Bahnstrecke Kempten (Allgäu)–Neu-Ulm
Die Bahnstrecke Kempten (Allgäu)–Neu-Ulm ist eine nicht elektrifizierte und überwiegend eingleisige Hauptbahn von Kempten (Allgäu) über Memmingen nach Neu-Ulm. Sie folgt auf gesamter Länge dem Lauf der Iller und wird daher auch Illertalbahn oder Illerbahn genannt.
Geschichte
Da durch den Bau von Wehren und Wasserkraftwerken während der Industrialisierung die Flößerei auf der Iller zum Erliegen kam und der Transport auf der Straße sich nicht lohnte, kam 1843 von einigen Kemptener Bürgern die Idee einer Bahnstrecke nach Neu-Ulm auf. Der Staat hatte jedoch an einem weiteren Bahnbau in diesem Gebiet kein Interesse.
Weil die Stadt Memmingen im bayerischen Bezirk Schwaben dann nicht in die Planung der ersten Eisenbahnen des Landes einbezogen wurde, ergriff die Stadt die Initiative zum Bau der Strecke und erhielt am 13. September 1861 die Konzession dafür. Sie nahm hierzu einen Kredit von etwa 3,5 Millionen Gulden auf und musste sich selbst um den Grunderwerb und die Bautätigkeiten kümmern. Der erste Abschnitt bis Memmingen konnte am 12. Oktober 1862 eröffnet werden, der zweite am 1. Juni 1863. Zur Finanzierung nahmen die Städte Memmingen (federführend) und Kempten mittels einer Privatgesellschaft einen Kredit auf.[7]
Die Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen stellten die Fahrzeuge und führten den Betrieb auf der von ihr gepachteten Strecke. Wegen der mehr als lokalen Bedeutung der Bahn erwarb sie der bayerische Staat bereits zum 12. April 1876. Somit wurde auch die Hypothek der Privatgesellschaft abgelöst.
Seit der Fertigstellung des Bahnprojekts Neu-Ulm 21 im Jahr 2009 ist die Illertalbahn von der neuen Überleitstelle am Haltepunkt Finninger Straße bis zum Trogbahnhof Neu-Ulm zweigleisig.[8]
Ausbaupläne
Es ist geplant, den Abschnitt Memmingen–Neu-Ulm in die Regio-S-Bahn Donau-Iller einzubinden und im Zuge dessen fünf bis sechs neue Haltepunkte zu eröffnen.[9]
Mitte Mai 2015 wurde von den Vertretern der elf an der Strecke Memmingen–Neu-Ulm liegenden Kommunen, den beiden Landkreisen Neu-Ulm und Memmingen und des Regionalverbandes Donau-Iller die Interessengemeinschaft Illertalbahn gegründet. Sie will sich vor allem für den Bau eines zweiten Gleises, die Elektrifizierung und die Einrichtung weiterer Stationen im südlichen Abschnitt einsetzen.[10]
Nach dem Konzept der Bayerischen Staatsregierung für mehr Elektromobilität auf der Schiene in Bayern hat Innenminister Joachim Herrmann die Strecke aus bayerischer Sicht für die Elektrifizierung vorgeschlagen.[11] In der Folge kündigte der ehemalige Bayerische Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr Hans Reichhart Anfang 2020 bei einem Treffen mit der IG Illertalbahn an, dass der Ausbau der Strecke Memmingen–Neu-Ulm im Rahmen der Regio-S-Bahn Donau-Iller mit 330 Millionen Euro gefördert werden soll. Das dreistufige Konzept sieht in der ersten Stufe ab Fahrplanwechsel im Dezember 2020 vor, dass die Regio-S-Bahn auf den Linien Ulm–Memmingen und Ulm–Senden–Weißenhorn mit neuen Dieseltriebwagen startet. Dabei wird auch der Bahnhof Gerlenhofen mit einem stündlichen Halt reaktiviert. In einem zweiten Schritt wird der Bahnhof Senden mit einem Aufwand von 23 Millionen Euro modernisiert, so dass vor allem die Zugfrequenz Richtung Weißenhorn erhöht werden kann. Vorbereitende Arbeiten fanden hierzu bereits während einer vierwöchigen Streckensperre im März und April 2020 statt.