Harry Thürk
Harry Thürk (* als Lothar Rudolf Thürk am 8. März 1927 in Zülz, Oberschlesien; † 24. November 2005 in Weimar) war ein deutscher Schriftsteller. In der DDR war er einer der meistgelesenen deutschen Autoren.
Leben
1934 zog er mit seiner Familie nach Neustadt/OS um. Nach dem Besuch der Albert-Leo-Schlageter-Volksschule (1934–40) und der Handelsschule von Neustadt/OS (1940–42) in Oberschlesien wurde Thürk Arbeiter bei der Deutschen Reichsbahn. Im Zweiten Weltkrieg wurde er 1944 zum Fallschirm-Panzer-Korps Hermann Göring eingezogen und erhielt das Eiserne Kreuz. Er kehrte nach Ende des Krieges von der Front in seine Heimat zurück, floh aber von dort schließlich vor den Polen nach Westen und fand in Weimar seine zweite Heimat.
Von 1946 bis 1948 war er hauptberuflicher Funktionär der Freien Deutschen Jugend und trat der SED bei. Nach diversen Gelegenheitsjobs arbeitete Thürk als Journalist für verschiedene Zeitungen und war in den Kriegen in Korea und in Vietnam als Reporter tätig. In Vietnam zog er sich eine schwere Vergiftung mit dem vom US-Militär eingesetzten Herbizid Agent Orange zu, die ihn später ans Bett fesselte. Zwischen 1956 und 1958 arbeitete Thürk beim Verlag für fremdsprachige Literatur und war Berater der chinesischen Illustrierten China im Bild in Peking. Nach weiteren Ostasienreisen zwischen 1964 und 1980 (u. a. nach Laos, Kambodscha, Vietnam, Korea, China) kehrte Thürk nach Weimar zurück. Dort war er von 1971 bis 1983 Vorsitzender der Bezirksorganisation Erfurt des Schriftstellerverbandes. 1974 heiratete er Renate Stumpf. 1995 trat Thürk aus dem deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost) aus. Nach langer Krankheit starb Harry Thürk am 24. November 2005 im Alter von 78 Jahren in Weimar. Er hat ein Grab auf dem Hauptfriedhof.
Künstlerisches Schaffen
Mit seinem Ende 2004 erschienenen Buch Treffpunkt Wahrheit hat Thürk insgesamt 60 Bücher veröffentlicht (Romane, Dokumentationen, Reportagen, Krimis, Kinderbücher u. a.) sowie 15 Drehbücher geschrieben. Seine Sujets und spannende Erzählweise machten ihn insbesondere in der DDR populär – mit einer Gesamtauflage von 9 Millionen Exemplaren in 13 Sprachen – davon 3 Millionen allein in Deutschland – war Thürk einer der meistgelesenen und populärsten deutschen Nachkriegsautoren. Im Westen blieb er jedoch weitgehend unbekannt.
Zu seinen bekanntesten Werken zählen der Antikriegsroman Die Stunde der toten Augen, die Romane Amok und Der Gaukler sowie die Dokumentation Pearl Harbor. Die meisten seiner Romane und Dokumentationen sind entweder im südostasiatischen Raum (während des Kampfes gegen die Kolonialherrschaft), in dem sich Thürk viele Jahre aufhielt, oder in seiner Heimat Oberschlesien (kurz vor bzw. während des Zweiten Weltkrieges) angesiedelt. Vor allem in seinen letzten Lebensjahren befasste sich Thürk auch mit dem aktuellen politischen Geschehen im vereinigten Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft.
In seinen Werken schöpfte er aus seinen Erlebnissen in vier Kriegen sowie seiner Zeit als Journalist in verschiedenen Krisengebieten und kritisierte gesellschaftliche wie politische Aspekte der Gegenwart. Politische und historische Zusammenhänge spannend aufzubereiten und zu erzählen, das war sein vornehmliches Anliegen gewesen:
- Mein Vorbild ist ein Erzähler auf dem orientalischen Basar. Wenn seine Geschichten gut sind, sitzt eine ganze Traube von Menschen um ihn herum. Wenn er schlecht ist, hört ihm keiner zu. Ich möchte unterhalten. (Interview mit Christine Brühl in: Die Zeit, 17. Oktober 1997)
Thürk war stets ein umstrittener Schriftsteller. Während ihm der Spiegel (Ausgabe 29/1995) „pubertären Schwulst und politisches Pathos“ vorwarf und ihn – aufgrund der Sexszenen in seinen Romanen – als „Konsalik des Ostens“ betitelte, bescheinigte ihm das Neue Deutschland „untrüglichen Realitätssinn“ und nannte ihn einen der besten Schriftsteller seines Genres (sic!). In die Kritik der westlichen Presse war Thürk vor allem aufgrund des Romans Der Gaukler geraten, der das sowjetische Dissidententum kritisierte und Alexander Solschenizyn als Marionette der CIA darstellte. Doch auch mit der DDR-Obrigkeit hatte Thürk bei mehreren Romanen Schwierigkeiten. Seinem Antikriegs-Bestseller Die Stunde der toten Augen (1957), der in stark autobiografischer Weise den Kampf einer deutschen Fallschirmjägereinheit gegen die Rote Armee in Ostpreußen Ende 1944 schildert, wurde in der DDR Verharmlosung der nationalsozialistischen Wehrmacht vorgeworfen. Die Veröffentlichung der Trilogie Taifun, die in China in der Zeit vom chinesischen Bürgerkrieg bis zur Kulturrevolution spielt und die Arbeit eines US-amerikanischen Geheimdienstlers beschreibt, der die politische Entwicklung der Volksrepublik China zu beeinflussen sucht, verzögerte sich bis 1988, da eine solche negative Darstellung des Aufbaus des chinesischen Sozialismus in einer Zeit sich normalisierender Beziehungen zwischen der UdSSR und der VR China nicht mehr erwünscht war. Weitere Bücher, darunter die Dokumentationen Der Reis und das Blut, Midway und Der lange Marsch sowie der Roman Der Sommer der toten Träume und die Krimireihe Lim Tok, konnten erst nach der Wende erscheinen.
