Albert Paris Gütersloh
Albert Paris von Gütersloh (* 5. Februar 1887 in Wien; † 16. Mai 1973 in Baden bei Wien; eigentlich Albert Conrad Kiehtreiber) war ein österreichischer Maler und Schriftsteller. Er gilt als der geistige Vater der Wiener Schule des Phantastischen Realismus.
Leben
Albert Konrad Kiehtreiber wurde als Sohn des Kommis Josef Kiehtreiber und der Mathilde geb. Kohlgruber in Wien Gumpendorf geboren. Er besuchte ab 1898 das humanistische Stiftsgymnasium Melk und seit 1900 das Gymnasium der Franziskaner in Bozen, da er nach den Plänen seiner Eltern Priester werden sollte. 1904 nahm er unter dem Pseudonym Albert Matthäus Schauspielunterricht und spielte an diversen Provinzbühnen der Monarchie und in Bad Reichenhall. Max Reinhardt engagierte ihn an das Deutsche Theater in Berlin.
Als bildender Künstler trat Kiehtreiber erstmals 1909 mit einer Ausstellung von Zeichnungen auf der Internationalen Kunstschau in Wien hervor. Weitere Ausstellungen folgten, darunter in Wien auf der Kunstschau, beim Hagenbund, in der Wiener Secession, aber auch in Frankreich, Deutschland oder Italien. Nachdem 1911 sein expressionistischer Roman Die tanzende Törin erschienen war, ging er als Kunstberichterstatter nach Paris, wo er 1911/1912 bei Maurice Denis Malerei studierte und Ölbilder zu malen begann.
Zurück in Wien wurde er Schüler von Gustav Klimt und gehörte dessen Kreis mit Egon Schiele und Josef Hoffmann an. In den Zeitschriften Der Ruf und Die Aktion veröffentlichte er Beiträge und gab 1914 mit Karl Adler die Zeitschrift Der Knockabout heraus. Während des Ersten Weltkrieges lernte er im k.u.k. Kriegspressequartier Hugo von Hofmannsthal, Hermann Bahr, Robert Musil und Franz Blei kennen. Mit Blei gab er 1918/19 die Zeitschrift Die Rettung heraus. 1919 wurde Gütersloh von Bohuslav Kokoschka, dem jüngeren Bruder von Oskar Kokoschka porträtiert.
1922 änderte Kiehtreiber seinen Namen offiziell in Albert Paris von Gütersloh. Seit 1913[1] hatte er sich immer wieder so genannt. Laut Gerhard Habarta war er vor 1914 in der damals kleinen deutschen Stadt Gütersloh als Schauspieler tätig und zur gleichen Zeit in zwei Mädchen verliebt. Das Verhältnis nahm Formen an, die eine Entscheidung zwischen den beiden Frauen für ihn notwendig machten. Er wurde für sich zum Paris, der zwischen mehreren schönen Frauen entscheiden musste. Aus dieser Situation soll der Wahlname entstanden sein.
1919–1921 war er Oberregisseur am Münchner Schauspielhaus. Daneben schrieb er auch und war Bühnenbildner am Wiener Burgtheater und Kirchenrestaurator. Für seine Bücher erhielt er 1922 den Theodor-Fontane-Preis für Kunst und Literatur. 1926 erschien sein autobiografisches Werk Bekenntnisse eines modernen Malers. Von 1930 bis 1938 war Gütersloh Professor an der Wiener Kunstgewerbeschule, von 1933 bis 1939 Mitglied der Wiener Secession. In dieser Zeit entstanden Mosaike und Glasfenster für einige Wiener Kirchen.
Im Lauf der 1930er Jahre wurde er zum begeisterten Nationalsozialisten, nachdem er zuvor mit dem Austrofaschismus sympathisiert hatte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs beantragte er die Aufnahme in die NSDAP, was für ihn ungeahnte Folgen haben sollte.[2] Der Antrag wurde aufgrund seiner Biographie nicht nur abgelehnt, im Gegenteil wurde Güterslohs Kunst von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft. Er verlor daher 1938 seine Professur und erhielt 1940 auch Berufsverbot.
