breitenbach, Magdalene Bußmann, Eugen Drewermann, Peter Eicher, Norbert Greinacher, Bernhard Häring, Gotthold Hasenhüttl, Friedhelm Hengsbach, Hanns Dieter Hüsch, Hans Küng, Dieter Kürten, Norbert Mette, Christa Nickels, Norbert Piechotta, Wolfgang Seibel SJ, Rita Süssmuth, Erwin Teufel und Wolfgang Thierse.[3] In Österreich ist der Psychotherapeut Richard Picker ein bekannter Vertreter.
Ziele und Positionen
Ziel der Bewegung ist es, grundlegende Reformen im kanonischen Recht der römisch-katholischen Kirche herbeizuführen. Zu den konkreten Zielen von Wir sind Kirche gehören nach eigener Angabe ein geschwisterliches Leben der römisch-katholischen Kirche, der Abbau von Klerikalismus und die Stärkung der Gemeinschaft zwischen Laien und Klerikern als Volk Gottes, die Beteiligung aller betroffenen Gläubigen an Entscheidungsprozessen in der römisch-katholischen Kirche, die Gleichstellung der Frauen in den Ämtern der Kirche (siehe Frauenordination) und eine ebensolche Gleichstellung der Laien mit dem Klerus. Weitere Forderungen sind die Abschaffung des verpflichtenden Zölibats[4], die Verkündigung des Glaubens als Frohbotschaft und nicht als „Drohbotschaft“ sowie Fortschritte in der Ökumene.[5]
Im November 2006 machte sich das Bundesteammitglied Christian Weisner die Aussagen von Wir sind Kirche zu eigen: Jesus selbst habe keine Kirche gegründet. Er habe ihr daher […] keine institutionelle Struktur gegeben; ein hierarchisches Prinzip habe mit dem Wesen der Kirche nichts zu tun und bezeichnete die Aussagen von Papst Benedikt XVI. über Priester und Laien als „wirklichkeitsfremd“.[6]
Zum Paulusjahr äußerte Wir sind Kirche, dass es „für Paulus kein ‚kirchliches Amt‘ gebe, sondern nur eine Reihe von auch für Frauen offenstehenden Diensten“, die sich auf Lehr- und Leitungsaufgaben bezögen.[7]
In Bezug auf das apostolische Schreiben Summorum pontificum Papst Benedikts XVI. zur Feier der außerordentlichen Form des römischen Ritus von 2007 brachte Wir sind Kirche zum Ausdruck, dahingehende Schritte stellten „eine einseitige Bevorzugung rückschrittlicher Tendenzen“ dar. Die Sprecher forderten die Gläubigen auf, „lateinische Messen nicht zu besuchen“.
Zur „Unterstützung des Zweiten Vatikanischen Konzils“ startete Wir sind Kirche im Anschluss an die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der Piusbruderschaft gemeinsam mit Theologen die internationale, mehrsprachig verbreitete Petition Vaticanum 2[8]. Diese spricht sich für eine bedingungslose Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils (in der Auslegung desselben, wie sie es verstehen), gegen jeden Antijudaismus sowie gegen die Aufhebung der Exkommunikation Richard Williamsons aus (der inzwischen wieder exkommuniziert ist).[9] Die Petition wurde unter anderem von der Fördergemeinschaft Theologisches als „widersprüchlich“, „theologisch unzureichend“ kritisiert und wegen „unhaltbare(r) Unterstellungen“ gegenüber Papst Benedikt XVI abgelehnt. Vor allem wird bezweifelt, dass die Unterzeichner der Petition selbst tatsächlich uneingeschränkt zu den Beschlüssen des Konzils bezüglich Abtreibung, Empfängnisverhütung, Liturgie etc. stehen.[10] Drei der Unterschreiber, bei denen es sich um Regensburger Theologen handelt, wurden von Bischof Gerhard Ludwig Müller gemaßregelt und ultimativ zur Distanzierung von dieser Petition aufgefordert, da der Text schwere Unterstellungen gegen den Papst enthalte.[11]
Im Mai 2011 protestierte Wir sind Kirche gegen die Entlassung des konservativen Theologen David Berger.[12] Berger war zuvor die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen worden. Er hatte kurz zuvor in seinem Buch Der heilige Schein sich zu seiner Homosexualität bekannt. Im Jahr 2017 forderte Wir sind Kirche die Entwicklung von Leitlinien für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare durch die katholische Kirche.[13]
