System
Als System (altgriechisch sýstēma „aus mehreren Einzelteilen zusammengesetztes Ganzes“) wird im Allgemeinen ein abgrenzbares, natürliches oder künstliches „Gebilde“ bezeichnet, das aus verschiedenen Komponenten mit unterschiedlichen Eigenschaften besteht, die aufgrund bestimmter geordneter Beziehungen untereinander als gemeinsames Ganzes betrachtet werden (können).
Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs, da die Bedeutungszuweisung je nach Fachgebiet sehr unterschiedlich ist. Demnach ist auch der vorhergehende Satz eine Abstraktion im Sinne eines größten gemeinsamen Nenners. Folgende Konkretisierungen der einzelnen Parameter sind möglich:[1][2][3][4][5]
- Die räumliche und/oder zeitliche Grenze eines Systems kann durch seine Körperlichkeit oder bestimmte Kräfte physisch beschrieben werden (reale / materielle / konkrete Systeme) – oder rein gedanklich konstruierter, zweckdienlicher Natur sein (ideelle / immaterielle / theoretische Systeme).
- Alle natürlichen Systeme sind reale Systeme, die ohne gezielten anthropogenen Einfluss entstanden sind und die sich (autopoietisch) selbst erhalten (Beispiele: Quantensystem, Atom, Molekül, Lebendes System, Zelle, Organsystem, Psyche, Ökosystem, Planetensystem).
- Künstliche Systeme sind Systeme, die vom Menschen erdacht und konstruiert wurden. Sie können materieller oder immaterieller Natur sein; vereinen jedoch häufig beides. Man unterscheidet (reale) technische Systeme (Beispiele: Werkzeug, Maschine, Computer), soziale Systeme (Beispiele: Soziale Gruppe, Familie, Ethnie, Verein, Glaubensgemeinschaft, Unternehmen) und soziotechnische Systeme (Beispiele: Informationssystem, Internet).
- Eine Mischung aus natürlichen und künstlichen realen Systemen stellen biotechnische Systeme (Beispiele: Viehzucht, Kläranlage, Kunstherz) und sozioökologische Systeme dar (Beispiele: Kulturlandschaft, Bergbaufolgelandschaft, Naturschutzgebiet).
- Materielle Systeme werden je nach Art des Austausches mit ihrer Umgebung in offene-, geschlossene- und abgeschlossene Systeme unterteilt. Die Systemtheorie untersucht die Strukturen und Abläufe grundverschiedener materieller Systeme.
- Immaterielle Systeme sind ausschließlich künstlich geschaffene, gedankliche Systeme, die ohne „Anstoß“ durch den Menschen keine eigene Dynamik entfalten und deren Existenz von materiellen Systemen abhängt (Beispiele: Begriffssystem, Koordinatensystem, Axiomensystem, Modell, Theorie).
- Die Komponenten (Elemente, Teile) eines Systems werden dadurch bestimmt, dass sie voneinander abgrenzbare, unterschiedliche Funktionen oder Aufgaben im System erfüllen. Im Grunde kann jeder beliebige reale (Planet, Baum, Organ, Bauteil u. v. m.) oder gedachte Gegenstand (Laute, Gebärden, Zeichen, Symbol u. v. m.) Teil eines Systems sein. Ein System kann Teilsysteme (Subsysteme) enthalten und selbst Teil eines umfassenderen Systems (Supersystem) sein. Die Art der Komponenten und ihre Ordnung bestimmt das räumliche Erscheinungsbild des Systems.
- Die (reale oder konstruierte) Ordnung innerhalb von Systemen beruht auf Gesetzmäßigkeiten, die im Zusammenspiel der Verhaltensmöglichkeiten bestimmte Muster ergeben, die grundsätzlich zu vorhersagbaren Wirkungen führen (sofern alle Parameter bekannt sind). Diese Strukturregeln bestimmen den Komplexitätsgrad des Systems.
- Die Beziehungen zwischen den Komponenten ist informationeller, materieller und/oder energetischer Natur und wirkt als Wechselwirkung, Beeinflussung und/oder Verknüpfung. Der Grad und/oder die Herstellung oder Erweiterung von Beziehungen wird Vernetzung genannt. Die Kybernetik untersucht die Beziehungen und Mechanismen zwischen Systemkomponenten.
In unterschiedlichen Fachgebieten werden spezifische Begriffsverwendungen vorgeschlagen, diskutiert und angewendet.
Viele Systeme haben völlig andersartige Eigenschaften als die Komponenten, aus denen sie bestehen. Wenn sich diese neuen Qualitäten nicht allein aus dem funktionalen Zusammenwirken der Teile – „von unten“ betrachtet – erklären beziehungsweise vorausberechnen lassen, handelt es sich um emergente Eigenschaften.
