Idiopathische thrombozytopenische Purpura
Die idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP; auch Purpura haemorrhagica, thrombozytopenische Purpura, Autoimmunthrombozytopenie und immunthrombozytopenische Purpura) wird heute meist Immunthrombozytopenie oder Immunthrombopenie genannt und ist eine Autoimmunkrankheit, welche die Thrombozyten (Blutplättchen) betrifft. Thrombozytopenie (kurz: Thrombopenie) bezeichnet einen Mangel an Thrombozyten im Blut.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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D69.3 | Idiopathische thrombozytopenische Purpura Werlhof-Krankheit |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Man unterscheidet zwischen zwei Formen:
- die akute Immun-Thrombozytopenie, die vor allem Kinder betrifft, und
- die chronische Immun-Thrombozytopenie (nach Paul Gottlieb Werlhof, der das Krankheitsbild 1734/35 erstmals ausführlich beschrieben hatte, und Johann Ernst Wichmann auch Morbus Werlhof, Morbus maculosus Werlhofii, Werlhof-Krankheit, Werlhof-(Wichmann)-Syndrom genannt), die vor allem Erwachsene betrifft, aber auch im Kindesalter vorkommt (siehe Chronische Immun-Thrombopenie).
Ursache und Häufigkeit
Die Immunthrombozytopenie ist die Folge eines Autoimmunprozesses, bei dem meist freie und thrombozytengebundene Antikörper (z. B. gegen die Adhäsionsmoleküle Gp IIb/IIIa) nachweisbar sind und die Lebensdauer der Thrombozyten verkürzen. Wenn die Erkrankung gemeinsam mit einer autoimmunhämolytischen Anämie auftritt, spricht man auch vom Evans-Syndrom.
Man hat beobachtet, dass der akuten Immunthrombozytopenie meist Infektionen des Atmungsapparats oder des Magen-Darm-Trakts vorausgehen; gelegentlich kommt sie auch nach Infektionen mit EBV, CMV oder HIV vor. Bei einer Maserninfektion beträgt das Risiko etwa 1:20.000 (nach einer MMR-Impfung 1:40.000).[1] Möglicherweise induzieren kreuzreaktive Antigene von viralen Krankheitserregern durch molekulares Mimikry die Antikörperbildung (vor allem Immunglobulin G). Die akute Form tritt zumeist bei Kindern auf und betrifft das männliche und weibliche Geschlecht gleich häufig.
Bei von der chronischen Immunthrombozytopenie Betroffenen hat man gehäuft Infektionen des Magens mit Helicobacter pylori beobachtet, was jedoch nicht alle Krankheitsfälle erklären kann. Die Ursache für einen Großteil der Erkrankungen ist noch nicht geklärt. Die chronische Form (Erkrankungsdauer länger als sechs Monate wird als persistierende ITP, Erkrankungsdauer länger als 12 Monate wird als chronische ITP bezeichnet) betrifft bevorzugt Erwachsene und dabei zu 75 Prozent Frauen. Im Jahr treten unter einer Million Einwohner etwa 100 Fälle auf.
Da man heute als auslösende Ursache Virusinfektionen bzw. die daraus resultierenden Autoimmunreaktionen annimmt, setzt sich Immunthrombozytopenie mehr und mehr gegenüber der alten Bezeichnung idiopathische thrombozytopenische Purpura (auch essentielle Thrombopenie) durch.
Die Immunthrombozytopenie wird auch als seltene, aber ggf. schwere Nebenwirkung einer Behandlung mit Alemtuzumab beschrieben bei Patienten mit aktiv schubförmig-remittierender Multipler Sklerose, die 14 bis 36 Monate nach der ersten Alemtuzumab-Infusion auftreten kann.[2]
Klinisches Bild
Die Beschwerden bei der ITP können sehr unterschiedlich sein. Als Folge des erhöhten Blutplättchenabbaus kommt es zu einer Verminderung der Thrombozyten und somit einer erhöhten Blutungsneigung. Punktförmige Blutungen (Petechien) in der Haut, vor allem der Beine, und Schleimhäute, vor allem im Rachenbereich, gaben der Erkrankung ihren Namen.
Weitere Symptome können Nasenbluten oder eine verlängerte Regelblutung sein. Bedrohlich wird die Erkrankung, wenn Gehirnblutungen oder Blutungen im Magen-Darm-Trakt auftreten.
Klinische Erscheinungen treten oft erst bei Thrombozytenzahlen von unter 30.000/µl auf. Bei Werten unterhalb von 10.000/µl können lebensbedrohliche Blutungen auftreten, sind aber auch hier extrem selten. Bei Gesunden finden sich 150.000 bis 350.000 Thrombozyten im Mikroliter Blut.