[12] Weiterhin sollen die Planungen für die neuen Stationen in Pleß, Fellheim, Heimertingen, Memmingen-Amendingen und am Memminger Berufsbildungszentrum beginnen und der Bahnhof Gerlenhofen soll näher zum Ortszentrum verlegt werden. Untersucht werden soll auch, ob nördlich von Senden ein neuer Haltepunkt errichtet werden kann. In der dritten Ausbaustufe soll die Strecke elektrifiziert und die Zweigleisigkeit zwischen Gerlenhofen und Senden sowie zwischen Kellmünz und Pleß hergestellt werden.[13] Ende November 2020 hat der Freistaat Bayern die Mittel für die Vorplanung der Ausbaumaßnahmen der Illertalbahn und der Stichstrecke nach Weißenhorn für die jeweiligen Eisenbahninfrastrukturunternehmen DB Netz und Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm bereitgestellt.[14] Im August 2021 hat die DB Netz die Planung (Leistungsphase 1+2) der Elektrifizierung zwischen Neu-Ulm und Kempten (Allgäu) und zweigleisigen Abschnitten zwischen Neu-Ulm und Memmingen EU-weit ausgeschrieben. Neben einem weiteren Haltepunkt in Senden-Nord sind auch Maßnahmen zur Erhöhung der Zugfolge vorgesehen, die eine Steigerung der Zuganzahl von 109 auf 130 ermöglichen.[15]
Betrieb
Im Abschnitt Memmingen–Neu-Ulm gehört die Strecke zu den meistbefahrenen eingleisigen Bahnstrecken Deutschlands, insbesondere zwischen Senden und Neu-Ulm. Hier werden durchschnittlich etwa 7500 Fahrgäste pro Tag befördert (Stand 2018).[16]
Fernverkehr
Die Strecke wird vom Intercity Allgäu befahren, der einmal täglich von Oberstdorf über Kempten und Ulm nach Dortmund fährt. In der Gegenrichtung verkehrt der Allgäu ab Ulm als Regional-Express und kann mit Fahrkarten des Nahverkehrs benutzt werden. Beide Züge werden zwischen Stuttgart und Oberstdorf von zwei Diesellokomotiven der Baureihe 218 bespannt.
Regionalverkehr
Im Stundentakt verkehren täglich von Ulm über Kempten nach Oberstdorf Regional-Express-Züge der Linie RE 75. Dieses Angebot wird durch zwei Regionalbahn-Linien ergänzt, die täglich im Stundentakt von Ulm über Senden nach Memmingen oder Weißenhorn verkehren. Als Teil der Regio-S-Bahn Donau-Iller werden sie seit Dezember 2020 als RS7 und RS71 bezeichnet. Sowohl die Regional-Express- als auch die Regio-S-Bahn-Verbindungen werden von DB Regio Bayern betrieben. Von Kellmünz bis Neu-Ulm ist die Strecke in den Donau-Iller-Nahverkehrsverbund (DING) integriert.
Die Regional-Express-Verbindungen werden seit Dezember 2020 mit Pesa-Link-Dieseltriebwagen bedient, während für die Regio-S-Bahn Alstom Coradia LINT eingesetzt werden.[17] Zuvor verkehrten Dieseltriebwagen der Baureihe 612 sowie Siemens Desiro Classic und Bombardier Talent.[18] In der Vergangenheit kamen auch n-Wagen, bespannt mit einer Lokomotive der Baureihe 218 sowie die Baureihen 611, 628 und 650 zum Einsatz.