Im Jahr des 25-jährigen Bestehens wurde für den 8. Dezember 2020, 18 Uhr, zum „Gemeinsamen Gebet für die Erneuerung der Kirche und der Welt“ aufgerufen: „Am 55. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Vatikanischen Konzils und 25 Jahre nach dem KirchenVolksBegehren laden wir ein, in der eigenen Hauskirche oder in kleinen Gruppen eine Kerze zu entzünden und in innerer Verbundenheit für die Erneuerung der Kirche und der Welt zu beten.“[14]
Bischöfliche Stellungnahmen
Die Initiative ist von der römisch-katholischen Kirche nicht anerkannt, da die Forderungen „zum Teil der christlichen Lehre widersprechen und in offenem Gegensatz zur kirchlichen Ordnung stehen“ (Kardinal Joseph Ratzinger, 1997). Laut Dekret der römischen Apostolischen Signatur haben „die Kongregation für die Glaubenslehre wie auch die Konferenz der Bischöfe Bayerns öffentlich festgestellt […], dass einige von der Bewegung ‚Wir sind Kirche‘ veröffentlichte Erklärungen mit der katholischen Lehre nicht in Einklang gebracht werden können“.[15] Die Bewegung sieht dagegen weder ihre Ziele noch ihre Forderungen gegen die Treue zum Evangelium noch gegen die ökumenischen Glaubensbekenntnisse verstoßend, auch nicht gegen die Ex-cathedra-Entscheidungen des Papstes oder gegen Konzilsbeschlüsse. Nach Meinung von Wir sind Kirche seien die meisten Forderungen, die das Kirchenvolks-Begehren aufstellte, schon lange vorher in vielen Synoden, beginnend mit der Würzburger Synode, der Dresdner und der Schweizer Synode bis hin zu den österreichischen Diözesansynoden, fast gleichlautend formuliert worden.[16]
Der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn kritisierte 2003 scharf das Vorgehen von Wir sind Kirche zur Streichung des Artikel 51 des EU-Verfassungsentwurfs, der strikte weltanschauliche und religiöse Neutralität bei Anwendung staatlicher Gewalt national und auf EU-Ebene eingeschränkt hätte. Der Artikel sollte festlegen, dass die EU „den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen“, achten und ihn nicht beeinträchtigen solle, wodurch rechtliche Einschränkungen, z. B. in Tendenzbetrieben in Deutschland weiterbestehen würden. „Wir sind Kirche“ habe sich – so Schönborn – mit Freimaurern und der „Europäischen Humanistischen Föderation“ zusammengeschlossen, um diesen Artikel zu verhindern.[17]
Im Mai 2014 stellte der Bischof von Innsbruck, Manfred Scheuer, als Ergebnis eines kirchenrechtlichen Verfahrens nach Entscheidung der Kongregation für die Glaubenslehre die Exkommunikation der Vorsitzenden der Initiative, Martha Heizer, und ihres Ehemanns Gerd wegen des „schweren Vergehens wiederholter simulierter Messfeiern“ fest. Eine im Jahr 2011 auf Veranlassung des Diözesanbischofs gebildete Untersuchungskommission war zuvor tätig geworden.[18][19]
Als Folge der Exkommunikation von Heizer kündete Hans Peter Hurka, ab 2004 Vorsitzender von „Wir sind Kirche“, im März 2015 seinen Austritt aus dem Verein und die Gründung der Reformgruppe „Netzwerk: zeitgemäß glauben“ an.[20] Im September 2014 bestätigte eine außerordentliche Vollversammlung der Plattform „Wir sind Kirche“ Martha Heizer als Vorsitzende und stellte gleichzeitig die Forderung nach „Eucharistiefeiern im privaten Rahmen, ohne Priester, aber mit Beauftragung durch den Ortsbischof“ auf.[21]
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, sagte im Mai 2020 im Interview mit Publik-Forum über die Bewegung Wir sind Kirche und die Aktion Maria 2.0: „Sie sind Teil der Kirche. Das sind unsere Leute!“[22]
Auszeichnungen und Preise
- 1996: Herbert-Haag-Preis für Freiheit in der Kirche
- 2017: Integrationspreis der Stiftung Apfelbaum
Literatur
- Andreas Laun: Reform oder neue Spaltung? Das Kirchenvolks-Begehren im Lichte des Katholischen Glaubens - eine Analyse, 1996
- Martha Wegan: „Wir sind Kirche“. Eine Kirchen-Volks-Bewegung zur Erneuerung der römisch-katholischen Kirche auf der Basis des II. Vatikanischen Konzils. In: Meier, Platen, Reinhardt, Sanders (Hgg.): Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute. (Beihefte zum Münsterischen Kommentar 55), Münster 2008, S. 645–665.
