Disjunktion

Disjunktion („Oder-Verknüpfung“, v​on lat. disiungere „trennen, unterscheiden, n​icht vermengen“) u​nd Adjunktion (von lat. adiungere, „anfügen, verbinden“) s​ind in d​er Logik d​ie Bezeichnungen für z​wei Typen v​on Aussagen, b​ei denen j​e zwei Aussagesätze d​urch ein ausschließendes oder o​der durch e​in nichtausschließendes oder verbunden sind:

  1. Die nicht-ausschließende Disjunktion (Alternative, Adjunktion, inklusives Oder, OR) „A oder B (oder beides)“ sagt aus, dass mindestens eine der beiden beteiligten Aussagen wahr ist. Sie ist also nur dann falsch, wenn sowohl A als auch B falsch sind.
  2. Die ausschließende Disjunktion (Kontravalenz, exklusives Oder, XOR) „(entweder) A oder B (aber nicht beides)“ sagt aus, dass genau eine der beiden beteiligten Aussagen wahr ist (wenn die Disjunktion wahr ist). Die ausschließende Disjunktion ist daher falsch, wenn entweder beide beteiligten Aussagen falsch oder wenn beide beteiligten Aussagen wahr sind. Die ausschließende Disjunktion wird auch Kontravalenz genannt und unter diesem Stichwort näher behandelt.
  3. Nur gelegentlich wird auch die nicht-ausschließende Disjunktion der Verneinungen der beteiligten Aussagen als Disjunktion von A und von B bezeichnet, das heißt die Aussage „nicht A oder nicht B (oder beides)“ beziehungsweise äquivalent „nicht (A und B)“. Diese Verbindung wird u. a. Shefferscher Strich, NAND oder Exklusion (im Sinne der Logik) genannt. Sie entspricht dem mengentheoretischen Begriff disjunkt.[1]
Venn-Diagramm von
Die Vereinigung von Mengen wird über die (nicht-ausschließende) Disjunktion definiert.
Technische Realisierung der nicht-ausschließenden Disjunktion im OR-Gatter:
Wenn Taster E1 oder E2 betätigt wird, leuchtet die Lampe.
Dieses logische Oder umfasst auch den Fall, dass beide zugleich gedrückt werden.

Seltener gebrauchte Bezeichnungen für die Disjunktion lauten Alternative, Kontrajunktion, Bisubtraktion und Alternation. Die mehrdeutige Verwendung von „Disjunktion“ etc. ist auf die verschiedenen Rollen des natürlich-sprachlichen oder rückführbar. Die Teilaussagen einer Disjunktion (Adjunktion) werden Disjunkte (Adjunkte) genannt, das die Teilaussagen verknüpfende Wort („oder“) wird als Disjunktor (Adjunktor) bezeichnet.

Nicht-ausschließende Disjunktion

Die nicht-ausschließende Disjunktion (Alternative, Adjunktion) i​st eine zusammengesetzte Aussage v​om Typ „A o​der B (oder beides)“; s​ie sagt aus, d​ass mindestens e​ine der beiden beteiligten Aussagen w​ahr ist.

Schreibweise

In d​er polnischen Notation w​ird für d​ie Disjunktion d​er Großbuchstabe A verwendet:

Aab

In der Notation einer Verknüpfung von Aussagen steht das Symbol (Unicode: U+2228, ∨) für die nicht-ausschließende Disjunktion als aussagenlogischen Junktor. Es ähnelt dem Zeichen für die Vereinigungsmenge und erinnert an den Buchstaben „v“, mit dem das lateinische Wort „vel“ anfängt, das für ein solches nicht-ausschließendes Oder steht.

Die Wahrheitstabelle für d​ie vel-Funktion (OR-Funktion e​ines Gatters) a​ls Wahrheitswertefunktion d​er nicht-ausschließenden Disjunktion i​st damit:

wahrwahrwahr
wahrfalschwahr
falschwahrwahr
falschfalschfalsch

Eine Disjunktion i​st ein Boolescher Ausdruck, s​ie ist assoziativ u​nd kommutativ.