Albert Paris Gütersloh zählte auch zu den namhaften freien Mitarbeitern der Wiener Zeitung.[3] Ab Ende der 1920er Jahre befand sich Gütersloh in einem ambivalenten Lehrer-Schüler-Verhältnis zu dem österreichischen Autor Heimito von Doderer, der auch die erste Monografie über ihn publizierte (Der Fall Gütersloh, 1930). Im Herbst 1938 bezog er zusammen mit Doderer eine Atelier-Wohnung in der Buchfeldgasse 6 im 8. Wiener Gemeindebezirk Josefstadt, die beide von kriegsbedingten Unterbrechungen abgesehen (Doderer wurde 1940 zur Luftwaffe eingezogen) bis Ende Juni 1948 gemeinsam innehatten. 1962 kam es nach Erscheinen von Güterslohs Roman Sonne und Mond, in dem er Doderer in der Figur des „Ariovist von Wissendrum“ karikiert hatte, zum Zerwürfnis der beiden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete Gütersloh 1945 bis 1962 eine Meisterschule für Malerei und einen Freskokurs an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Er richtete hier eine Fresko- und Gobelinschule ein. Zu seinen Schülern zählten u. a. Ernst Fuchs und Eva Nagy. 1953/54 wurde er Rektor und erhielt 1955 den Titel eines ordentlichen Professors. Seit 1945 war Gütersloh wieder Mitglied des Art Club und der Secession und von 1950 bis 1954 deren Präsident. 1950 gründete er gemeinsam mit Josef Hoffmann die Föderation moderner bildender Künstler Österreichs und wurde 1951 deren erster Präsident.
Gütersloh war in erster Ehe vom 24. Februar 1914 bis zu ihrem Tod 1917 mit der am 13. November 1885 geborenen Hofoperntänzerin Emma Anna Berger verheiratet, in zweiter Ehe von 1921 bis zur Scheidung 1932 mit der Tänzerin Vera Reichert. Wolfgang Hutter, geb. 1928, war der leibliche Sohn von Albert Paris Gütersloh und Milena Hutter, die eine jahrelange Liebesaffäre miteinander verband. Milena Hutter war die Ehefrau des Arztes Karl Hutter. Gütersloh anerkannte Wolfgang Hutter erst in seinem Testament 1973 als seinen Sohn. Nach dem Tode Güterslohs in Baden, wo er seit 1970 lebte, wurde er auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 32 C, Nummer 35) in einem Ehrengrab bestattet.
Im Jahr 2006 wurde in Wien-Donaustadt (22. Bezirk) die Güterslohgasse nach ihm benannt.
Bedeutung
Der vielseitig begabte Gütersloh schuf als bildender Künstler Aquarelle, Zeichnungen, Ölbilder, aber auch Gobelinentwürfe, Mosaike und Glasfenster. Die Themen seiner Bilder sind vor allem Stillleben, Porträts und Landschaften. Als Lehrer von Arik Brauer, Ernst Fuchs, Wolfgang Hutter, Helmut Leherbauer, Arminio Rothstein, Friedensreich Hundertwasser, Anton Lehmden und Alois Kowald gilt er als einer der wichtigsten Wegbereiter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus.
Als Schriftsteller verfasste er Romane, Erzählungen und Lyrik. Beginnend mit dem expressionistischen Frühwerk ging Gütersloh später zu einem barock-sinnlichen Stil über.
Auszeichnungen
- 1922: Theodor-Fontane-Preis für Kunst und Literatur
- 1926: Reichel-Preis (1926)
- 1928: Grand Prix, Paris (1928) für seine Gobelins
- 1933: Titel Professor[4]
- 1935: Staatspreis für Malerei (1935)
- 1937: Grand Prix, Paris (1937)
- 1948: Preis der Stadt Wien für Malerei und Graphik
- 1952: Großer Österreichischer Staatspreis für Bildende Kunst
- 1961: Großer Österreichischer Staatspreis für Literatur
- 1957: Ehrenring der Stadt Wien
- 1961: Preis der Stadt Wien für Dichtkunst
- 1967: Preis der Stadt Wien für Literatur
- 1967: Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst
- 1987: Sonderbriefmarke der Österreichischen Post anlässlich seines 100. Geburtstages
Werke
Bildende Kunst
- Stilleben mit Sessel (Wien, Leopold Museum), 1912, Öl auf Leinwand, 60,7 × 60 cm
- Frau mit Kind (Wien, Leopold Museum, Inv. Nr. 85), 1913, Öl auf Leinwand, 68,3 × 55,7 cm
