Der Zauberlehrling
Der Zauberlehrling ist eine Ballade von Johann Wolfgang von Goethe, die zu seinen populärsten Werken gehört. Entstanden ist sie in der Weimarer Zeit Goethes, im Jahre 1797, dem sogenannten Balladenjahr der Klassik, das in die literarische Geschichte einging. Der Zauberlehrling ist noch heute häufiger Unterrichtsstoff an Schulen.
Entstehung
Im Balladenjahr 1797 machten Friedrich Schiller und Goethe die poetische Form Ballade zum Thema eines bewussten Kunstwillens und ästhetischen Experiments. Beide Dichter, die einen engen und freundschaftlich verbundenen Kontakt pflegten, gingen zum Vergnügen einen „Dichterwettstreit“ ein, dem neben dem „Zauberlehrling“ eine Reihe von weiteren Balladen, u. a. auch „Der Gott und die Bajadere“, „Die Braut von Korinth“ und „Der Schatzgräber“ entsprangen, die alle im von Friedrich Schiller herausgegebenen Musen-Almanach für das Jahr 1798 erschienen sind.
Motiv
Das Motiv der Ballade des Zauberlehrlings taucht ursprünglich in der Geschichte „Der Lügenfreund oder der Ungläubige“ von Lukian von Samosata auf. Als mögliche Vorlage oder Anregung kommt auch eine Episode in Betracht, die vom Prager Golem des Rabbi Löw überliefert ist.
Die Stelle bei Lukian von Samosata, die Goethe in der Übersetzung Wielands benutzte, lautet:
„Endlich fand ich doch einmal Gelegenheit, mich in einem dunkeln Winkel verborgen zu halten und die Zauberformel, die er dazu gebrauchte, aufzuschnappen, indem sie nur aus drei Silben bestand. Er ging darauf, ohne mich gewahr zu werden, auf den Marktplatz, nachdem er dem Stößel befohlen hatte, was zu tun sei. Den folgenden Tag, da er geschäftehalber ausgegangen war, nehm' ich den Stößel, kleide ihn an, spreche die besagten drei Silben und befehle ihm, Wasser zu holen. Sogleich bringt er mir einen großen Krug voll. Gut, sprach ich, ich brauche kein Wasser mehr, werde wieder zum Stößel! Aber er kehrte sich nicht an meine Reden, sondern fuhr fort, Wasser zu tragen, und trug so lange, daß endlich das ganze Haus damit angefüllt war. Mir fing an, bange zu werden, Pankrates, wenn er zurückkäme, möcht' es übelnehmen — wie es dann auch geschah —, und weil ich mir nicht anders zu helfen wußte, nahm ich eine Axt und hieb den Stößel mitten entzwei. Aber da hatte ich es übel getroffen; denn nun packte jede Hälfte einen Krug an und holte Wasser, so daß ich für einen Wasserträger nun ihrer zwei hatte. Inmittelst kommt mein Pankrates zurück, und wie er sieht, was passiert war, gibt er ihnen ihre vorige Gestalt wieder; er selbst aber machte sich heimlich aus dem Staube, und ich habe ihn nie wieder gesehen.“
Inhalt
Der Zauberlehrling ist alleine und probiert einen Zauberspruch seines Meisters aus. Er verwandelt mittels Zauberspruch einen Besen in einen Knecht, der Wasser schleppen muss. Anfänglich ist der Zauberlehrling stolz auf sein Können, doch bald merkt er, wie er der Situation nicht mehr gewachsen ist.
Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
merkt ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Wunder auch.
Walle! walle
Manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.
Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
bist schon lange Knecht gewesen:
nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
oben sei ein Kopf,
eile nun und gehe
mit dem Wassertopf!
Walle! walle
manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.
Seht, er läuft zum Ufer nieder,
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
und mit Blitzesschnelle wieder
ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
voll mit Wasser füllt!
Stehe! stehe!
denn wir haben
deiner Gaben
vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!
Ach, das Wort, worauf am Ende
er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
stürzen auf mich ein.
Nein, nicht länger
kann ichs lassen;
will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!
O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
steh doch wieder still!
Willst am Ende
gar nicht lassen?
Will dich fassen,
will dich halten
und das alte Holz behende
mit dem scharfen Beile spalten.
Seht da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
gleich, o Kobold, liegst du nieder;
krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich, brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
und ich atme frei!
Wehe! wehe!
Beide Teile
stehn in Eile
schon als Knechte
völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!
Und sie laufen! Naß und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.
»In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur
zu seinem Zwecke,
erst hervor
der alte Meister.«
Aufbau
- Überheblichkeit und Wichtigtuerei
- Umsetzung des Vorhabens
- Machtrausch
- Angst und Verzweiflung
- Hilfloses Schimpfen
- Verzweiflungstat und Verschlimmerung
- Hilferuf
- Rettung durch den Zaubermeister
Die Refrainteile lassen im Kopf des Lesers das Gefühl und das Bild von Wasser entstehen, welches den Anschein hat, im Raum zu plätschern. (Walle, Walle: der häufige Gebrauch des Konsonanten L; Dass zum Zwecke Wasser fließe: Dazu viele S- und Z-Laute, um das Plätschern und Fließen des Wassers klangbildlich darzustellen).
