Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ist eine Interessenvertretung mit Sitz in Heidelberg, die sich für die Belange der seit langem in Deutschland beheimateten Roma deutscher Staatsbürgerschaft einsetzt. Diese Roma gehören vorwiegend der Gruppe der Sinti an. Mit „Roma“ sind vom Zentralrat die Nachfahren der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Südosteuropa nach Mitteleuropa zugewanderten Roma-Familien gemeint.[1] Der Zentralrat lehnt für sich den Begriff „Zigeuner“ ab.[2]
Beschreibung
Der Verein wurde 1982 gegründet und ist der politische Dachverband von 17 Mitgliedsvereinen, den neun Landesverbänden und mehreren weiteren Zusammenschlüssen. Vorsitzender ist seit 1982 Romani Rose. Ehrenvorsitzender war bis zu seinem Tod Franz Rosenbach.[3] Der Zentralrat trägt das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg, ein bedeutendes Kulturzentrum und zugleich ein Archiv für den Porajmos, die NS-Verfolgung der deutschen Sinti und Roma. Der Zentralrat wird mit jährlich rund 500.000 Euro aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.[4]
Der Zentralrat und seine Mitgliedsorganisationen sehen sich – anders als zum Beispiel die Rom und Cinti Union in Hamburg – nicht als Sprecher der in den vergangenen Jahrzehnten als Arbeitsmigranten oder Bürgerkriegsflüchtlinge zugewanderten Roma. Diese stammen vor allem aus südosteuropäischen Staaten oder aus Spanien und sind inzwischen vielfach deutsche Staatsangehörige. Dennoch wendet der Zentralrat sich in Stellungnahmen gegen antiziganistische Maßnahmen und Vorgänge auch im Ausland und tritt für einen besseren Schutz der Betroffenen ein. So spricht sich der Vorsitzende des Zentralrats dafür aus, „keine Minderheitenangehörigen“ – er meint damit insgesamt „Bosniaken, Kroaten, Gorani, Roma, Ashkali, Egyptians“ – in den Kosovo abzuschieben, solange die Lage dort für Rückkehrer unsicher sei. Das Rückführungsabkommen solle ausgesetzt und den bereits lange in Deutschland lebenden Kosovo-Roma dauerhafter Aufenthalt gewährt werden.[5]
Mitgliedsvereine sind:[6]
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Handlungsfelder, politische Erfolge
Am 17. März 1982 empfing der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Delegation des Zentralrats. Er erkannte in völkerrechtlich bedeutsamer Weise die nationalsozialistischen Verbrechen an den Sinti und Roma als Völkermord aus rassischen Gründen an. Seither führt der Zentralrat Gespräche mit der Bundes- und den Landesregierungen zum Schutz vor Diskriminierung und zur Förderung als nationale Minderheit. Außerdem fördert er das Gedenken an die Opfer des Porajmos, die Aufklärung und Dokumentation über die begangenen NS-Verbrechen und die Entschädigung der Überlebenden.[7]
- Die erste internationale Gedenkkundgebung zur Erinnerung an den nationalsozialistischen Völkermord an 500.000 Roma und Sinti fand im Oktober 1979 im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen statt.
- Seit dem Jahr 1985 bewirkte der Zentralrat grundlegende Änderungen bezüglich der früheren diskriminierenden Entschädigungspraxis für die noch lebenden KZ-Opfer der deutschen Sinti und Roma. In 3200 Einzelfällen wurden Neuentscheidungen der Entschädigungsbehörden durchgesetzt.
- Der Zentralrat machte zudem nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit den Innenministern der Länder und dem Bundesinnenministerium die zum Teil aus der Zeit des Nationalsozialismus übernommenen Methoden der rassistischen Sondererfassung bei Justiz- und Polizeibehörden bekannt.
- Der Zentralrat verlangt seit 1993 ein Diskriminierungsverbot in den Landesmediengesetzen, um diskriminierende und stigmatisierende Berichterstattung zu verhindern. Die Praxis der Minderheitenkennzeichnung, wie sie von den Nationalsozialisten für Juden sowie für Sinti und Roma angeordnet worden war, findet sich noch heute in Presseberichten. Um sich gegen derartige Diskriminierung zu wehren, legte der Zentralrat Protest gegen 40 Zeitungsartikel und zwei Agenturmeldungen aus einem Jahreszeitraum 2004/2005 ein.
