Interventionistische Linke
Die Interventionistische Linke (IL) ist eine vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtete und von diesem als „linksextremistisch“ eingestufte Organisation. Die IL hat laut Verfassungsschutz rund 1000 Mitglieder in 33 Ortsgruppen.[1] Sie wurde zum Jahreswechsel 2005 als Bündnis aus rund 30 deutschen und österreichischen Ortsgruppen sowie Einzelpersonen gegründet.[2]
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Die Interventionistische Linke beschreibt sich selbst als „multizentrische postautonome Organisation“, welche die „Abschaffung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ anstrebe und sich damit auf Karl Marx beruft.[3]
Gründungsphasen
Bereits 1999 fanden erste Kooperationen der späteren Bündnispartner statt, mit dem Ziel, „nach der misslungenen linksradikalen Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Köln“ den „Tiefpunkt“ der radikalen Linken in Deutschland zu überwinden.[4] Diese erste Phase der Gründung dauerte bis 2004, eine zweite Phase dauerte von 2004 bis zum ersten Großereignis, den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007, als die IL nach eigenen Angaben „erstmals in der Praxis erleb- und wahrnehmbar wurde.“[3]
Nachdem bundesweit schon einige IL-Gruppen existierten, wurde spätestens mit Auflösung der Antifaschistischen Linken Berlin[5] und Transformation von Avanti – Projekt undogmatische Linke[6] im September 2014 die IL von einem Bündnisprojekt zu einem prägenden Akteur der radikalen Linken.[7]
Am 21. Mai 2015 gab auch die Gruppe Für eine linke Strömung (FelS) ihr Aufgehen in der nun zur Organisation gewordenen Interventionistischen Linken bekannt.[8][9]
Theoretische Grundlagen
Nach einem mehrjährigen Diskussionsprozess veröffentlichte die IL 2014 das sogenannte „Zwischenstandspapier“, in dem ihre Ziele genauer theoretisch bestimmt wurden. Demnach möchte die IL eine Linke sein, die „selbstbewusst und sprechfähig in politische Kämpfe eingreift und fähig ist, auch außerhalb ihrer Subkulturen, Kieze und Freiräume zu agieren.“ Dem voraus ging eine längere Selbstkritik der sogenannten autonomen Linken, die in einen Appell für eine „post-autonome“ Linke mündete, welche sich für breitere gesellschaftliche Bündnisse öffnen solle statt in politischen Nischen zu verharren, wie es in den 1990er Jahren der Fall gewesen sei.[10] Das Zwischenstandspapier erklärt „Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus insgesamt“ zu Gegnern der IL. Diese wolle man bekämpfen und „immer wieder neue Allianzen“ suchen und „lieber Fehler machen und aus ihnen lernen, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu verlieren.“ Diese Position gilt als Abgrenzung zu verschiedenen linksradikalen Strömungen, die hauptsächlich Texte verfassten, ohne gesellschaftspolitisch aktiv zu werden und meist eine resignierende Haltung einnähmen, beispielsweise Teile der sogenannten Antideutschen Linken. Im Gegensatz zu Gruppen wie Marx21 betätigt sich die IL nicht in der Linkspartei, sondern versteht sich als außerparlamentarische Opposition.
In der Wahl ihrer Mittel dazu sieht sich IL in der Tradition von Karl Marx. Sie setzt auf „den revolutionären Bruch“, um „alle Formen von Unterdrückung, Entrechtung und Diskriminierung“ zu überwinden.[3] Gleichwohl wurde ihr wiederholt, zum Beispiel von der Interim, vorgeworfen, sozialdemokratisch-reformistisch und nicht revolutionär genug zu sein.
