St. Stephan (Mainz)
Die katholische Pfarrkirche Sankt Stephan in Mainz wurde 990 von Erzbischof Willigis auf der höchsten Erhebung der Stadt gegründet. Auftraggeberin war höchstwahrscheinlich die Kaiserwitwe Theophanu. Willigis wollte mit ihr die Gebetsstätte des Reiches schaffen. Das weist bereits die Namenswahl aus: Stephan bedeutete ursprünglich im Altgriechischen Στέφανος „Kranz“; „Krone“ („die Stadtkrone“ oder „die Reichskrone“).
In der Kirche war ursprünglich ein Kollegiatstift untergebracht. Der Propst des Stiftes verwaltete eines der Archidiakonate (mittelalterliche Organisationseinheit, ähnlich den heutigen Dekanaten) des Erzbistums Mainz.
Bau
Der heutige Bau datiert jedoch aus späterer Zeit. Erzbischof Bardo ließ die zunächst aus Holz errichtete Kirche ab 13. April 1043 in Stein ausführen.[1] Um 1267 wurde ein Nachfolgebau begonnen, der um 1340 fertiggestellt wurde. Dieser behielt die Vorgaben des Grundrisses des Willigis-Baus und damit die Ausgestaltung als Doppelchoranlage bei. St. Stephan ist damit die älteste gotische Hallenkirche am Mittelrhein und die nach dem Mainzer Dom bedeutendste Kirche der Stadt Mainz.
Von 1462 bis 1499 wurde der Kreuzgang an die Südseite angefügt. Im Osten der Pfarrkirche liegt der Willigisplatz.
In der Barockzeit wurden die Innenräume von St. Stephan entsprechend ausgestaltet.[2] 1857 explodierte jedoch ein nahegelegener Pulverturm (Mainz war im 19. Jahrhundert Bundesfestung), wodurch die barocke Ausstattung der Kirche verloren ging. Von Oktober 1813 bis Januar 1814 diente der große Glockenturm auch als Signalstation der optischen Telegraphenlinie nach Metz. Von 1816 bis zu seinem Tod im Jahr 1874 amtierte hier Johann Peter Merz als Pfarrer.
Während der Luftangriffe auf Mainz im Zweiten Weltkrieg wurde St. Stephan schwer beschädigt. Bei dem großen Luftangriff auf Mainz am 27. Februar 1945 wurden auch die Glocken zerstört. Der große Westturm musste danach in einem komplizierten Verfahren restauriert werden. Nicht wiederhergestellt wurden jedoch die Gewölbe von Langhaus und Chor, die nun durch eine flache Holzdecke ersetzt sind. Eine Wiederherstellung der Gewölbe wäre aber nach wie vor möglich.
In seiner heutigen Form ist St. Stephan eine dreischiffige gotische Hallenkirche mit Chören im Osten und Westen sowie mit einem großen achteckigen Glockenturm über dem Westchor.
Ausstattung
Der Kirchengründer Willigis wurde in der von ihm gegründeten Kirche 1011 begraben. Die genaue Grabstätte ist jedoch durch den Umbau nicht mehr feststellbar.
Nach der Pulverturmexplosion und den Kriegszerstörungen sind vor allem die Altarmensa aus dem 13. Jahrhundert sowie der große Tabernakel (um 1500) erhalten.
Chagall-Fenster
Einzigartig in Deutschland sind die Fenster der Stephanskirche, die ab 1978 von Marc Chagall gestaltet wurden, der sie als Beitrag zur jüdisch-deutschen Aussöhnung verstanden wissen wollte. Der damalige Pfarrer von St. Stephan, Monsignore Klaus Mayer, gewann Chagall als Künstler. Bis zu seinem Tod 1985 schuf Chagall insgesamt neun Fenster für den vorderen Teil der Kirche. Vor einem in verschiedenen leuchtenden Blautönen gehaltenen Hintergrund zeigen sie biblische Gestalten und Ereignisse. Eine der bekanntesten Szenen stellt die Versuchung von Adam und Eva im Paradies dar. Chagall entwarf die Glasgemälde und führte auch die Schwarzlotmalerei eigenhändig aus. Es sind die letzten Kirchenfenster, die Chagall schuf. Nach seinem Tod wurde die Arbeit an den restlichen Fenstern in St. Stephan von Charles Marq fortgesetzt, der als Seniorchef des Glasateliers Jacques Simon in Reims 28 Jahre lang mit Marc Chagall zusammengearbeitet hatte.
2014 wurden im New Yorker Auktionshaus Sotheby’s die Entwurfsskizzen versteigert.[3][4] Drei in verschiedenen Blautönen gehaltene Vorlagen für die Langhausfenster konnten nachträglich von einer privaten Unternehmerstiftung für St. Stephan erworben werden; sie waren 2017 in der Kirche St. Stephan zu besichtigen.[5][6] Ausgestellt sind nun akkurate Reproduktionen der Skizzen; die Originale befinden sich im Dommuseum.[7]
Mit dem Erstausgabetag 2. November 2018 gab die Deutsche Post AG in der Serie Weihnachten ein Postwertzeichen im Nennwert von 70 Eurocent heraus. Die Briefmarke zeigt das Kirchenfenster Maria mit dem Kinde. Der Entwurf stammt vom Grafiker Detlef Behr aus Köln.