Sofern keine Beziehungen zwischen den Teilen eines Ganzen bestehen, handelt es sich nicht um ein System, sondern um bloße Mengen, Haufen oder Stoffgemische; auch wenn die konstruierte Anordnung der Teile einer bestimmten Systematik unterliegt und als „System“ bezeichnet wird (Beispiele: biologische Systematik, Periodensystem der Elemente).
Begriffs- und Ideengeschichte
Antike
Die griechischen Ausdrücke σύστημα, σύσταμα, σύστεμα fanden Gebrauch als „Oberbegriff für alle verbandlichen Organisationen, die öffentlichen Gemeinwesen mit eingeschlossen“.[6]
Darüber hinaus wird σύστημα gebraucht
- im Bereich der Medizin, z. B. für ein „System“ von Pulsschlägen
- im Bereich der Musiktheorie, z. B. für ein „System“ von Intervallen
- im Bereich der Literaturtheorie, z. B. in der Bedeutung einer „Komposition“[7]
An den musiktheoretischen Gebrauch knüpft Platon in seinem späten Dialog Philebos an. Er spricht von den vielen „Verbindungen“, welche aus den „Zwischenräumen“ der Töne entstehen und von ebenfalls in Zahlen messbaren „ähnlichen Verhältnissen“ in den Bewegungen des Leibes; zugleich müsse man dabei bedenken, was darin „Eines und Vieles“ ist; durch dieseart Überlegung gelange man zur „Einsicht“, die wegen der Unendlichkeit jedes Begriffs und Dinges aber nie abschließbar sei.[8]
Der pseudo-platonische Dialog Epinomis bezieht den Terminus σύστημα auf die Zahlen, mit welchen die Gesetze der Sternbahnen erfassbar sind.[9]
Neuzeit
Seit dem 16. Jahrhundert wird der Systembegriff in verschiedenen Zusammenhängen verwendet, so z. B. bezogen auf die Sphäre der Politik zuerst durch Thomas Hobbes im Sinne einer political entity.[10]
Systembegriff der Systemtheorie
Als Systemtheorie werden Forschungsrichtungen diverser Fachrichtungen zusammenfassend bezeichnet, die komplexe Zusammenhänge durch allgemeine Theorien zum Funktionieren von Systemen überhaupt beschreiben. Als erster definierte um 1950 Ludwig von Bertalanffy (1901–1972) Systeme als Interaktionszusammenhänge, die sich von ihrer Umwelt abgrenzen, die wiederum aus anderen Interaktionszusammenhängen besteht.[11] Gemäß in diesem Kontext verbreiteter Grundideen lassen sich Systeme als sich selbst organisierende Funktionseinheiten verstehen, die ihr Weiterfunktionieren selbst produzieren (vgl. Autopoiesis) und sich in spezifischer Weise von ihrer Umwelt differenzieren, etwa durch Ausprägung spezifischer Unterscheidungsweisen.
Ein Beispiel: Seefahrer setzten bestimmte Tiere auf einer Insel aus, um sie später dort jagen zu können. Dadurch gerät das bis dahin auf der Insel bestehende System aus Tieren und Pflanzen „durcheinander“; ein neues System entsteht. Manchmal entstehen Endemiten (= Pflanzen oder Tiere, die nur in einer bestimmten, räumlich klar abgegrenzten Umgebung vorkommen). In Disziplinen, die sich mit lebenden Organismen beschäftigen, der systemischen Psychologie und Biologie wie auch der Soziologie, werden lebende von anders gearteten Systemen unterschieden.[12]
Systembegriff der strukturalen Linguistik
Der strukturalen Linguistik (siehe Strukturalismus) liegt die Auffassung zugrunde, dass sprachliche Einzelelemente nicht jeweils durch sich selbst in ihrer Bedeutung begründet sind, sondern durch ihre Relationen zu anderen Elementen – wobei deren Ganzheit als System mit unter anderem dieser allgemeinen Eigenschaft beschrieben wird.[13]
Technik
Für Leittechnik definiert IEC 60050-351 ein System als „Menge miteinander in Beziehung stehender Elemente, die in einem bestimmten Zusammenhang als Ganzes gesehen und als von ihrer Umgebung abgegrenzt betrachtet werden.“[14]
In der Funktionalen Sicherheit und SOTIF wird ein System als Kombination von Sensor oder Signaleingang, Logik (insbesondere mit mikroprozessorgesteuert) und Aktoren oder Signalausgängen definiert.