Hauptprojekte
Zu den bundesweiten Hauptprojekten der IL gehörten bzw. gehören der G8-Gipfel in Heiligendamm, Castor Schottern, Stopp Nato, Ende Gelände und Dresden Nazifrei. Die IL war Mitglied im Bündnis „No Pasarán“ gegen den Dresdner Naziaufmarsch. Die IL ist Mitglied im Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“, das sich gegen die AfD und Pegida wendet[11] und im Bündnis „What the Fuck“, das sich gegen den „Marsch für das Leben“ richtet.[12] Die IL hat den ersten „Welcome-to-stay“-Kongress initiiert und ist Mitglied im gleichnamigen Bündnis.[13]
Die Ortsgruppe Berlin ist Mitglied in Bündnissen zur Aufklärung der Verbrechen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds NSU.[14]
Neben den bundesweiten Kampagnen verfolgen die Ortsgruppen eigene Vorhaben. In den größeren Ortsgruppen gibt es Arbeitsschwerpunkte zu verschiedenen Themen, unter anderem: Queer/Feminismus, Recht auf Stadt/Stadt für alle, Soziale Kämpfe, Antifaschismus und Antirassismus, Klimawandel und Umwelt, Rojava/Kurdistan-Solidarität und Welcome-to-stay (praktische Hilfe für Geflüchtete).
Bewertung durch den Verfassungsschutz
Das Bundesamt für Verfassungsschutz bewertet die Interventionistische Linke als „bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen ‚Organisierung‘ autonomer Gruppierungen und Aktivisten“. Dieses Ziel sei mit der Publikation eines „Zwischenstandspapiers“ im Oktober 2014 weitgehend erreicht worden, so dass es sich nunmehr um eine bundesweite Organisation handele. Diese bemühe sich „in Bündnissen und Initiativen um eine kampagnenorientierte Zusammenführung linksextremistischer Akteure unterschiedlicher ideologischer Prägung zugunsten einer erhöhten Handlungsfähigkeit sowohl in Deutschland als auch in internationalen Kampagnen“. Die Gruppe fungiere dabei „als Scharnier zwischen militanten Gruppierungen und nicht gewaltorientierten Linksextremisten beziehungsweise nicht extremistischen Gruppen und Initiativen“. Die Interventionistische Linke besitze ein taktisches Verhältnis zu Gewalt und verfolge das Ziel „die Gesellschaft im Interesse eigener, breiterer Aktionsmöglichkeiten zu radikalisieren“.[15]
Beteiligung an Protesten
Beteiligung bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm
Unter Mitwirkung der IL nahm laut Die Zeit bei dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 – unter anderem – ein Schwarzer Block unter dem Motto Make capitalism history auf der Großdemonstration am 2. Juni 2007 in Rostock teil, von dem laut Zeitungsbericht die Ausschreitungen ausgingen.[16] Die IL bestritt das: „Die Polizei hat von sich aus geprügelt und dadurch die Situation bewusst eskalieren lassen.“[16] Laut Berliner Verfassungsschutz hatte die IL explizit „das Ziel, die Proteste anlässlich des G8-Gipfels zu radikalisieren. Dies sei ein notwendiger Schritt zur Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Allerdings formuliert die IL in eigenen Worten nicht das Ziel, die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ zu überwinden, sondern „Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus“.[17] Zum G8-Gipfel schrieb die IL: „In der Radikalisierung und Ausweitung all dieser Initiativen wird sich letztendlich auch die Frage nach einem Bruch mit dem klassenherrschaftlichen, patriarchalen, rassistischen und imperial(istisch)en System und die Eigentumsfrage neu stellen. […] Für eine Linke, die in den offenen wie untergründigen sozialen Konflikten und in all ihren widersprüchlichen Verlaufsformen den Ansatzpunkt wie das Potenzial für jede Form revolutionärer Gesellschaftsveränderung sieht, wird es jedoch darauf ankommen, diesen Konflikten in und um Heiligendamm zum Ausdruck zu verhelfen. […] Ob und inwieweit der G8-Gipfel zum Bezugs- oder gar zum Kristallisationspunkt der Klassenauseinandersetzungen hier zu Lande gemacht werden kann, ist auch ein Maßstab für die momentane tatsächliche sozialrevolutionäre Bedeutung der radikalen Linken.“[18]
