Zeitalter Eduards VII.
Das Zeitalter Eduards VII. (englisch Edwardian era, daher vereinzelt auch im Deutschen Edwardische Epoche) bezeichnet in der britischen Kulturgeschichtsschreibung die Zeit von der Thronbesteigung Eduard VII. 1901 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Historisch gesehen ist das Zeitalter Eduards ein Nachklang zum Viktorianischen Zeitalter. In Frankreich entspricht das Zeitalter Eduards VII. ungefähr der Belle Époque, kunstgeschichtlich wird diese Zeit in weiten Teilen Mitteleuropas (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn) vor allem mit dem Jugendstil gleichgesetzt. In den USA fällt diese Zeit, politisch-ökonomisch betrachtet, vor allem mit der Progressive Era und dem Ende des Gilded Age zusammen. Es handelt sich um die bislang letzte Epoche in der Geschichte Großbritanniens, die nach einem Monarchen benannt wird.
Ereignisse
Der Übergang vom Viktorianischen Zeitalter zur Edwardischen Epoche ist fließend. Als ereignisgeschichtliche Wegmarke kann die zweite Phase des Zweiten Burenkrieges in Südafrika gelten, als die Buren nach britischen Erfolgen ihre bisherige Taktik zugunsten eines Guerillakrieges aufgaben. Der Krieg spaltete die englische Gesellschaft in Befürworter und scharfe Gegner des Krieges, zu deren Wortführer der pazifistisch eingestellte Liberale David Lloyd George wurde. Die Unterhauswahlen 1906 brachten einen Erdrutschsieg für die Liberalen. Damit begann eine Vorherrschaft der Liberalen, die bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg andauerte.
Außenpolitisch begann sich die Konkurrenz zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich zu verschärfen. Bereits 1902 hatte Großbritannien ein Bündnis mit Japan geschlossen, womit es seine splendid isolation aufgab. Vor allem war der deutsche Kaiser Wilhelm II. nicht bereit, über das Flottenbauprogramm zu verhandeln. Dies führte 1904 zum Abschluss der Entente cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien, der 1907 auch Russland beitrat. 1906 wurde eine neue Klasse von Kriegsschiffen, die Dreadnoughtklasse in Dienst gestellt, was zu einem Wettrüsten bei den übrigen Großmächten führte. 1907 konnte sich die britische Regierung im Vertrag von Sankt Petersburg mit Russland über die Aufteilung der Interessensphären in Zentralasien einigen, wobei der südliche Teil Persiens und ganz Afghanistan dem britischen Einfluss zugeordnet wurde. Bereits 1904 hatte eine britische Expedition gegen Tibet unter Francis Younghusband dieses Land teilweise geöffnet und zu einem Vertrag mit dem Kaiserreich China geführt.
Innenpolitisch begann unter Schatzkanzler David Lloyd George der Aufbau eines Wohlfahrtsstaates. 1903 gründete Emmeline Pankhurst die Women’s Social and Political Union (WSPU), eine radikal-bürgerliche Partei der Frauenrechtsbewegung. Ein Hauptanliegen der Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg war die Einführung des Frauenwahlrechts, das in Großbritannien erst 1919 eingeschränkt und 1928 vollständig zugestanden wurde.
Die Künste
In der Architektur und im Design konnte sich der Jugendstil nicht durchsetzen. Es fand ein historisierender Rückgriff statt, womit sich das Edwardische Barock herausbildete, das in Repräsentationsgebäuden wie etwa dem Port of Liverpool Building erhalten ist.
In der Literatur können H. G. Wells, George Bernard Shaw und Joseph Conrad der Edwardian era zugeordnet werden. Wells war zu dieser Zeit mit dem bereits 1898 erschienenen Krieg der Welten populär, durch die Aufdeckung der Kongogräuel durch den britischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Edmund Dene Morel wurde Joseph Conrads Roman Heart of Darkness in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts hochaktuell.
In der Musik ist besonders der 1904 zum Ritter geschlagene Edward Elgar zu nennen, der zahlreiche patriotische Werke komponierte, die noch heute sehr bekannt sind und allgemein als "typisch englisch" gelten, etwa den Marsch Land of Hope and Glory.
Alltagskultur
1908 fanden die vierten Olympischen Sommerspiele in London statt, sportliche Betätigung zog sich erstmals durch alle Schichten der Gesellschaft, wobei Segeln und Tennis die klassischen Sportarten der Oberschicht waren, Fußball aber die breiten Volksmassen begeisterte. Das Zeitalter Eduards VII. fällt mit der Hochblüte der britischen Music Hall und dem Aufstieg der Musikindustrie durch die Verbreitung von Grammophonen und Schellackplatten zusammen. Auf diese Weise wurde das in den Music Halls aufgeführte Marschlied It’s a Long Way to Tipperary (1914) zu einem weit verbreiteten Schlager und begleitete die britischen Soldaten auf die Schlachtfelder in Nordfrankreich.
Literatur
- Philipp Blom: Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 - 1914. München 2009
- Franz-Josef Brüggermeier: Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert. München 2010
- Roy Hattersley: The Edwardians: Biography of the Edwardian Age. Little Brown Book Group, London, 2006
Weblink
- Edwardian Promenade – englischsprachige Website zum Thema