Therapie
Bei positivem Helicobacter pylori (HP)-Befund sollte eine HP-Eradikation durchgeführt werden. Dies führt bei 1/3 der Patienten zu einem Anstieg der Thrombozyten. Häufig ist keine Therapie notwendig, weil es zu einer Spontanheilung kommt. Eine Behandlung der ITP (bei Thrombozyten unter 30.000/Mikroliter und/oder Blutungen) beginnt meist mit einer Verabreichung von Glucocorticoiden. Ist diese nicht ausreichend, kann als weitere Möglichkeit eine Immunglobulintherapie eingesetzt werden. In den aktuellen Leitlinien wird eine Therapie mit Prednison, einem Glucocorticoid, als erste Therapiemöglichkeit empfohlen. Eine neue Behandlungsmöglichkeit stellt die intravenöse Gabe von Anti-D-Immunglobulin dar. Hierbei ist sowohl die Ansprechrate als auch die Dauer des Anstiegs der Thrombozytenzahl besser als bei der Therapie mit polyvalenten Immunglobulinen.[3] Als Notfallmaßnahme bei schweren, durch medikamentöse Therapie nicht beherrschbaren Blutungskomplikationen besteht die Möglichkeit der Entfernung der Milz (Splenektomie), weil häufig die Fehlfunktion im Immunsystem, welche die Bekämpfung von Thrombozyten verursacht, dort ihren Ursprung hat. In jedem Fall ist es ratsam, vor der Splenektomie ein Szintigramm mit durch Radionuklide markierten (idealerweise eigenen) Thrombozyten durchzuführen, denn die Fehlfunktion kann auch in einem Lymphknoten liegen, der somit lokalisiert werden kann.
Bei schweren Blutungskomplikationen kommt außerdem eine Gabe fremder Thrombozyten (Transfusion von Thrombozyten-Konzentraten von Blutspendern) in Frage. Diese können allerdings die Bildung der Autoantikörper zusätzlich stimulieren und dadurch den Krankheitsverlauf verschlechtern. In schweren Fällen kann die Verabreichung von Zytostatika zur Unterdrückung der autoantikörperproduzierenden Zellen notwendig sein.
In einigen Fällen hat sich die Verabreichung von monoklonalen Antikörpern wie Rituximab, auch in Kombination mit einer anschließenden Gabe von Immunglobulinen, als nachhaltig erfolgreich und zudem schonender gegenüber der alternativen Zytostatika-Behandlung erwiesen.
Bei verschiedenen Patienten bewähren sich verschiedene Therapien. Um die ideale Behandlungsmethode zu ermitteln, ist es zwingend erforderlich, über den Therapieverlauf die Entwicklung der Thrombozyten graphisch darzustellen, um bei Unwirksamkeit eines verabreichten Medikamentes dieses rechtzeitig zu erkennen, abzusetzen und einen neuen Behandlungsplan zu erarbeiten, weil die Nebenwirkungen der angewendeten Medikamente so stark sind, dass sie an sich den Heilungsverlauf negativ beeinflussen.
Insgesamt ist die Heilungsrate mit 70 bis 80 Prozent relativ gut, wobei jedoch wegen der besagten Selbstheilungsrate ein direkter Zusammenhang mit der Therapie schwer nachweisbar ist.
Eine weitere Behandlungsmöglichkeit besteht in der Gabe von nicht-strukturanalogen Thrombopoietinpräparaten (z. B. Eltrombopag, Romiplostim), so genannten Thrombopoietinanaloga.[4]
Differentialdiagnosen
Weitere Erkrankungen, die zu gleichen oder ähnlichen Symptomen und Laborwerten führen können, sind insbesondere:
Weblinks
Einzelnachweise
- Carlo Di Pietrantonj et al.: Vaccines for measles, mumps, rubella, and varicella in children. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews. Band 4, 20. April 2020, S. CD004407, doi:10.1002/14651858.CD004407.pub4, PMID 32309885, PMC 7169657 (freier Volltext).
- Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: Therapierefraktäre Autoimmunthrombozytopenie nach Alemtuzumab zur Behandlung einer Multiplen Sklerose. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 46, 17. November 2017 sowie online in der UAW-Datenbank der AKDÄ
- Andromachi Scaradavou, Bonnie Woo, B.M.R. Woloski, Susanna Cunningham-Rundles, Lawrence J. Ettinger, Louis M. Aledort, and James B. Bussel: Intravenous Anti-D Treatment of Immune Thrombocytopenic Purpura: Experience in 272 Patients. In: Blood. 89, Nr. 8, 15. April 1997, S. 2689–2700. PMID 9108386.
- Kuter DJ et al. Efficacy of romiplostim in patients with chronic immune thrombocytopenic purpura: A double-blind randomised controlled trial. Lancet 2008 Feb 2; 371:395.