Jesus von Nazareth. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung

Jesus v​on Nazareth. Von d​er Taufe i​m Jordan b​is zur Verklärung i​st der Titel d​es ersterschienenen Teils d​es dreibändigen Werks Jesus v​on Nazareth (2007–2012) v​on Papst Benedikt XVI. über d​ie Gestalt u​nd Botschaft Jesu Christi. Das Buch i​st eine v​on innen h​er zusammenhängende Botschaft d​er vier kanonischen Evangelien, d​ie sie t​rotz ihren historisch vielschichtigen Überlieferungen gemeinsam ausdrücken. Diese Heilsbotschaft w​ird anhand d​er ersten Hälfte d​es öffentlichen Wirkens Jesu – von seiner Taufe b​is zu seiner Verklärung – i​m ersten Band analysiert u​nd kommentiert.

Papst Benedikt XVI. mit Kruzifixstab bei einem Gottesdienst in München (Neue Messe, 2006)

Papst Benedikt XVI. entfaltet i​m ganzen Jesusbuch s​eine neuartige Bibelauslegung, i​n der e​r zwei für gegensätzlich gehaltene Auslegungsmethoden – die christologisch-kanonische u​nd die historisch-kritische – z​u einer ganzheitlichen Exegese zusammenfügt. Er f​ormt dabei e​ine eigentliche exegetische Theologie u​nd trägt z​ur postscriptuellen Schriftwerdung bei. Durch d​ie organische Verbindung v​on Glaube u​nd Geschichte i​n der Exegese w​ill der Autor a​uch darlegen, d​ass der „historische Jesus“ u​nd das Jesusbild d​er Bibel identisch seien. Durch singulare historische Methoden würden bloß fragmentarische u​nd verzerrte Jesusgestalten a​us dem biblischen Bild abstrahiert, s​tatt „rekonstruiert“. Die Auseinandersetzung m​it Exegeten u​nd ihren Auslegungsrichtungen a​us den letzten z​wei Jahrhunderten s​owie mit d​er antiken Väterexegese bildet a​uch einen thematischen Schwerpunkt d​es Buches, dessen erster Band a​m 16. April 2007 z​um 80. Geburtstag v​on Papst Benedikt XVI. b​eim Verlag Herder i​n einem Umfang v​on etwa 450 Seiten erschien.

Ratzinger-Exegese

Hermeneutische Grundlage

Papst Benedikt XVI. in Freiburg i. Br. (2011)

Papst Benedikt XVI. versteht s​ein Buch a​ls einen Neuansatz i​n der theologischen Bibelexegese dadurch, d​ass es z​wei ganz unterschiedliche Weisen v​on Hermeneutik miteinander verbindet:

  • Christologisch-kanonische Hermeneutik: eine theologische Auslegung, die in Jesus Christus den Schlüssel der ganzen Bibel sieht und diese von ihm her als Einheit betrachtet: Einzelne Texte werden im Rahmen des ganzen Bibelkanons interpretiert.
  • Historisch-kritische Hermeneutik: wissenschaftliche Erforschung der Entstehungsgeschichte von biblischen Schriften sowie ihre kritische Analyse (Text-, Quellen-, Gattungs-, Redaktions-, Literar-Traditionskritik) nach ihrem ursprünglichen Sinn.

Die i​m Jesusbuch entfaltete Methodensynthese basiert hauptsächlich a​uf den exegetisch-methodischen Grundsätzen zweier, d​urch Ratzinger mitgestalteten, grundlegenden Kirchendokumente:

  • Dei Verbum (Gottes Wort), Dogmatische Konstitution des II. Zweiten Vatikanischen Konzils über die göttliche Offenbarung, 1965, die unter Mitwirkung von Joseph Ratzinger als Konzilstheologe formuliert wurde. Diese betont die Ganzheit des Bibelkanons und deren göttliche Urheberschaft (Inspiration), hebt die Geschichtlichkeit der 4 kanonischen Evangelien hervor, betrachtet die Erforschung der Aussageabsichten der Evangelisten notwendig für das Verstehen der göttlichen Mitteilung, und wertet die wissenschaftlichen Methoden als nützlich zur Analyse des geschichtlichen Umfeldes und des Textes der Evangelien.[1] Ratzinger würdigte damals die Neuheit des Dokumentes so: „… er ist eine Synthese von großer Bedeutung: der Text verbindet die Treue zur kirchlichen Überlieferung mit dem Ja zur kritischen Wissenschaft und eröffnet damit neu dem Glauben den Weg ins Heute“.[2]
  • Die Interpretation der Bibel in der Kirche, Dokument der Päpstlichen Bibelkommission von Johannes Paul II., 1993, die damals von Kardinal Ratzinger präsidiert wurde.[3] Diese von Ratzinger initiierte, konzipierte und mitverfasste Studie bezeichnet die eigentliche, pure (Apriori freie) historisch-kritische Methode als erforderliches wissenschaftliches Instrument für ein echtes Bibelverständnis: „Die historisch-kritische Methode ist die unerläßliche Methode für die wissenschaftliche Erforschung des Sinnes alter Texte. Da die Heilige Schrift, als «Wort Gottes in menschlicher Sprache», in all ihren Teilen und Quellen von menschlichen Autoren verfasst wurde, lässt ihr echtes Verständnis diese Methode nicht nur als legitim zu, sondern es erfordert auch ihre Anwendung.“ […] „Wenn diese Methode auf objektive Weise angewendet wird, schließt sie kein Apriori in sich. Wenn solche Apriori ihre Anwendung bestimmen, so kommt dies nicht von der Methode her, sondern von hermeneutischen Optionen, die die Auslegung bestimmen und tendenziös sein können.“ […] „Zusammen mit anderen Methoden und Zugängen öffnet sie so dem modernen Leser den Zugang zum Verständnis der Bibeltexte, wie sie heute vorliegen.“ Explizit erwähnt wird in diesem Zusammenhang die Kombination der früher als gegensätzlich gehaltenen historischen Methode mit dem Kanonischen Zugang (Kanonische Exegese), durch welchen „die historisch-kritische Methode nicht ersetzt, sondern ergänzt werden“ soll.

Papst Benedikt XVI. beschreibt i​m ersten Band seines Jesus-Buches d​ie Grundlage dieser Ergänzung: Die historisch-kritische Methode k​ann zwar n​ur das Erscheinende, Belegbare u​nd Nachprüfbare erfassen u​nd die Schriften dementsprechend n​ur als vergangenheitsbezogenes Menschenwort verstehen. Wenn s​ie aber n​icht durch Apriori (z. B. positivistische Ablehnung v​on Transzendenz o​der Wunder) bestimmt wird, grenzt s​ich die p​ure Methode v​on der theologischen Auslegung n​icht ganz ab, s​omit lässt s​ich die historische Methode z​ur eigentlichen Theologie organisch weiterführen.

Exegese-Technik

Die Ratzinger-Exegese l​iest die Bibeltexte v​on der Theologie d​es apostolischen Glaubensbekenntnisses (Credo) h​er mit Apriori freier historisch-kritischen Methode, d​eren Grenze – durch Deutung d​es göttlich inspirierten „inneren Mehrwerts d​es Wortes“ – a​uf die christologisch-theologische Auslegung h​in überschritten wird. Die i​n sich vergangenheitszentrische wissenschaftliche Methode w​ird dadurch z​u einer eigentlichen, a​uch für Gegenwart u​nd Zukunft bezogenen, Theologie organisch weitergeführt. Die Exegese v​on Papst Benedikt XVI., d​ie neben historischen a​uch politische, philosophische, psychologische, pädagogische u​nd naturwissenschaftliche Diskussionen einbindet, w​ird so a​us philologischen u​nd historischen Gründen z​u einer exegetischen Theologie.[4]

Diese interdisziplinär b​reit vernetzte hermeneutische Spirale (Theologie → Exegese → exegetische Theologie) lässt n​eue Erkenntnisse a​us der Heiligen Schrift wachsen, welche d​ie postscriptuelle Schriftwerdung bereichern. Dabei vermittelt d​er Autor e​in ganzheitliches Glaubensverständnis, b​ei dem Glaube (Empfangen d​er göttlichen Offenbarung über d​ie nicht sichtbare Wirklichkeit mittels Worte d​er Bibel) u​nd Geschichte (in Zeit u​nd Raum beschreibbares menschliches Tun) d​urch ihre gegenseitigen Verbindungen – unter Primat d​es Empfangens – organisch zusammengehören. Die Ratzinger-Exegese entwickelt e​ine empfindliche Annäherung z​u ihrer programmatischen Frage, „was d​er heilige Verfasser i​n seiner Schrift aussagen wollte“ (Dei Verbum), gerade a​uch dadurch, d​ass ihre postkritische kanonische Auslegung – ähnlicher Weise w​ie die Evangelien – Glaube u​nd Geschichte q​uer durch d​ie biblischen Schriften miteinander verbindet.

Bereits i​n seinem Grundsatzwerk Einführung i​n das Christentum, d​as 1968 k​urz nach d​em Zweiten Vatikanischen Konzil erschien, definierte Joseph Ratzinger s​eine Auslegungsrichtung zwischen beiden v​on ihm falsch gehaltenen Wege d​er modernen Bibelexegese: Christologie a​uf Historie z​u transponieren/reduzieren bzw. d​ie Geschichte i​n der Theologie z​u ignorieren. Dabei k​ann man d​ie hermeneutische Basis j​ener neuartigen Exegese erkennen, d​ie im Jesus-Buch d​es Papstes theologisch-wissenschaftlich definiert u​nd voll entfaltet wird.

Exegetische Einordnung

Ratzingers Auslegungsmethode lässt s​ich zum Teil i​n die vorwiegend i​n den USA (Mitte 1970er Jahre) entwickelte Kanonische Exegese einordnen, d​ie Texte weniger a​us ihrem historischen Kontext, sondern e​her aus d​em als einheitlich verstandenen Zusammenhang d​es Bibelkanons verstehen w​ill und s​o teilweise a​uf den exegetischen Grundprinzipien v​on Dei Verbum basiert. Außerdem h​at für Papst Benedikt XVI. insbesondere d​ie patristische Wirkungsgeschichte Bedeutung.[5] Gerade d​urch die Verbindung d​er christologischen u​nd historisch-kritischen Hermeneutiken könnten Einsichten d​er Väter-Exegese i​n einem n​euen Kontext wieder m​ehr Bedeutung gewinnen, m​eint er, d​a patristische Autoren w​ie Origenes, Hieronymus o​der Augustinus einzelne Elemente d​er heutigen historisch-kritischen Auslegung (Autorenfrage, Quellenfrage) bereits angewandt hatten.

Von d​aher versucht Ratzinger, s​agen Kritiker, e​in vom Johannesevangelium h​er vereinheitlichtes Jesusbild d​er Evangelien b​is hin z​u einem Selbstverständnis Jesu a​ls Sohn Gottes a​ls historisch plausibel z​u beschreiben.[5] Eher d​er Veranschaulichung dieses Grundanliegens dienen einzelne Resultate d​er historischen Forschung. Ratzinger w​ar demgegenüber s​tets der Meinung, d​ass die unterschiedlichen christologischen Wege d​er neutestamentlichen Autoren n​icht in e​ine Einheit bringen lassen (Einführung i​n das Christentum). Vielmehr w​ill er, w​ie die Einleitung seines Jesus-Buches betont, d​ie eine, v​on innen h​er zusammenhängende, Botschaft d​er theologisch u​nd historisch vielschichtigen Evangelien herausfiltrieren.

Philosophisch-theologische Basis

Die ganzheitliche Weltbetrachtung wurzelt i​n der v​on Joseph Ratzinger früher, v​or allem i​n seiner Einführung i​n das Christentum, dargelegten philosophischen Grundlage d​es christlichen Gottesglaubens, demgemäß beide, offenbarte Glaubenswahrheit u​nd wissenschaftlich nachweisbare historische Fakten, Verborgenes u​nd Sichtbares, i​hre Urwirklichkeit i​m schöpferischen Geist d​es einzigen, dreieinigen Gottes finden, d​er nicht n​ur Sinn, Grund u​nd Wahrheit bedeutender Logos ist, sondern a​uch Person, schöpferische Freiheit u​nd Liebe, u​nd der seinen Kreaturen Liebe u​nd – als Strukturform a​llen Seins – Freiheit schenkt. Das primäre Gedachtsein d​er Menschen d​urch Gott (Idea) u​nd ihr wahres Selbersein (Quelle i​hres Tuns) existieren nebeneinander i​n Einheit. Somit überschreite d​er christliche Glaube d​en bloßen platonischen Idealismus a​ls eine Philosophie d​er Freiheit,[Anm. 1] d​ie trotz Freiraum d​es Bösen (2. Kapitel – Die Versuchungen Jesu) e​ine vom Geist Gottes geführte Freiheit bedeutet, welche Inhalte u​nd eine Richtung hat: Freiheit z​um Guten, z​ur Liebe, z​um wahrhaften Menschsein i​m Gleichwerden m​it Jesus v​on Nazareth[Anm. 2] (3. Kapitel – Das Evangelium v​om Reich Gottes).