- Richard Picker: Heiliger Spagat. Ein Handbuch für das die Kirche begehrende Volk. Va Bene, Wien u. Klosterneuburg 2001, ISBN 3-85167-108-2
- Wir sind Kirche - sind wir Kirche? Eine Bestandsaufnahme aus Österreich, hg. von Dolores Bauer / Franz Horner / Peter Krön. Salzburg: Otto Müller Verlag 1989, ISBN 3701307482
Einzelnachweise
- "Wir sind Kirche" stellt sich vor, abgerufen am 16. März 2021
- we-are-church.org
- https://wir-sind-kirche.de/?id=116 Wir über uns Abgerufen am 13. März 2021
- Wir sind Kirche: Erzbistum reagiert auf Priestermangel
- Forderungen des deutschen KirchenVolksBegehrens, abgerufen am 16. März 2021.
- Enttäuschende Zwischenbilanz der Ad limina-Besuche in Rom Pressemitteilung München, 12. November 2006
- Wir sind Kirche-Webauftritt: Zum Paulusjahr 28. Juni 2008 - 29. Juni 2009
- Petition Vaticanum2 im Wortlaut und (Erst-)Unterzeichnende
- Theologen trotzen Bischof Müller (Memento vom 25. Oktober 2009 im Internet Archive) In: Süddeutsche Zeitung. 18. Februar 2009
- THEOLOGISCHES (Memento vom 31. Januar 2012 im Internet Archive)
- Bistum Regensburg, Bischöfliche Pressestelle, 17. Februar 2009: Bischof fordert auch von Theologie-Professoren Anerkennung des II. Vatikanums (Memento vom 5. Mai 2010 im Internet Archive)
- zeit.de vom 5. Mai 2011: Kardinal Meisner entzieht schwulem Theologen die Lehrerlaubnis. - David Berger darf nicht länger Religion unterrichten – offiziell wegen seiner Kritik an der katholischen Kirche. Als wahres Motiv vermutet der Lehrer seine Homosexualität.
- Zeit.de: Und wie reagieren die Kirchen?
- 25 Jahre KirchenVoöksBewegung
- Oberstes Gericht der Apostolischen Signatur: Dekret der Apostolischen Signatur vom 12. Januar 2007 (Memento vom 8. Juli 2012 im Webarchiv archive.today)
- Wir sind Kirche: Frequently Asked Questions (Memento vom 4. November 2007 im Internet Archive)
- Schönborn kritisiert UN-Klonbeschluss und „Wir sind Kirche“ auf kath.net, 7. November 2003
- https://kath.net/news/46028
- http://mobileapps.tt.com/home/8422344-91/rom-sperrt-heizer-aus-kirche-aus.csp
- Abspaltung bei Kirchenreformern. In: DiePresse.com. 22. März 2015, abgerufen am 14. Januar 2018.
- Wir sind Kirche: „Ja“ zu exkommunizierter Vorsitzender (ORF)
- Britta Baas, Alexander Schwabe: „Die Zeit läuft uns weg“. Ein Gespräch über den Reformschub in der Corona-Pandemie mit Georg Bätzing, dem neuen Vorsitzenden der katholischen Bischöfe in Deutschland. In: Publik-Forum10/2020, 29. Mai 2020, S. 28–32.