Thomas Buergenthal
Thomas Buergenthal (* 11. Mai 1934 in Ľubochňa, Tschechoslowakei) ist ein US-amerikanischer Jurist mit deutschen Wurzeln.
Kindheit
Der Vater Mundek Buergenthal, geboren in Galizien und dann polnischer Staatsbürger, hatte kurz vor[1] der Machtübernahme Hitlers 1933 Berlin verlassen und im Haus des befreundeten Erich Godal in Ľubochňa (Tschechoslowakei) ein Hotel eröffnet. Seine zukünftige deutsche Ehefrau Gerda geb. Silbergleit aus Göttingen kam als Gast in das Hotel; die Ehe wurde noch 1933 geschlossen.
1938 floh die kleine Familie vor der Hlinka-Garde ins 50 km entfernte Žilina. Versuche der inzwischen Staatenlosen, im Frühjahr 1939 die Grenze nach Polen zu passieren, scheiterten. Erst kurz darauf eintreffende deutsche Besatzungstruppen erzwangen die Einreise nach Polen. Für den 1. September 1939 lagen schließlich Visa für Großbritannien vor. Infolge des deutschen Überfalls auf Polen wichen Thomas und seine Eltern ostwärts nach Kielce aus. 1941 wurden sie in das jüdische Ghetto Kielce eingewiesen.
Im August 1944 wurden sie in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Glücklicherweise fand bei Ankunft keine Selektion statt. Thomas Buergenthal wurde von seiner Mutter getrennt, die er erst im Dezember 1946 in Göttingen wiedersehen sollte. Sie befand sich ab Herbst 1944 im KZ Ravensbrück und überlebte den Todesmarsch ins Außenlager Malchow. Der Vater Mundek starb 1945 im KZ Flossenbürg.
Mit der Räumung von Auschwitz im Januar 1945 wurde der 10-jährige Thomas ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Mit Erfrierungen der Zehen ins Krankenrevier aufgenommen, überlebte er unter anderem durch die tätige Hilfe des Mithäftlings Odd Nansen. Nach der Befreiung folgte er einer polnischen Armeeeinheit nach Polen und lebte zunächst in einem jüdischen Waisenhaus in Otwock. Über den Suchdienst der Jewish Agency konnten Mutter und Sohn anderthalb Jahre später wieder vereint werden. Nach der Schulzeit in Göttingen wanderte Thomas Buergenthal im Dezember 1951 in die USA aus.
Studium und berufliche Laufbahn
Buergenthal studierte am Bethany College in West Virginia (Abschluss 1957) und absolvierte danach von 1957 bis 1960 das Jurastudium an der New York University School of Law, das er mit dem Titel Juris Doctor (J.D.) abschloss. Er erwarb sodann in einem Nachdiplomstudium an der Harvard University School of Law die Titel eines Master of Laws (LL.M.) und eines Doctor of Juridical Science (S.J.D.).
Er war von 1962 bis 2000 an verschiedenen amerikanischen Universitäten Professor:
- 1962–1975 Professor of Law an der State University of New York at Buffalo
- 1975–1980 Fulbright and Jaworski Professor of International Law an der University of Texas
- 1980–1985 Dekan und Professor of International Law an der American University in Washington, D.C.
- 1985–1989 I. T. Cohen Professor für Menschenrechte an der Emory University und Direktor des Human Rights Program am Carter Center
- 1989–2000 Lobingier Professor für Vergleichendes Recht und Rechtsprechung und Direktor des International Rule of Law Center an der George Washington University
Daneben war Buergenthal Richter an verschiedenen internationalen Gerichten und beschäftigte sich dabei insbesondere mit Fällen von Menschenrechtsverletzungen. In den 1970er Jahren gehörte er einer kleinen Gruppe US-amerikanischer Juristen an, die sich auf internationales Recht spezialisiert hatten. Ihr Ziel war es, der Thematik der Menschenrechte auch über die USA hinaus zu größerer Bedeutung zu verhelfen. Buergenthal wirkte in diesem Sinne an der Gründung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit und wurde im Jahre 1979 zu dessen Richter ernannt.