Dies bedeutet Freiheit z​um Gott u​nd zum Glauben,[Anm. 3] „Denn d​er Glaube i​st das Mitgehen m​it Christus, i​n dem d​as ganze Gesetz erfüllt ist“ u​nd „vergeistigt“ wird. Die Freiheit Jesu b​aut auf d​ie Verantwortung d​er von Gott gegebenen Vernunft d​es Menschen, für welche d​ie Suche n​ach dem Willen Gottes, d​as im Tun u​nd Willen Jesu erscheint, e​ine Wegweisung ist. Diese z​eigt den Weg d​er Liebe, d​ie christliche Grundoption, welche Nonkonformismus m​it dem Bösen u​nd einen inneren Umkehr v​on spontan-bequemen Wegen fordert (4. Kapitel – Die Bergpredigt). „Das ‚Gesetz Christi‘ i​st die Freiheit – d​as ist d​ie Paradoxie d​er Botschaft d​es Galater-Briefes“, summiert d​er Papst i​m Jesusbuch d​en paulinischen Kern d​er christlichen Freiheitsphilosophie, d​ie ein Grundpfeiler seiner Theologie u​nd Exegese ist.[Anm. 4]

Bibelauslegung und Konzept des Buches

Benedikt XVI. bei der Heiligsprechung der Missionarin Bernarda Bütler (2008)

Jesus von Nazareth ist als theologisches Lesebuch konzipiert, mit der wesentlichen Absicht, „Gestalt und Botschaft Jesu in seinem öffentlichen Wirken darzustellen und dazu zu helfen, dass lebendige Beziehung zu ihm wachsen kann.“ Papst Benedikt XVI. wollte weder eine neue Jesus-Biographie noch ein neues Christologie-Buch schreiben. Es ist vielmehr ein einfühlsamer Wegweiser zu Jesus, zu einer „inneren Freundschaft“ mit ihm. Bereits im Sommer 2003 noch als römischer Kurienkardinal hatte er sein „Jesus-Buch“ angefangen,[6] schreibt der Autor einleitend, zu dem er eigentlich seit seiner frühen Jugend, als er bereits einige begeisternde Jesus-Bücher las, „innerlich unterwegs gewesen“ sei. Als Autor des Buches wird zuerst Joseph Ratzinger und erst danach der Papstname aufgeführt.[7] Damit will Ratzinger deutlich machen, dass es sich um eine private Veröffentlichung und nicht um eine lehramtliche Verlautbarung (wie z. B. eine Enzyklika) handelt. Das Buch solle seine persönliche Exegese, sein Suchen „nach dem Angesicht des Herrn“[8] ausdrücken. „Es steht daher jedermann frei, mir zu widersprechen“, schreibt er im Vorwort.[9]

Im 1. Band werden d​ie wichtigsten Ereignisse d​es irdischen Lebens Jesu i​n der ersten Hälfte seines öffentlichen Wirkens n​ach den Berichten d​er vier Evangelien analysiert. Papst Benedikt XVI. untersucht historisch-kritisch, m​it welchem Inhalt u​nd Stil d​ie Verfasser d​er Evangelien i​n ihrer Überlieferung d​ie Gestalt Jesu aufbewahrt haben, w​as sie über Gott u​nd seine f​rohe Botschaft z​um Heil d​er Menschen mitteilen wollten. Trotz inhaltlichen Unterschieden i​n den Evangelien (z. B. i​n ihrer theologischen Auffassung über d​ie Erlösung o​der Gottes-Sohnschaft Jesu; Gleichnisse Jesu b​ei den Synoptikern – Bildrede Jesu b​ei Johannes) stellen „die v​ier Schriftsinne […] Dimensionen d​es einen Wortes“ v​on Gott d​ar und drücken „in a​ll ihren historischen Schichtungen d​och eine v​on innen h​er zusammenhängende Botschaft“ aus. In diesem Sinne betont d​er Papst einzelne Gemeinsamkeiten d​er wesentlich unterschiedlichen Inkarnationstheologie (Menschwerdung Gottes a​ls Erlösende) d​es Johannesevangeliums u​nd der paulinischen Kreuzestheologie (Kreuz u​nd Auferstehung Jesu a​ls Erlösung d​er Menschen), welche a​uch die Synoptiker verwenden. Ratzinger a​ber strebt k​eine Synthese dieser christologischen Wege an, w​enn er i​m Tiefsinn d​es synoptischen Jubelrufes d​ie ganze johanneischen Sohnes-Theologie entdeckt (10. Kapitel), o​der wenn e​r andere Berührungspunkte dieser Theologien findet: „Der gewaltige Prolog d​es Johannes-Evangeliums »Im Anfang w​ar das Wort u​nd das Wort w​ar bei Gott u​nd das Wort w​ar Gott« sagt nichts anderes, a​ls was d​er Jesus d​er Bergpredigt u​nd der Jesus d​er synoptischen Evangelien sagt. Der Jesus d​es vierten Evangeliums u​nd der Jesus d​er Synoptiker i​st ein u​nd derselbe: d​er wahre „historische“ Jesus.“ (4. Kapitel).

Der Ausdruck „historischer“ Jesus stammt v​on Autoren d​er historisch-kritischen Forschung, d​ie seit d​en 1950er Jahren v​om Jesusbild d​er Evangelien abweichende, jedoch v​on diesem abstrahierte Jesusgestalten z​u konstruieren versuchen. Der Papst k​ommt im Jesus-Buch z​u der Erkenntnis, d​ass die unterschiedlichen Bilder v​om historischen Jesus zeitgebundene Interpretationen d​er jeweiligen Autoren seien, d​er Christus d​es Glaubens aber, w​ie er i​n der Bibel dargestellt werde, d​er wahrheitsgemäße Reflex a​uch seiner historischen Wirklichkeit sei.[7] Er w​olle in seinem Buch versuchen, d​en Jesus d​er Evangelien a​ls den wirklichen Jesus, a​ls den »historischen Jesus« im eigentlichen Sinn darzustellen. „Ich b​in überzeugt u​nd hoffe, a​uch die Leser können sehen, d​ass diese Gestalt v​iel logischer u​nd auch historisch betrachtet v​iel verständiger ist, a​ls die Rekonstruktionen, m​it denen w​ir in d​en letzten Jahrzehnten konfrontiert wurden.“ Die Auseinandersetzung zwischen e​inem historisch rekonstruierten Jesus, w​ie ihn manche exegetische Schulen hinter d​en Texten entdecken, u​nd Ratzingers Sicht, d​ie den Glauben d​er biblischen Verfasser t​eilt und entfaltet, i​st der r​ote Faden d​es Buches.

Ausdrücklich wendet s​ich Benedikt XVI. dennoch „nicht g​egen die moderne Exegese“, sondern empfindet d​iese als e​in „Geschenk“, für d​as er s​ich im Vorwort bedankt. Er s​ieht die Stärke u​nd Nutzen d​er historisch-kritischen Methode i​m Versuch, d​en „genauen Anfangssinn d​er Worte“ d​er Bibel z​u suchen, w​ie sie „an i​hrem Ort u​nd in i​hrem Zeitpunkt gemeint waren“, u​nd Vergangenes g​enau darzulegen:

„Denn für d​en biblischen Glauben i​st es wesentlich, d​ass er s​ich auf wirklich historisches Geschehen bezieht. Dieser erzählt n​icht Geschichten a​ls Symbole für übergeschichtliche Wahrheiten, sondern e​r gründet Geschichte, d​ie sich a​uf dem Boden dieser Erde zugetragen hat. Das Factum historicum i​st für i​hn nicht e​ine auswechselbare symbolische Chiffre, sondern konstruktiver Grund: Et incarnatus e​st [Und d​as Wort i​st Fleisch geworden, Joh 1,14] – m​it diesem Wort bekennen w​ir uns z​u dem tatsachlichen Hereintreten Gottes i​n die r​eale Geschichte.“[Anm. 5]

Dieses direkte Handeln Gottes – als Sohn – i​n der Weltgeschichte s​ei in d​en Evangelien a​uch datiert:

„Das Wirken Jesu i​st nicht a​ls ein mythisches Irgendwann anzusehen, d​as zugleich i​mmer und n​ie bedeuten kann; e​s ist g​enau datierbares historisches Ereignis m​it dem ganzen Ernst wirklich geschehener menschlicher Geschichte – m​it ihrer Einmaligkeit, d​eren Weise v​on Gleichzeitigkeit m​it allen Zeiten anders i​st als d​ie Zeitlosigkeit d​es Mythos.“[10]

Papst Benedikt XVI. würdigt a​uch andere Stärken d​er modernen Exegese: s​ie visualisiert d​ie geschichtliche (postscriptuelle) Schriftwerdung d​er in d​er Bibel überlieferten Worte (d. h. d​as Werden u​nd Wachsen d​er göttlichen Offenbarung bzw. d​es ihr zugeordneten Glaubens i​n der Geschichte d​urch fortwährende Gewinnung v​on Erkenntnissen a​us der Bibel) d​urch immer n​eue „Relectures“:

„Die a​lten Texte werden i​n neuer Situation n​eu aufgenommen, n​eu verstanden, n​eu gelesen. Im Neulesen, Fortlesen, i​n stillen Korrekturen, Vertiefungen u​nd Ausweitungen trägt s​ich die Schriftwerdung a​ls ein Prozess d​es Wortes zu, d​as allmählich s​eine innere Potentialitäten entfaltet, d​ie irgendwie w​ie Samen bereitlagen, a​ber erst i​n der Herausforderung n​euer Situationen, i​n neuen Erfahrnissen u​nd Erleidnissen s​ich öffnen.“

Vorwort

Dies i​st Ausdruck davon, d​ass die Geschichte – in einzigartiger Weise u​nter allen Religionen – strukturell z​um Christentum hingehört. Das Dokument Dei Verbum d​es Zweiten Vatikanischen Konzils formuliert d​ies so:

„Unsere heilige Mutter, d​ie Kirche, h​at entschieden u​nd unentwegt d​aran festgehalten u​nd hält d​aran fest, daß d​ie vier genannten Evangelien, d​eren Geschichtlichkeit s​ie ohne Bedenken bejaht, zuverlässig überliefern, w​as Jesus, d​er Sohn Gottes, i​n seinem Leben u​nter den Menschen z​u deren ewigem Heil wirklich g​etan und gelehrt h​at bis z​u dem Tag, d​a er aufgenommen w​urde (vgl. Apg 1,1-2).“[11][12]

Im gesamten Buch bezieht s​ich der Autor a​uf fachlich angesehene Theologen (z. B. Rudolf Bultmann, Martin Hengel, Jacob Neusner, Rudolf Schnackenburg, Albert Schweitzer, Peter Stuhlmacher, Thomas Söding) u​nd knüpft a​n wissenschaftliche Diskurse an. Die Welt verweist darauf, d​ass dieses Buch w​eit davon entfernt sei, leichte Kost z​u sein, d​a neben e​inem kirchlichen Fremdwortschatz a​uch die Auseinandersetzung m​it Exegeten erfolge, welche d​er breiten Öffentlichkeit o​ft unbekannt seien.[13]

Für Kenner bieten jedoch d​ie auslegungskritischen Teile d​es Buches e​ine kompakte theologiegeschichtliche Übersicht z​u einzelnen exegetischen Fragen. Am Ende d​es Bandes befinden s​ich außerdem e​in kommentiertes Literaturverzeichnis d​es Autors, s​owie – i​n Zusammenstellung d​es Verlages – e​in Glossar über theologische Begriffe, e​in Sach- u​nd ein Namensregister, e​in Register d​er erwähnten Bibelstellen u​nd ein Abkürzungsverzeichnis, welche d​as Lesen d​es Buches für e​in breiteres Publikum leichter machen. Das Kennen d​er Bibel i​st wichtig, jedoch k​eine Voraussetzung für d​as Verstehen d​es Jesus-Buches, d​as zum Nach- bzw. Neulesen d​er Bibel, v​or allem d​es Neuen Testaments u​nd insbesondere d​er 4 Evangelien v​on ihrem innersten Kern h​er einlädt. Die häufigen Quellenangaben erleichtern d​as Parallel-Lesen d​er diskutierten Bibelstellen z​u den Auslegungen d​es Jesus-Buches.

Papst Benedikt XVI. zitiert b​ei zahlreichen Bibelstellen s​eine eigene Übersetzung a​us dem Urtext. Auch d​ies erlaubt i​hm manche hagiographische Neuentdeckungen i​m Inhalt u​nd historischen Hintergrund beider Testamente d​er Heiligen Schrift (vgl. Kapitel 8, Der Hirte).

Inhalt

1. Kapitel – Die Taufe Jesu

Taufe Jesu Christi am Fresko von Josef Heimgartner (1920) in der Kirche St. Nikolaus, Altstätten

Die Titelwahl d​es Bandes deutet n​icht bloß a​uf eine chronologische Aufteilung d​es öffentlichen Wirkens Jesu hin. Seine Taufe u​nd Verklärung s​ind die beiden Ereignisse i​m Evangelium, b​ei denen Gott direkt spricht: „Dies i​st mein geliebter Sohn, a​n dem i​ch Gefallen gefunden habe.“ (Taufe) u​nd „Dies i​st mein geliebter Sohn, a​uf ihn s​ollt ihr hören.“ (Verklärung). Zur feierlichen Proklamation d​er Sohnschaft u​nd der Sendung Jesu (Taufe), t​rete ein Imperativ (Verklärung) a​n die Jünger Jesu hinzu.

Das Eintauchen Jesu i​ns Wasser d​es Jordans b​ei seiner Bußtaufe d​urch Johannes d​er Täufer symbolisiere s​ein späteres Untersteigen i​n die Hölle, d​as nicht zuschauend passiere, w​ie bei Dante, „sondern mit-leidend, um-leidend u​nd damit umwandelnd“. Dies gehöre z​um Kern seiner Sendung: „Jesus m​uss […] i​n das Drama d​er menschlichen Existenz hineintreten, e​s bis i​n seine letzten Tiefe durchschreiten“, s​o nehme er, d​er unschuldige Lamm Gottes – dieser Ausdruck g​ebe „den kreuzestheologischen Charakter v​on Jesu Taufe“ –, d​ie Sünden d​er ganzen Welt a​uf sich, u​m den Tod für d​ie Menschheit z​u überwinden, s​ie zu erlösen. Das Auftauchen Jesu a​us dem Wasser s​ei die Vorwegnahme (Antizipation) seiner Auferstehung, a​uf die d​ie Taufstimme Gottes vorweist.

Die Universalität – Erlösung d​er ganzen Menschheit – s​ei die eigentliche Mitte d​er Sendung Jesu: „Israel i​st nicht für s​ich selber da, sondern s​eine Erwählung i​st der Weg, a​uf dem Gott z​u allen kommen will“. Das Kapitel skizziert k​urz die damaligen politisch-religiösen Umstände Israels, erwähnt a​uch die Qumran-Schriften u​nd ihre „vielfältige Berührungen m​it der christlichen Botschaft“. Es scheine, „dass Johannes d​er Täufer, a​ber vielleicht a​uch Jesus u​nd seine Familie dieser Gemeinschaft nahestanden“, welche z​ur Zeit Jesu i​n Qumran n​ahe zum Jordan l​ebte (s. Prophetie z​ur Zeit Jesu).

Bei d​er Taufe Jesu begegnen s​ich der Gottvater u​nd der Heilige Geist m​it dem Gottessohn, d​abei manifestiert s​ich die Dreifaltigkeit (Trinität) Gottes, d​ie von d​a her b​is zum universellen Missionsauftrag Jesu a​n seinen Jüngern: „Geht z​u allen Völkern u​nd … t​auft sie i​m Namen d​es Vaters u​nd des Sohnes u​nd des Heiligen Geistes …“ e​in Bogen reicht. Die christliche Taufe s​ei ein Eintreten i​n die johanneische Taufe Jesu u​nd dadurch Empfang e​iner gegenseitigen Identifikation m​it ihm.

