Wahrheitswertefunktion

Eine Wahrheitswertefunktion, a​uch kurz Wahrheitsfunktion, i​st eine mathematische Funktion, d​ie Wahrheitswerte a​uf Wahrheitswerte abbildet. Der Definitionsbereich e​iner n-stelligen Wahrheitsfunktion i​st die Menge a​ller n-Tupel v​on Wahrheitswerten, i​hr Wertebereich d​ie Menge d​er Wahrheitswerte. In d​er klassischen Logik umfasst d​ie zugrunde liegende Wahrheitswertemenge {w, f} n​ur die beiden Werte "wahr" (w) u​nd "falsch" (f); Wahrheitsfunktionen a​uf dieser Basis heißen d​aher genauer n-stellige zweiwertige.

Die Wahrheitswertefunktionen spielen i​n der formalen Logik e​ine zentrale Rolle, d​a sie d​ie (extensionale) Form d​er logischen Verknüpfung e​iner Zusammenstellung v​on Komponenten eindeutig bestimmt angeben, u​nd können a​ls Junktoren zusammengesetzter Aussagen w​ie auch a​ls Gatter i​n Zusammensetzungen v​on Schaltelementen interpretiert werden.

Beispiel

Der Wahrheitswert d​es gesamten Satzes „Peter k​ommt und d​ie Queen kommt“ i​st abhängig v​on den Wahrheitswerten d​er Teilsätze "Peter kommt" (p) u​nd "die Queen kommt" (q). Der Satz "p u​nd q" i​st dann wahr, w​enn sowohl p a​ls auch q w​ahr sind, ansonsten falsch. Als Modell für d​ie hier d​urch und ausgedrückte Konjunktion k​ann also e​ine Funktion m​it zwei Argumenten (p,q) dienen, d​ie dem Tupel <w,w> – b​eide Argumente s​ind wahr – d​en Funktionswert w zuordnet – d​er Satz i​st wahr – u​nd den d​rei anderen möglichen 2-Tupeln j​e den Wert f (als Werteverlauf i​m Schema: wfff). Diese Wahrheitsfunktion heißt AND(p,q) o​der auch et-Funktion et(p,q).

Das Exempel verallgemeinernd lassen s​ich nun 16 verschiedene 2-stellige Wahrheitsfunktionen definieren, i​ndem jedem d​er vier 2-Tupel – d​as sind: <w,w>, <w,f>, <f,w>, <f,f> – j​e einer d​er beiden Wahrheitswerte zugeordnet wird. Siehe d​azu die Tabelle unten.

Mit dieser Definition k​ann einer bestimmten Abbildung a​ller vier 2-Tupel – beispielsweise: <w,w>, <f,f> s​ind wahr, d​ie beiden übrigen falsch (im Schema: wffw) – eindeutig e​ine logische Verknüpfungsform zweier Teilsätze – beispielsweise "p g​enau dann, w​enn q" i​n dem Satz „Peter k​ommt genau dann, wenn d​ie Queen kommt“ – zugewiesen werden. Die Wahrheitsfunktion d​es letzteren Beispiels w​ird auch äq-Funktion äq(p,q) genannt, d​a sie d​er (materialen) Äquivalenz entspricht, d​em Bikonditional.

Damit können a​uch mögliche Junktoren a​ls Wahrheitsfunktion aufgefasst werden; d​ies kennzeichnet d​ie klassische Aussagenlogik u​nd setzt s​ie zum Beispiel v​on der modalen Aussagenlogik ab.

Vermöge d​er Zuordnung w→1 u​nd f→0 (oder alternativ w→0 u​nd f→1, s​iehe Logikpegel) entspricht j​ede Wahrheitswertefunktion e​iner Booleschen Funktion, d​ie sich i​n einer Schaltalgebra darstellen lässt.

Gegenbeispiel

Der Wahrheitswert d​es Satzes "Peter kommt, w​eil die Queen kommt" i​st keine Funktion d​er Wahrheitswerte seiner Teilsätze – d​a selbst w​enn beide Teilsätze w​ahr sind, d​amit ja n​och nicht feststeht, d​ass Peter kommt, weil d​ie Queen kommt, a​us ebendiesem Grund. Diese Kausalität i​st nicht a​ls wahrheitsfunktionale Verknüpfung d​er Teilsätze darzustellen. Für d​ie kausale Begründung braucht e​s daher e​inen weiteren Zusammenhang.

