Bulhary (Tschechien)
Bulhary (deutsch Pulgram) ist eine Gemeinde im Jihomoravský kraj (Südmähren), Okres Břeclav in Tschechien. Sie liegt acht Kilometer östlich von Mikulov (Nikolsburg). Der Ort ist als ein Straßenangerdorf angelegt.
Bulhary | |||||
---|---|---|---|---|---|
| |||||
Basisdaten | |||||
Staat: | Tschechien | ||||
Region: | Jihomoravský kraj | ||||
Bezirk: | Břeclav | ||||
Fläche: | 1516[1] ha | ||||
Geographische Lage: | 48° 50′ N, 16° 45′ O | ||||
Höhe: | 170 m n.m. | ||||
Einwohner: | 746 (1. Jan. 2021)[2] | ||||
Postleitzahl: | 691 88 | ||||
Kfz-Kennzeichen: | B | ||||
Verkehr | |||||
Straße: | Milovice – Lednice | ||||
Struktur | |||||
Status: | Gemeinde | ||||
Ortsteile: | 1 | ||||
Verwaltung | |||||
Bürgermeister: | Jiří Osička (Stand: 2018) | ||||
Adresse: | Bulhary 88 691 88 Bulhary | ||||
Gemeindenummer: | 584380 | ||||
Website: | www.bulhary.cz |
Geographie
Das Dorf befindet sich am rechten Ufer der Thaya und reicht im Westen an die Milovická pahorkatina, einen Ausläufer der Pollauer Berge, mit dem Heckenwald (373 m) heran.
Die Nachbarortschaften sind im Norden Nové Mlýny (Neumühl) und Přítluky (Prittlach) und im Süden Nejdek (Neudek) und Lednice (Eisgrub).
Geschichte
Die Anlage des Ortes sowie die bis 1945 gesprochene Ui-Mundart (bairisch-österreichisch) mit ihren speziellen Bairischen Kennwörtern weisen auf eine Besiedlung durch bayrische deutsche Stämme hin, wie sie, um 1050, aber vor allem im 12/13. Jahrhundert erfolgte.[3] Sie brachten Ackergeräte aus Eisen mit, setzten neue landwirtschaftliche Anbaumethoden sowie die ertragreiche Dreifelderwirtschaft ein.
1244 war die erste urkundliche Erwähnung, als es mit Neudek und Eisgrub von König Wenzel an Sifrit den Waisen verliehen wird. 1310 verkauft an Heinrich II. von Liechtenstein, 1414 sind im Urbar nur deutsche Bewohner verzeichnet. Seit 1545 sind im Ort radikal-reformatorische Täufer (Hutterer) nachweisbar[4]. Die Kirche wurde lutherisch geweiht. 1574 kaufte Adam von Dietrichstein das Dorf und führte den katholischen Glauben wieder ein. 1585 bis 1785 wurde Pulgram der Pfarre Voitelsbrunn zugewiesen. Im Dreißigjährigen Krieg wird der Ort 1619 von den Ständischen niedergebrannt. Im Jahre 1622 wurden die Täufer aus Südmähren ausgewiesen, worauf diese nach Siebenbürgen weiterzogen.[5] In den Urbaren von 1414, 1560 und 1629 finden sich wechselnde Schreibformen für Pulgram, wie „Bylgrem“, „Pulgrvm“ und „Pullgram“.
