Identifizierbarkeit
Als Identifizierbarkeit eines Modells bezeichnet man in der Statistik und insbesondere in der Ökonometrie die Eigenschaft von Schätzmodellen, dass Inferenzstatistik auf sie anwendbar ist.
Ein Modell ist dann identifizierbar, wenn es theoretisch möglich ist, die dem Modell zugrundeliegenden wahren Werte zu ermitteln, indem unendlich viele Beobachtungen gemacht wurden (gezogen wurden). Mathematisch bedeutet das, dass unterschiedliche Werte der Parameter des Modells unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsfunktionen der beobachtbaren Variablen erzeugen.
In der Praxis, wo endlich viele Beobachtungen vorliegen, ist die Identifizierbarkeit eines Modells durch die Anzahl der zu schätzenden Parameter, die Anzahl der Beobachtungen und Anzahl der damit verbundenen Freiheitsgrade beschränkt.
Geschichte des Begriffs
Der Begriff Identifizierbarkeit wurde von dem Ökonometriker Tjalling Koopmans um 1945 in Bezug auf die ökonomische Identität einer Beziehung innerhalb eines Beziehungssystems geprägt. Der Begriff erschien darauf unmittelbar in der Ökonometrie-Literatur, obwohl Koopmans eigene Darstellung des Themas – seine „Identifikationsprobleme im ökonomischen Modellbau“ – erst 1949 erschien. Um 1950 wurde der Begriff von Statistikern aufgegriffen und in einem allgemeineren Sinn verwendet, siehe z. B. Jerzy Neymans Existence of Consistent Estimates of the Directional Parameter in a Linear Structural Relation Between Two Variables.[1]
Definition
Sei ein statistisches Modell mit einem (möglicherweise unendlich-dimensionalen) Parameterraum . Dann heißt identifizierbar, wenn die Abbildung injektiv ist. Es soll also gelten:
- .
Verschiedene Werte von sollen also unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen entsprechen.
Wenn die Verteilungen über Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen definiert sind, dann werden diese als unterschiedlich angesehen, wenn sie sich auf einer Menge von positivem Lebesgue-Maß unterscheiden. (Beispielsweise werden zwei Funktionen, die sich nur in einem Punkt unterscheiden, in diesem Sinne nicht als unterschiedlich Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen angesehen.)
Diese Identifizierbarkeit des Modells im Sinne der Invertierbarkeit von ist äquivalent dazu, dass die wahren Parameter des Modells bestimmbar sind, wenn man das Modell unendlich lange beobachten kann. Denn wenn die Folge der Beobachtungen ist, dann folgt aus dem starken Gesetz der großen Zahlen
für jede messbare Menge , wobei die Indikatorfunktion einer Menge bezeichnet. Mit einer unendlichen Anzahl von Beobachtungen kann man also die wahre Wahrscheinlichkeitsverteilung und wegen der Invertierbarkeit der Abbildung auch den wahren Wert des Parameters bestimmen.
Beispiele
Normalverteilungen
Sei die Familie der Normalverteilungen, die eine Lage-Skalen-Familie bildet
- .
Dann ist
- .
Dieser Ausdruck ist genau dann fast überall null, wenn alle seine Parameter null sind, was nur für und möglich ist. Weil der Skalenparameter positiv ist, ist das Modell identifizierbar: .
Multiples lineares Regressionsmodell
Sei das das klassische Modell der linearen Mehrfachregression , mit dem Vektor der unbekannten Regressionsparameter, der Versuchsplanmatrix , dem Vektor der abhängigen Variablen und dem Vektor der Störgrößen . Dann ist der Parameter genau dann identifizierbar, wenn die Matrix invertierbar ist.
Klassisches Fehler-in-den-Variablen-Modell
Sei das klassische Fehler-in-den-Variablen-Modell
wobei gemeinsam normalverteilte unabhängige Zufallsvariablen mit Erwartungswert null und unbekannter Varianz sind und nur die Variablen beobachtet werden.
Dieses Modell ist nicht identifizierbar. Jedoch ist das Produkt (wobei die Varianz des latenten Regressors ist) identifizierbar.
In diesem Beispiel kann zwar nicht der exakte Wert von identifiziert werden, jedoch kann man garantieren, dass er im Intervall liegen muss, wobei und die Koeffizienten sind, die mittels einer gewöhnlichen Kleinste-Quadrate-Schätzung von auf bzw. auf gewonnen wurden.
Literatur
- Hans-Friedrich Eckey, Reinhold Kosfeld, Christian Dreger: Ökonometrie: Grundlagen, Methoden, Beispiele. Gabler Verlag, 2004, ISBN 978-3-409-33732-8, S. 321 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Einzelnachweise
- Earliest Known Uses of Some of the Words of Mathematics: Identifiability