Kārlis Ulmanis
Kārlis Ulmanis (* 23. Augustjul. / 4. September 1877greg. in Bērze, Gouvernement Kurland, Kaiserreich Russland; † 20. September 1942 in Krasnowodsk, Sowjetunion) war ein lettischer Politiker. Er war mehrfach Ministerpräsident von Lettland (1918–1921, 1925–1926, 1931, 1934–1940), ab 1934 mit diktatorischen Vollmachten, ab 1936 auch Staatspräsident von Lettland.
Studium
Ulmanis studierte Agrarwissenschaft an der ETH Zürich und der Universität Leipzig und arbeitete danach als Autor, Lektor und Agrarmanager in Lettland. Bereits während der Revolution von 1905 war er politisch aktiv und saß kurzzeitig im Gefängnis von Pskow ein. Um einer erneuten Inhaftierung zu entgehen, verließ Ulmanis das Russische Kaiserreich, zu dem Lettland damals gehörte. In dieser Zeit studierte er an der University of Nebraska in den USA und erlangte den Grad eines Bachelor of Science im Fach Agrarwissenschaft. Nachdem er kurze Zeit als Lektor an der Universität gearbeitet hatte, zog Ulmanis nach Houston (Texas), wo er einen Molkereibetrieb erworben hatte.
1913 kehrte Ulmanis aus dem Exil nach Lettland zurück, nachdem er von einer durch den Zaren erlassenen Generalamnestie erfahren hatte. 1917 war er Mitgründer des Lettischen Bauernverbandes, einer der wichtigsten politischen Parteien des späteren Lettlands.
Ministerpräsident
Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Ulmanis zu den Gründern des Lettischen Volksrats (Latvijas Tautas padome), der am 17. November 1918 gebildet wurde und tags darauf die Unabhängigkeit von Russland proklamierte. Ulmanis war der erste Regierungschef Lettlands (bis 18. Juni 1921). Eine verfassunggebende Versammlung (Satversmes sapulce) konstituierte den Staat 1920 als parlamentarische Demokratie. Später war Ulmanis nochmals vom 24. Dezember 1925 bis zum 6. Mai 1926, vom 27. März 1931 bis zum 5. Dezember 1931 und ab dem 17. März 1934 Ministerpräsident. Außerdem leitete er zeitweise die Ministerien für Krieg, Landwirtschaft und Versorgung. 1923 war er zudem Vorstandsvorsitzender der lettischen Bauern-Bank (Latvijas zemnieku banka).
Diktator
In einem Staatsstreich am 15. Mai 1934 löste Ulmanis in seiner Position als Regierungschef das Parlament Saeima auf und errichtete ein autoritäres Regime. Nachdem die Amtszeit von Staatspräsident Alberts Kviesis abgelaufen war, vereinigte Ulmanis 1936 entgegen der Verfassung das Amt des Präsidenten und das des Premierministers in seiner Person.
Trotz dieses politischen Coups genoss Ulmanis Popularität in der Bevölkerung. Während seiner Regentschaft machte die Entwicklung Lettlands bedeutende Fortschritte. Der Bildungspolitik wurde ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Lettland erreichte so eine der höchsten Alphabetisierungsquoten in Europa. Großbritannien und Deutschland wurden zu den wichtigsten Handelspartnern des Landes, während der Handel mit der UdSSR reduziert wurde. Während viele Länder unter der Weltwirtschaftskrise litten, konnte Lettland in dieser Zeit sein Bruttosozialprodukt sowie das Exportvolumen steigern. 1938 verfügte Ulmanis, dass sein Land vor der nationalsozialistischen Verfolgung fliehende Juden aufnahm. So kamen 1938 und 1939 rund 2000 Juden aus Deutschland und Österreich nach Lettland.[1]
Zweiter Weltkrieg und Tod
1939 schlossen Deutschland und die Sowjetunion den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, in dessen geheimem Zusatzprotokoll sie Osteuropa de facto unter sich aufteilten. Ulmanis hatte dies seit langem befürchtet. 1940 erfolgte schließlich die Besetzung Lettlands durch die Sowjetunion. Ulmanis rief die Letten dazu auf, keinen Widerstand zu leisten, der aufgrund der militärischen Übermacht der Sowjets ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Noch heute ist der Satz „Ich werde an meinem Platz bleiben und ihr werdet an Eurem Platz bleiben“ aus seiner Rundfunkansprache zu Beginn der Okkupation vielen Letten bekannt.
Obwohl Ulmanis nach Informationen des US-Außenministeriums die Erlaubnis zur Ausreise in die Schweiz erhalten habe, wurde er von den Sowjets verhaftet und deportiert. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Näheres über sein weiteres Schicksal bekannt: Ulmanis starb demnach während des Zweiten Weltkrieges in einem Gefängnis in Krasnowodsk, dem heutigen Türkmenbaşy, in Turkmenistan.
Andenken
In seiner Heimat ist Ulmanis immer noch populär. Viele Letten sehen in ihm ein Symbol der Unabhängigkeit ihres Landes in der Zwischenkriegszeit oder verbinden mit ihm den wirtschaftlichen Aufschwung Lettlands im 20. Jahrhundert. Kritiker merken jedoch an, dass jemand, der das Parlament aufgelöst hat, um ein autoritäres Regime zu errichten, nicht als positive Figur der lettischen Geschichte betrachtet werden könne, unabhängig davon, wie mild und ökonomisch erfolgreich dieses Regime gewesen sei. Ein Zeichen für die anhaltende Popularität Ulmanis’ in Lettland mag das Faktum sein, dass sein Großneffe Guntis 1993 zum Präsidenten der neuerlich unabhängigen Republik Lettland gewählt wurde.
Literatur
- Karl Heinz Gräfe: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz. Die baltischen Staaten zwischen Diktatur und Okkupation. Edition Organon, Berlin 2010, ISBN 978-3-931034-11-5, Kurzbiographie S. 441.
- Ilgvars Butulis: Geschichte und Politik. Das autoritäre Regime von Kārlis Ulmanis 1934-1940. Forschungsprobleme und Lösungen. In: Svetlana Bogojavlenska, Jan Kusber (Hg.): Tradition und Neuanfang. Forschungen zur Geschichte Lettlands an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert. Kleine Festschrift für Erwin Oberländer. LIT, Berlin 2014, ISBN 978-3-643-12732-7, S. 171–183.
- Aivars Stranga: The Political System and Ideology of Karlis Ulmanis's Authoritarian Regime: May 15, 1934 – June 17, 1940. In: Lazar Fleishman, Amir Weiner (Hrsg.): War, revolution and governance. The baltic countries in the twentieth century. Academic Studies Press, Boston 2018, ISBN 978-1-61811-620-8, S. 57–75.
Weblinks
- Literatur von und über Kārlis Ulmanis im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Zeitungsartikel über Kārlis Ulmanis in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
- Artikel Kārlis Ulmanis in der Großen Sowjetischen Enzyklopädie (BSE), 3. Auflage 1969–1978 (russisch)
Fußnoten
- Albert Caspari: Marģers Vestermanis: Auch mit 90 noch nicht am Ende des Weges, abgerufen am 17. September 2020.