Tugtupit
Tugtupit, auch als Berylliumsodalith oder Rentierstein[4] bekannt, ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Silikate und Germanate“ mit der chemischen Zusammensetzung Na4[Cl|BeAlSi4O12][1] und ist damit chemisch gesehen ein Natrium-Beryllium-Aluminium-Silikat mit zusätzlichen Chlorionen.
Tugtupit | |
---|---|
Allgemeines und Klassifikation | |
Andere Namen |
|
Chemische Formel | Na4[Cl|BeAlSi4O12][1] |
Mineralklasse (und ggf. Abteilung) |
Silikate und Germanate |
System-Nr. nach Strunz und nach Dana |
9.FB.10 (8. Auflage: VIII/J.11) 76.02.03.07 |
Kristallographische Daten | |
Kristallsystem | tetragonal |
Kristallklasse; Symbol | tetragonal-disphenoidisch; 4 |
Raumgruppe | I4 (Nr. 82)[1] |
Gitterparameter | a = 8,64 Å; c = 8,87 Å[1] |
Formeleinheiten | Z = 2[1] |
Zwillingsbildung | pseudokubische Durchdringungsdrillinge nach (101); pseudotrigonale Kontaktzwillinge nach (101) und (011)[2] |
Physikalische Eigenschaften | |
Mohshärte | ≈ 4[2] |
Dichte (g/cm3) | gemessen: 2,33(1); berechnet: 2,34 bis 2,35[2] |
Spaltbarkeit | deutlich nach {101}; undeutlich nach {110} |
Bruch; Tenazität | uneben bis muschelig |
Farbe | weiß, rosa, karminrot, bläulich, grünlich |
Strichfarbe | weiß |
Transparenz | durchsichtig bis durchscheinend |
Glanz | Glasglanz |
Kristalloptik | |
Brechungsindizes | nω = 1,496[3] nε = 1,502[3] |
Doppelbrechung | δ = 0,006[3] |
Optischer Charakter | einachsig positiv (anormal auch zweiachsig)[3] |
Weitere Eigenschaften | |
Besondere Merkmale | Fluoreszenz, Phosphoreszenz, Piezoelektrizität, Photochromie |
Tugtupit kristallisiert im tetragonalen Kristallsystem, entwickelt aber nur selten Kristalle im Millimeterbereich mit einem glasähnlichen Glanz auf den Oberflächen. Meist findet er sich in Form von körnigen bis massigen Mineral-Aggregaten bis etwa 10 cm Größe.
In reiner Form ist Tugtupit farblos und durchsichtig. Durch vielfache Lichtbrechung aufgrund von Gitterbaufehlern oder polykristalliner Ausbildung kann er aber auch weiß erscheinen, wobei die Transparenz entsprechend abnimmt. Durch Fremdbeimengungen kann Tugtupit zudem eine rosa, karminrote, bläuliche oder grünliche Farbe annehmen.
Etymologie und Geschichte
Europäische Geologen entdeckten Tugtupit im Jahre 1957. Die grönländischen Inuit kannten diesen Stein allerdings schon seit Jahrhunderten. Sie benannten Tugtupit nach dem Blut von Rentieren („tuttu“). Seinen offiziellen Namen erhielt das Mineral allerdings 1962 von seinem Erstbeschreiber H. Sørensen, der es nach seiner Typlokalität Tuttup Attakoorfia (nach alter Rechtschreibung Tugtup Agtakôrfia) benannte.
Klassifikation
Bereits in der veralteten, aber teilweise noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Tugtupit zur Mineralklasse der „Silikate und Germanate“ und dort zur Abteilung der „Gerüstsilikate (Tektosilikate), mit Zeolithen“, wo er zusammen mit Bicchulith, Haüyn, Hydrosodalith, Kamaishilith, Lasurit, Nosean, Sodalith und Tsaregorodtsevit die „Sodalith-Reihe“ mit der System-Nr. VIII/J.11 bildete.
Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Tugtupit dagegen in die Abteilung der „Gerüstsilikate (Tektosilikate) ohne zeolithisches H2O“ ein. Diese ist weiter unterteilt nach der möglichen Anwesenheit zusätzlicher Anionen, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „Gerüstsilikate (Tektosilikate) mit zusätzlichen Anionen“ zu finden ist, wo es zusammen mit Bicchulith, Danalith, Genthelvin, Haüyn, Helvin, Kamaishilith, Lasurit, Nosean, Sodalith und Tsaregorodtsevit die „Sodalith-Danalith-Gruppe“ mit der System-Nr. 9.FB.10 bildet.
Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Tugtupit in die Klasse der „Silikate und Germanate“ und dort in die Abteilung der „Gerüstsilikate: Al-Si-Gitter“ ein. Hier ist er in der „Sodalithgruppe“ mit der System-Nr. 76.02.03 innerhalb der Unterabteilung „Gerüstsilikate: Al-Si-Gitter, Feldspatvertreter und verwandte Arten“ zu finden.
