Bilfinger SE

Die Bilfinger SE ist ein börsennotierter Industriedienstleister, der in den Bereichen Petrochemie, Chemie, Pharma sowie Öl und Gas tätig ist. Das Unternehmen bietet Beratung, Engineering, Fertigung und Montage sowie Dienstleistungen für Instandhaltung und Generalinspektionen. Die Wurzeln des Unternehmens liegen in der Bauwirtschaft. Infolge zahlreicher Akquisitionen und Verkäufe entwickelte sich das Unternehmen jedoch zum Anbieter von Dienstleistungen für Industrieanlagen, Kraftwerke und Immobilien, und konzentrierte sich zuletzt auf Industriedienstleistungen.[4]

Bilfinger SE
Logo
Rechtsform Societas Europaea
ISIN DE0005909006
Gründung 1880
Sitz Mannheim, Deutschland Deutschland
Leitung
  • Thomas Schulz, Christina Johansson, Duncan Hall[1]
Mitarbeiterzahl 34.120 (2019)[3]
Umsatz 4,3 Mrd. EUR (2019)[3]
Branche Dienstleistungen
Website www.bilfinger.com

Bilfinger-Zentrale in Mannheim (2019)

Geschichte

1975 entstand durch die Fusion mehrerer Baugesellschaften, deren historische Wurzeln bis ins Jahr 1880 zurückreichen, die Bilfinger + Berger Bauaktiengesellschaft: August Bernatz realisierte im damals deutschen Lothringen sein erstes größeres Projekt. 1883 ließ sich der Baumeister in Mannheim nieder. Aus seinem Unternehmen ging die Grün & Bilfinger AG hervor. Die beiden anderen Vorläuferunternehmen von Bilfinger, die Julius Berger Tiefbau AG und die Berlinische Boden-Gesellschaft, wurden im Jahr 1890 gegründet.

Die Dresdner Bank w​ar als Aktionär a​n allen d​rei Unternehmen beteiligt. Unter d​er Ägide v​on Jürgen Ponto, i​hrem späteren Vorstandssprecher, reifte i​n den 1960er Jahren d​er Plan, e​in großes, international konkurrenzfähiges Bauunternehmen z​u schaffen. Der e​rste Schritt w​ar die 1969 vollzogene Fusion d​er Julius Berger m​it der Bauboag, d​ie aus d​er Berlinischen Boden-Gesellschaft hervorgegangen war. An diesem n​euen Unternehmen erwarb d​ie Grün & Bilfinger 1970 e​ine Mehrheitsbeteiligung. Im Jahr 1975 erfolgte d​ie Fusion z​ur Bilfinger + Berger Bauaktiengesellschaft, d​ie im Zuge d​er strategischen Neuausrichtung z​u einem Dienstleistungsunternehmen i​hre Firmenbezeichnung i​m Jahr 2001 i​n Bilfinger Berger änderte.

Bilfinger erwarb am 6. Oktober 2009 alle Anteile an der MCE Beteiligungsverwaltungs GmbH, Linz, Österreich für 350 Millionen. Euro. Die Gesellschaften der MCE-Gruppe, die 2008 bei etwa 900 Millionen Euro Umsatz einen Gewinn von rund 45 Millionen Euro oder 5 % Umsatzrendite nach EBIT erzielte, sind wie Bilfinger Industrial und Bilfinger Power auf Planung, Errichtung und Wartung von Anlagen der Prozessindustrie und der Energiewirtschaft ausgerichtet.[5] 2008 wurden die Sparten Hochbau und Ingenieurbau in die Tochtergesellschaften Bilfinger Berger Hochbau mit Sitz in Frankfurt am Main und Bilfinger Berger Ingenieurbau mit Sitz in Wiesbaden ausgegliedert.[6] Im Oktober 2010 wechselte Bilfinger die Rechtsform zur Aktiengesellschaft europäischen Rechts (SE, Societas Europaea).[7] Im März 2011 verkaufte Bilfinger seine australische Beteiligungsgesellschaft Valemus Australia (ehemals Bilfinger Berger Australia) und reduzierte damit weiter den Anteil der Bauaktivitäten am Konzernumsatz.[8]

Im Juli 2011 w​urde der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch Nachfolger d​es bisherigen Konzernchefs Herbert Bodner.[9] Im Herbst 2012 w​urde der Unternehmensname i​n Bilfinger geändert.[10] 2012 w​urde die Bilfinger Berger Ingenieurbau i​n Bilfinger Construction umfirmiert.[6] 2013 veräußerte Bilfinger s​eine Straßenbausparte m​it 240 Beschäftigten a​n das n​eu gegründete Unternehmen Betam.[11]