Die IL war laut Verfassungsschutzbericht „bestrebt, ein möglichst breites Bündnis unter Einschluss von Gewerkschaften und kirchlichen Gruppierungen zu organisieren, um ein großes Protestpotenzial mobilisieren zu können“.[18]
Beteiligung an den Protesten gegen Atommülltransporte
Anlässlich der Castor-Transporte aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in das Atommülllager Gorleben 2010 und 2011 organisierte die Interventionistische Linke mit anderen Gruppen aus dem autonomen Spektrum die Kampagne „Castor? schottern!“.[19]
Beteiligung bei den Protesten gegen den Braunkohletagebau
Die IL beteiligte sich am Bündnis „Ende Gelände“. Der IL gelang es dabei, wie der Verfassungsschutz attestiert, „mithilfe von Aktionsbündnissen tagespolitische Themen aufzugreifen und [sich] in der Szene als Agitationsschwerpunkt zu etablieren.“ Sie war „maßgeblich an der Organisation und Mobilisierung zu den Aktionstagen beteiligt“ und erwies „sich als zuverlässiger und aktiver Partner“ im Bündnis. Nach Angaben des Verfassungsschutzes „wertete auch die IL die Protestaktion als großen Erfolg und sieht Anknüpfungspunkte für weitere Aktionen.“[20]
Beteiligung an den Protesten gegen das Treffen der G20 in Hamburg
Die IL beteiligte sich am Bündnis gegen das G20-Treffen sowie an der Planung und Durchführung von mehreren Demonstrationen rund um die Gipfeltage.[21] Auch an der Aktion Block G20, die zum Ziel hatte die Zufahrtswege zum Gipfel-Austragungsort zu blockieren, war die IL beteiligt.[22] Für Kontroversen sorgte vor, während und nach den Gipfeltagen, dass die IL sich nicht klar von militanten Gipfelgegnern und Ausschreitungen distanzierte.[23][24]
Struktur
Mitgliedergruppen
Die Interventionistische Linke hatte im August 2017 nach eigenen Angaben Ortsgruppen in folgenden Städten und Regionen: Aschaffenburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Freiburg, Göttingen, Graz, Halle, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Heilbronn, Hiltrup, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Köln, Leipzig, Lübeck, Mannheim, Marburg, München, Münster, Norderstedt, Nürnberg, Rhein-Neckar, Rostock, Ruhrgebiet, Tübingen, Wien und Worms.[25] Die Redaktion der Zeitung analyse & kritik steht der IL nahe.
Regionale Namensgebung
Im Zwischenstandspapier der Interventionistischen Linken wird das Ziel formuliert, sämtliche Ortsgruppen in Interventionistische Linke Stadt umzubenennen und, falls vorhanden, mehrere Ortsgruppen einer Stadt zu vereinen.[26] Dies ist noch nicht überall geschehen: In Freiburg tritt die IL als Antifaschistische Linke Freiburg, in Marburg als Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t., in Göttingen als Antifaschistische Linke International sowie als Basisdemokratische Linke, in Düsseldorf als I Furiosi sowie als see red! auf.
In der IL aufgegangene Gruppen
- Antifaschistische Linke Berlin (ALB) (Auflösung und Beitritt eines Teils der ehemaligen Mitglieder in die Berliner Ortsgruppe der IL, September 2014)
- Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] (in die IL Hannover aufgegangen,[27])
- attac-campus Bochum
- Avanti – Projekt undogmatische Linke (Transformation in die IL, September 2014[6])
- Für eine linke Strömung (Beitritt zur Berliner Ortsgruppe der IL, Mai 2015[28])
- Kritisches Kollektiv, Rhein-Neckar
- Libertad! (Aufgegangen in u. a. die Berliner Ortsgruppe[29])
- no lager, Bremen
- Organisierte Autonomie, Nürnberg
- Projekt Interventionistische Linke Ravensburg
- Radikale Linke Nürnberg
- Redaktion So Oder So
- Rote Aktion Kornstraße (RAK), Hannover (Aufgegangen in der IL Hannover, Mai 2013[30])
Literatur
- Armin Pfahl-Traughber: Linksextremismus in Deutschland: Eine kritische Bestandsaufnahme. Springer, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-04506-7, S. 136–138.