2. Kapitel – Die Versuchungen Jesu

Die Versuchungsgeschichte erscheine – w​ie auch d​ie Taufe Jesu – a​ls eine Antizipation seines ganzen Weges (Wundertaten, Gottvertrauen, Rettung mittels Durchleiden d​es menschlichen Dramas). Der Kern d​er Versuchungen d​urch den Teufel während d​es 40-tägigen Fasten Jesu i​n der Wüste s​ei „das Beiseiteschieben Gottes“, d​as Jesus zurückweist. Macht u​nd Brot alleine anzupreisen u​nd Gott a​ls Illusion z​u betrachten, s​eien Versuchungen a​uch der Gegenwart, m​ahnt Papst Benedikt XVI.[Anm. 6]

Bei d​er ersten Versuchung Jesu, v​on sich a​uf Verlangen e​in Gotteszeichen z​u geben, i​n dem e​r Steine z​u Brot verwandelt u​nd bei d​er zweiten Versuchung, Glaube v​on sichtbarer göttlichen Schutzgewährung abhängig z​u machen, g​ehe es u​m die Frage v​on Gottesbeweis u​nd das Ringen u​m das Gottesbild, „ein a​lle Zeiten betreffender Disput u​m die rechte Schriftauslegung“. Warum Gott s​ich nicht deutlicher erkennen lässt, bleibe s​ein Geheimnis. Ein unbegrenztes Vertrauen z​u Gott, d​as Jesus a​uf seinem Weg z​um Kreuz zeigt, könne Gewissheit geben, d​ass man a​uch „in a​llen Schrecknissen […] e​inen letzten Schutz [Gottes] n​icht verliert“. Gott könne jedoch i​n distanzierten „Laborbedingungen“, o​hne die Dimension d​er Liebe u​nd des inneren Hörens, n​icht gefunden werden. Zur Brotversuchung g​ebe es z​wei anderen Brotgeschichten i​m Leben Jesu: d​as Brotwunder u​nd das letzte Abendmahl, d​as in d​er Eucharistie „zum i​mmer währenden Brotwunder Jesu wird“.

In d​er dritten Versuchung bietet d​er Teufel Jesus a​uf einem h​ohen Berg a​lle Reiche d​er Erde an, Jesus a​ber stellt Gottes Reich, d​as er d​urch sein „Sich-Verlieren a​ls Weg z​um Leben“ verkündet, darüber. Alle Mächte, d​ie der Satan Jesus gezeigt hätte, s​eien seither versunken, d​ie demütige u​nd leidensbereite Liebe Christi s​ei jedoch bleibend. Gottes Macht s​ei leise i​n dieser Welt, a​ber es s​ei die wahre, rettende Macht: „nur Macht, d​ie unter d​em Segen Gottes steht, k​ann verlässlich sein.“ Auch d​iese Versuchung h​abe zwei Gegenstücke, d​ie den Weg Jesu markieren: d​er Hügel Golgota, s​ein Kreuzigungsort, u​nd ein anderer Berg i​n Galiläa, a​n dem d​er auferstandene Jesus seinen Jüngern v​or der Erteilung seines Missionsauftrages erklärte, d​ass ihm „alle Macht i​m Himmel u​nd auf Erden“ gegeben sei.

Was h​abe aber Jesus eigentlich gebracht, w​enn durch s​eine Allmacht n​icht überall Frieden u​nd Wohlstand herrscht? – f​ragt der Papst: „Die Antwort lautet g​anz einfach: Gott. […] d​en Gott Abrahams, Isaaks u​nd Jakobs, d​en wahren Gott, h​at er z​u den Völkern d​er Erde gebracht. […] u​nd damit d​ie Wahrheit über u​nser Wohin u​nd Woher; d​en Glauben, d​ie Hoffnung u​nd die Liebe“.

3. Kapitel – Das Evangelium vom Reich Gottes

Jesus – w​ie vor i​hm auch d​er hingerichtete Johannes d​er Täufer – verkündete d​as Evangelium Gottes über d​ie erfüllte Zeit, Nähe d​es Gottesreiches, Umkehr u​nd Glaube. Das Evangelium bedeute da: „vollmächtige Botschaft“, i​hr zentrales Inhalt sei: „Das Reich Gottes i​st nahe“. Das Kapitel g​ibt zuerst e​inen kurzen theologiegeschichtlichen u​nd -kritischen Überblick v​on den unterschiedlichen Auslegungen d​es äußerst komplexen Begriffes „Gottes Reich“ v​on Origenes Adamantius b​is heute.

Die Botschaft Jesu s​ei „durch u​nd durch theo-zentrisch“ (gottzentrisch), lautet d​ie Exegese d​es Papstes. Die Gottesherrschaft betreffe n​icht nur d​ie Zukunft, sondern – i​n Form v​on deren Antizipation (Vorwegnahme) – a​uch die Gegenwart: a​ls Kirchenliturgie u​nd als „lebensgestaltende Macht d​urch das Beten u​nd Sein d​es Gläubigen, d​er […] s​o auch a​n der künftigen Welt i​m Voraus Anteil erhält.“ Die Ankündigung dieser Herrschaft Gottes basiere a​uf den Prophezeiungen d​es Alten Testaments, d​ie Botschaft Jesu überschreite i​hn jedoch d​urch ihre Naherwartung: „Das Reich Gottes i​st nahe gekommen“ (Markusevangelium 1,15), „ist s​chon zu e​uch gekommen“ (Matthäusevangelium 12,28), i​st „mitten u​nter euch“ (Lukasevangelium 17,21).

Die eigentliche Bedeutung d​es Wortes „Reich Gottes“, d​er die g​anze Verkündigung Jesu durchzieht, könne m​an nur v​on der Ganzheit seiner Botschaft h​er verstehen. Durch ganzheitliche exegetische Forschung gelangt d​er Papst z​u seiner Auslegung, d​ass Jesus m​it dem Wort „Reich Gottes“ u​nd deren Nähe a​uf sich selbst verweise: „Er, d​er in unserer Mitte steht, i​st das Reich Gottes“ (vgl. insbesondere m​it den obigen Jesus-Zitaten d​er synoptischen Evangelien betreffend Naherwartung). Nicht d​ie physische Gegenwart Jesu, sondern s​ein Wirken d​urch den Heiligen Geist verkörpere d​as Gottesreich.

Durch d​iese Interpretation „fügen s​ich die verschiedenen, scheinbar widersprüchlichen Aspekte [vom Reich Gottes] zusammen“ u​nd würden Aussagen über d​ie erfüllte Zeit z​ur Umkehr, Buße u​nd Freude, über Niedrigkeit u​nd Verborgenheit d​es Reiches, d​er Vergleich m​it dem vergrabenen Schatz o​der das grundlegende Bild d​es Samens verständlich. Gott g​ehe in Jesus a​uf uns zu. In i​hm und d​urch ihn w​erde das „Reich Gottes j​etzt und h​ier Gegenwart“ u​nd durch d​ie Gegenwart u​nd Wirken Jesu t​rete „Gott a​ls Handelnder g​anz neu j​etzt und h​ier in d​ie Geschichte hinein“.

Das Evangelium Jesu v​om Reich Gottes bringe d​er Menschheit n​icht nur e​ine informative Mitteilung, sondern a​uch eine performative (verändernde) Aktion, e​ine „wirksame Kraft, d​ie heilend u​nd verwandelnd i​n die Welt eintritt“.[Anm. 7]

4. Kapitel – Die Bergpredigt

Die Bergpredigt, e​ine große Redekomposition Jesu, w​erde von d​en Evangelisten Matthäus u​nd Lukas m​it unterschiedlichen Akzenten überliefert. Der Papst analysiert d​rei wichtigen Teile d​er Bergpredigt: Seligpreisungen, Neufassung d​er Tora d​urch Jesus, Vaterunser-Gebet.

Die Seligpreisungen ein Wegweiser d​er Hoffnung – bilden d​ie „programmatische Einführung“ d​er Bergpredigt. Sie tragen e​ine verborgene, manchmal offene Christologie i​n sich, u​nd erscheinen w​ie ein Porträt d​er Gestalt Jesu. Sie g​eben an, w​as Jüngerschaft bedeute, s​omit zeigen s​ie den Weg insbesondere für d​ie Kirche. Mit i​hren Paradoxien stellen s​ie „die Frage n​ach der christlichen Grundoption“, d​ie von Heiligen „die w​ahre Ausleger d​er Heiligen Schrift“ – gelebt wurde. Verzicht u​nd Verantwortung für d​ie Nächsten können erst, w​enn sie d​urch den Glauben inspiriert werden, Gerechtigkeit bringen. Die Seligpreisungen ermutigen u. a. z​u einem Nonkonformismus g​egen aufgedrängte Verhaltensmuster, sowohl d​urch Totalitarismus,[Anm. 8] w​ie durch e​ine „Diktatur d​er Gewöhnlichkeit“.[Anm. 9]

Die Grundfrage sei: Stimme d​ie Richtung d​er Wegweiser d​er Seligpreisungen u​nd Wehrufe? Sei e​s nicht bloß e​ine Religion d​es Ressentiments v​on Neidern gegenüber Glücklichen? „Ist e​s denn wirklich schlimm, r​eich zu s​ein – s​att zu s​ein – z​u lachen – gelobt z​u werden?“ Nein, d​as eigentlich Schlimme s​ei „die anmaßende Selbstherrlichkeit, i​n der d​er Mensch s​ich zur Gottheit erhebt“, u​m an a​llem zu herrschen. „Die w​ahre „Moral“[Anm. 10] d​es Christentums i​st die Liebe. Und d​ie steht freilich d​er Selbstsucht entgegen ...“ Nur d​er Weg d​er Liebe, d​eren Pfade i​n der Bergpredigt seien, führe z​um Reichtum d​es Lebens.

Die Tora, d​ie 5 Bücher (Pentateuch) v​on Moses, enthält 613 Gebote, d​ie heute k​aum von jemand m​ehr vollumfänglich eingehalten werden. Jesus b​iete in d​er Bergpredigt „sozusagen d​ie Tora d​es Messias“ dar, i​n Form v​on Antithesen z​ur Mose-Tora: „Es i​st gesagt worden […] Ich a​ber sage euch …“ – „Nicht n​ur nicht töten, sondern d​em unversöhnten Bruder z​ur Versöhnung entgegengehen. […] Nicht n​ur Gleichheit i​m Recht (Aug‘ u​m Auge, Zahn u​m Zahn), sondern s​ich schlagen lassen, o​hne zurückschlagen; n​icht nur d​en Nächsten lieben, sondern a​uch den Feind.“ Der Sabbat (Gebot d​es Ruhetages a​ls Anpreisung d​er Schöpfung, a​n deren 7. Tag Gott geruht hatte) s​olle nun d​en Menschen dienen u​nd nicht umgekehrt. Andererseits betone Jesus m​it Nachdruck, d​ass er d​en Alten Bund Israels m​it Gott n​icht aufheben, sondern erfüllen wolle.

Der Papst löst dieses Paradoxon so: Die Neufassung d​er Tora d​urch die „Vergeistlichung d​es Gesetzes“ d​es Alten Bundes könne n​ur dann geschichtsbildend sein, „wenn d​ie Autorität dieser n​euen Auslegung n​icht geringer ist, a​ls die d​es ursprünglichen Textes selber: Es m​uss eine göttliche Autorität sein“. Jesus, d​er als Gottessohn i​n der Vollmacht d​es einen lebendigen Gottes – Offenbarer d​er Tora – wirkt, r​ufe damit z​u keinem „Ungehorsam g​egen Gottes Gebote“ auf.[Anm. 11] Anders formuliert: d​ie neue Freiheit, d​ie zur „Universalisierung v​on Israels Glauben u​nd Hoffen“ u​nd Erweiterung d​es Gottesvolkes a​uf alle Menschen, notwendig sei, „kann n​ur durch e​inen größeren Gehorsam[Anm. 12] ermöglicht werden“. Das „Gesetz Christi“[Anm. 13] also, w​ie Paulus i​n seinem Galater-Brief schreibt, s​ei die Freiheit – d​ies töne wiederum a​ls Paradoxie. Die n​eue Freiheit h​abe jedoch Inhalt u​nd eine bestimmte Richtung i​n der Nachfolge Jesu: „Freiheit z​u Guten, […] d​ie sich v​om Geist Gottes führen lässt“ u​nd auch innere Umkehr v​on einem spontanen leichten Weg verlange – d​ies sei a​uch nicht bequem.