Anfang August 2014 kündigte Roland Koch seinen Rücktritt an und nannte als Grund zwei gesunkene Gewinnprognosen für das laufende Jahr und unterschiedliche Ansichten mit dem Aufsichtsrat.[12] Kurz danach übernahm der ehemalige Vorstandsvorsitzende Herbert Bodner vorübergehend sein Amt, ihm folgte ab Juni 2015 der Norweger Per Utnegaard auf dem Posten des Vorstandsvorsitzenden. 2015 wurde die Bilfinger Construction mit dem Tiefbaugeschäft an das Schweizer Bau- und Baudienstleistungsunternehmen Implenia für etwa 230 Millionen Euro verkauft.[13] Im April 2016 wurde bekannt, dass Per Utnegaard nach weniger als einem Jahr den Posten als Vorsitzender des Vorstands zum 30. April 2016 niederlegt.[14] Im Juni 2016 kündigte Bilfinger den Verkauf des Bau- und Immobiliengeschäftes Building & Facility an den schwedischen Finanzinvestor EQT an. Der Kaufpreis für die Sparte belief sich auf 1,2 Milliarden Euro. Bilfinger fokussierte sich dadurch auf das Geschäft mit Industriedienstleistungen.[4] Der Verkauf wurde im September 2016 vollzogen; im Oktober 2016 wurde aus Bilfinger Building & Facility der Immobiliendienstleister Apleona.[15]

Im Februar 2017 stellte Bilfinger s​eine neue Strategie Bilfinger 2020 vor, d​ie im Februar 2020 feinjustiert wurde.[16] Das Unternehmen konzentriert s​ich auf z​wei Segmente, v​ier Business Units u​nd sechs Industrien:[17]

  • Zwei Geschäftsfelder: Technologies (T) und Engineering & Maintenance (E&M).
  • Vier Business Units: E&M Europa, E&M Nordamerika, E&M Naher Osten, Technologies.
  • Sechs Industrien: Chemie/Petrochemie, Energie/Versorgung, Öl/Gas, Pharma/Biopharma, Metallurgie und Zement.

Im Februar 2018 beschloss der Aufsichtsrat, von allen zwischen 2006 und 2015 amtierenden Vorstandsmitgliedern Schadenersatz zu verlangen.[18] Mit Zustimmung der Hauptversammlung schloss Bilfinger im Juni 2020 einen Vergleich mit den ehemaligen Vorstandsmitgliedern. Der Vergleich mit einem Gesamtvolumen von 18,2 Millionen Euro beendete die Schadenersatzforderung des Konzerns.[19]

Geschäftsfelder

Mit d​em Verkauf d​er Divisionen Building, Facility Services u​nd Real Estate w​urde Bilfinger z​um reinen Dienstleister für d​ie Industrie. Seit d​er Vorstellung d​er Strategie Bilfinger 2020 wurden d​ie Leistungen i​n den beiden Segmenten Technologies (T) u​nd Engineering & Maintenance (E&M) gebündelt. Das T-Geschäft i​st international aufgestellt u​nd bietet Leistungen i​n allen Kernregionen an. E&M i​st hingegen regional aufgestellt. Die Leistungen werden jeweils l​okal angeboten u​nd direkt b​eim Kunden erbracht. Die Einheiten, d​ie nicht z​um Kerngeschäft passen, wurden d​em Geschäftsfeld Other Operations zugeordnet. Für d​iese Einheiten werden geeignetere Eigentümer gesucht.[17][20]

Ehemalige Manager

Aktie

Die Aktie d​es Unternehmens notiert i​m Aktienindex SDAX.

Anteil Anteilseigner[23]
73,6 %Institutionelle Anleger
9,6 %Institutionelle Anleger Deutschland
7,6 %Institutionelle Anleger Vereinigte Staaten
17,6 %Institutionelle Anleger Großbritannien
4,7 %Institutionelle Anleger Schweiz
3,4 %Institutionelle Anleger Skandinavien
2,6 %Institutionelle Anleger Spanien
1,4 %sonstige institutionelle Anleger
16,9 %Streubesitz/Keine Angaben
8,8 %Aktien im Eigenbestand
26,8 %Cevian Capital