- 1995 setzte der Zentralrat die gesetzliche Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit mit eigener Minderheitensprache, dem Romanes, gemäß der Charta des Europarats durch.
- Im Jahr 2006 forderte der Zentralrat von der Bundesregierung schärfere Strafgesetze zur besseren Bekämpfung rassistisch motivierter Gewalttaten durch Einzelne oder Gruppen.
- Am 17. November 2007 gründete die Vereinigung zusammen mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma und der Manfred Lautenschläger-Stiftung den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma. Er ging 2008 an Wladyslaw Bartoszewski, 2010 an Simone Veil, 2012 an Thomas Hammarberg,[8] 2014 an Tilman Zülch und 2016 an Amnesty International.
- Am 24. Oktober 2012 wurde das bundesweite Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck im Großen Tiergarten in Berlin eingeweiht.
- Im kulturellen Bereich unterstützt die Organisation viele Veranstaltungen und Projekte, in denen sich Angehörige der Minderheit artikulieren und die durch einen interkulturellen Dialog zu einem wechselseitigen Verständnis beitragen können, darunter das auch von der EU unterstützte Projekt Roma Routes.[9]
Staatsvertrag mit dem Freistaat Bayern
Am 20. Februar 2018 unterzeichnete der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer einen Vertrag mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, dem bayerischen Landesverband des Zentralrats. Knapp drei Jahre nach einem einstimmigen Beschluss des Bayerischen Landtags erfüllte die Staatsregierung den Auftrag. Für den Verband Deutscher Sinti und Roma unterschrieb der Landesvorsitzende Erich Schneeberger. Mit dem Vertrag sollen das Geschichtsbewusstsein im Bundesland sowie die Aufklärung über und die Förderung von Toleranz gegenüber Minderheiten in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt werden. Darüber hinaus regelt der Vertrag eine finanzielle Förderung des Verbandes durch die Staatsregierung neu. Bislang waren die Zuweisungen des Landes an den Verband freiwillige Leistungen, in Zukunft eine Vertragspflicht. Über die Höhe der Zuwendungen gab es zunächst keine Angaben.
Der Vertragsabschluss sei für die Sinti und Roma „von zentraler Bedeutung“ und habe großen Einfluss auf ihre Gleichstellung sowie den Erhalt ihrer Kultur und Tradition, sagte Schneeberger. „Mit der Vertragsunterzeichnung setzen wir ein historisches Zeichen“, äußerte Seehofer. Bayern bekennt sich damit zu seiner politisch-historischen Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma, die lange Zeit zu den vergessenen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zählten.[10]
Weblinks
Einzelnachweise
- online Selbstbeschreibung des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma NRW, abgerufen am 24. Juni 2018
- https://zentralrat.sintiundroma.de/wp-content/uploads/presse/64.pdf
- Wir trauern um Franz Rosenbach, Nachruf des Zentralrats, abgerufen am 24. Juni 2018
- Kunst- & Kulturförderung - Nationale Minderheiten, beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, abgerufen am 24. Juni 2018
- Romani Rose, Zur Lage im Kosovo. Stellungnahme des Vorsitzenden des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma zur geplanten Abschiebung von mehr als 10.000 Roma aus Deutschland in den Kosovo, in: Hinterland. Vierteljahresmagazin des Bayerischen Flüchtlingsrats, Nr. 13, 12. Juni 2010, S. 4–5 (PDF) (Memento vom 20. Januar 2012 im Internet Archive).
- Liste der Namen und der Sitze der Mitgliedsorganisationen, auf zentralrat.sintiundroma.de, abgerufen am 23. Juni 2018
- Historie des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, auf zentralrat.sintiundroma.de, abgerufen am 23. Juni 2018
- Europäischer Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma: Preisträger, auf www.buergerrechtspreis.de, abgerufen am 23. Juni 2018
- Roma Routes About Us (Memento vom 21. Dezember 2014 im Internet Archive)
- Seehofer unterzeichnet Vertrag zwischen Bayern und Sinti und Roma, München Live TV Fernsehen, 20. Februar 2018