Unfall im Juli 2013
Am 17. Juli 2013 ereignete sich kurz vor dem Bahnhof Kellmünz ein Verkehrsunfall mit Beteiligung eines Zuges. Ein mit etwa 50 Personen besetzter Triebwagen der Baureihe 612, der als Regionalbahn verkehrte, entgleiste, nachdem er an einem unbeschrankten Bahnübergang mit einem Kraftfahrzeug kollidierte. Ein Wagen des Zuges kippte dabei von den Schienen, drehte sich um 180 Grad und blieb seitlich neben den Schienen liegen. Bei dem Unfall wurden drei Menschen schwer verletzt, darunter die Autofahrerin und eine Person, die aus dem Zug geschleudert wurde.[19] Um weitere Unfälle an dieser Stelle zu vermeiden, wird dort 2016 ein beschrankter Bahnübergang eingerichtet.
Weblinks
Einzelnachweise
- Alexander Schatz: Streckenkunde KBS 975 Infos und Fahrzeiten etc. – Strecken-Nr. 5402, 5362, 5400. In: Ulmer Eisenbahnen. 5. Dezember 2009, abgerufen am 7. Oktober 2013.
- Infrastrukturregister. In: geovdbn.deutschebahn.com. DB Netz AG, abgerufen am 21. Dezember 2021.
- Trassenportal – Stammdaten (XLSX). In: dbnetze.com. DB Netz AG, Dezember 2021.
- Geo-Brücke (Stand 01/2019) (ZIP-Datei). Geoinformationen zu Brücken des Schienenverkehrsnetzes. In: deutschebahn.com. DB Netz AG, 20. März 2020.
- Eisenbahnatlas Deutschland. 11. Auflage. Schweers + Wall, Köln 2020, ISBN 978-3-89494-149-9.
- Bundesbahndirektion München. Karte im Maßstab 1:400000. Ausgabe B. Zentrale Transportleitung Kartenstelle der Deutschen Bundesbahn, September 1984 (blocksignal.de [abgerufen am 21. Dezember 2021]).
- Volker Dotterweich, Karl Filser u. a. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Kempten. Dannheimer, Kempten 1989, ISBN 3-88881-011-6, S. 385.
- Neu-Ulm 21: Bahntieferlegung. In: neu-ulm.de. 2015, abgerufen am 13. Mai 2015.
- SMA/Intraplan:Regio-S-Bahn Donau-Iller Ergebnisse der Hauptstudie (PDF; 2,4 MiB), 27. November 2012, abgerufen am 19. November 2013
- „Interessengemeinschaft Illertalbahn“: Ausbau der Bahnstrecke. Südwest Presse, 13. Mai 2015, abgerufen am 13. Mai 2015.
- Mehr Elektromobilität auf der Schiene. Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, 23. Januar 2018, abgerufen am 2. Juni 2019.
- H. Bischoff: Illertalbahn: S-Bahn-Projekt kommt voran. In: Eisenbahn-Revue International. Band 2020, Nr. 6, Juni 2020, ISSN 1421-2811, S. 283.
- Verbesserungen im ÖPNV: Ausbau Donau-Illertalbahn. Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, 22. Januar 2020, abgerufen am 9. Juni 2020.
- Startschuss für Elektrifizierung der Illertalbahn gefallen. In: Augsburger Allgemeine. 27. November 2020, abgerufen am 27. November 2020.
- LOK Report - Bayern: Ausschreibung Planungsleistungen zu Ausbau und Elektrifizierung der Illertalbahn. 11. August 2021, abgerufen am 23. November 2021.
- Nimmt Projekt endlich Fahrt auf? Bayern bei Regio-S-Bahn dabei. In: schwaebische.de. 29. September 2018, abgerufen am 30. September 2018.
- Fahrplanwechsel im Bahnland Bayern: Das ändert sich im Fahrplanjahr 2021. In: beg.bahnland-bayern.de. 11. Dezember 2020, abgerufen am 5. April 2021.
- DB Regio soll Zuschlag im Vergabeverfahren „Dieselnetz Ulm Übergang“ erhalten. 18. Juli 2016, abgerufen am 5. April 2021.
- Augsburger Allgemeine: Triebwagen stürzt in Gärten: "Ich wollte nur raus aus dem Zug", 17. Juli 2013