Stand: 30. Juni 2020

Großprojekte

Europastraße 18 in Norwegen
Schiffshebewerk Niederfinow Nord

Kontroversen

Im Februar 2010 w​urde der Verdacht a​uf Betrug d​urch Mitarbeiter v​on Bilfinger b​eim Bau d​er Nord-Süd-Stadtbahn i​n Köln laut. Dabei g​ing es u​m den Vorwurf v​on gefälschten Messprotokollen b​ei der Erstellung d​er Schlitzwände a​n der Baugrube s​owie um n​icht eingebaute Teile d​er Stahlbewehrung i​n den Schlitzwänden.[29][30] Der Vorwurf w​urde von Bilfinger a​m 24. Februar 2010 a​ls zutreffend erklärt.[31][32] Im Juni 2020 erzielte Bilfinger e​inen Vergleich, m​it dem a​lle zivilrechtlichen Forderungen i​m Zusammenhang m​it dem eingestürzten Stadtarchiv abgegolten sind.[33]

Ende Februar 2010 folgte e​in Verdacht a​uf gefälschte Protokolle b​eim Bau d​er Schnellfahrstrecke Nürnberg–Ingolstadt[34] s​owie beim U-Bahn-Bau i​n Düsseldorf.

Aufgrund v​on Korruptionsvorwürfen i​n den USA verordnete d​as Justizministerium 2013 d​em Konzern e​inen externen Aufpasser, e​inen sogenannten Monitor.[35] Im Dezember 2018 zertifizierte d​er Monitor d​as Compliance-System v​on Bilfinger u​nd erklärte d​as Monitorship für beendet.[36]

Ein gerichtliches Nachspiel h​atte 2017 d​ie Entlassung d​er internen Chefermittlerin für Compliance-Vorwürfe, Marie-Alix v​on Meiningen, d​ie u. a. Korruptionsvorfälle i​n Oman untersuchte. Sechs Tage, nachdem s​ie die Firma verlassen hatte, w​urde der Abschluss e​ines neuen 200-Millionen-Dollar-Auftrages i​n jenem Land bekanntgegeben.[37][38] Im Januar 2020 einigten s​ich die Parteien außergerichtlich i​n gegenseitigem Einvernehmen a​uf die Beendigung d​es Arbeitsverhältnisses v​on Frau v​on Meiningen b​ei Bilfinger.[39]

Bilfinger h​atte 2017 Aufträge i​n Millionenhöhe z​um Bau d​er Pipeline Nord Stream 2 bekanntgegeben.[40] Im Januar 2021 kündigte Bilfinger d​ie Kündigung dieser Verträge an.[41]