Kristallstruktur
Tugtupit kristallisiert tetragonal in der Raumgruppe I4 (Raumgruppen-Nr. 82) mit den Gitterparametern a = 8,64 Å und c = 8,87 Å sowie zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle.[1]
Eigenschaften
Im Tageslicht reicht das Farbspektrum von Tugtupit von weiß über pink bis zu einem tiefen Rot. Sehr selten werden auch bläuliche Steine gefunden. Die rote Farbe resultiert aus kleinen Mengen Schwefel im Tugtupit. Wenn ein blasser Tugtupit dem UV-Licht oder dem Sonnenlicht ausgesetzt wird, verstärkt sich das Rot. Diese Farbvertiefung kann wochenlang andauern. In der Dunkelheit verblasst das Rot wieder (Photochromie). Tugtupite können auch auf Wärme reagieren.
Tugtupit ist bekannt für seine ausgezeichnete Fluoreszenz. Unter kurzwelligem UV-Licht leuchtet das Mineral kirschrot, unter langwelligem UV-Licht mehr oder weniger stark orange. Dunkelroter Tugtupit aus dem Kvanefjeld-Gebiet zeigt die stärkste Reaktion auf UV-Licht. Dieser Tugtupit zeigt keine Phosphoreszenz. Blassrosa Tugtupit aus dem Taseq-Gebiet zeigt eine andere UV-Reaktion: ein schwächeres Rot unter kurzwelligem UV, Lachs-Orange unter langwelligem UV und Pink-Violett unter mittelwelligem UV. Dieser Tugtupit zeigt eine starke, weißliche Phosphoreszenz. Wieder anders reagieren Steine von anderen Fundgebieten im Ilímaussaq-Komplex: ein Pink-Orange unter kurzwelligem UV, ein sehr helles Weiß unter mittelwelligem UV und Orange unter langwelligem UV, dabei auch phosphoreszierend.
Des Weiteren hat Tugtupit piezoelektrische Eigenschaften, baut also ähnlich wie Quarz bei periodisch wechselnder, elastischer Verformung eine elektrische Spannung auf.
Die Angabe der Mohs’schen Härte wird je nach Quelle mit 4[2] bzw. 5,5 bis 6[4] angegeben.
Bildung und Fundorte
Tugtupit bildet sich vorwiegend in Hydrothermal-Adern von Syenit-Pegmatiten, wo es den Chkalovit ersetzt. Das Vorkommen beschränkt sich auf ein 8 × 17 km großes Gebiet im Süden Grönlands, den „Ilimmaasaq-Komplex“. Dort finden sich mehr als 250 unterschiedliche Mineralien (Grönland: mehr als 500 Mineralien, mit 77 Typlokalitäten). Hier wurde 1957 der erste Tugtupit gefunden: in Tuttup Attakoorfia, am nördlichen Ufer des Fjords Tunulliarfik, der diese Nephelin-Syenit-Intrusion durchschneidet. Die kleine Stadt Narsaq liegt 11 km westlich des Zentrums des Ilimmaasaq-Komplexes. Das Gebiet ist nur spärlich mit niedrigen Pflanzen bewachsen, sehr verwittert und steigt von SO nach NW an. Der Ilimmaasaq (1390 m) ist die höchste Erhebung des Komplexes. Das Fundgebiet kann nur in den Sommermonaten zu Fuß erreicht werden.
Tugtupit wird auch noch in Mont-Saint-Hilaire (Québec, Kanada) und im Lovozero-Massiv auf der Halbinsel Kola im Norden Russlands gefunden.[5] Das United States Geological Survey berichtet, dass größere Mengen Tugtupit in Flüssen Nepals gefunden worden sind.[6]
Verwendung
Durchscheinende oder transparente, tiefrote (im Tageslicht) Steine aus der Region Kvanefjeld werden zu Schmucksteinen verarbeitet (Ringe, Anhänger usw.). Inuit-Künstler bessern sich ihr Einkommen auf, indem sie die Rohsteine schleifen, polieren und dann verkaufen. Gute Tugtupite sind relativ durchscheinend und ohne sonstige sichtbare Einschlüsse von Fremdmineralien. Die besten Steine sind fast transparent, kräftig rot und von Edelstein-Enthusiasten sehr gesucht. Allerdings muss man die geringe Mohs-Härte berücksichtigen. Tugtupite sollten daher nicht in alltäglich gebrauchten Ringen verwendet werden. Nur Grönland kann den internationalen Markt mit ausreichenden Mengen wertvollen, manchmal tiefroten und sehr gesuchten Tugtupits versorgen.
Siehe auch
Literatur
- Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien Enzyklopädie. Nebel Verlag GmbH, Eggolsheim 2002, ISBN 3-89555-076-0, S. 269.
Weblinks
- Mineralienatlas:Tugtupit (Wiki)
- RRUFF Database-of-Raman-spectroscopy – Tugtupite (englisch)
- American Mineralogist Crystal Structure Database – Tugtupite (englisch)
- Realgems.org – Bildreihe zu rohen und geschliffenen Tugtupiten
- Satellitenbilder der Gebiete von Narsaq und Narsarsuak, mit Bezeichnung von Fundstellen
Einzelnachweise
- Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 699.
- Tugtupite, In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America, 2001 (PDF 69,1 kB)
- Mindat – Tugtupite
- Walter Schumann: Edelsteine und Schmucksteine. Alle Arten und Varietäten. 1900 Einzelstücke. 16. überarbeitete Auflage. BLV Verlag, München 2014, ISBN 978-3-8354-1171-5, S. 220.
- Fundortliste für Tugtupit beim Mineralienatlas und bei Mindat
- USGS 2006 Minerals Yearbook – The Mineral Industries of Bhutan and Nepal (PDF; 106 kB)