Struktur / Sprachgestalt / Versmaß
Die Ballade besteht aus 14 Strophen, die durch Einrückung aufgeteilt sind in sieben eigentliche Strophen und sieben Strophen in Form eines unterschiedlichen Refrains. Jede (Voll-)Strophe besitzt 8 Verse. Der erste Teil jeder (eigentlichen) Strophe setzt sich aus vier Versen mit vierhebigen Trochäen zusammen, gefolgt von vier weiteren Versen mit dreihebigen Trochäen. Während die ersten vier Verse der Strophen alle eine klingende Kadenz aufweisen, wechseln sich in den letzten vier Versen der Strophen jeweils klingende und stumpfe Kadenzen ab. Der Refrainteil weist sechs Verse mit vier zweihebigen und zwei vierhebigen Trochäen auf. Die ersten vier Verse weisen dabei eine stumpfe, die zwei abschließenden eine klingende Kadenz auf.
- 7 Strophen mit je 8 Versen
- 7 Refrainstrophen mit je 6 Versen
- Reimschema (Strophe): [abab cdcd] (jeweils im Kreuzreim)
- Reimschema im Refrainteil der Strophen ist: [effgeg]
Rezeption
Künstlerische Aneignung
- Die Ballade vom „Zauberlehrling“ inspirierte den französischen Komponisten Paul Dukas 1897 zu einer Vertonung des Werks (siehe Dukas’ Der Zauberlehrling).
- "Der Zauberlehrling" inspirierte die österreichische Schriftstellerin Marta Karlweis zu ihrem gleichnamigen, 1912 erschienenem Debütwerk.
- 1832 hat Carl Loewe diese Ballade zusammen mit Goethes Hochzeitlied und Die wandelnde Glocke vertont.
- 1924 schuf Ernst Barlach[1] zwei Lithographien: Der Zauberlehrling I / Beschwörung[2] sowie II / Die Wasserflut.[3]
- Eines der erfolgreichsten Kinderbücher des Grafikers und Illustrators Tomi Ungerer erzählt die Geschichte vom Zauberlehrling (1971).
- 1985 konstruierte Kurt Bartsch sein Gedicht Liedervereinigung.[4] Dabei vermischt er Verse aus den Hymnen Auferstanden aus Ruinen und Lied der Deutschen sowie der Ode An die Freude mit solchen aus dem Zauberlehrling.
- Das Gedicht wurde auch von Achim Reichel 1978 auf seinem Album Regenballade vertont.
- Eine Vertonung speziell für Kinder findet sich auf der CD Balladen für Kinder von Lutz Görner.
- Eine Vertonung im Hip-Hop-Stil gibt es von den Jungen Dichtern und Denkern (JDD). Diese Version ist in dem Film Keinohrhasen zu hören.
- 1999 veröffentlichte die Band Tanzwut den gleichnamigen Song auf ihrem Album Rosebud: Songs of Goethe and Nietzsche
- 2009 entstand das Musical Der Zauberlehrling von Michael Wempner, der Goethes Ballade mit der Musik von Heike Wagner in das Stück integrierte.
- Auf der Kinder-CD Verrücktes Huhn der Tiroler Gruppe Bluatschink fand sich 2012 eine Vertonung des Zauberlehrlings unter dem Titel Der Zauberlehrling (Walle Walle). Der Original-Text von Goethe ist vollständig enthalten, wurde jedoch zwischen den Strophen mit eigenen erzählerischen Elementen angereichert.
- 2013 veröffentlichte 2K Games eine Erweiterung für das Computerspiel Borderlands 2 in der die Geschichte als Vorlage eines Levelabschnittes diente.
- Die deutsche Thrash-Metal-Band Hämatom hat den Zauberlehrling im Jahr 2013 im Song Bester Freund, bester Feind verarbeitet.
Verfilmungen
- 1940: Fantasia, USA, Zeichentrickfilm der Walt Disney Studios, in dem die szenische Umsetzung der Vertonung des "Zauberlehrlings" von Paul Dukas enthalten ist. Darin spielt Micky Maus den mit Besen und Wasser kämpfenden Zauberlehrling, welcher durch den Zauberhut seines Meisters unbändige Kräfte erhält.
- 2010: Duell der Magier, USA, Spielfilm mit Nicolas Cage. Der Film greift das Motiv des Zauberlehrlings auf und kommt in einer Szene des Films sehr nah an die Fantasia-Version heran. Der Originaltitel des Films ist The Sorcerer’s Apprentice, was auch der englische Titel der Ballade ist.
- 2013: Der Zauberlehrling, Deutschland, Kurzfilm produziert von „Kultur Kubik“ [heute: studio63.berlin] und dem „Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF)“. Dieser orientiert sich, im Vergleich zu bisherigen Verfilmungen, am stärksten an der Ballade von 1797.