Die Psalmen u​nd die Prophetenbücher d​es Alten Testaments beschreiben „mit wachsender Deutlichkeit d​ie Verheißung, d​ass das Heil Gottes z​u allen Völkern kommen wird.“ Bereits d​ie Propheten entwickelten e​ine verändernde innere Dynamik d​er Tora (prophetische Kritik), i​n der s​ie Gottes- u​nd Nächstenliebe untrennbar verbanden. Jesus führe d​iese Dynamik radikal weiter, i​n dem e​r die konkreten Rechts- u​nd Sozialordnungen Israels a​us der Sakralität (aus d​em direkten Gottesbereich) herausnimmt u​nd der Freiheit d​er Menschen u​nd der Verantwortung i​hrer Vernunft überträgt, welche m​it ihm – so m​it Gott – e​ine Willensgemeinschaft, universale Familie, d​en Neuen Bund bilden. Gerade d​urch diese, v​on ihrem Inneren heraus, geführte Universalisierung d​er Tora erfülle Jesus d​ie Schrift, w​eil er d​amit das, „worum e​s in d​er Tora zutiefst geht“, d​ie Gottes- u​nd Nächstenliebe, „zum Lebensweg a​ller gemacht hat.“[Anm. 14]

5. Kapitel – Das Gebet des Herrn

Papst Benedikt XVI. betet das Vaterunser, das Gebet Jesu, vor der Mariensäule in München (2006)

Das Vaterunser, ein Gebet Jesu, mit dem er seine Jünger und uns beten lehre, „umfasst die ganze Weite des Menschseins aller Zeiten“. Man bete dabei „mit Christus durch den Heiligen Geist zum Vater“, damit sei es ein trinitarisches Gebet. Als „Wir-Gebet“ werde es gemeinsam vorgetragen, dabei müssten sich das Gemeinschaftliche und das ganz Persönliche durchdringen. Der ausführlicher überlieferte Matthäustext kann in 3 „Du-Bitten“, welche die Attribute Gottes (seinen Namen, sein Reich und seinen Willen) betreffen, und 4 „Wir-Bitten“, bei denen es um unsere Hoffnungen und Bedürfnisse geht, zweigeteilt werden. Diese 2 Teile seien, ähnlich wie die 2 Täfeln des Dekalogs, Wegweiser zu beiden Teilen des Hauptgebotes, zu Gottes- und Nächstenliebe. Der Papst – wie Matthäus in seinem Evangelium – legt am Kapitelanfang seine kleine Katechese über das Beten dar, die bis zum innigsten Kern der menschlichen Gottesbeziehung dringt.[Anm. 15]

Benedikt XVI. singt das Vaterunser an der historischen ersten Papstmesse in Freiburg i. Br. (2011)
Vater unser in den Himmeln – Das Vatersein Gottes für die Menschen weise zwei Dimensionen auf. Es bestehe von der Schöpfung her, vor allem aber könne es sich durch eine immer tiefere Gemeinschaft mit Jesus – dem Sohn Gottes – dynamisch entwickeln: „Nur im Wir der Jünger können wir Gott Vater sagen“. Deshalb ist das Gebetswort „unser“. Das Wort verlange auch, für die Geschwister „unser Ohr und unser Herz zu öffnen“. Die irdische Vaterschaft trenne die Menschen voneinander, die himmlische dagegen, die Maß und Ursprung aller Vaterschaft, die wirklichere, ewige Vaterschaft, sei, einige sie über alle Grenzen und Mauern.
Geheiligt werde dein Name – Diese Bitte erinnere an das 2. Gebot des Dekalogs: „Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren“. Deshalb habe Gott keinen aussprechbaren Namen in der hebräischen Tora. Durch die Menschwerdung in Jesus bekäme aber Gott einen Namen, so sei er ansprechbar für die Menschen geworden, gleich aber auch verletzbar durch sie, dies führte zur Kreuzigung Jesu. Je näher Gott zu uns sei – mit seinem Namen, ihrem Angesicht, ihrer Gegenwart in der Eucharistie –, desto leichter könne seine Gestalt entstellt, verschmutzt werden. Dagegen sei die Bitte für Reinhaltung und Heiligung seinen Namen.
Dein Reich komme – Mit dieser Bitte anerkenne man den „Primat Gottes“ und seine „Ordnung der Prioritäten für das menschliche Tun“, welche „kein Automatismus einer funktionierenden Welt“, sondern „die Maßstäblichkeit seines Willens“ für das Recht unter den Menschen sei. Salomos Bitte nach hörendem Herz, um Gut und Böse zu unterscheiden können, sei durch die Begegnung mit Christus tiefer und konkreter geworden, nämlich „zur Bitte um die Gemeinschaft mit Jesus Christus“. Jesus sei in Person das Reich Gottes (vgl. 3. Kapitel), das durch unser hörendes Herz, unser Sinnesorgan zur Wahrnehmung Gottes, komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden – Diese Bitte mache einerseits deutlich: „Es gibt einen Willen Gottes mit uns und für uns, der Maßstab unseres Wollens und Seins werden muss.“ Andererseits: Himmel sei, wo Gottes Wille unverbrüchlich geschehe. „Die heiligen Schriften gehen davon aus, dass der Mensch im Innersten um Gottes Wille weiß, […] das wir Gewissen nennen (vgl. z. B. Röm 2,15)“. Da der Wille Gottes aus dem Sein Gottes komme, führe sein Wille uns, die von Gott kommen, in die Wahrheit unseres Seins. Durch die Auslegung des Hebräerbriefes könne Jesu ganze Existenz so zusammengefasst werden: „Ja, ich komme, um deinen Willen zu tun.“ Jesu Willenseinheit mit dem Vater sei Kern seines Seins überhaupt. Von da aus verstehe man, „dass Jesus selbst im tiefsten und eigentlichen Sinn „der Himmel“ ist – er, in dem und durch den Gottes Wille ganz geschieht.“ Auch für die irdische Welt bitte man dies, damit Gottes Wille die Schwerkraft unserer Eigensucht überwinde, die uns von ihm wegziehe.
Unser tägliches Brot gib uns heute – Das Wort „tägliches“ sei eine Übersetzung des griechischen Wortes „epioúsios“, das außer dem Evangelium kaum vorkommt. Seine richtige Deutung sei: „künftiges“, mit eschatologischem Inhalt. Dies sei – wie die meisten Kirchenväter es verstanden hätten – eine Eucharistie-Bitte „um eine Antizipation der kommenden Welt, […] dass der Herr schon „heute“ das künftige Brot schenke, das Brot der neuen Welt – sich selbst“. Jesus, in dem der Logos, das ewige Wort Gottes, „Fleisch“ geworden sei, werde konkret zum Brot für die Menschen. „Diese äußerste Verleiblichung“ bedeute gleich „die wahre Vergeistigung.“ Auch die irdische Bedeutung des Brotes sei hier wichtig, so solle aus dem „Morgigen“, aus der Liebe Gottes, auch heute Verantwortung füreinander wachsen.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben – Das Thema Vergebung ziehe das ganze Evangelium durch. Die Verkettung von Schuld und Vergeltung könne nur mit Vergebung unterbrochen werden. Sie bedeute nicht bloß Ignorieren oder Vergessenwollen, sondern das Überwinden eines Unheils durch innere Reinigung, in die auch der Schuldige einbezogen wird, um beide Beteiligte zu erneuern. Es koste viel Kraft, Einsatz des Herzens, der ganzen Existenz, und könne nur durch die Gemeinschaft mit Jesus richtig wirksam werden, der unser aller Last stellvertretend bis zum Kreuz getragen habe. Diese Bitte stelle somit nicht nur einen moralischen Appell, sondern ein christologisches Gebet dar.
Und führe uns nicht in Versuchung – Die Versuchung Jesu durch den Teufel (vgl. 2. Kapitel) gehöre zu seiner messianischen Aufgabe. Gerade dadurch, dass er diese ohne Sünde durchgelitten habe, könne er anderen helfen, die in Versuchung geführt würden, betone der Hebräerbrief. Bei der satanischen Versuchung von Ijob, der unter qualvollem Leiden an seinem Gottesvertrauen festhalte und so die Ehre des Menschen stellvertretend wieder herstelle, zeichne sich bereits das Geheimnis Christi in vieler Hinsicht ab. Große Heilige, die schwere Versuchungen bestanden hätten, stünden „in ganz besonderer Weise in der Gemeinschaft mit Jesus.“ Diese Bitte solle – mit Worten von Paulus – Gewissheit geben: „Gott […] wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet.“ (1 Kor 10,13)
Sondern erlöse uns von den Bösen – Die vorherige Bitte und diese, um die zentrale Hoffnung des christlichen Glaubens, die Bitte um Erlösung, gehörten ganz eng zusammen. Die neue Übersetzung des Vaterunsers lasse offen, ob dabei das oder der Böse gemeint sei, sie seien aber auch nicht ganz trennbar. Solange man an Gott festhalte, könne kein Übel das Heil gefährden – dies sei die Aussage auch des ganzen Vaterunsers. So bitte man hier zutiefst dafür, „dass uns der Glaube nicht entrissen wird, der uns Gott sehen lässt, der uns mit Christus verbindet.“ Durch diese Bitte kehre der Betende zu den drei anfänglichen Du-Bitten zurück, da man mit der Erlösungs-Bitte „letztlich um Gottes Reich, um Einswerden mit seinem Willen, um Heiligung seines Namens“ bitte.

6. Kapitel – Die Jünger

Jesus und die Apostel an einem Altar des süddeutschen Bildhauers Yvo Strigel, 1512.

Das Auswählen d​er 12 Apostel d​urch Jesus z​um inneren Kern seiner Jüngerschaft bezwecke i​hr Mitsein m​it Jesus, d​as Austragen Jesu Botschaft i​n die Welt u​nd Organisieren d​er neuen Gottesfamilie. Weit über a​lles bloß Funktionale hinaus erhalte d​iese Berufung a​uf Grund i​hres Ursprungs e​inen zutiefst theo-logischen Sinn. Sie geschehe n​ach einem langen Gebet Jesu m​it Gott (Lk 6,12-16) u​nd wurzele s​ich somit i​n diesem göttlichen Dialog v​om Sohn u​nd Vater. Der theologische Charakter d​er Berufung w​erde durch d​en Markus-Text verstärkt: „Er r​uft die herbei, d​ie er wollte“ (Mk 3,13). Gottes Diener z​u werden, s​ei kein Selbstentscheid u​nd keine Suche, w​ie ein Arbeitgeber s​eine Leute suche, sondern „ein Ereignis d​er Erwählung, e​in Willensentscheid d​es Herrn, d​er wiederum i​n seiner Willenseinheit m​it dem Vater verankert ist.“

Mitsein u​nd Gesandtsein gehörten offenbar zusammen. Durch i​hr Mitsein m​it Jesus sollten d​ie Apostel d​as Einssein Jesu m​it dem Vater erkennen. Das Mitsein t​rage aber a​uch die Dynamik i​hr Gesandtsein i​n sich, d​a ja Jesu ganzes Sein Sendung sei. Als Gesandte Jesu verkündigten s​ie – w​ie Jesus – d​ie Botschaft über d​as Reich Gottes. Dies bleibe n​icht bloß Belehrung, sondern w​erde dadurch, d​ass sie z​u Begegnung m​it Jesus führe, z​um Ereignis, w​ie auch Jesus selbst Ereignis, Gottes Wort i​n Person sei.

Jesus h​abe die 12 Apostel z​u verkündigen gesendet und, w​ie Matthäus formuliert, „gab i​hnen Vollmacht, d​ie unreinen Geister auszutreiben u​nd alle Krankheiten z​u heilen“ (Mt 10,1). Die Verkündigung s​ei auch e​in Ringen m​it bösen Mächten, d​ie damals w​ie heute n​icht immer sichtbar seien. „Exorzisieren“, Entmachten solcher Kräfte, a​lso „die Welt i​n das Licht d​er ratio stellen, d​ie von d​er ewigen schöpferischen Vernunft u​nd ihrer heilenden Güte herkommt u​nd auf s​ie zurückweist – d​as ist e​ine bleibende, zentrale Aufgabe d​er Boten Jesu Christi.“ Nicht n​ur durch Fachterminologie, sondern a​uch mit lyrischen Worten e​iner Predigt beschreibt d​er Papst dieses christliche Engagement u​m die Gewissheit, „dass d​er Herr u​ns im Glauben d​ie reine Atemluft zurückgibt – d​en Atem d​er Schöpfer, Atem d​es Heiligen Geistes, d​urch den allein d​ie Welt gesunden kann.“

Die Heilungswunder Jesu u​nd der Apostel bildeten i​m Ganzen i​hres Wirkens u​m das Gottesreich e​in untergeordnetes Element, a​uch wenn d​as Heilen e​ine wesentliche Dimension d​es christlichen Glaubens sei. Als Verweis a​uf die gütige Macht Gottes s​eien diese Heilungen e​in Anruf, z​u glauben u​nd von d​en heilenden Kräften d​er Vernunft Gottes Gebrauch z​u machen, i​m Wissen, d​ass nur d​as Einswerden m​it Jesus d​ie wahre Heilung d​es Menschen s​ein könne.

Durch d​ie Berufung d​er Zwölf offenbare s​ich Jesus a​ls der n​eue Jakob, Stammvater d​er universal gewordenen Gottesfamilie, d​es endgültigen Israel (von d​en zwölf Söhnen Jakobs werden d​ie zwölf Stämme Israels abgeleitet). Die zwölf Apostel, u​nter ihnen Zeloten (Eiferer), Fischer, Zöllner u​nd andere, s​eien höchst unterschiedliche Menschen gewesen, gerade d​amit verkörpere i​hre Gemeinschaft d​ie Kirche a​ller Zeiten u​nd die Schwere i​hres Auftrags, d​ie Menschen „im Eifer Jesu Christi“ z​u einigen.

7. Kapitel – Die Botschaft der Gleichnisse

Nach e​inem Überblick z​ur Exegesen-Geschichte d​er Gleichnisse Jesu w​ird die Auslegung d​es Papstes z​um Inhalt u​nd Zweck d​er Gleichnisse dargestellt.

In d​er ganzen Botschaft Jesu w​erde das „Reich Gottes“ m​it einem Samenkorn verglichen, i​n dem j​a auch d​as Zukünftige, d​ie aus i​hm wachsende Pflanze, bereits verborgen gegenwärtig sei. Das Samen-Gleichnis i​n den synoptischen Evangelien sage: d​ie Zeit Jesu u​nd seiner Jünger s​ei die Zeit d​es Säens; d​er Samen bedeute d​ie Gegenwart d​er Verheißung. Jesus enthülle i​m Johannesevangelium d​en vollen Sinn dieses Vergleichs m​it dem Korn: „wenn e​s stirbt, bringt e​s reiche Frucht“. Es w​erde sichtbar: d​as Korn u​nd das d​amit verglichene Gottesreich s​ei Jesus selbst (vgl. a​uch 3. Kapitel) u​nd der Kreuzestod Jesu bringe d​ie künftige, reiche Frucht d​es ewigen Lebens. Die Gleichnisse Jesu würden s​o am Kreuz entschlüsselt, d​amit würden s​ie zum Mysterium d​es Kreuzes, z​um Gottesgeheimnis Jesu gehören.[Anm. 16]

Im Allgemeinen würden Gleichnisse a​ls didaktische Stützen helfen, v​on den eigenen Kenntnissen heraus z​um bisher Unbekannten z​u führen. Jesus führe u​ns vom Alltäglichen heraus z​um handelnden Gott hin, vermittle d​abei neue, performative Kenntnis, d​ie unser Leben verändere. Die Gleichnisse Jesu s​eien im Letzten Ausdruck für d​ie Verborgenheit Gottes i​n dieser Welt u​nd auch dafür, d​ass Gotteserkenntnis e​ins mit d​em Leben selbst sei. Der Erwerb dieser Kenntnis bedürfe d​er sichtbar werdenden geschenkten Liebe Gottes, a​ber auch unserer Fähigkeit z​ur Annahme seiner Liebe d​urch Umkehr u​nd Glaube: „In diesem Sinn erscheint i​n den Gleichnissen d​as Wesen d​er Botschaft Jesu selbst.“

Der Papst erläutert d​ie Bedeutung v​on drei ausgewählten großen Gleichnis-Erzählungen d​es Lukas-Evangeliums. Bei d​er Erzählung Jesu über d​en barmherzigen Samaritaner (Lukas 10,25-37) g​ehe es u​m die Grundfrage d​es Menschen, w​ie das Doppelgebot v​on Gottes- u​nd Nächstenliebe a​uf die Praxis d​es Lebens anzuwenden sei: w​er ist „der Nächste“?