Glocken
Aus der Werkstatt von Konrad Gobel stammten zwei Glocken von 1544 und 1545. Verloren gingen beim großen Luftangriff alle fünf Glocken, die bei dem Brand des Glockenturms schmolzen. Als Glockenersatz diente lange Zeit die Beatrix-Glocke aus der zerstörten Kirche St. Emmeran in Mainz. Die 1493 gegossene Glocke ist die drittälteste Glocke der Stadt Mainz. Sie trägt die Inschrift:
+ Anno + domini + m + cccc + xciii + jar + sant + beadrix + glocke + heis + ich + peter + zur + glocken + zu + spier + gos + mich +[8]
Durch eine Spende des Mainzer Technologiekonzerns Schott erhielt St. Stephan 2008 drei neue Glocken. Am 27. Februar 2009, dem Gedenktag der Bombardierung von Mainz im Zweiten Weltkrieg, läuteten alle Glocken erstmals zusammen.[9]
Nr. | Name | Gussjahr | Gießer, Gussort[8][9] | Durchmesser (in mm) | Gewicht (in kg) | Nominal (16tel) |
1 | Stephanus | 2008 | A. Bachert, Karlsruhe | 1450 | 1900 | d1 |
2 | Willigis | 2008 | A. Bachert, Karlsruhe | 1280 | 1400 | e1 |
3 | Beatrix | 1493 | Peter zur Glocken, Speyer | 1180 | 1100 | fis1 –4 |
4 | Maria Magdalena | 2008 | A. Bachert, Karlsruhe | 1080 | 800 | g1 |
Orgel
Bis zum 1. März 2013 befand sich in der Kirche nur eine sehr kleine Pfeifenorgel mit elf Registern im nördlichen Querhaus. Erst rund 65 Jahre nach Kriegsende ging man daran, den Wunsch nach einem angemessenen Instrument in die Tat umzusetzen. Die heutige Orgel in St. Stephan wurde von Klais Orgelbau erbaut. Das dreimanualige Instrument hat 46[10] Register, davon drei Transmissionen, 3006 Pfeifen und eine elektronische Setzeranlage mit Sequenzern. Die Spieltrakturen und Koppeln sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.[11] Die Orgelweihe fand am 1. März 2013 durch Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz, statt.[12]
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Annahaupt
In der Kirche wurde von 1212 bis zu einer Renovierung im Jahr 1500 eine Reliquie aufbewahrt, die der heiligen Anna zugeschrieben wurde. Das so genannte Annahaupt ist ein handtellergroßes Stück einer menschlichen Hirnschale, eingelassen in einem silbernen Büstenreliquiar aus dem 14. Jahrhundert. Heute befindet es sich in Düren.[15]
Bilder des Kreuzgangs
- Netzrippengewölbe im Kreuzgang von St. Stephan
Literatur
- Susanne Kern: Die ehemalige Stiftskirche St. Stephan in Mainz, Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2021, ISBN 978-3-7954-3465-6.
- Stefan Schmitz (Hrsg.): St. Stephan in Mainz – Krone der Stadt: eine Gemeinde im Wandel. Bodenheim 2013, ISBN 978-3-9813999-4-3.
- Jürgen Breier (Hrsg.): Die neuen Glocken für St. Stephan. Bocom – Verlag Bonewitz, Mainz 2009, ISBN 978-3-9811590-7-3.
- Rolf Dörrlamm, Susanne Feick, Hartmut Fischer, Hans Kersting: Mainzer Zeitzeugen aus Stein. Baustile erzählen 1000 Jahre Geschichte. Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2001, ISBN 3-87439-525-1.
- Alois Gerlich: Das Stift Sankt Stephan zu Mainz. Beiträge zur Verfassungs-, Wirtschafts- und Territorialgeschichte des Erzbistums Mainz (= Jahrbuch für das Bistum Mainz. Band 4). Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1954 (zugleich: Mainz, Universität, Dissertation, 1948).
- Josef Heinzelmann: Spuren der Frühgeschichte von St. Stephan in Mainz. Ein Beitrag zu einer noch nicht geführten Diskussion. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte. Band 56, 2004, S. 89–100.
- Regina Heyder, Barbara Nichtweiß (Hrsg.): Willigis von Mainz – Umfeld, Wirkung, Deutung. Beiträge zum Willigis-Jubiläum in St. Stephan. Würzburg 2014, ISBN 978-3-429-03795-6.
- Regina Heyder: Das Konzil in der Gemeinde. St. Stephan in Mainz von der Wiedereröffnung (1959) bis zum Beginn der Würzburger Synode (1971). In: Stefan Schmitz (Hg.): St. Stephan in Mainz – Krone der Stadt. Eine Gemeinde im Wandel. Bodenheim 2013, S. 50–67 und 186–188.