- 2017: Der Zauberlehrling, Deutschland, Märchenfilm der ZDF-Reihe Märchenperlen.[5] Der Film, so das ZDF, sei „inspiriert durch Johann Wolfgang von Goethe“. Regie: Frank Stoye mit Max Schimmelpfennig und Felix von Manteuffel
Der Topos vom Menschen der Gegenwart als „Zauberlehrling“
Das geflügelte Wort „Die ich rief, die Geister,/Werd ich nun nicht los.“ wird heute (zumeist fehlzitiert in der Form „die Geister, die ich rief“) als Topos gebraucht, wenn eine einsetzende Entwicklung außer Kontrolle gerät und auch von ihrem Urheber nicht mehr aufgehalten werden kann.
Interpretation
Goethe zeigt in dem Gedicht Der Zauberlehrling seine Skepsis gegenüber dem Autonomiestreben, das noch seine Sturm-und-Drang-Zeit bestimmte. Der Versuch, gegen die Herrschaft des Meisters aufzubegehren und selbstständig zu handeln, führt aufgrund massiver Kompetenzdefizite des Lehrlings ins Chaos. Erst die Besinnung auf die alte Autorität und die ursprüngliche Ordnung rettet die Situation. So gesehen ist der Zauberlehrling als existenzphilosophische Parabel über die Risiken, die mit der Bildung, Herrschaft und Arbeit des Menschen verbunden sind, das Gegenstück zu Prometheus. Das Gedicht spiegelt das Gedankengut der Weimarer Klassik wider. Die Handlung der Ballade bleibt in sich geschlossen, lässt sich aber auf zahlreiche Bereiche übertragen. Besonders die Übertragung auf die Erkenntnisse der Wissenschaft und die nicht immer abschätzbaren Folgen liegt nahe. Der Satz „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“ beschreibt sehr anschaulich die Dilemmata einer Wissenschaft, die für die Folgen ihrer Forschung verantwortlich gemacht wird.[6]
Die Ballade Der Zauberlehrling steht nicht nur zeitlich in einem engen Zusammenhang mit der Französischen Revolution: Mit seiner Warnung vor der Eigenmächtigkeit von Menschen, die im Grunde genommen nur „Lehrlinge“ sind, reagiert Goethe auf die Revolution auf ähnliche Weise wie sein Freund Friedrich Schiller, der in seinem 1799 veröffentlichten Lied von der Glocke warnt: Der Meister kann die Form zerbrechen / Mit weiser Hand, zur rechten Zeit; / Doch wehe, wenn in Flammenbächen / Das glüh’nde Erz sich selbst befreit!
Eine politische Dimension ist auch in Kurt Bartschs Gedicht Liedervereinigung erkennbar. Über die Tochter aus Elysium, die Bartsch anstelle Deutschlands in seinem Gedicht anrufen lässt, heißt es in der späten Fassung der Ode An die Freude: „Deine Zauber binden wieder, / Was die Mode streng getheilt“. Die Verbindung der getrennten Teile Deutschlands wird also mit „Zauberei“ assoziiert. Diese Assoziation verstärkt Bartsch, indem „Einigkeit und Recht und Freiheit / Zu dem Bade sich ergieße“, wodurch die Verwirklichung dieser drei Staatsziele als Werk von „Zauberlehrlingen“ erscheint. Das Gefährliche dieses Unterfangens wird bei Kennern der Originaltexte noch dadurch verdeutlicht, dass es in der frühen Variante der Ode An die Freude heißt: „Deine Zauber binden wieder, / Was der Mode Schwerd getheilt“. Bloße Freude, die im Gesang der Lieder zum Ausdruck kommt, soll also den vereinigten Liedern zufolge (diese Interpretation legt Bartsch nahe) das verbinden, und ist das was mit Gewalt getrennt wurde (nämlich Deutschland). Durch die Verknüpfung mit Goethes Zauberlehrling wird der Idealismus der drei anderen Texte ironisiert.
Literatur
- Karl Moritz: Deutsche Balladen. Analyse für den Deutschunterricht. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1972. ISBN 3-506-72814-8
- Hartmut von Hentig: Die Mediatisierung des Geistes: eine Warnung an die Zauberlehrlinge. Basel: Institut für Unterrichtsfragen und Lehrerfortbildung (ULEF), 1984.
- Familienmusical von Kamil Krejci und Adrian Stern (UA 2014 Bernhardtheater Zürich)
Einzelnachweise
- http://Katja-Marek.de/zauberlehrling/
- Ernst Barlach: Der Zauberlehrling I / Beschwörung
- Ernst Barlach: Der Zauberlehrling (Die Wasserflut)
- Kurt Bartsch: Liedervereinigung. Rotbuch. Berlin 1985
- Der Zauberlehrling. In: ZDF. 24. Dezember 2017, abgerufen am 9. Februar 2022.
- Lehrerkommentar zu „Die ich rief, die Geister …“ – Wissenschaft als Chance und Risiko (PDF; 424 kB). Ernst-Klett-Verlag, 2010. S. 5