Literatur
- Rudolf Eisler: System. In: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. 2. Auflage. Berlin 1904 (Artikel textlog.de).
- F.-P. Hager u. a.: System; Systematik; systematisch. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10, 1998, S. 824–856.
- S. Jensen: Systemtheorie; System, soziales. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10, 1998, S. 863–869.
- Friedrich Kirchner: System. In: Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe. 1907 (Artikel textlog.de).
- Wolfgang Schrader, Hans-Joachim Höhn: System, Systemtheorie. In: Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 9 (2000), Sp. 1216–1220.
- R. Schulz: System, biologisches. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10, 1998, S. 856–862.
- Geo Siegwart: System. In: Jürgen Mittelstrass (Hrsg.): Enzyklopadie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Metzler, Stuttgart 1996, Band 4, S. 184 ff.
- Karl Steinbacher u. a.: System/Systemtheorie. In: Hans-Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. 2 Bände. Meiner, Hamburg 1999, ISBN 3-7873-1629-9, Band 2, S. 1579–1588.
- Sytse Strijbos, Carl Mitcham: Systems and Systems Thinking. In: Carl Mitcham (Hrsg.): Encyclopedia of science, technology, and ethics. Thomson Gale 2005, Band 4, ISBN 0-02-865901-5, S. 1880–1884.
- Joachim Valentin: Art. System – systematisch / Systemtheorie. In: Albert Franz u. a. (Hrsg.): Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie. Herder, Freiburg im Breisgau 2003, S. 394–396.
- Michael Matthies: Einführung in die Systemtheorie. Skriptum, Universität Osnabrück (zum systemtheoretischen Systembegriff S. 2 ff. und 9 ff.; PDF auf uos.de (Memento vom 18. Juli 2011 im Internet Archive)).
Weblinks
- Literatur zum Thema System im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- Hans Ulrich: Die Unternehmung als produktives soziales System (= Unternehmung und Unternehmungsführung. Band 1). Haupt, Bern/Stuttgart 1968, S. 105–111.
- Reinhard Wagner: Vermittlung systemwissenschaftlicher Grundkonzepte. Naturwissenschaftliche Magisterarbeit Universität Graz 2002, S. 2–5 und 9–18 (PDF: 1,4 MB, 130 Seiten auf fraktalwelt.de).
- Wilhelm Dangelmaier: Methoden der computergestützten Produktion und Logistik. Teil 2: Systeme. Vorlesungsskript des Heinz Nixdorf Instituts an der Universität Paderborn 2017, S. 2, 4–6 und 15 (PDF: 939 kB, 22 Seiten auf uni-paderborn.de).
- Gert Heinrich: Allgemeine Systemanalyse. Oldenbourg, München 2007, ISBN 978-3-486-58365-6, S. 6–9.
- Christian Erk: Was ist ein System? Eine Einführung in den klassischen Systembegriff. Lit, Zürich 2016, ISBN 978-3-643-80203-3, S. 5–82, hier S. ??.
- Franz Poland: σύστημα. In: Georg Wissowa u. a. (Hrsg.): Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. 2. Reihe, 8. Halbband. Metzler, Stuttgart 1932, Sp. 1834–1835.
- Fritz-Peter Hager: System; Systematik; systematisch, I. Antike. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10, 1998, S. 824–825.
- Philebos 17 d, zit. nach Fritz-Peter Hager: System; Systematik; systematisch, I. Antike. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10, 1998, S. 824–825.
- Epinomis 991e, zit. nach F.-P. Hager: System; Systematik; systematisch, I. Antike. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10, 1998, S. 824–825.
- Thomas Hobbes (2007 [1651]): Leviathan. (ebooks.adelaide.edu.au Kap. XXII/).
- Ludwig von Bertalanffy: An Outline of General Systems Theory. In: The British Journal for the Philosophy of Science. Nr. 1–2, 1950, S. 134–165, hier: S. 143.
- H.A.: Lebende Systeme. (spektrum.de 2000).
- Vgl. z. B. wiederum Anton Hügli, Poul Lübcke: Philosophielexikon. Rowohlt Verlag, Reinbek 1991, s. v. System: „Eine besondere Rolle spielt das S[ystem] in der strukturalen Linguistik […]. S[ystem] meint hier eine Ganzheit von Elementen, die sich zueinander in einem inneren Abhängigkeitsverhältnis befinden, und zwar so, daß ein einzelnes Element nicht durch sich selbst, sondern nur durch die Unterschiede zu anderen Elementen definiert ist.“
- DIN IEC 60050-351:2009-06, 351-21-20