Literatur

  • Bernhard Stier und Martin Krauß: Drei Wurzeln – ein Unternehmen. 125 Jahre Bilfinger Berger AG. verlag regionalkultur, ISBN 978-3-89735-411-1.
Commons: Bilfinger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Der Vorstand der Bilfinger SE (auf bilfinger.com)
  2. bilfinger.com: Impressum
  3. bilfinger.com: Geschäftsbericht 2019
  4. Bilfinger konzentriert sich auf Industriedienstleistungen. (Nicht mehr online verfügbar.) In: bilfinger.com. Archiviert vom Original am 7. August 2016; abgerufen am 16. August 2016.
  5. DGAP-Adhoc: Bilfinger Berger AG übernimmt MCE-Gruppe und beschließt Bezugsrechtskapitalerhöhung im Verhältnis 4:1 zu einem Bezugspreis von EUR 30,60. In: FinanzNachrichten.de. (finanznachrichten.de [abgerufen am 29. Mai 2017]).
  6. Jahresabschluss und Lagebericht der Bilfinger Berger AG zum 31. Dezember 2008 (PDF; 2,0 MB).
  7. Bilfinger: Industriedienstleister für die Prozessindustrie. Abgerufen am 29. Mai 2017.
  8. Bilfinger Berger schließt Verkauf von Valemus Australia ab. Abgerufen am 28. Oktober 2020.
  9. Bilfinger Berger SE: Roland Koch wird neuer Vorstandsvorsitzender von Bilfinger Berger, 29. Oktober 2010.
  10. Aktionäre beschließen Namensänderung von Bilfinger Berger: Meldung. In: Die Welt. Abgerufen am 29. Mai 2017.
  11. Wirtschaftswoche: Betam Infrastructure ist insolvent, abgerufen am 13. Juli 2015.
  12. Bernd Freytag, Klaus Max Smolka: Roland Koch verlässt Bilfinger: Spektakulär gescheitert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 4. August 2014 (faz.net).
  13. Baukonzern: Bilfinger trennt sich von seinen Wurzeln. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 22. Dezember 2014 (faz.net).
  14. Paukenschlag von Per Utnegaard: Bilfinger-Chef geht überraschend. In: Handelsblatt. 13. April 2016, abgerufen am 13. April 2016.
  15. Aus Bilfinger Building und Facility wird Apleona. In: Der Facility Manager (online), 5. Oktober 2016, abgerufen am 4. Juli 2017.
  16. Bilfinger Factbook 05/2020. (PDF) Abgerufen am 14. Februar 2019.
  17. Bilfinger 2020: Zurück zu profitablem Wachstum. Abgerufen am 29. Mai 2017.
  18. Bilfinger SE verlangt Schadenersatz von Roland Koch und Herbert Bodner. In: Manager Magazin. Abgerufen am 20. März 2019.
  19. Bilfinger einigt sich auf Vergleich mit ehemaligen Vorstandsmitgliedern. In: Chemie Technik. 26. Juni 2020, abgerufen am 13. Juli 2020 (deutsch).
  20. Bilfinger Geschäftsbericht 2016. (PDF) 15. März 2017, S. 7, abgerufen am 29. Mai 2017.
  21. Roland Koch wird neuer Vorstandsvorsitzender von Bilfinger, Meldung des Unternehmens vom 29. Oktober 2010, 13:50.
  22. FAZ.net: Bilfinger-Boss Roland Koch wird abgelöst
  23. Bilfinger: Aktionärsstruktur per 30. Juni 2019. In: Reporting Factbook. S. 29, ( PDF), abgerufen am 20. Januar 2021 (englisch).
  24. Bilfinger: Industriedienstleister für die Prozessindustrie - Bilfinger SE. Abgerufen am 29. Mai 2017.
  25. Schrott-Autobahn A1: Dem Pfusch auf der Spur. (Nicht mehr online verfügbar.) NDR Magazin Markt, 22. März 2010, archiviert vom Original am 25. März 2010; abgerufen am 22. März 2010.
  26. Roland Kirbach: Privatisierte Autobahnen: Deutschlands gefährlichste Straße. In: Die Zeit. Hamburg 8. September 2013 ( [abgerufen am 29. Mai 2017]).
  27. Enge Fahrspuren führen zu vielen Unfällen. (Nicht mehr online verfügbar.) NDR Magazin Markt, 9. November 2009, archiviert vom Original am 2. März 2010; abgerufen am 9. November 2009.
  28. Bilfinger Berger baut U-Bahn „Unter den Linden“. In: Berliner Morgenpost. Abgerufen am 29. Mai 2017.
  29. Andreas Damm, Detlef Schmalenberg Da ist mit System gefälscht worden, Kölner Stadt-Anzeiger vom 16. Februar 2010, abgerufen am 4. Dezember 2017.
  30. Nikolaus Hammerschmidt und Michael Gassmann: Financial Times Deutschland vom 8. März 2010, zuletzt abgerufen am 17. Juni 2010; Pfusch am Bau: Bilfinger setzt Experten ein@1@2Vorlage:Toter Link/www.heute.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) , heute.de magazin vom 8. März 2010, abgerufen am 17. Juni 2010.
  31. Weitere Prüfungen nach Bau-Pfusch. (Nicht mehr online verfügbar.) Westdeutscher Rundfunk, 24. Februar 2010, archiviert vom Original am 26. Februar 2010; abgerufen am 27. Februar 2010.
  32. Lars Hering: Das Kölner U-Bahn-Desaster. (Nicht mehr online verfügbar.) Westdeutscher Rundfunk, 26. Februar 2010, archiviert vom Original am 1. März 2010; abgerufen am 27. Februar 2010.
  33. Einsturz des Kölner Stadtarchivs: Bilfinger erzielt Vergleich und zahlt 200 Millionen Euro. Abgerufen am 13. Juli 2020.
  34. Focus Pfusch an ICE-Trasse München-Nürnberg?
  35. Wirtschaftswoche: Es wird gemacht, was der Monitor sagt, vom 3. Mai 2017, abgerufen am 18. Juni 2018
  36. CEO Blades im Interview: Was Bilfinger in fünf Jahren US-Aufsicht gelernt hat. Abgerufen am 13. Juli 2020.
  37. Handelsblatt: Die Aufarbeitung fragwürdiger Praktiken bei Bilfinger entwickelt sich zum Krimi, vom 17. Juni 2018, abgerufen am 18. Juni 2018
  38. Rafael Buschmann, Jürgen Dahlkamp, Günther Latsch, Jörg Schmitt: Die Frau, die zu viel wusste. In: Der Spiegel. Nr. 25, 2018, S. 58–65 (online).
  39. Bilfinger und Ermittlerin einigen sich - Mannheimer Morgen. Abgerufen am 13. Juli 2020.
  40. mobile.reuters.com
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