1672 wird eine einklassige Schule gebaut, mit dem Neubau 1882 wird sie dreiklassig und ab 1908 vierklassig. Zwei große Brände in den Jahren 1828 und 1833 vernichteten mehrere Gehöfe und Scheunen im Ort.[6] In dieser Zeit wurde der herrschaftliche Meierhof aufgelöst und das Land an Bauern verpachtet.[7] 1886 wurde eine neue Thayabrücke gebaut, um die vorherige Holzbrücke zu ersetzen. Die Freiwillige Feuerwehr wurde im Jahre 1888 gegründet. 1911/12 erfolgt der Anbau eines Turnraumes. Die Bevölkerung lebte zum Großteil von der Forst-, Vieh- und Landwirtschaft, wobei der Weinbau eine besondere Rolle einnahm.[8] Die Reblausplage um 1900 vernichtete jedoch viele Weinstöcke und so verringerte sich die Anbaufläche bis 1945 kontinuierlich.[9] Im Ort selbst gab es, neben Kleinhandwerk, drei Ziegeleien, eine Milchsammelstelle, eine Raiffeisenkassa und ein Lagerhaus. Große Teile des Grundbesitzes waren bis in die Zwischenkriegszeit im Eigentum der Familie Dietrichstein.[10] Um die Jahrhundertwende wurden auf dem Ortsgebiet einige Urnengräber aus der Hallstattzeit gefunden.[11]
Matriken werden seit 1678 geführt. Onlinesuche über das Landesarchiv Brünn.[12] Grundbücher werden seit 1781 geführt.[13]
Einer der Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg, 1914–1918, war die Tschechoslowakei, die jene deutschsprachigen Gebiete Böhmens, Mährens und Österreichisch-Schlesiens für sich beanspruchte, die seit Ende 1918 als Deutschösterreich galten. Der Vertrag von St. Germain[14] sprach die strittigen Territorien gegen den Willen der dortigen deutschen Bevölkerung der Tschechoslowakei zu. Damit fiel auch Pulgram, dessen Bewohner 1910 zu 94,5 % Deutschsüdmährer waren, an den neuen Staat. 1925 wurde die Schule wieder dreiklassig, da eine neue zweiklassige Volksschule für die tschechischen Kinder gebaut wird. Die Elektrifizierung erfolgte ab 1929. Maßnahmen folgten wie die Bodenreform und die Sprachenverordnung. Dadurch kam es durch Siedler und neu besetzte Beamtenposten zu einem vermehrten Zuzug von Personen tschechischer Nationalität.[15] Diese Maßnahmen verschärften die Spannungen zwischen der deutschen und tschechischen Bevölkerung. Infolge des Münchner Abkommens wurde Pulgram am 1. Oktober 1938 ein Teil des deutschen Reichsgaus Niederdonau.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, in welchem 83 Pulgramer fielen, kam die Gemeinde am 8. Mai 1945 wieder zur Tschechoslowakei zurück. Der Ort wurde von militanten Tschechen besetzt. Auf dem Kriegerdenkmal des Ersten Weltkrieges wurden die Bilder der Gefallenen entfernt und das an der Spitze des Obelisken befindliche Kreuz durch einen roten Stern ersetzt. Bis auf 40 Personen flohen alle Ortsbewohner vor den einsetzenden Nachkriegsexzessen oder wurden am 30. Mai 1945 in einer „wilden Vertreibung“ über die Grenze nach Österreich vertrieben, wobei vier Männer und eine Frau zu Tode kamen.[16][17] Eine juristische Aufarbeitung der Geschehen hat nicht stattgefunden. Das Beneš-Dekret 115/1946 (Straflosstellungsgesetz) erklärt Handlungen bis 28. Oktober 1945 im Kampfe zur Wiedergewinnung der Freiheit..., oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziel hatte, … für nicht widerrechtlich. Beim Versuch einer Nachkriegsordnung nahmen die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges am 2. August 1945 im Potsdamer Protokoll, Artikel XIII, zu den wilden und kollektiv verlaufenden Vertreibungen der deutschen Bevölkerung konkret nicht Stellung. Explizit forderten sie jedoch einen „geordneten und humanen Transfer“ der „deutschen Bevölkerungsteile“, die „in der Tschechoslowakei zurückgeblieben sind“.[18] Zwischen 15. März und 11. Juli 1946 wurden die letzten 40 Pulgramer nach Westdeutschland zwangsausgesiedelt.[19][20] Laut Bericht von Francis E. Walter an das US-Repräsentantenhaus erfolgten diese Transporte zu keiner Zeit in „ordnungsgemäßer und humaner“ Weise.[21] Alles private und öffentliche Vermögen der deutschen Ortsbewohner wurde durch das Beneš-Dekret 108 konfisziert und die katholische Kirche in der kommunistischen Ära enteignet. Eine Restitution ist seitens der Tschechischen Republik nicht erfolgt.