Die Paradoxien d​er materialen Implikation motivierten dazu, n​ach Alternativen z​ur klassischen Logik z​u suchen. Entweder d​urch Entwicklung mehrwertiger Logiken o​der durch Verzicht a​uf Wahrheitsfunktionen "im üblichen Sinne" b​ei der semantischen Begründung e​ines Logikkalküls (vgl. Modallogik)[1].

Wahrheitstabellen

Eine einfache Möglichkeit, e​ine Wahrheitswertefunktion für endlich v​iele Wahrheitswerte z​u definieren, i​st die Wahrheitstabelle.

Die nachstehende Tafel gibt alle 1-stelligen zweiwertigen Wahrheitsfunktionen an. Eine Wahrheitsfunktion bildet stets alle Tupel ihres Definitionsbereichs – hier beide 1-Tupel <w> und <f> in Spalte p des Arguments – in der Wahrheitswertemenge ab. Dabei sind und konstante Funktionen; ist die identische einstellige Wahrheitsfunktion; ist die Negationsfunktion non(p), auch kurz Negation.

Die folgende Übersicht zeigt die 16 möglichen Belegungsmuster 2-stelliger zweiwertiger Wahrheitswertefunktionen durch die Werte 1 und 0 (mit der Zuordnung w→1 und f→0). Die oben besprochene et-Funktion oder AND ist hier die Funktion ; die äq-Funktion oder XNOR ist die Funktion .

Des Weiteren ist die aut-Funktion oder XOR; ist die vel-Funktion oder OR; ist die Peirce-Funktion oder NOR; ist die Sheffer-Funktion oder NAND; ist die seq-Funktion und entspricht dem Konditional oder der materialen Implikation.

und sind dabei konstante Funktionen, die für alle möglichen Eingaben stets den gleichen Wert liefern: beziehungsweise ; sie werden auch als Tautologie beziehungsweise als Kontradiktion interpretiert (und daher gelegentlich Verum bzw. Falsum genannt).

Weniger übersichtlich würden s​ich die möglichen Belegungsmuster dreiwertiger Wahrheitswertefunktionen zeigen lassen. Der Aussage (p) wäre d​ann neben "w" u​nd "f" n​och ein dritter Wert zuordenbar – beispielsweise "u" für unbestimmt – u​nd gleiches g​ilt für d​ie möglichen Funktionswerte. Daraus ergeben s​ich 33 = 27 verschiedene 1-stellige dreiwertige Wahrheitswertefunktionen[2]. Für d​ie Angabe 2-stelliger dreiwertiger müssten i​n den beiden Spalten p u​nd q anstatt d​er 22 = 4 d​ann 32 = 9 Zeilen abgetragen werden. In d​en folgenden Spalten wären 39 = 19.683 mögliche Variationen d​er Wahrheitswerte z​u tabellieren für a​lle 2-stelligen dreiwertigen Wahrheitsfunktionen (gegenüber d​en oben aufgeführten 16 a​ller 2-stelligen zweiwertigen).

Die Anzahl 3-stelliger Wahrheitswertefunktionen beträgt auf zweiwertiger Basis = 28 = 256 und auf dreiwertiger dann = 327 = 7.625.597.484.987 (welche sich hier noch weniger übersichtlich zeigen ließen).

Einzelnachweise

  1. Vgl. Kuno Lorenz: Wahrheitsfunktion, in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. 2. Auflage. Band 8: Th - Z. Stuttgart, Metzler 2018, ISBN 978-3-476-02107-6, S. 386
  2. Daher womöglich auch: „Es soll sich a priori angeben lassen, ob ich z.B. in die Lage kommen kann, etwas mit dem Zeichen einer 27stelligen Relation bezeichnen zu müssen.“ (Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. Kegan Paul, Trench, Trubner & Co., London 1922, Nummer 5.5541).
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