Exilregierung Deutsches Reich
Die Exilregierung Deutsches Reich ist eine rechtsextreme Gruppierung, die der Reichsbürgerbewegung zugerechnet wird. Sie behauptet, dass das Deutsche Reich fortbestehe – aber, entgegen ständiger Rechtsprechung[1] und herrschender Meinung,[2][3] nicht in Form der Bundesrepublik Deutschland.
Entwicklung
Die Gruppe wurde am 8. Mai 2004 von 26 Personen in Hannover gegründet. Sie kokettiert im Vergleich zu den anderen Gruppierungen der Reichsbürgerbewegung sehr deutlich mit rechtsextremem Gedankengut. Dies umfasst die Ablehnung der Rolle der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg (demzufolge leitet man die eigene Legitimierung nicht mehr vom Alliierten Oberkommando ab, weil das ehemalige Besatzungsrecht nicht über das Prinzip der Volkssouveränität gesetzt werden dürfe) sowie die Forderung nach Wiedererrichtung der deutschen Grenzen von 1914 und Nichtanerkennung des Versailler Vertrages. Die Gruppe missbraucht als staatliches Symbol die Reichskriegsflagge mit Eisernem Kreuz, wie sie in der Weimarer Republik zwischen 1922 und 1933 verwendet wurde.
Als Initiator der Gruppierung fungiert Norbert Schittke.[4] Auf der Gründungsversammlung 2004 stellte dieser nach der Begrüßung fest, dass nur ein verschwindend geringer Teil des gesamtdeutschen Reichsvolkes erschienen sei, woraufhin er die Versammlung schloss und sie kurz darauf erneut eröffnete. Damit war die Versammlung seiner Ansicht nach beschlussfähig, in Vertretung für das gesamte deutsche Volk.[5] 2012 kam es innerhalb der Gruppe zu einem „Putschversuch“, bei dem Schittke angeblich als Reichskanzler abgesetzt wurde, was dieser aber bestreitet.[6]
Schittke, der sich auch „Fürstregent Norbert Rudolf aus der Familie Schittke zu Romkerhall“ nennt, wurde von der Gruppierung zum sog. „Reichskanzler der Exilregierung“ bestellt. Das erklärte Schittke auch den Polizisten, die ihn stoppten, als er am 15. Juni 2013 in einer aus sieben Fahrzeugen bestehenden Kolonne seiner „Exilregierung“ zu einer Trauerfeier in Bockhorn (Friesland) fuhr. Die Fahrzeuge der Kolonne waren mit Blaulicht und Reichsflaggen ausgestattet, weshalb sie von der Polizei angehalten wurden.[6] Schittke hielt am 1. Januar 2015 als „Reichskanzler“, u. a. mit einer Schärpe bekleidet, zusammen mit einem „Regierungskollegen“ eine Neujahrsansprache.[7] Am Ende der Ansprache wurde das Lied der Deutschen mit allen drei Strophen vorgetragen. Die Gruppe wird von den Verfassungsschutzämtern der Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt beobachtet. Nach Ansicht des Amtsgerichtes Duisburg hege die Gruppe „ideologisch bedingte Wahnvorstellungen“.[8] Schittkes Auffassung nach ist die Exilregierung "die einzige [Regierung], die an der anderen Tischseite der Besatzer sitzt". Alle anderen Reichsbürgergruppen, die beanspruchen, das deutsche Volk zu vertreten (zum Beispiel das Königreich Deutschland), bezeichnet er als "Spinner", weil sie keine Rechtsgrundlage hätten.[9]
Norbert Schittke
Norbert Schittke (* 1942), ein Rentner aus Hildesheim, war 1991 für die Republikaner in den Hildesheimer Kreistag eingezogen. Wenig später wechselte er zur rechtspopulistischen DSU und zur Zentrumspartei, dann gründete er einen der zahlreichen Statt-Partei-Ableger, die sich untereinander zerstritten. Früher sei er auch Präsident des Europäischen Wohnmobilfahrerverbandes gewesen. Schittke vertritt die Ansicht, dass Kondensstreifen von Flugzeugen keine Kondensstreifen seien, sondern „etwas sehr, sehr Böses und Geheimnisvolles, ausgeheckt auf einer Bilderberg-Konferenz von den Mächtigen dieser Welt, um 85 Prozent der Menschheit auszulöschen“.[10] Schittke glaubt an die Existenz von Aldebaranern,[11][12] nach seiner Vorstellung die Bewohner Aldebarans, die mit Adolf Hitler in Kontakt gestanden hätten. Zudem behauptet er, es gäbe "mehrere Eingänge zum Mittelpunkt der Erde", was gemäß seinen Aussagen dazu führt, dass "der Dalai Lama ein Freund von Adolf Hitler" war[13]. Er ist nach eigener Aussage Prinz vom Haus Hannover und vom Haus Windsor, weshalb er einen Anspruch auf die Thronfolge des englischen Königshauses habe.[14]
In einem Verfahren wegen Urkundenfälschung gegen Schittke setzte das AG Hildesheim im Februar 2020 das Verfahren aus und ordnete ein Gutachten über Schittkes Schuldfähigkeit an.[15]
Schittke wurde wegen Urkundenfälschung und Beleidigung vom Amtsgericht Hildesheim am 30. September 2021 zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten verurteilt worden. Als Bewährungsauflage müsse der 79-Jährige laut Gericht 500 Euro zahlen.[16]
Ideologie
Das Menschenbild der Exilregierung Deutsches Reich ist rassenbiologisch orientiert. Vor diesem Hintergrund wird versucht, die verbreitete Furcht vor Einwanderung zu politisieren. So verbreitet die Gruppe in ihrer Propaganda die Vorstellung, es drohe ein Untergang des deutschen Volkes. Es sei ein „Holocaust gegen die deutschen Völker“ im Gange, der durch die Aufnahme von Flüchtlingen, die als „Invasoren“ abqualifiziert werden, mittlerweile eine neue Qualität erreicht habe.[17]
Rezeption
Die Exilregierung Deutsches Reich wird vom Verfassungsschutz Niedersachsen als rechtsextremistisch eingestuft, weil sie u. a. die Fortexistenz des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 proklamiert und damit die Bundesrepublik nicht anerkennt, sagte Maren Brandenburger dem ZDF 2012.[18][19]
Der Bundesverfassungsschutz weist in seinem Bericht 2018 auf die Aktivitäten der Gruppe im E-Business hin. Die Exilregierung stelle „typische Verkaufsangebote zur Verfügung“ und biete u. a. „aufwendig erstellte Personenausweise und Staatsangehörigkeitsausweise gegen Gebühr an“.[20]
Einzelnachweise
- Finanzgericht Hamburg, Zwischenurteil vom 19. April 2011, Az. 3 K 6/11.