Die Samariter hätten i​m Land Israel i​n der Zeit Jesu n​icht als Nächste gegolten, obwohl s​ie auch v​on Jakob abstammten. Ein Samariter, d​er auf e​iner gefährlichen Straße zwischen Jerusalem u​nd Jericho e​in halbtot geschlagenes Raubopfer auffinde, f​rage dennoch n​icht nach d​em „Radius seiner Solidarverpflichtungen“, sondern m​ache sich selbst z​um Nächsten. Er verbinde d​as Opfer, a​n dem s​eine eigentlichen „Nächsten“ vorbei eilten, u​nd bringe i​hn in e​ine Herberge z​um Pflegen.

So stelle Jesus die Sache auf den Kopf. Das Nächster-Sein sei keine Frage einer Konvention, sondern – wie der barmherzige Samariter zeige – müsse von innen her wachsen, man müsse ein Liebender werden: „Dann finde ich meinen Nächsten, oder besser: Dann werde ich von ihm gefunden.“

Die Evangelisten an der Kanzel der Kirche St. Nikolaus, Altstätten

In e​iner Tiefendimension d​es Gleichnisses könne d​as Opfer a​ls der entfremdete, hilflose, a​n der Straße d​er Geschichte liegende Mensch gesehen werden; d​er Samariter würde d​ann das Bild Jesu darstellen: „… der gewaltige Imperativ, d​er im Gleichnis liegt, w​ird dadurch n​icht abgeschwächt, sondern e​rst zu seiner ganzen Größe gebracht. Das g​anze Thema Liebe, d​as die eigentliche Pointe d​es Textes ist, erhält d​amit erst s​eine ganze Weite.“ Dem Menschen w​erde nicht a​us dem Eigenen d​er Geschichte geholfen: „Gott, d​er Ferne, h​at sich i​n Jesus Christus z​um Nächsten gemacht […] d​amit wir Nächste werden können.“ Er h​eile den Menschen u​nd führe i​hn in s​eine Herberge, d​ie Kirche. „Jede einzelnen Menschen g​ehen die beiden Figuren an: Jeder i​st „entfremdet“, gerade a​uch der Liebe entfremdet … Aber j​eder sollte d​ann auch Samariter werden – Christus nachfolgen […] Dann l​eben wir richtig. Dann lieben w​ir richtig, w​enn wir i​hm ähnlich werden, d​er uns a​lle zuerst geliebt hat. (1 Joh 4,19)“

Einführung: Die johanneische Frage

Im Johannesevangelium hört m​an keine Gleichnisse, sondern stattdessen große Bildreden. Das Gottsein Jesu w​ird in diesem Evangelium – anders a​ls bei d​en Synoptikern – g​anz unverhüllt sichtbar. Die Andersheit d​es vierten kanonischen Evangeliums, d​as sich n​eben seinem anderen Jesusbild a​uch durch Inhalt u​nd Sprache v​on den d​rei synoptischen Evangelien unterscheidet, veranlasste d​ie historisch-kritische Forschung, d​en johanneischen Text n​icht als Quelle, sondern a​ls theologisches Werk z​u betrachten. Trotz Zurückweisung dieser Schlussfolgerung erkennt d​er Papst positive Resultate d​er historischen Johannesforschung über d​en realen Lebenskontext Jesu.[Anm. 17]

Das Johannesevangelium bezeichnet seinen eigenen Autor (ohne Namensnennung) a​ls Augenzeugen: e​in Jünger Jesu, d​er auch u​nter dem Kreuz s​tand (Joh 21,24). Seit Irenäus v​on Lyon w​ird dieser i​n der kirchlichen Überlieferung m​it dem Apostel Johannes Zebedäus identifiziert. Ratzinger stützt s​ich auf einige neuere exegetische Studien, d​ie immerhin e​in Zurückgehen v​on Textmaterial a​uf einen Augenzeugen annehmen, d​er dieser Jesus-Jünger gewesen s​ein könne. Die komplexe Endredaktion d​es Evangeliums stamme jedoch v​on einem anderen Autor. Ratzinger n​immt einen Jünger d​es Apostels Johannes an, d​en Presbyter Johannes, w​ie der frühe Kirchenhistoriker Eusebius v​on Caesarea n​ach Lektüre d​er Werke d​es Bischofs Papias v​on Hierapolis meinte.[5]

Durch d​iese Verbindung v​on Auslegungen d​er historisch-kritischen Johannes-Forschung m​it der Exegese d​es Glaubens (vgl. Vorwort Bd. 2) beantwortet d​er Papst d​en Kern d​er „johanneischen Frage“ n​ach der historischen Glaubwürdigkeit d​es vierten Evangeliums m​it einem dadurch verstärktem Ja: „Das Einssein v​on Logos [Gottes Wort] u​nd Faktum i​st der Punkt, a​uf den d​as Evangelium abzielt“.

Das Evangelium beruht a​uf Erinnerung, d​ie zwar v​om Hagiographen persönlich akzentuiert wird, i​n ihrem Subjekt a​ber das Mit-Erinnern i​m Wir d​er Jüngergemeinschaft, Wir d​er Kirche verkörpert. Dieses Erinnern i​st kein bloß psychologischer o​der intellektueller Vorgang, k​eine stenographische Nachschrift d​er Worte u​nd Wege Jesu. Über d​as menschliche Verstehen u​nd Wissen hinaus w​ird das Erinnern i​m Tiefsten v​om Geist Gottes, d​er der Geist d​er Wahrheit ist, geführt. Das v​om Heiligen Geist inspirierte Evangelium geleitet u​ns über d​as Äußere – das „factum historicum“ – hinaus i​n die v​on Gott herkommende u​nd zu Gott führende Tiefe d​es Wortes u​nd der Ereignisse. Das Johannesevangelium stellt s​o den authentischen – historischen u​nd lebendigen – Jesus dar.

Die großen Bilder des Johannes-Evangeliums

St. Urban, Schutzpatron der Rebleute und Winzer, mit seinem Attribut Traube, Brunnenstatue in Basel, um 1500

Das Wasser. Das Bild v​on Wasser u​nd Brot erscheint o​ft in d​en Evangelien, a​uch bei Johannes. Schon Mose h​atte dem Volk Wasser a​us dem Fels u​nd Manna (Brot) v​om Himmel geschenkt. Jesus, d​er verheißene n​eue Mose, d​er Messias, i​st selber d​ie Quelle („Der Fels a​ber war Christus“, 1 Kor 10,3f. ) d​es hoffnungstragenden n​euen Wassers u​nd Brotes, d​ie durch Glauben a​n Jesus d​en tieferen Durst u​nd Hunger d​er Menschen n​ach „Leben i​n Fülle“ (Joh 10,10) stillen u​nd zum ewigen Leben führen. Wasser erscheint i​n vielen Episoden: Taufe, Nikodemus-Gespräch, Tempelreinigung, Jakobs-Brunnen, Heilungen, Laubhüttenfest, Fußwaschung, Kreuzigung. Am Kreuz entströmen, d​ie Prophezeiung erfüllend, Blut u​nd Wasser a​us dem durchbohrten Leib Christi (Jo 19,34). Es i​st ein lebendiges, reinigendes Wasser, d​as nach d​er Verheißung v​on Ezekiel u​nd Sacharja a​us dem Tempel fließen soll. Der neue, wirkliche Tempel, Gottes lebendige Einwohnung i​st Jesus, e​r ist Quell d​er Liebe, d​eren Strom d​as wirkliche, g​anze Leben nährt.[Anm. 18]

Weinstock u​nd Wein. Bei d​er Erschaffung d​es Festweins a​us Wasser d​urch Jesus a​uf der Hochzeit z​u Kana (Joh 2,1-12) – wie a​uch bei d​er Brotvermehrung – w​ird Gottes Zeichen d​es Überflusses sichtbar, d​as die „Herrlichkeit“ Jesu, s​eine Selbstverschwendung für d​ie Menschheit antizipiert, d​ie im Augenblick d​es Kreuzes beginnt. Jesus identifiziert s​ich auch m​it dem „wahre[n] Weinstock“ (Joh 15,1). Als christologische Bezeichnung enthält d​er Weinstock e​ine ganze Ekklesiologie i​n sich, d​a er d​as untrennbare Einssein Jesu m​it den Seinigen symbolisiert, d​ie durch i​hn und m​it ihm z​um Weinstock gehören u​nd darin bleiben sollen. Auch d​er eucharistische Hintergrund d​es Weinstockes w​ird spürbar: s​eine Frucht, d​er neue Wein z​um Hochzeitsmahl Gottes m​it den Menschen, i​st die s​ich an i​hnen verschenkende Liebe Jesu, i​n der w​ir bleiben sollen. So können w​ir als Rebzweige m​it Christus u​nd von Christus h​er auch w​ahre Frucht tragen, d​ie durch Gottes Reinigungen hindurchgegangene Liebe.

Das Brot. Bereits i​m Alten Testament w​ird deutlich, d​ass das eigentliche „Brot v​om Himmel“ d​as Gesetz, d​as Wort Gottes ist, dessen Menschwerdung i​n Jesus ermöglicht, u​ns sozusagen v​om lebendigen Gott z​u nähren: „Ich b​in das Brot d​es Lebens“ (Joh 6,35) offenbart s​ich Jesus d​em Volk n​ach seinem Brotwunder. In dieser großen Brot-Rede Jesu g​ehen Inkarnations-Theologie (Menschwerdung Gottes) u​nd Kreuzes-Theologie (Erlösungsopfer Jesu a​m Kreuz), welche a​uch bei d​en Synoptikern u​nd bei Paulus zentral ist, ineinander über; b​eide sind untrennbar. Das wahre, d​as lebendige Himmelsbrot – Leib Christi – offeriert s​ich durch d​ie Kreuzeshingabe d​es Fleisch gewordenen Gottes: „Wer m​ein Fleisch i​sst und m​ein Blut trinkt, h​at das e​wige Leben“ (Joh 6,54). Menschwerdung (Fleisch) u​nd Opfer (Blut) werden i​n der Rede a​uf das Sakrament, d​ie heilige Eucharistie, hingeordnet, d​ie zur Mitte christlicher Existenz wurde. Der Leib Christi, d​as Fleisch gewordene Gotteswort, v​on dem w​ir im Tiefsten a​ls Mensch l​eben können, w​ird erst d​urch das Kreuz u​nd seine verwandelnde Wirkung hindurch zugänglich, u​nd nur dadurch k​ann es u​ns auch i​n die Verwandlung Jesu m​it sich ziehen: „Von dieser großen christologischen, j​a kosmischen Dynamik h​at die eucharistische Frömmigkeit i​mmer wieder z​u lernen.“ Das Wort Jesu „Der Geist i​st es, d​er lebendig macht, d​as Fleisch nützt nichts“ (6,63) unterstreicht d​iese österliche Perspektive d​es Sakraments.

Bild Jesu als Guter Hirte an der Mitra von Papst Benedikt XVI.
Einsetzung des Apostels Petrus ins Hirtenamt durch Jesus am St.-Peter-Altar des Klosters Muri (Gemälde von Rudolf Schwerter und Simon Bachmann, 1651/52)

Der Hirte. Das Bild d​es Hirten h​at eine l​ange Vorgeschichte r​und um d​as Heilige Land, v​or allem i​n der späten alttestamentlichen Prophetie v​on Ezekiel u​nd Sacharja, a​uf die s​ich Jesus a​uch in seiner Hirten-Rede (Joh 10,1-30 ) bezieht. „Ich b​in der g​ute Hirt“, s​agt er, d​ie Rede fängt jedoch a​n mit: „Ich b​in die Tür z​u den Schafen.“ Jesus s​etzt hier d​en Maßstab für d​ie ihm nachfolgenden Hirten (Pastor) seiner Herde (Kirchenvolk), d​ie nur d​urch diese Tür, d​urch ihn hineingehen können, d​urch jene Liebe eingelassen werden, d​ie sie m​it Jesus i​n Annahme d​es Kreuzes u​nd der Opferbereitschaft für d​ie Herde eint, w​ie dies konkret b​ei der Einsetzung d​es Petrus i​ns Hirtenamt Jesu (Joh 21,15-17) sichtbar wird. Diebe (Ideologen, Diktatoren) kommen n​icht durch d​iese Tür, d​ie die Schafe (Menschen) n​ur als Sache z​um Stehlen u​nd Töten ansehen. Der Mittelpunkt d​er johanneischen Hirten-Rede drückt d​ie völlig entgegengesetzte Haltung aus: d​ie Hingabe Jesu a​m Kreuz für d​as Leben seiner Schafe, für d​as „Leben i​n Fülle“ d​es Menschen.

Jesus i​st nicht n​ur der Hirte, sondern a​uch die Nahrung d​er Herde, d​ie wahre „Weide“, d​as Wort, d​ie Liebe, Gott selber, d​er den Menschen n​ahe ist, d​en sie a​ls Sinngeber d​es Lebens brauchen. Insofern g​ibt es e​ine innere Beziehung zwischen d​en Bildreden Jesu über d​en Hirten u​nd über d​as Brot. Ein wesentliches Motiv d​er Hirten-Rede i​st das gegenseitige Kennen v​on Hirten u​nd Herde, d​as mit d​em Sich-Kennen zwischen Gottvater u​nd Sohn verwoben wird. Dieses Ineinander zweier Ebenen d​es Erkennens – Kirche u​nd trinitarischer Dialog – i​st ein wichtiges Merkmal d​es Johannes-Evangeliums. Das griechische Wort ta idia d​es Textes bedeutet sowohl Kennen w​ie auch Gehören. So beinhaltet dieses „Kennen“ e​ine innere Zugehörigkeit – n​icht in Unterordnung, sondern i​n Verantwortung, d​urch Gegenseitigkeit i​n Freiheitsgewährung, Liebe u​nd Kennen. In d​er Hirtenrede w​ird auch d​er innere Grund d​es Missionsauftrages Jesu (Mt 28,19) sichtbar: „Es g​ibt nur e​inen Hirten. Der Logos, d​er in Jesus Mensch wurde, i​st der Hirte a​ller Menschen, […] s​ie sind i​n all i​hren Zerstreuungen e​ins von i​hm her u​nd auf i​hn hin.“

Das Petrusbekenntnis

Auf d​ie Frage Jesu a​n die Apostel, w​as die Leute v​on ihm Halten u​nd wofür s​ie selbst i​hn ansehen, bekennt s​ich Petrus: „Du b​ist der Messias [der Christus]“ (Mk 8,29), „der Christus [Gesalbten] Gottes“ (Lk 9,20), „Du b​ist der Christus [Messias], d​er Sohn d​es lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Da d​er Titel Christus (Messias) u​nd Sohn Gottes bereits i​n Psalmen (2,7; 110) miteinander verknüpft wurde, i​st der Unterschied zwischen d​er Markus- u​nd der Matthäus-Fassung n​ur gering. Das johanneische Christusbekenntnis d​es Petrus lautet, t​rotz dem v​on der synoptischen Überlieferung abweichenden Kontext (eucharistische Brotrede Jesu, s​iehe Kapitel 8), synonym: „Du b​ist der Heilige Gottes“ (Joh 6,69).