- Damenbildnis (Privatbesitz), 1913, Öl auf Leinwand, 65 × 51,5 cm
- Selbstbildnis vor der Staffelei (Wien Museum), 1913, Öl auf Leinwand
- Frauenbildnis (Wien, Leopold Museum, Inv. Nr. 81), 1914, Öl auf Leinwand
- Frau in grünem Kleid (Privatbesitz), 1926, Öl auf Leinwand, 101 × 81 cm
- Stilleben mit Pfirsichen (Sammlung Oesterreichische Nationalbank), 1930, Öl auf Leinwand, 50 × 59,6 cm
- Entwürfe für Gobelins
- Glasfenster und Mosaike für die Pfarrkirche Mauer (1934)
- Glasfenster und Mosaike für die Pfarrkirche Sandleiten (1935)
- Glasfenster, die 4 Kardinaltugenden darstellend (Wien, Kirche Namen Jesu) (1950)
- Mosaik Morgen am Dag Hammarskjöld Hof in Wien-Floridsdorf (1957–1960)
- Phantastenmuseum, Wien, als Vorläufer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus
Literarische Werke
- Essays
- Egon Schiele, 1911
- Bekenntnisse eines modernen Malers, 1926
- Zur Situation der modernen Kunst, 1963
- Romane
- Die tanzende Törin, 1911[5]
- Der Lügner unter Bürgern, 1922
- Innozenz oder Sinn und Fluch der Unschuld, 1922
- Eine sagenhafte Figur, 1946
- Sonne und Mond, 1962
- Die Fabel von der Freundschaft, 1969
- Erzählungen
- Die Vision vom Alten und vom Neuen, 1921
- Die Fabeln vom Eros, 1947
- Gedichte
- Musik zu einem Lebenslauf, 1957
Literatur
- Hans Ankwicz-Kleehoven: Gütersloh, Paris von. In: Ulrich Thieme, Fred. C. Willis (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker. Band 15: Gresse–Hanselmann. E. A. Seemann, Leipzig 1922, S. 247 (Textarchiv – Internet Archive).
- Heimito von Doderer: Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal und seine Deutung. Haybach-Verlag, Wien 1930.
- Jeremy Adler (Hrsg.): Allegorie und Eros. Texte von und über Albert Paris Gütersloh. Piper Verlag, München 1986, ISBN 3-492-10682-X.
- Gerhard Habarta: Frühe Verhältnisse, Kunst in Wien nach 45. Verlag Der Apfel, Wien 1996, ISBN 3-85450-045-9.
Weblinks
- Literatur von und über Albert Paris Gütersloh im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Albert Paris Gütersloh im Wien Geschichte Wiki der Stadt Wien
- Eintrag zu Albert Paris Gütersloh im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
- Eintrag zu Albert Paris Gütersloh in der Datenbank Gedächtnis des Landes zur Geschichte des Landes Niederösterreich (Museum Niederösterreich)
- Archivaufnahmen von, mit und über Albert Paris Gütersloh im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek
- Albert Paris von Gütersloh Bilder bei artnet
Einzelnachweise
- 1913 erschien im Verlag Georg Müller in München sein Roman Die tanzende Törin mit erneuertem Copyright bereits unter dem Verfassernamen „Paris von Gütersloh“, später leicht geändert zu „Albert Paris Gütersloh“.
- Wolfgang Fleischer: Das verleugnete Leben. 2. Aufl. Kremayr & Scheriau, Wien 1996, S. 273 ff.
- Rebecca Unterberger: Vom Diarium zur Zeitung: Wiener Zeitung. Auf litkult1920er.aau.at, verfasst März 2017, redaktionell ergänzt Februar 2019.
- Paris Gütersloh – Professor. In: Der Wiener Tag, 12. Dezember 1933, S. 4 (online bei ANNO).
- Von diesem Erstdruck eines Berliner Buchdruckers namens Baumhauer existiert allerdings kein einziges Exemplar in einer öffentlichen Bibliothek; die Österreichische Nationalbibliothek besitzt zwar einige Druckfahnen, aber auch sie weisen die tatsächlich erfolgte Publikation des Buches nicht nach; auch Rezensionen gab es nicht. Als eigentliche Erstausgabe hat darum die Publikation des (angeblich gekürzten) Romans im Verlag Georg Müller, München 1913, zu gelten; dieses Buch ist in öffentlichem Bibliotheksbesitz, drei Exemplare werden (März 2017) im Antiquariatshandel angeboten. Ein Neudruck, herausgegeben von Wolfdietrich Rasch, erschien im Nachfolgeverlag Langen-Müller, München 1973, eine Taschenbuchausgabe wenig später im Heyne-Verlag München.