Weblinks
- Website der Interventionistischen Linken
- Literatur von und über Interventionistische Linke im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Bericht des Berliner Verfassungsschutzes zu den G8-Vorbereitungen im „Verfassungsschutzbericht Berlin 2006“, Pressefassung, Kapitel 2.2.1., S. 58 ff. (PDF; 4,3 MB)
- Sebastian Eder: „Interventionistische Linke“: Was wollen die Linksradikalen? in FAZ.net.
Einzelnachweise
- Bundesamt für Verfassungsschutz: VS Bericht 2019. In: Bundesamt für Verfassungsschutz. Abgerufen am 11. September 2020.
- Verfassungsschutzbericht 2018. (PDF) In: Bundesministerium des Innern. Juni 2016, S. 124, abgerufen am 23. Februar 2020.
- IL im Aufbruch – ein Zwischenstandspapier. In: interventionistische-linke.org. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- Thomas Seibert: die mobilisierung des gemeinsamen. In: prager-fruehling-magazin.de. 21. Juni 2008, abgerufen am 10. Juli 2017.
- Alles geht weiter?! In: antifa.de. 8. September 2014, archiviert vom Original am 4. März 2016; abgerufen am 6. Juli 2017.
- 25 Jahre Avanti – ab jetzt sind wir Interventionistische Linke. In: avanti-projekt.de. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- Erik Peter: Linksradikale Zusammenschlüsse: Kuscheln im Bündnis. In: taz.de. 10. September 2014, abgerufen am 10. Juli 2017.
- Siehe Aufhören, um weiterzumachen! Mitteilung von FelS, 21. Mai 2015, abgerufen am 6. Juli 2017.
- Sarah Liebigt: FelS macht sich auf zu neuen Ufern. In: neues-deutschland.de. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- Notwendigkeit einer neuen linken Organisierung. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- #Aufstehen-Netzwerk – Aufstehen gegen Rassismus! In: aufstehen-gegen-rassismus.de. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- Marsch für das Leben? What the fuck! Abgerufen am 4. Februar 2017.
- http://welcome2stay.org/de/
- Das System NSU. In: interventionistische-linke.org. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- Verfassungsschutzbericht 2017. (PDF) In: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Juli 2018, S. 111, 138, abgerufen am 23. Februar 2020.
- Karin Geil: Nach G8-Demonstration: "Das sind Verbrecher!" In: zeit.de. 4. Juni 2007, abgerufen am 31. Januar 2015.
- IL im Aufbruch – ein Zwischenstandspapier. In: interventionistische-linke.org. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- Abteilung Verfassungsschutz über „Linksextremistische Protestvorbereitungen gegen den G 8-Gipfel 2007“. (Memento vom 24. September 2015 im Internet Archive) Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, S. 2 ff.
- Rückblick der Organisation auf die Aktionen: Castor? Schottern! In: interventionistische-linke.org, abgerufen am 6. Juli 2017.
- Verfassungsschutzbericht 2015, Bundesministerium des Innern, S. 120f.
- Interventionistische Linke - Aktionen und Akteure. Abgerufen am 14. März 2018.
- Mobi – BLOCK G20. Abgerufen am 14. März 2018.
- FOCUS Online: Verharmlosen in 3 Akten: So wird versucht, linksradikale G20-Gewalt zu verschleiern. In: FOCUS Online. (focus.de [abgerufen am 14. März 2018]).
- Katharina Schipkowski: Emily Laquer über Proteste gegen G20: „Die Verantwortung trägt die Polizei“. In: Die Tageszeitung: taz. 13. Juli 2017, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 14. März 2018]).
- IL vor Ort. In: interventionistische-linke.org. Abgerufen am 26. August 2017.
- Dritte Phase – Organisierung und Organisation. In: interventionistische-linke.org. Abgerufen am 17. November 2016.
- Redaktion neues deutschland: Antifa in der Krise? In: neues-deutschland.de. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- Aufhören, um weiterzumachen! In: fels.nadir.org. Abgerufen am 4. Februar 2017.
- Alles hat seine Zeit. In: libertad.de. Archiviert vom Original am 7. November 2016; abgerufen am 17. November 2016.
- Salto nach vorn. In: avanti-projekt.de. Abgerufen am 4. Februar 2017.