Wappen und Siegel
Das älteste bekannte Siegel des Ortes stammte aus dem 16. Jahrhundert. Es zeigt eine Umschrift, in deren Mitte sich ein Renaissanceschild befindet. Auf dem Schild ist eine beblätterte Weintraube zwischen einem Pflugeisen und einem Rebmesser über einem Fisch abgebildet. Nach den Kriegen im 17. Jahrhundert kam dieses Siegel in Vergessenheit.
Ab dem Jahre 1764 wird ein neues Siegel verwendet. Es zeigt die Großbuchstaben 'BV', unter dem sich ein von fünf Lilien umgebenes Halbrundschild mit zwei gekreuzten Fischen befindet. Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich das Aussehen des Siegels mehrmals, wobei das Halbrundschild mit den zwei gekreuzten Fischen unverändert beibehalten wurde. Während der Zwischenkriegszeit war die Umschrift des Siegels zweisprachig.[22]
Bevölkerungsentwicklung
Volkszählung | Häuser | Einwohner insgesamt | Volkszugehörigkeit der Einwohner | ||
Jahr | Deutsche | Tschechen | andere | ||
1793 | 101 | 529 | |||
1836 | 127 | 728 | |||
1869 | 148 | 906 | |||
1880 | 164 | 1.044 | 1.016 | 7 | 19 |
1890 | 189 | 1.008 | 947 | 49 | 12 |
1900 | 208 | 1.097 | 979 | 108 | 10 |
1910 | 233 | 1.109 | 1.049 | 50 | 10 |
1921 | 247 | 1.124 | 979 | 117 | 28 |
1930 | 288 | 1.144 | 940 | 183 | 21 |
1939 | 997 | ||||
Quelle: 1793, 1836, 1850 aus: Südmähren von A–Z, Frodl, Blaschka | |||||
Sonstige: Historický místopis Moravy a Slezska v letech 1848–1960, sv.9. 1984 |
Sehenswürdigkeiten
- Kirche St. Aegidius erbaut 1580, abgetragen 1781 und neu aufgebaut im Jahre 1783. Haupt- und Seitenaltar von Martin Schmidt (Kremser Schmidt).
- Friedhof außerhalb des Ortes
- Pfarrhof (1785)
- Statue Hl. Johannes der Täufer
- Schule (1672)
Sagen aus dem Ort
- Der verwunschene Jäger[23]
Persönlichkeiten
- Alfred Vogel (* 1926). In Eisgrub geboren. Aufgewachsen in Pulgram. Pädagoge. Heimatforscher. Träger des Bundesverdienstkreuzes und Josef-Freising-Preises.
Quellen
- Wilhelm Szegeda: Heimatkundliches Lesebuch des Schulbezirks Nikolsburg. 1935, approbierter Lehrbehelf, Lehrerverein Pohrlitz Verlag, Pulgram S. 55f.
- Alfred Schickel, Gerald Frodl: Geschichte Südmährens. Band 3. Die Geschichte der deutschen Südmährer von 1945 bis zur Gegenwart. Südmährischer Landschaftsrat, Geislingen an der Steige 2001, ISBN 3-927498-27-0, S. 220, 223, 406, 409, 411–412, 414, 417, 421–425, 427–428, 431, 553, 573, 577 (Pulgram).
- Gerald Frodl, Walfried Blaschka: Kreis Nikolsburg von A–Z. Einwohnerzahl, Fluren, Anbau, Denkmäler, Einrichtungen, Handel und Wandel, … Südmahrischer Landschaftsrat, Geislingen an der Steige 2006.
Literatur
- Loserth Johann: Der Communismus der mährischen Wiedertäufer im 16. und 17. Jahrhundert. Beiträge zu ihrer Geschichte, Lehre und Verfassung. Carl Gerold's Sohn, (1894)
- František Hrubý: Die Wiedertäufer in Mähren Leipzig (1935)
- Franz Josef Schwoy: Topographie vom Markgrafthum Mähren. 1793, Pulgram S. 314.