Von der UNO wurde er im Jahr 1992 als Mitglied in die Wahrheitskommission für El Salvador berufen.[2] Ab dem 2. März 2000 war er Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Mit Wirkung zum 6. September 2010 legte er sein Richteramt nieder und beendete damit seine bis zum 5. Februar 2015 dauernde Amtszeit vorzeitig, um an die George Washington University zurückzukehren. Zu seiner Nachfolgerin am IGH wurde Joan E. Donoghue gewählt.
Ehrungen (Auswahl)
- Ehrendoktor der Juristischen Fakultät Heidelberg (Juli 1986) und der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen (April 2007)
- Goler-T.-Butcher-Medaille (1997) und Manley-O.-Hudson-Medaille (2002) der Amerikanischen Gesellschaft für internationales Recht
- Gruber Justice Prize (2008)
- Elie Wiesel Award, ausgestellt vom United States Holocaust Memorial Museum (2015)
- Olympischer Orden (2015)
- Großes Bundesverdienstkreuz[3] (2017)
- Edith-Stein-Preis (2019)
In Göttingen wurde 2008 das Haus der Stadtbibliothek nach Buergenthal benannt. Im Rahmen eines Festaktes und in seiner Anwesenheit wurde die Namensgebung am 8. April 2008 vollzogen.
Ausgewählte Werke
Fachliteratur
- Law-Making in the International Civil Aviation Organization. 1969.
- mit L. B. Sohn: International Protection of Human Rights. 1973.
- mit S. Murphy: Public International Law. 4. Auflage. 2007.
- mit D. Shelton und D. Stewart: International Human Rights. 3. Auflage. 2002.
- mit D. Shelton: Protecting Human Rights in the Americas. 4. Auflage. 1995.
Autobiografie
- Ein Glückskind. Wie ein kleiner Junge zwei Ghettos, Auschwitz und den Todesmarsch überlebte und ein zweites Leben fand. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-009652-4. (Rezensionen von shoa.de Wilfried Weinke: Tag für Tag. In: Die Zeit. Nr. 13/2006, S. 45; Soraya Levin: Kindheit im Holocaust. rezensionen.ch, 14. Mai 2007)
- Ein Glückskind. Hörbuch, Interpret: Uwe Friedrichsen, mit einem Epilog von Thomas Buergenthal. Düsseldorf, Patmos, 2008, ISBN 978-3-491-91270-0.
Literatur
- Profile: Thomas Buergenthal, United States. Judge of the International Court of Justice. In: Daniel Terris, Cesare P.R. Romano, Leigh Swigart: The International Judge: An Introduction to the Men and Women Who Decide the World’s Cases. Brandeis University Press, Waltham 2007, ISBN 978-1-58465-666-1, S. 92–101.
Interviews
- Ich spielte gegen Hitler, die SS und die Krematorien. Ich wollte gewinnen. Arno Luik im Gespräch mit Thomas Buergenthal. In: stern. Heft 14/2007.
- Hassen lohnt sich nicht. Philipp Gessler interviewt Thomas Buergenthal. In: taz. 12. April 2007
- Meine KZ-Nummer ist wie eine Medaille. Interview mit Thomas Buergenthal. In: Der Tagesspiegel. 13. Mai 2007.
Weblinks
- Literatur von und über Thomas Buergenthal im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Lobingier Professor Emeritus Thomas Buergenthal George Washington University (englisch)
- Zeitzeuge Thomas Buergenthal United States Holocaust Memorial Museum (englisch)
- Mitglieder des IGH Internationaler Gerichtshof, Den Haag (englisch)
Einzelnachweise
- Thomas Buergenthal: Ein Glückskind. Frankfurt am Main 2007, S. 19.
- Lebensgeschichtliches Interview mit Thomas Buergenthal. In: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte. Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, 4. März 2015, abgerufen am 16. Dezember 2016.
- nurembergacademy.org