Für den Fernsehspielfilm Pygmalion XII (Deutscher Fernsehfunk 1971, Regie: Ingrid Sander), einen Spionage- bzw. Agententhriller mit anti-amerikanischer und anti-bundesrepublikanischer Tendenz, verfasste Harry Thürk das Szenario.[1]
Auszeichnungen und Ehrungen (Auswahl)
- 1964, 1977: Nationalpreis der DDR
- 1968: 1. Preis des Internationalen Filmfestes der asiatisch/pazifischen Länder
- 1971, 1980: Theodor-Körner-Preis (DDR)
Schriften (in Auswahl)
Reportagen/Dokumentationen
- Pearl Harbor – Die Geschichte eines Überfalls, 1965 (Exzerpt)
- Singapore – Der Fall einer Bastion, 1970
- Indonesien ’65 – Anatomie eines Putsches, 1975
- Strasse zur Hölle – Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge, Militärverlag der DDR, 1976
- Nachts weint die Sampaguita – Kampf und Niederlage der Huk auf den Philippinen, 1980
- Saigon – Über das Ende des amerikanischen Krieges in Indochina, 1985
- Dien Bien Phu – Ereignisse, Tatsachen Zusammenhänge, Militärverlag der DDR, 1988
- Der Reis und das Blut – Kambodscha unter Pol Pot, 1990
- Midway – Die Wende des Pazifik-Krieges 1942, 1991
- Iwo Jima, Insel ohne Wiederkehr – Der Sprung nach Japan, 1996
- Der lange Marsch – Mao-tse Tungs Weg zur Macht, 1998
Romane
- Die Stunde der toten Augen, 1957
- Das Tal der sieben Monde, 1960
- Der Wind stirbt vor dem Dschungel, Verlag Das Neue Berlin, 1961
- Lotos auf brennenden Teichen, Verlag Das Neue Berlin, 1962
- Der Tod und der Regen, Verlag Das Neue Berlin, 1967
- Der Tiger von Shangri-La, Verlag Das Neue Berlin, 1970
- Amok, Verlag Das Neue Berlin, 1974
- Der Gaukler (2 Bde.), Verlag Das Neue Berlin, 1978
- Des Drachens grauer Atem, Verlag Das Neue Berlin, 1979
- Der schwarze Monsun, Verlag Das Neue Berlin, 1986
- Operation Mekong, Verlag Das neue Leben Berlin, 1988
- Taifun (3 Bde.), Mitteldeutscher Verlag, 1988
- Sommer der toten Träume, Mitteldeutscher Verlag, 1993
- Piratenspiele, Mitteldeutscher Verlag, 1995
- 10 Kriminalromane in der Reihe Delikte-Indizien-Ermittlungen, 1991–2000
Erzählungen
- Nacht und Morgen, 1950
- Treffpunkt Große Freiheit, 1954
- Goldener Traum Jugend, 1996
- Auch überm Jangtse ist Himmel, 2001
Kinderbücher
- Fahrten und Abenteuer von Pitt und Ursula, Knabe Verlag Weimar, 1955/56
- Su-su von der Himmelsbrücke, 1960
Literatur
- Hanjo Hamann (Hrsg.), Ulrich Völkel, Stefan Wogawa: Harry Thürk. Sein Leben, seine Bücher, seine Freunde. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2007, ISBN 978-3-89812-420-1.
- Bernd-Rainer Barth, Andreas Kölling: Harry Thürk. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
- Dieter Fechner: Persönliche Begegnungen mit Thüringer Autoren im 20./21. Jahrhundert. Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza 2014, ISBN 978-3-86777-718-6, Harry Thürk (1927–2005), S. 175–181.
Weblinks
- Literatur von und über Harry Thürk im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Harry Thürk in der bibliografischen Datenbank WorldCat
- Harry-Thürk-Forum (große Internet-Plattform) mit kompl. Werkliste
- Ich lese Hera Lind ja auch nicht – Porträt in der Berliner Zeitung, 8. März 1997
Einzelnachweise
- Dietmar Dath: Die Hauptwache, Tor zur Hölle Film. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 10. Oktober 2021, Nr. 253, S. 11.