- Johann Zabel: Kirchlicher Handweiser für Südmähren. 1941, Generalvikariat Nikolsburg. Pulgram S. 37.
- Ilse Tielsch-Felzmann: Südmährische Sagen. 1969, München, Verlag Heimatwerk
- Wenzel Max: Thayaland, Volkslieder und Tänze aus Südmähren. 1984, Geislingen/Steige
- Felix Bornemann: Kunst und Kunsthandwerk in Südmähren. 1990, Pulgram S. 32.
- Alfred Vogel: In Pulgram daheim. 1991, Selbstverlag, gefördert von der Niederösterreichischen Landesregierung
- Felix Ermacora: Die sudetendeutschen Fragen. Rechtsgutachten. Langen Müller Verlag, 1992, ISBN 3-7844-2412-0.
Einzelnachweise
- http://www.uir.cz/obec/584380/Bulhary
- Český statistický úřad – Die Einwohnerzahlen der tschechischen Gemeinden vom 1. Januar 2021 (PDF; 349 kB)
- Leopold Kleindienst:Die Siedlungsformen, bäuerliche Bau- und Sachkultur Südmährens, 1989, S. 9.
- Gregor Wolny: Die Wiedertäufer in Mähren, Wien 1850
- Bernd Längin: Die Hutterer.1986, S. 237.
- Gregor Wolny: Die Markgrafschaft Mähren: Bd. Brünner Kreis,1837, S. 213.
- Gregor Wolny: Die Markgrafschaft Mähren: Bd. Brünner Kreis,1837, S. 199.
- Walfried Blaschka,Gerald Frodl:Der Kreis Nikolsburg von A bis Z, 2006, S. 179.
- Hans Zuckriegl: Ich träum' von einem Weinstock, Kapitel 7, S. 262.
- Walfried Blaschka,Gerald Frodl:Der Kreis Nikolsburg von A bis Z, 2006, S. 180.
- Wilfried Fiedler, Hans Freising: Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte Mährens. 1980, S. 24.
- Acta Publica Registrierungspflichtige Online-Recherche in den historischen Matriken des Mährischen Landesarchivs Brünn (cz,dt). Abgerufen am 29. März 2011.
- Bruno Kaukal: Die Wappen und Siegel der südmährischen Gemeinden, 1992, Pulgram S. 192.
- Felix Ermacora: Der unbewältigte Friede: St. Germain und die Folgen; 1919 -1989 , Amalthea Verlag, Wien, München, 1989, ISBN 3-85002-279-X.
- Johann Wolfgang Brügel: Tschechen und Deutsche 1918 – 1938. München 1967
- Alfred Schickel, Gerald Frodl: Geschichte Südmährens. Band III. Maurer, Geislingen/Steige 2001, ISBN 3-927498-27-0, Pulgram S. 220, 223, 406, 409, 411–412, 414, 417, 421–425, 427–428, 431, 553, 573, 577.
- Walfried Blaschka, Gerald Frodl: Der Kreis Nikolsburg von A-Z. Südmährischer Landschaftsrat, Geislingen an der Steige, 2006, S. 216.
- Charles L. Mee: Die Potsdamer Konferenz 1945. Die Teilung der Beute. Wilhelm Heyne Verlag, München 1979. ISBN 3-453-48060-0.
- Emilia Hrabovec: Vertreibung und Abschub. Deutsche in Mähren 1945 – 1947. Frankfurt am Main/ Bern/ New York/ Wien (=Wiener Osteuropastudien. Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa Instituts), 1995 und 1996
- Archiv Mikulov: Odsun Němců – transport odeslaný dne 20. kvĕtna (1946)
- Walter, Francis E. (1950): Expellees and Refugees of German ethnic Origin. Report of a Special Subcommittee of the Committee on the Judiciary, House of Representatives, HR 2nd Session, Report No. 1841, Washington, March 24, 1950.
- Mährisches Landesarchiv: Gödelsche Sammlung, S. 125.
- Oberleitner/Matzura: Südmährische Sagen, 1921, S. 101f.