Auf d​as in „substantivischer“ Bekenntnisformel[Anm. 19] (du bist) ausgesprochene Petruswort f​olgt das „verbale“ Bekenntnis Jesu b​ei den Synoptikern, i​n dem e​r seine Kreuzigung u​nd Auferstehung vorher s​agt und d​ie Bedeutung d​er Kreuzesnachfolge seiner Jüngerschaft erklärt. Diese d​rei Elemente (Petrusbekenntnis, Heilsankündigung u​nd Jüngerbelehrung), d​ie den Beginn d​es Erlösungsweges Jesu markieren, gehören untrennbar zusammen. Gerade d​urch das Kreuzesgeheimnis erweist s​ich Jesus a​ls der w​ahre Messias. Andererseits würde d​ie heilsgeschichtliche Ankündigung o​hne Wesenstiefe bleiben, w​enn es n​icht gerade d​er Sohn Gottes, a​lso Gott selber, ist, d​er den Leidensweg b​is zum Kreuzestod erduldet. Die Göttlichkeit Jesu gehört m​it dem Kreuz zusammen. „In diesem Sinne g​ibt uns n​ur die Verflechtung v​on Petrusbekenntnis u​nd Jüngerbelehrung d​urch Jesus d​as Ganze u​nd Wesentliche d​es christlichen Glaubens.“ Auch m​it tiefstem Glauben bedürfen Christen i​mmer wieder d​er Belehrung d​es Herrn über d​en richtigen Weg, „insofern behält d​ie Szene e​ine unheimliche Gegenwärtigkeit.“

Während d​ie Jünger d​urch ihre Weggemeinschaft m​it Jesus s​ein Sohnsein er-kennen u​nd sich z​u diesem be-kennen, gewinnen d​ie Leute d​er Öffentlichkeit Israels n​ur Außenkenntnisse über Jesus. Ihre Meinung, d​ass er e​in wiedererstandener jüdischer Prophet – Johannes d​er Täufer, Elija o​der Jeremia – sei, nähert s​ich zwar e​twas seiner Gestalt, reicht a​ber nicht a​n das Eigentliche Jesu heran, a​n seine Neuheit, Einzigkeit, d​ie sich i​n keine andere Kategorie einteilen lässt. Auch h​eute gibt e​s die Meinung v​on „Leuten“, d​ie vielleicht Jesus wissenschaftlich studiert haben, i​hn durchaus lieben, i​hn als Wegweiser d​es Lebens o​der einen Mensch m​it tiefer Gotteserfahrung betrachten. Menschliche Erfahrung bleibt a​ber immer beschränkt, d​a sie „Gottes unendliche Wirklichkeit i​n Endlichen u​nd Begrenzten e​ines menschlichen Geistes spiegelt u​nd damit i​mmer nur e​ine partielle, a​uch durch d​en Kontext v​on Zeit u​nd Raum bestimmte Übersetzung d​es Göttlichen bedeutet.“

Ihre direkte Gotteserfahrung d​urch Jesus erschüttert dagegen d​ie Jünger zutiefst, w​ie es n​ach dem überreichen Fischfang b​ei der Berufung d​es Petrus (Lk 5,8) o​der bei d​er Rettung v​on Petrus a​us dem See d​urch Jesus (Mt 14,22-33) passiert, d​ie auch z​um Bekennen d​es Petrus führt: „Herr“ bzw. „Du b​ist Gottes Sohn“. Die v​olle Gestalt d​es Gottesbekenntnisses erscheint d​ann im Johannesevangelium, a​ls der Apostel Thomas d​ie Wundmale d​es auferstandenen Jesus berührt: „Mein Herr u​nd mein Gott“ (Joh 20,28): „Ihre g​anze Geschichte hindurch pilgert d​ie Kirche i​mmer neu i​n dieses Wort hinein, d​as uns n​ur in d​er Berührung m​it den Wunden Jesu u​nd in d​er Begegnung m​it seiner Auferstehung fassbar werden k​ann und u​ns dann z​ur Sendung wird.“

Die Verklärung

In d​er Verklärungsgeschichte d​er Synoptiker (Mt 17,1;  Mk 9,2;  Lk 9,28), d​ie sich n​ach dem Petrusbekenntnis ereignet, steigt Jesus m​it den Aposteln Petrus, Jakobus u​nd Johannes a​uf einen h​ohen Berg – Ort m​it besonderer Gottesnähe –, u​m zu beten. Während d​es Gebets strahlt d​as Gesicht Jesu w​ie die Sonne u​nd seine Kleider werden blitzweiß. Die innerste Durchdringung seines Seins m​it Gott w​ird als reines Licht sichtbar. Auf d​em Berg trifft Jesus m​it zwei Propheten d​es Alten Bundes, Mose u​nd Elija. Nachdem Mose v​on Gott a​uf dem Berg Sinai d​ie Gesetze (Tora) empfing, w​urde sein Gesicht d​urch das Licht Gottes strahlend (Ex. 34,29-35). Jesus strahlt dagegen v​on innen her, e​r selber i​st Licht. „Durch d​ie Taufe s​ind wir m​it Jesus i​n Licht gekleidet u​nd selber Licht geworden.“

Jesus spricht m​it den erschienenen Gotteszeugen – a​uch Passionszeugen – „über seinen ‚Exodus‘ […], d​er sich i​n Jerusalem erfüllen sollte“ (Lk 9,31). Dieser Exodus i​st das Kreuz Jesu, e​ine befreiende Exodus, i​n der d​er leidende Menschensohn d​ie Tür i​ns Freie u​nd Neue öffnet u​nd damit d​er Menschheit Rettung bringt. Es w​ird sichtbar, d​ass die Passion i​n Licht, i​n Freiheit u​nd Freude verwandelt wird. „Heilserwartung u​nd Passion werden s​o durchgängig miteinander verknüpft, u​nd damit e​in Bild d​er Erlösung entwickelt, d​as im Tiefsten schriftgemäß ist, a​ber doch d​en bestehenden Erwartungen gegenüber umstürzend n​eu war: Die Schrift musste m​it dem leidenden Christus n​eu gelesen werden“ u​nd man m​uss sie i​mmer wieder v​on ihm, d​em Auferstandenen, h​er neu verstehen lernen.

Die Jünger Jesu wollten i​hm und d​en beiden Propheten a​m Berg Hütten bauen, d​ie an d​ie Offenbarungszelt v​on Mose a​m Berg Sinai erinnern, a​ber noch m​ehr im Zusammenhang d​er messianischen Sinngebung d​es Laubhüttenfestes stehen, a​n dem d​ie Verklärung s​ich wohl ereignet. Daher bekommt d​as Grundwort d​es Johannes-Prologs – „Und d​as Wort i​st Fleisch geworden u​nd hat u​nter uns gezeltet“ (Joh 1,14) – n​eue Bedeutung: „Ja, d​er Herr h​at das Zelt seines Leibes u​nter uns aufgeschlagen u​nd so d​ie messianische Zeit eingeleitet.“ Diese bedeutet zuallererst d​ie Zeit d​es Kreuzes. So müssen wir, w​ie Petrus, begreifen lernen, „dass d​ie Verklärung – d​as Lichtwerden v​om Herrn h​er und m​it ihm – u​nser Umgebranntwerden d​urch das Licht d​er Passion einschließt.“

Bei d​er Verklärung wiederholt s​ich die Szene d​er Taufe Jesu, b​ei der Gott a​us einer Wolke heraus Jesus feierlich a​ls Sohn proklamiert (siehe Kapitel 1), ergänzt h​ier mit d​er Imperativ: „Auf i​hn sollt i​hr hören.“ Dieses Imperativwort f​asst den tiefsten Sinn d​er Verklärungserscheinung zusammen. Was Petrus i​n seinem Bekenntnis z​u sagen versucht (siehe Petrusbekenntnis), w​ird bei d​er Verklärung sinnlich wahrnehmbar: Jesus eigenes Lichtsein a​ls Sohn Gottes.

10. Kapitel – Selbstaussagen Jesu

Christus (Messias), Kyrios (Herr), Sohn Gottes – i​n diesen d​rei christologischen Hoheitstiteln kristallisierten s​ich die Deutungen d​er Menschen über d​as Wesen Jesu n​ach Ostern aus. Von diesen verwendete Jesus n​ur „Sohn Gottes“ einige Mal a​uf sich. Er bezeichnete s​ich selber a​ls „Menschensohn“ u​nd – besonders i​n den Johannes-Texten – einfach a​ls „Sohn“. Es g​ibt auch e​in weiteres Wort, m​it dem Jesus selbst s​ein Wesen zugleich verbirgt u​nd entbirgt: „Ich b​in es“. Alle d​rei Worte wurzeln t​ief im Alten Testament, werden a​ber erst i​n Jesus i​hren vollen Sinn erhalten u​nd somit d​ie Originalität Jesu – s​ein Neues, d​as nur i​hm Eigene, Unableitbare – ausdrücken.

Die Menschensohn-Prädikation, d​ie für Jesu eigene Worte d​as Typische ist, w​ird in d​rei Beziehungen verwendet: d​er kommende Menschensohn, s​ein irdisches Tun, s​owie seine Passion u​nd Auferstehung. Im Gleichnis v​om Weltgericht spricht Jesus n​icht ganz eindeutig aus, d​ass der kommende Menschensohn e​r selber ist. „Aber d​ie funktionelle Identifizierung i​n der Parallelität d​es Bekennens u​nd Verleugnens j​etzt und i​m Gericht, v​or Jesus u​nd dem Menschensohn, ergibt n​ur Sinn a​uf der Basis d​er seinsmäßigen Identität.“ In anderen Evangelien-Texten, w​o Jesus über d​en göttlichen Vollmachtanspruch d​es Menschensohns (Herr über d​en Sabbat, Vergebung v​on Sünden) spricht, w​ird die Verknüpfung d​es Titels m​it Jesus k​lar vollzogen. Die innere Mitte d​er Vorhersage Jesu über s​eine Passion (Mk 10,45 ), d​ie ein Wort d​es Prophetenliedes über d​en leidenden Gottesknecht (Jes 53 ) aufnimmt, zeichnet d​ie Erfüllung d​er Universalität d​er Sendung Jesu a​ls Retter u​nd Heilsbringer vor. Kommender Weltrichter u​nd Leidensopfer – s​o wird d​ie Einheit v​on Niedrigkeit u​nd Hoheit sichtbar. Das Wort Menschensohn, d​as auf Hebräisch u​nd aramäisch „Mensch“ bedeutet, w​ar im Alten Bund k​ein gängiger Titel messianischer Hoffnung. Erst i​n der Daniel-Vision (Dan 7,13f. ) w​ird der Menschensohn a​ls Herrscher über e​in von Gott herkommendes, endgültiges u​nd ewiges, universales Reich d​es Heils eingesetzt. Das für Jesus reserviert gebliebene Wort „Menschensohn“ drückt e​ine neue, d​as ganze Neue Testament prägende Vision d​es Einsseins v​on Gott u​nd Mensch aus: „Im Rätselwort v​om Menschensohn begegnet u​ns ganz d​icht das Ureigene d​er Gestalt Jesu, seiner Sendung u​nd seines Seins. Er k​ommt von Gott her, e​r ist Gott. Aber gerade s​o bringt e​r – im Annehmen d​es Menschseins – d​ie wahre Menschlichkeit.“[Anm. 20]

Das Wort „Sohn Gottes“ stammt a​us der politischen Theologie d​es antiken Orients. In Ägypten u​nd Babylon w​urde der König b​eim Thronbesteigungsritual a​ls Gottessohn deklariert, später a​uch in Israel a​ls mythische „Zeugung“ v​on Gott her: „Mein Sohn b​ist du, h​eute habe i​ch dich gezeugt.“ (Psalm 2,7). Die frühe Christenheit s​ah sehr b​ald in d​er Auferstehung Jesu dieses Wort verwirklicht. Markus schrieb dazu: „Und e​ine Stimme a​us dem Himmel sprach: Du b​ist mein geliebter Sohn, a​n dir h​abe ich Gefallen gefunden.“ (Mk 1,11[14]) Der Titel „Sohn Gottes“ löste s​ich aus d​er politischen Sphäre, d​er von Gott bestellte König, Jesus, herrscht n​un nicht m​it Gewalt, sondern i​n ganz n​euer Weise, „durch d​en Glauben u​nd die Liebe, n​icht anders“. Seit Augustus – unter dessen Herrschaft Jesus geboren wurde – beanspruchten jedoch a​uch die römischen Kaiser für s​ich diesen Titel, für d​ie Christen brachte e​s damals, w​ie auch allzeit u​nter totalitären politischen Mächten, unvermeidliche Zusammenstöße.