- Hans F. Zacher, Sozialer Einschluß und Ausschluß im Zeichen von Nationalisierung und Internationalisierung, in: Hans Günter Hockerts (Hrsg.): Koordinaten deutscher Geschichte in der Epoche des Ost-West-Konflikts, Oldenbourg, München 2004 (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien; 55), ISBN 3-486-56768-3, S. 103–152, hier S. 106.
- Andreas Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge. Zugleich ein Beitrag zu den Möglichkeiten und Grenzen völkerrechtlicher Kodifikation, Springer, Berlin/Heidelberg/New York 2000, ISBN 3-540-66140-9, S. 71 f., 82 f., 87 f., 92 mit weiteren Nachweisen; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V, C.H. Beck, München 2000, S. 1964 f.; Kay Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschn., Rn 200–203; Dieter Blumenwitz, NJW 1990, S. 3041 ff. mit weiteren Nachweisen; Jochen Abr. Frowein, Die Verfassungslage Deutschlands im Rahmen des Völkerrechts, in: VVDStRL, Heft 49, 1990, S. 7–33.
- Die große Verschwörung: Von Staatenlosen und Reichsbürgern. In: Kontrovers - Das Politikmagazin. Bayerischer Rundfunk, 12. November 2014, archiviert vom Original am 8. Juli 2019 (Dieser Inhalt ist aus rechtlichen Gründen nur in Deutschland abrufbar.).
- Krude Theorien: Wie „Reichsbürger“ versuchen, aus der Erde eine Scheibe zu machen, Pressemitteilung Nr. 033/2012 des Ministeriums des Innern Brandenburg vom 13. April 2012.
- Wer steckt hinter der „Exilregierung Deutsches Reich“, in: NWZ Online vom 28. Juni 2013.
- Neujahrsansprache 2015 Exilregierung Deutsches Reich – Kaiserreich
- Amtsgericht Duisburg, Beschluss vom 26. Januar 2006, Az. 46 K 361/04, NJW 2006, S. 3577.
- PULS Reportage: Die Verschwörungtheorie der Reichsbürger. 21. Oktober 2016, abgerufen am 22. Januar 2021.
- Sie nennen sich Reichsbürger, in: Berliner Zeitung vom 11. Dezember 2012.
- heute-show: Carsten van Ryssen trifft den Reichskanzler Norbert Schittke – heute-show vom 02.12.2016 ZDF. YouTube-Kanal der Heute Show, 2. Dezember 2016, abgerufen am 4. August 2017.
- Jens Maier: Hitler und die Außerirdischen – der irre Besuch bei einem Reichsbürger. Stern, 3. Dezember 2016, abgerufen am 4. August 2017.
- ZDF heute-show: Carsten van Ryssen trifft den Reichskanzler Norbert Schittke. 2. Dezember 2016, abgerufen am 20. Januar 2021.
- Olaftology: Weisheiten des Reichskanzlers Norbert Schittke. Zusammenschnitt von Ausschnitten u. a. von Spiegel TV. In: YouTube. Abgerufen am 15. Januar 2021.
- „Reichsbürger“-Prozess in Hildesheim: Gericht setzt Gutachter ein, Hildesheimer Allgemeine vom 22. Februar 2020
- https://www.hildesheimer-allgemeine.de/meldung/urteil-gegen-reichskanzler-vor-dem-hildesheimer-amtsgericht.html
- Jan Freitag, Michael Hüllen und Yasemin Krüger: Entwicklung der Ideologie der „Reichsbürger“. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 29 (2017), S. 159–174, hier S. 170 f.
- ZDFneo: Exilregierung Deutsches Reich
- Verfassungsschutz: Rechtsextremisten mit Blaulicht. In: NWZonline. (nwzonline.de [abgerufen am 24. Oktober 2016]).
- „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, Kapitel „Erscheinungsformen“. In: Verfassungsschutzbericht 2018, hrsg. vom Bundesamt für Verfassungsschutz, Berlin 2019, S. 99.