- Helmut Hinkel (Hrsg.): 1000 Jahre St. Stephan in Mainz. Festschrift. Quellen und Abhandlungen der mittelrheinischen Kirchengeschichte, Band 63. Pfarrei Sankt Stephan und Gesellschaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte, Mainz 1990, 566 Seiten (Digitalisat).
- Helmut Mathy: Tausend Jahre St. Stephan in Mainz. Ein Kapitel deutscher Reichs- und Kirchengeschichte. Mit einem Anhang über die letzte Visitation des Stiftes 1780/1781. Aurea Moguntia (Band 4). von Zabern, Mainz 1990, ISBN 3-8053-1189-3.
- Klaus Mayer, Marc Chagall: Die Chagall-Fenster zu St. Stephan in Mainz. Echter, Würzburg.
- Band 1: Der Gott der Väter. Das Mittelfenster. 10. Auflage 1993, ISBN 3-429-00573-6.
- Band 2: Ich stelle meinen Bogen in die Wolken. Die flankierenden Mittelfenster. 9. Auflage 1994, ISBN 3-429-00616-3.
- Band 3: Herr, mein Gott, wie groß bist du! Die seitlichen Fenster. 6. Auflage 1994, ISBN 3-429-00739-9.
- Band 4: Die Himmel der Himmel fassen dich nicht. Die Querhausfenster. Brief an meinen Freund. 3. Auflage 1995, ISBN 3-429-01001-2.
- Klaus Mayer: St. Stephan in Mainz. Kleine Kunstführer Nr. 523. 15., erweiterte Auflage. Schnell & Steiner, Regensburg 2009, ISBN 978-3-7954-4311-5.
- Anna Neovesky: St. Stephan virtuell – ein internetgestützter Panoramarundgang durch die Mainzer Stephanskirche – Entwicklung und Umsetzung eines Projektes im Bereich der digitalen Geisteswissenschaften. In: Skriptum. 2, 2012, Nr. 2.[16] urn:nbn:de:0289-2012110220
Filmdokumentation
- Die Chagall-Fenster in Mainz. TV-Dokumentation von Marcel Schilling aus der Reihe Schätze des Landes. Deutschland 2007, SWR Fernsehen, 30 Minuten
Weblinks
- Weitere Informationen auf der Internetplattform des Bistums Mainz
- Virtueller Rundgang durch den Kreuzgang der Kirche
- Archivalien zu St. Stephan im Hessischen Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
- Kirchturm Pfarrkirche St. Stephan – »Signalstation« mit besten Aussichten von Daniela Tratschitt in Der Mainzer; Heft 264 vom September 2012
Einzelnachweise
- Hans Baumann: Daten der Mainzer Stadtgeschichte. In: Stadt Mainz (Hrsg.): Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte. II Verlag Hermann Schmidt, Mainz 1993.
- Christiane Reves: Bausteine zur Mainzer Stadtgeschichte: Mainzer Kolloquium 2000. Franz Steiner Verlag, Band 55 2002, ISBN 3-515-08176-3, S. 142.
- Property from a private european collection – Marc Chagall
- Chagall-Skizze für Mainzer Stephanskirchen-Fenster versteigert (Memento des Originals vom 2. April 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. monopol-magazin und dpa vom 9. Mai 2014
- Drei echte Chagall, neu in St. Stephan – Die Stiftung „St. Stephan in Mainz“ erwirbt Chagall-Entwürfe. bistummainz.de vom 6. März 2015.
- Fenster St. Stephan: Chagall-Skizzen zu Hause in Mainz – Sie sind einzigartig in Deutschland: Die Chagall-Fenster in St. Stephan in Mainz. Jetzt sind drei der Entwürfe des Künstlers auch in Mainz „zu Hause“ und für jeden zu sehen. swr.de vom 11. März 2015.
- Erläuterungstext neben den ausgestellten Skizzen. Betrachtet am 18. September 2018.
- Motette (Hrsg.): Glocken-Landschaft Bistum Mainz. Motette-Verlag, Düsseldorf 2005, S. 18.
- Bischöfliche Pressestelle des Bistums Mainz: Kardinal Lehmann weihte drei neue Glocken in Mainz-St. Stephan.
- bistummainz.de
- Projektbeschreibung auf der Webseite des Orgelbauvereins.
- "Dies ist ein dankbarer Tag" – Karl Kardinal Lehmann weiht neue Orgel in St. Stephan. bistummainz.de vom 2. März 2013.
- Das Portal der Königin. Musik-Medienhaus.de, abgerufen am 18. Mai 2020.
- Die neue Klais-Orgel (2013) in St. Stephan Mainz – Das Forum der „Königin der Instrumente“. Abgerufen am 18. Mai 2020.
- Angelika Dörfler-Dierken: Die Verehrung der heiligen Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992, ISBN 3-525-55158-4.
- Programmiererin und Historikerin Anna Neovesky gibt einen Ein- und Überblick über das Webprojekt St. Stephan virtuell. Thematisiert werden die Entwicklung des virtuellen Rundganges und die Symbiose von Webdesign, Applikationsprogrammierung und ‚traditioneller‘ Geschichtswissenschaft.