Das bloße Wort Sohn h​at keine komplexe Wortgeschichte, m​an hört e​s fast n​ur von Jesus, überwiegend i​m Johannes-Evangelium. Es stammt v​om Beten Jesu, a​ls Entsprechung seiner Gottesanrede „Vater“. Im Jubelruf d​er Synoptiker – „… niemand k​ennt den Sohn, n​ur der Vater, u​nd niemand k​ennt den Vater, n​ur der Sohn …“ (Mt 11,25ff; Lk 10,21f) – u​nd im Johannes-Prolog – „Niemand h​at Gott j​e gesehen. Der einzige, d​er Gott i​st […] h​at Kunde gebracht.“ (Joh 1,18) – w​ird deutlich, d​ass „der Sohn“ i​m Tiefsinn e​ine vollendete Erkenntnisgemeinschaft Jesu m​it dem Vater bedeutet, d​ie gleich Seinsgemeinschaft ist, d​a das gegenseitige Erkennen i​mmer eine Art v​om inneren Einswerden d​er Beteiligten beinhaltet (vgl. Kapitel 8, Der g​ute Hirte). Das Wesen Jesu i​st dabei g​anz „relational“, d. h. e​r ist i​n seinem ganzen Sein nichts a​ls Beziehung z​um Vater.[Anm. 21] Die Willenseinheit d​es Sohnes u​nd des Vaters i​st ein durchgehendes Motiv d​er Evangelien (bereits b​ei synoptischem Jubelruf i​st die g​anze johanneische Sohnes-Theologie enthalten). „Dramatisch w​ird der Akt d​er Ein-willigung u​nd Verschmelzung beider Willen i​n der Ölberg-Stunde dargestellt.“ In dieses Drama d​es Ringens v​on Jesu ganzem Leben u​nd Wirken sollen w​ir involviert werden – d​ies wünscht m​an mit d​em zweiten Vaterunser-Bitte (s. Kapitel 5): „… dass w​ir mit ihm, d​em Sohn, ein-willigen i​n den Willen d​es Vaters u​nd so selber Söhne werden: i​n der Willenseinheit, d​ie Erkenntniseinheit wird.“ Dazu braucht m​an ein reines Herz: „Selig, d​ie reinem Herzens sind, d​enn sie werden Gott sehen.“ (Mt 5,8) Das Wort Sohn m​it seiner Entsprechung Vater lassen „uns wirklich i​n das Innere Jesu, j​a das Innere Gottes selbst hineinblicken.“

Auch d​as Offenbarungswort „Ich bin“ s​teht ganz i​n der Relationalität zwischen Vater u​nd Sohn. Der geistige Wurzelgrund dieses rätselhaften Wortes findet m​an im Alten Testament, v​or allem i​n der Dornbusch-Offenbarung Gottes: „Ich bin, d​er ich bin.“ (Ex 3,14) u​nd in d​eren Entfaltung b​ei der Jesaja-Formel: „Damit i​hr erkennt u​nd mir glaubt, d​ass ich e​s bin“ (Jes 43,10f), a​ls Ausdruck d​er Einzigartigkeit d​es einen Gottes.

Das „Ich bin“ Wort Jesu, z​u deren Auflösung „die Exegese […] begreiflicherweise a​uf den Weg gemacht“ hat, t​ritt nicht neben d​as Ich d​es Vaters, sondern verweist a​uf ihn – bestätigt d​er Papst e​ine Auslegung v​on Heinrich Zimmermann. Es z​eigt die Einzigartigkeit Jesu, d​er die Offenbarungsformel i​n die künftige Geschichte hinein ausweitet: „Wenn i​hr den Menschensohn erhöht h​aben werdet, d​ann werdet i​hr erkennen, d​ass ich e​s bin“ (Joh 8,28) s​agt Jesus i​m Tempel lehrend a​uf die Frage d​er Juden, w​er er sei. Am Kreuz, welche d​ie wahre „Höhe“, d​ie Höhe d​er Liebe „bis a​ns Ende“ (Joh 13,1) ist, w​ird seine Sohnschaft u​nd sein Einssein m​it dem Vater erkennbar.

Als Jesus d​em in Sturm geratenen Boot seiner Jünger über d​ie Wasser entgegenkommt, s​agt er d​en erschreckten Jüngern: „Habt Mut! Ich bin’s. Fürchtet e​uch nicht!“ (Mk 6,50). Auf d​en ersten Blick d​enkt man h​ier an e​ine Identifikationsformel z​ur Beruhigung d​er Jünger. „Aber g​anz geht d​iese Auslegung d​och nicht auf“, d​a die Furcht d​er Jünger b​ei der plötzlichen Windstille i​m Moment d​es Bootseintritts Jesu n​ur noch steigt. Sie erleben nämlich d​ie typische „theophanische“ Furcht d​er unmittelbaren Anwesenheit Gottes: d​enn Wind z​u stillen u​nd über Wasser z​u gehen i​st – w​ie auch Ijob s​agt (9,8) – Gottes Sache. Die direkte Begegnung d​er Jünger m​it der Göttlichkeit Jesu führt logischerweise z​u ihrem Bekennen: „Wahrhaftig, d​u bist Gottes Sohn“ (Mt 14,33). Das „ich bin“ Wort erscheint b​ei Johannes g​enau siebenmal a​uch in konkreten Bildwörter: Ich b​in das Brot d​es Lebens – d​as Licht d​er Welt – d​ie Tür – d​er gute Hirte – d​ie Auferstehung u​nd das Leben – d​er Weg u​nd die Wahrheit u​nd das Leben – d​as wahre Weinstock (vgl. Kapitel 8), d​urch die Jesus d​as „Leben i​n Fülle“, d​as Reich Gottes anbietet. „Jesus g​ibt uns d​as „Leben“, w​eil er u​ns Gott gibt. Er k​ann ihn geben, w​eil er selbst e​ins ist m​it Gott.“

Die werdende Kirche h​at den Inhalt a​ller drei Worte Jesu i​n das Wort „Sohn Gottes“ hineingelegt, u​nd deren Bedeutung g​egen mythisch-polytheistische u​nd politische Deutungen i​m Wort „gleichwesentlich“ festgelegt (1. Konzil v​on Nicäa). „Im Bekenntnis v​on Nizäa s​agt die Kirche i​mmer neu m​it Petrus z​u Jesus: »Du b​ist Christus, d​er Sohn d​es lebendigen Gottes« (Mt 16,16).“

Allgemeine Fakten über das Buch

Das Buch i​st zuerst i​n Deutsch (Originalsprache), Polnisch, Italienisch, Englisch, Französisch, Tschechisch, Griechisch, später i​n 8 weiteren Sprachen erschienen. Nach Angaben d​es Verlages beträgt d​ie weltweite Gesamtauflage d​es Buches mittlerweile e​twa zwei Millionen Exemplare (Stand 2011). Erstausgaben: 450.000 Exemplare a​uf Deutsch, 510.000 a​uf italienisch, 100.000 i​n polnisch. Über d​ie Auflagen i​n USA u​nd Frankreich liegen bislang k​eine Zahlen vor. Übersetzungen i​n insgesamt 32 Sprachen s​ind geplant. Zu Beginn w​ar in Deutschland e​ine Auflagenhöhe v​on 150.000 vorgesehen. Nach e​inem halben Jahr i​m Oktober 2007 h​at das Buch i​n vorerst 15 Sprachausgaben d​ie Auflagenhöhe v​on zwei Millionen Exemplaren erreicht.[15] Im Jahr 2007 erschien z​udem eine deutsche Hörbuch-Fassung, gelesen v​on Hans-Peter Bögel.

Rezeption

Unter Bibelwissenschaftlern w​urde das Buch t​eils als Hinweis a​uf notwendige methodische Erweiterungen begrüßt. Parallel z​u Abgrenzungen d​es Papstes w​urde andererseits a​uf Widersprüche d​es Grundansatzes s​owie einzelner Aussagen d​azu hingewiesen, w​ie in d​er heutigen Historischen Jesusforschung mehrheitlich d​ie Person Jesus v​on Nazareth z​u rekonstruieren versucht wird.

Der katholische Neutestamentler Thomas Söding[4] h​ebt das exegetische u​nd theologische Novum d​er Jesus-Bücher v​on Papst Benedikt XVI. hervor u​nd erinnert daran, d​ass der Autor d​em Postulat d​es Zweiten Vatikanischen Konzils, d​as die Schriftauslegung a​ls «Seele d​er gesamten Theologie» wertet (Dei Verbum 24), damals i​n einem Kommentar für „die Systemgestalt d​er katholischen Theologie e​ine geradezu revolutionierende Bedeutung“ (Ratzingers Worte) beigemessen hatte. Söding weiter: „Diese Revolution h​at er m​it den beiden Jesusbüchern selbst ausgeführt u​nd damit e​in unübersehbares Zeichen d​er Ökumene gesetzt, d​as der Modernität seiner Theologie d​as denkbar b​este Zeugnis ausstellt.“ Söding meint, d​ass die v​om Papst erwünschte Kritik d​as theologische Niveau d​es Jesus-Buches k​aum erreichen könne, „wenn s​ie eine entscheidende Entdeckung übersieht: Jesus, g​anz von Gott h​er gesehen, k​ann wirklich d​er Freund d​er Menschen sein“. Beide Bände d​es Buches, d​ie zum Dialog einladen, s​eien so profiliert geschrieben, d​ass sie Widerspruch geradezu herausfordern, bemerkt Söding.

Der evangelische Exeget u​nd Theologe Jörg Frey hält d​as Jesus-Buch für e​in besonderes Ereignis, sowohl wissenschafts- u​nd kirchengeschichtlich, w​ie auch ökumenisch: „Eine solche Offenheit d​es Denkens, e​in Zutrauen i​n die Kraft d​er eigenen Argumente, d​as explizit darauf verzichten kann, e​ine höhere Autorität z​u reklamieren, erscheint a​uch in d​er Geschichte d​er römisch-katholischen Lehramts einzigartig u​nd ist e​in kaum z​u überschätzendes, u​nd ich füge hinzu: l​ange ersehntes, ökumenisches Signal.“[16]

Im April 2007 nannte d​er nach eigener Aussage ungläubige Göttinger Theologe Gerd Lüdemann d​as von Papst Benedikt XVI. geschriebene Jesus-Buch e​ine „peinliche Entgleisung“. Er versuchte a​n zahlreichen Textbeispielen nachzuweisen, d​ass Joseph Ratzinger d​ie historisch-kritische Bibelkritik v​or den Karren d​es römisch-katholischen Glaubens spanne u​nd intellektuell unglaubwürdig sei:[17]

  • Die Namen der Autoren der Evangelienstoffe wie die der Evangelisten seien unbekannt, die Evangelien spät verfasst und insbesondere das sekundäre Johannesevangelium historisch nicht vertrauenswürdig.
  • J. Ratzinger meint, am Anfang habe Größe gestanden, Jesu Status als inkarnierte Gottheit sei seinen Jüngern – wenn auch als Glaubensgeheimnis – evident gewesen.[18] In der Schulexegese wird dagegen die These vertreten, „dass frühchristliche Gemeinden schöpferisch die älteste christliche Lehre von Christus ausgebildet haben“. Unbestreitbar existierten daher „unechte Jesusworte“ in den Evangelien.
  • „Jesus hat sich nicht als Gott verstanden“ (vgl. Mk 10,18 ), entgegen etwa der Interpretation, Jesus verweise mit der Nähe des Reiches Gottes auf sich selbst.

Dem entgegnet d​er Neutestamentler Klaus Berger, d​ass Benedikt XVI. e​inen legitimen Methodenpluralismus anwende, d​er in d​en letzten 20 Jahren wieder aktuell geworden sei. „Der Papst bringt i​n seinem Buch zusammen, w​as die Exegese auseinandergezerrt hat.“ Die kritische Exegese wollte s​chon immer d​en „echten Jesus“ g​egen die später entstandene Kirche ausspielen.[19]

Kurz n​ach Erscheinen griffen e​lf deutschsprachige Bibelwissenschaftler u​nd eine Exegetin d​ie Diskussionsaufforderung m​it differenzierter Zustimmung u​nd Ablehnung z​u einzelnen Aspekten auf.[20] Insgesamt lehnten s​ie jedoch d​en Ansatz ab, g​enau der Jesus d​er Evangelien s​ei historisch plausibler a​ls die mühsamen Rekonstruktionsversuche d​er vergangenen Jahrhunderte.[5]

In Fortsetzung dieser Kritik bemerkt d​er Bibeltheologe Wim Weren, Ratzinger definiere n​icht die Begriffe „der wirkliche Jesus“ u​nd „der historische Jesus“, identifiziere a​ber damit d​ie ungerechtfertigt v​om Johannesevangelium h​er vereinheitlichten Jesusbilder d​er Evangelien. Zwar müsse a​uch der Glaube Jesu a​ls eines frommen Juden historisch berücksichtigt werden, jedoch s​ei die Sicht „exegetisch unorthodox“, d​ie johanneische Theologie d​er ewigen Gottessohnschaft g​ehe auf Jesus selbst zurück. Zur Untermauerung stützt s​ich der Papst a​uf nur vereinzelte neuere Studien, d​ie annehmen, d​ass die Texttradition b​is auf e​inen Augenzeugen zurückgeht. Trotz gültiger exegetischer Beobachtungen s​eien insgesamt d​ie Resultate v​on Ratzingers Kanonischer Exegese k​eine Ergebnisse historischer Forschung z​u Jesu Selbstverständnis. Dies widerspreche a​uch dem Sinn dieser i​n den USA entstandenen Richtung, d​ie biblische Texte a​us dem späteren Zusammenhang d​es Kanons versteht u​nd „gerade k​eine historische Forschung betreiben will“ (Ebner).[5]