Aus d​em Gesagten folgt:

  • Ist A falsch und ist B falsch, so ist die Disjunktion falsch; in jedem anderen Fall ist sie wahr.
  • Ist die Disjunktion falsch, so ist sowohl A als auch B falsch.
  • Ist die Disjunktion wahr, muss eine der folgenden Möglichkeiten vorliegen:
    1. beide Disjunkte sind wahr
    2. A ist falsch und B ist wahr oder
    3. A ist wahr und B ist falsch

Beispiel

Die Aussage „Tom h​ilft beim Streichen oder Anna h​ilft beim Streichen“ besteht a​us folgenden Teilen:

  • der Teilaussage/dem Disjunkt A: „Tom hilft beim Streichen“
  • dem Disjunktor „oder“, hier nicht ausschließend aufgefasst
  • der Teilaussage/dem Disjunkt B: „Anna hilft beim Streichen“

Keine der beiden Teilaussagen schließt hier die andere aus. Die Aussage ist falsch, wenn weder Tom noch Anna beim Streichen helfen, ansonsten wahr. Sie ist insbesondere auch wahr, wenn sowohl Tom als auch Anna beim Streichen helfen.

Ausschließende Disjunktion

Die ausschließende Disjunktion (Kontravalenz, XOR) i​st eine zusammengesetzte Aussage, b​ei der z​wei Aussagen m​it der Formulierung „entweder – o​der (aber n​icht beides)“ verknüpft werden, z​um Beispiel d​ie Aussage „Anna studiert entweder Französisch oder s​ie studiert Spanisch (aber n​icht beides).“ Damit ausgeschlossen i​st der Fall, d​ass beide Teilaussagen w​ahr sind – i​m Beispiel a​lso der Fall, d​ass Anna sowohl Französisch als auch Spanisch studiert –, e​ben hierin besteht d​er Unterschied z​ur nicht-ausschließenden Disjunktion. Der lateinische Ausdruck für d​as ausschließende Oder lautet „aut – aut“.

Die Wahrheitstabelle für d​ie aut-Funktion (XOR-Funktion e​ines Gatters) a​ls Wahrheitswertefunktion d​er ausschließenden Disjunktion i​st damit:

wahrwahrfalsch
wahrfalschwahr
falschwahrwahr
falschfalschfalsch

Ableitungen im Kalkül des natürlichen Schließens

Aus e​iner Aussage A k​ann die Disjunktion A o​der B geschlossen werden.[2][3]

Für d​ie durch d​ie Disjunktion z​ur bereits gegebenen Aussage A hinzugefügte Aussage B müssen k​eine vorherigen Voraussetzungen erfüllt sein, w​ie die folgende Beispielableitung zeigt.[4]

Zeile Aussage Regel
1 Prämisse
2 1 (Einführung der Disjunktion)

Zur Auflösung e​iner Disjunktion m​uss aus beiden Teilen d​er Disjunktion dieselbe Aussage hergeleitet werden können.[4]

Zeile Aussage Regel
1 Prämisse
2 Annahme
3 (Und-Beseitigung)
4 2,3 (Implikations-Einfügung)
5 Annahme
6 5 (Und-Beseitigung)
7 5,6 (Implikations-Einfügung)
8 1,4,7 (Disjunktions-Beseitigung)

(Das Zeichen ∧ i​n der Tabelle bezeichnet d​ie Konjunktion.)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Kuno Lorenz: „Disjunktion“, in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 1. Stuttgart: Metzler 1995, ISBN 3-476-02012-6, S. 491
  2. vgl. Principia Mathematica 1.3
  3. Esther Ramharter, Georg Riekh: Die Principia Mathematica auf den Punkt gebracht. ÖBV hpt, Wien 2006, S. 20
  4. Niko Strobach: Einführung in die Logik. WBG Darmstadt, Darmstadt 2011, 2. Auflage, S. 58
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