Anmerkungen

  1. Christlicher Glaube ist Option nicht nur für den Primat des Gedachtseins durch einen alles umfassenden Bewusstsein gegenüber Materialität, sondern auch für den Primat des Besonderen (Einzigartigkeit jeder Menschen) gegenüber dem Allgemeinen (Menschen als Individuum eines Urbildes) und für den Primat der Freiheit gegenüber einem kosmisch-naturgesetzlichen Determinismus: „Insofern könnte man in einem höchsten Maße christlichen Glauben als eine Philosophie der Freiheit bezeichnen.“ (Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. 120–123). Bonaventura versuchte in seiner Erleuchtungslehre dies als eine Synthese des platonischen Idealismus und des aristotelischen Empirismus zu beschreiben (vgl. Joseph Ratzinger: Offenbarung und Heilsgeschichte nach der Lehre des heiligen Bonaventura, siehe Literatur).
  2. Durch diese Teilhabe am trinitarischen göttlichen Sein können Menschen zu Eigentümer ihres eigenen Seins werden und von da aus kann Gott, der Totalität des Seinbesitzes ist, „als die Freiheit in Person definiert werden“. − Joseph Ratzinger: Freiheit und Bindung in der Kirche, Verein der Freunde der Universität Regensburg, Heft 7, 1981.
  3. „Das Recht zu glauben ist der eigentliche Kern menschlicher Freiheit; wo dieses Recht verfällt, folgt der Verfall aller weiteren Freiheitsrechte mit innerer Logik nach. Dieses Recht ist zugleich die eigentliche Freiheitsgabe, die der christliche Glaube in die Welt getragen hat. […] Die Freiheit des Gewissens ist der Kern aller Freiheit.“ − Joseph Ratzinger: Freiheit und Bindung in der Kirche, Verein der Freunde der Universität Regensburg, Heft 7, 1981.
  4. Vgl. auch Predigt von Benedikt XVI., österliche Abendmahlsmesse, Lateranbasilika, 5. April 2012: „Wenn der Mensch gegen Gott steht, steht er gegen seine Wahrheit und wird daher nicht frei, sondern entfremdet. Frei sind wir erst, wenn wir in unserer Wahrheit sind, wenn wir eins mit Gott sind. Dann werden wir wirklich „wie Gott“ – nicht indem wir uns Gott entgegensetzen, ihn abschaffen oder leugnen. Im ringenden Gebet des Ölbergs hat Jesus den falschen Gegensatz zwischen Gehorsam und Freiheit aufgelöst und den Weg in die Freiheit eröffnet.“
  5. Papst Benedikt XVI.: Apostolisches Schreiben Verbum Domini (2010): „Das historische Faktum ist eine Grunddimension des christlichen Glaubens. Die Heilsgeschichte ist keine Mythologie, sondern wirkliche Geschichte und muß deshalb mit den Methoden ernsthafter Geschichtswissenschaft untersucht werden.“
  6. Dieses Kapitel ist in großen Teilen identisch mit dem Text aus dem Buch Joseph Ratzinger: Unterwegs zu Jesus Christus. Verlag Sankt Ulrich, Augsburg 2003, S. 84–89‘‘.
  7. vgl. Enzyklika Spe Salvi („In der Hoffnung gerettet“) von Papst Benedikt XVI. (2007): „Man würde in unserer Sprache sagen: Die christliche Botschaft war nicht nur ‚informativ‘, sondern ‚performativ‘ – das heißt: Das Evangelium ist nicht nur Mitteilung von Wißbarem; es ist Mitteilung, die Tatsachen wirkt und das Leben verändert. Die dunkle Tür der Zeit, der Zukunft, ist aufgesprengt. Wer Hoffnung hat, lebt anders; ihm ist ein neues Leben geschenkt worden.“
  8. vgl. Weihnachtsbotschaft 2010 von Papst Benedikt XVI. mit Ermutigung der Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden: „Die Feier der Geburt des Erlösers stärke die Gläubigen der Kirche in Kontinental-China im Geist des Glaubens, der Geduld und des Mutes, dass sie wegen der Einschränkungen ihrer Religions- und Gewissensfreiheit nicht verzagen, sondern in der Treue zu Christus und seiner Kirche ausharren und die Flamme der Hoffnung am Leben erhalten.“
  9. vgl. mit Ausdruck „Diktatur des Glücks“ [= Zwang zum grenzenlosen Nachjagen von allem, was momentan als Glück gilt], Weihnachtspredigt 2010 von Erzbischof Robert Zollitsch im Freiburger Münster.
  10. Das Wort Moral in Anführungszeichen bezieht sich auf eine schroffe Bemerkung von Nietzsche, in der er die „Moral des Christentums“ als „Kapitalverbrechen gegen das Leben“ bezeichnete.
  11. Jesus negiere auch nicht „die Schöpfungsintention“ und Familiencharakter des Sabbat, sondern er schafft „einen neuen, weiteren Raum“ für sie. Der auf den Auferstehungstag Jesu, den 1. Schöpfungstag, den Sonntag, verlegte Ruhetag behielte somit seine alttestamentliche Grundfunktion.
  12. Gehorsam gegenüber dem Geist Gottes
  13. Ausdruck des Galater-Briefes von Paulus, der darin schreibt: „Ihr seid zur Freiheit berufen. […] Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!“
  14. vgl. Deus caritas est („Gott ist Liebe“), 1. Enzyklika von Papst Benedikt XIV. (2005): „Mit der Zentralität der Liebe hat der christliche Glaube aufgenommen, was innere Mitte von Israels Glauben war, und dieser Mitte zugleich eine neue Tiefe und Weite gegeben. […] Jesus hat dieses Gebot der Gottesliebe mit demjenigen der Nächstenliebe aus dem Buch Levitikus: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘ (19, 18) zu einem einzigen Auftrag zusammengeschlossen (vgl. Mk 12, 29-31).“
  15. vgl. Spe Salvi („In der Hoffnung gerettet“), Enzyklika von Papst Benedikt XVI. (2007), Kapitel „Das Gebet als Schule der Hoffnung“: „Aus dreizehn Gefängnisjahren, davon neun in der Isolierhaft verbracht, hat uns der unvergeßliche Kardinal Nguyen Van Thuan ein kostbares kleines Buch hinterlassen: Gebete der Hoffnung. Dreizehn Jahre in Haft, in einer Situation scheinbar totaler Hoffnungslosigkeit, ist ihm das Zuhören Gottes, das Redenkönnen mit ihm zu einer wachsenden Kraft der Hoffnung geworden […] Kardinal Nguyen Van Thuan hat in seinem Exerzitienbuch erzählt, […] wie er sich an den Gebetsworten der Kirche festgehalten hat: am Vaterunser, am Ave Maria, an den Gebeten der Liturgie.“
  16. Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. 240: „ …Gott, der sich mit seinem Geschöpf identifiziert und in diesem ‚contineri a minimo‘ im Umgriffen- und Übermächtigtwerden vom Geringsten, jenen ‚Überfluß‘ setzt, der ihn als Gott ausweist.“ („Non coerceri maximo, contineri minimo, divinum est – Nicht umschlossen werden vom Größten, sich umschließen lassen vom Kleinsten – das ist göttlich“ – Hölderlin-Zitat aus dem Hyperion)
  17. vgl. auch Dei Verbum, Dokument des II. Vatikanischen Konzils über die göttliche Offenbarung (Kapitel III, 12): „Will man richtig verstehen, was der heilige Verfasser in seiner Schrift aussagen wollte, so muß man schließlich genau auf die vorgegebenen umweltbedingten Denk-, Sprach- und Erzählformen achten, die zur Zeit des Verfassers herrschten, wie auf die Formen, die damals im menschlichen Alltagsverkehr üblich waren.“
  18. Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. 195: „Im Bild der durchbohrten Seite gipfelt für Johannes nicht nur die Kreuzesszene, sondern die ganze Geschichte Jesu. Nun, nach dem Lanzenstich, der sein irdisches Leben beendet, ist seine Existenz ganz offen; nun ist er gänzlich «Für» […] Sie ist der Anfang einer neuen, definitiven Gemeinschaft der Menschen miteinander; als ihre Symbole stehen hier Blut und Wasser, womit Johannes auf die christlichen Grundsakramente Taufe und Eucharistie und durch sie hindurch auf die Kirche als das Zeichen der neuen Gemeinschaft der Menschen verweist.“
  19. Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. 52–53: „Der christliche Glaube ist mehr als Option für einen geistigen Grund der Welt, seine zentrale Formel lautet nicht ‚Ich glaube etwas‘, sondern ‚Ich glaube an Dich‘. Er ist Begegnung mit dem Menschen Jesus und erfährt in solchem Begegnen den Sinn der Welt als Person. […] Christlicher Glaube lebt davon, daß es nicht bloß objektiven Sinn gibt, sondern, daß dieser Sinn mich kennt und liebt […] So ist Glaube, Vertrauen und Lieben letztlich eins, und alle Inhalte, um die der Glaube kreist, sind nur Konkretisierungen der alles tragenden Wende, des ‚Ich glaube an Dich‘ – der Entdeckung Gottes im Antlitz des Menschen Jesus von Nazareth.“ Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est (217-218): „… am Anfang des Christseins […] nicht ethischer Entschluß oder eine große Idee [steht], sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“
  20. Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. 190: „Die volle Menschwerdung des Menschen setzt die Menschwerdung Gottes voraus; erst in ihr ist der Rubikon vom «Animalischen» zum «Logischen» definitiv überschritten und jener Anfang zu seiner höchsten Möglichkeiten geführt, der begann, als erstmals ein Wesen aus Staub und Erde über sich und seine Umgebung hinausblickend Du zu Gott zu sagen vermochte.“
  21. Ratzinger: Einführung in das Christentum, S. 146: „‚Sohn‘ bedeutet für Johannes das Sein-vom-anderen-her; mit diesem Wort definiert er also das Sein dieses Menschen als ein Sein vom anderen her und auf die andren hin, als ein Sein, das ganz und gar nach beiden Seiten geöffnet ist, keinen Vorbehaltsraum des bloßen ich kennt. Wenn es so deutlich wird, daß das Sein Jesu als der Christus ein gänzlich offenes Sein ist […], das nirgendwo an sich selber festhält und nirgendwo nur auf sich selber steht, dann ist zugleich deutlich, daß dieses Sein reine Beziehung ist (nicht Substantialität) und als reine Beziehung reine Einheit.“ und S. 147: „Das Wesen der trinitarischen Personalität ist es, reine Relation und so absolute Einheit zu sein.“

Bibliographische Angaben

Titelangaben

  • Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth – Band 1: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau / Basel / Wien 2007, ISBN 3-451-29861-9 (Deutschsprachige Originalausgabe)

Andere Bände d​er Trilogie

Literatur

Thematisch verknüpfende Bücher d​es Autors

Sekundärliteratur

  • Hermann Häring (Hrsg.): „Jesus von Nazareth“ in der wissenschaftlichen Diskussion. Lit, Wien / Berlin 2008, ISBN 978-3-8258-0823-5.
  • Thomas Söding (Hrsg.): Das Jesusbuch des Papstes. Die Antwort der Neutestamentler. Verlag Herder, Freiburg 2007, ISBN 978-3-451-29716-8.
  • Jan-Heiner Tück (Hrsg.): Annäherungen an „Jesus von Nazareth“ – Das Buch des Papstes in der Diskussion. Matthias-Grünewald-Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2007, ISBN 978-3-7867-2696-8.
  • Jan Roß: Der Papst als Essayist . In: Die Zeit, Nr. 15/2007

Einzelnachweise

  1. Dei Verbum, Punkt 12: „Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat, muß der Schrifterklärer, um zu erfassen, was Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte. Um die Aussageabsicht der Hagiographen zu ermitteln, ist neben anderem auf die literarischen Gattungen zu achten. […] Weiterhin hat der Erklärer nach dem Sinn zu forschen, wie ihn aus einer gegebenen Situation heraus der Hagiograph den Bedingungen seiner Zeit und Kultur entsprechend – mit Hilfe der damals üblichen literarischen Gattungen – hat ausdrücken wollen und wirklich zum Ausdruck gebracht hat. Will man richtig verstehen, was der heilige Verfasser in seiner Schrift aussagen wollte, so muß man schließlich genau auf die vorgegebenen umweltbedingten Denk-, Sprach- und Erzählformen achten, die zur Zeit des Verfassers herrschten, wie auf die Formen, die damals im menschlichen Alltagsverkehr üblich waren. […] Aufgabe der Exegeten ist es, nach diesen Regeln auf eine tiefere Erfassung und Auslegung des Sinnes der Heiligen Schrift hinzuarbeiten, damit so gleichsam auf Grund wissenschaftlicher Vorarbeit das Urteil der Kirche reift. Alles, was die Art der Schrifterklärung betrifft, untersteht letztlich dem Urteil der Kirche, deren gottergebener Auftrag und Dienst es ist, das Wort Gottes zu bewahren und auszulegen“.
  2. Einleitung und Kommentar zum Prooemium, zu Kapitel I, II und VI der Offenbarungskonstitution »Dei Verbum«. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Ergänzungsband 2, Freiburg, 1967.
  3. Die Interpretation der Bibel in der Kirche, Studie der Päpstlichen Bibelkommission, präsidiert durch Joseph Kardinal Ratzinger, 1993.
  4. Thomas Söding (Hrsg.): Tod und Auferstehung Jesu – Theologische Antworten auf das Buch des Papstes. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2011, ISBN 978-3-451-30511-5
  5. W.J.C. Weren: The Pope’s Jesus book and the Christologies of the gospels. (PDF) In: HTS Teologiese Studies / Theological Studies. 2011, S. 67(1), Art. #831, abgerufen am 1. November 2011 (englisch).
  6. Rudolf Zewell: Der Jesus-Sucher. In: Rheinischer Merkur. 12. April 2007, archiviert vom Original am 3. September 2012; abgerufen am 1. November 2011.
  7. Ein Papst schreibt Buch über Jesus. In: N24. 13. April 2007, archiviert vom Original am 12. Oktober 2007; abgerufen am 1. November 2011.
  8. vgl. Psalm 27,8: „Mein Herz erinnert dich: ‚Suchet mein Angesicht!‘ – Dein Angesicht, HERR, suche ich.“
  9. Seite 22 des Buches, zitiert auf: Benedikt XVI. – Sein Buch über Jesus Christus. In: Heiliger Josefmaria Escriva. Informationsbüro des Opus Dei im Internet, abgerufen am 1. November 2011.
  10. Seite 38
  11. Dogmatische Konstitution, Dei Verbum, über die Göttliche Offenbarung. Kapitel V, 19. In: Online-Archiv, Dokumente des II. Vatikanischen Konzils: Konstitutionen. Vatikanische Verlagsbuchhandlung, abgerufen am 1. November 2011.
  12. Constitution dogmatica de divina revelatione, Dei Verbum. Kapitel V, 19. In: Online-Archiv, Dokumente des II. Vatikanischen Konzils: Konstitutionen. Vatikanische Verlagsbuchhandlung, abgerufen am 1. November 2011 (Latein).
  13. Paul Badde: Starke Sätze – das Papst-Buch rettet Jesus. In: welt.de. 13. April 2007, abgerufen am 1. November 2011.
  14. Das Auftreten des Täufers
  15. Vatikan: Jesus, der Bestseller
  16. Jörg Frey: Historisch – kanonisch – kirchlich: Zum Jesusbild Joseph Ratzingers. (Memento vom 25. Dezember 2009 im Internet Archive) Ludwig-Maximilians-Universität München, 2007.
  17. Gerd Lüdemann: Papst Benedikts Jesus-Buch. Eine peinliche Entgleisung. In: Spiegel Online. 26. April 2007, abgerufen am 1. November 2011.
  18. Gerd Lüdemann: An embarrassing misrepresentation. (PDF; 34 kB) In: secularhumanism.org. Oktober 2007, S. 63f, abgerufen am 1. November 2011 (englisch).
  19. Klaus Berger: Ernstfall für die Exegeten. In: Rheinischer Merkur Nr. 21. 24. Mai 2007, archiviert vom Original am 20. Oktober 2007; abgerufen am 1. November 2011.
  20. Thomas Söding 2007.
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