Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Russland
Die Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Russland waren eine Serie von Bombenanschlägen im Jahr 1999 in Russland, bei denen 367 Menschen ums Leben kamen und über 1000 verletzt wurden.[1] Die Terroranschläge waren der Anlass für Russland, den Zweiten Tschetschenienkrieg zu beginnen, in den Worten Putins „zur Bekämpfung von 2000 Terroristen“.[2] Gemäß offiziellen russischen Ermittlungsergebnissen waren die Täter tschetschenische Separatisten. Dies wurde inner- und außerhalb Russlands angezweifelt, da Indizien auf eine Verstrickung des russischen Geheimdiensts FSB deuteten. Der Versuch einer unabhängigen parlamentarischen Untersuchung wurde von der russischen Regierung blockiert und verlief ergebnislos; untersuchende Duma-Abgeordnete wurden ermordet[3]. Im Verlauf des Krieges in Tschetschenien konnte der ehemalige FSB-Direktor Wladimir Putin als neuer russischer Präsident seine Position an der Staatsspitze konsolidieren.
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31. August 1999 – Moskau
Die erste Bombenexplosion am 31. August 1999 in der russischen Hauptstadt betraf noch kein Wohngebäude. Sie ereignete sich in einer Einkaufspassage „Ochotny Rjad“ (russisch: Охотный ряд) am Manege-Platz, tötete eine Person und verletzte 40 weitere.
4. September 1999 – Buinaksk
Am 4. September 1999 um 21:45 Uhr explodierte eine Autobombe (2700 kg; Lkw GAZ-52; Aluminium-Pulver mit Ammoniumnitrat) in der Stadt Buinaksk (Republik Dagestan im Nordkaukasus) vor einem sechsstöckigen Wohnhaus (Lewanewski Straße 3; russisch: улица Леваневского), das von russischen Militärangehörigen und ihren Familien bewohnt wurde. Dabei wurden zwei Aufgänge des Hauses mit den dazugehörigen Wohnungen zerstört, wobei 64 Personen, darunter 23 Kinder, getötet und 164 verletzt wurden.
Eine Bombe in einem zweiten Lkw (ZIL-130) vor einem Krankenhaus wurde von der Polizei entschärft. Im Wagen wurden Papiere auf den Namen Issa Sainutdinow (russisch: Иса Зайнутдинов) gefunden.[4]
Von offizieller russischer Seite wurden Separatisten aus Tschetschenien für den Anschlag verantwortlich gemacht, die ab dem 2. August 1999 unter der Führung von Bassajew und Ibn al-Chattab in Dagestan eingefallen (Dagestankrieg) und die unabhängige „Islamische Republik Dagestan“ ausgerufen hatten. In die Kämpfe waren ca. 1400 vor allem tschetschenische Kämpfer verwickelt. Es gab Hunderte von Todesopfern unter den Kämpfern und der Zivilbevölkerung.
8. September 1999 – Moskau
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Am 8. September 1999 um 23:58 Uhr explodierte im Erdgeschoss des neunstöckigen Wohnhauses Gurjanow Str. 19, russisch: улица Гурьянова im Südosten Moskaus (Stadtteil Petschatniki, russisch: район Печатники) eine 300–400 kg schwere Sprengstoffladung. Das Gebäude wurde sehr stark beschädigt (108 zerstörte Wohnungen), es starben 94 Menschen im Haus und 150 Personen wurden verletzt. Ein Anrufer bei einer russischen Nachrichtenagentur sagte, dass die Explosion eine Antwort auf die russischen Bomben auf Dörfer in Tschetschenien und Dagestan während des Dagestankrieges sei.
13. September 1999 – Moskau
Am 13. September 1999 war ein Trauertag für die Opfer des Bombenanschlages; an diesem Tag explodierte um 5 Uhr eine Sprengladung in einer Wohnung an der Kaschira-Schnellstraße (Kaschirskoje Chaussee[5], Каширское шоссе 6/3; 8 Etagen) im Süden von Moskau. Das achtstöckige Gebäude wurde total zerstört. Die Explosion schleuderte einige Betonteile des Hauses hunderte Meter weit und bedeckte die ganze Straße mit Schutt. Es starben 118 Menschen und 200 wurden verletzt.
Zu dieser Zeit erklärte der russische Ministerpräsident Putin den Krieg gegen die „illegalen Kampfeinheiten“ in Tschetschenien. Obwohl es nach Ansicht der Kritiker keine wirklichen Beweise für tschetschenische Täter gab, traf das russische Militär Vorbereitungen, wieder in Tschetschenien einzumarschieren und die tschetschenische Regierung abzusetzen.
16. September 1999 – Wolgodonsk
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Der russische Entschluss für eine Intervention in Tschetschenien wurde durch eine weitere Explosion einer Autobombe am 16. September 1999 verstärkt. Diese Explosion fand vor einem neunstöckigen Wohnhaus in der südrussischen Stadt Wolgodonsk (Donregion) statt, wobei 17 Personen getötet wurden.
Russland reagierte mit dem Einsatz seiner Luftstreitkräfte gegen Stellungen von tschetschenischen Aufständischen, Erdölraffinerien und andere Gebäude in Tschetschenien. Bis Ende September war klar, dass es sich nicht um einzelne Angriffe handelte, sondern ein Krieg in Tschetschenien entbrannt war – der zweite Tschetschenienkrieg. Im Oktober 1999 marschierten dann russische Truppen in Tschetschenien ein.
22. September 1999 – Vorfall in Rjasan
Am Abend des 22. Septembers 1999 beobachtete ein Bewohner eines 13stöckigen[6] Wohnhauses in der Nowsojolow-Straße[6] in der Stadt Rjasan zwei Männer, die schwere Säcke aus ihrem Auto in den Keller schleppten. Die lokale Polizei (Miliz) wurde gerufen und Tausende von Bewohnern der umliegenden Wohnungen wurden evakuiert, Straßen gesperrt. Gasproben im Keller hätten laut dem Sprengmeister Juri Tkaschenko auf Hexogen hingewiesen, den gleichen Explosivstoff, der auch bei den Moskauer Anschlägen verwendet worden war. Der Observer berichtete, er habe Beweise, dass die Bombe wirklich Sprengstoff und einen Zünder enthielt, und brachte eine Fotografie, die den Zünder darstellen sollte, der auf 05:30 Uhr eingestellt war. Tkaschenko erklärte dem Observer: „Es war eine echte Bombe. Sie war scharf gemacht.“[6]
Ministerpräsident Putin lobte am 24. September die Polizei und die aufmerksame Bevölkerung und bis zu diesem Zeitpunkt zweifelte niemand an einem terroristischen Anschlag. Erst danach erklärte der zentrale russische Geheimdienst (FSB), dass dieser Vorfall eine „Übung“ gewesen sei, sehr zum Missfallen der lokalen FSB-Abteilung. Das Ergebnis der ersten Sprengstoffanalyse wurde widerrufen, da es wegen einer Verschmutzung des Analyseapparates durch vorangegangene Tests ungenau gewesen sei – was der Sprengmeister zurückwies. Die angeblich Zucker enthaltenden Säcke der „Übung“ seien auf einem Artillerieübungsplatz getestet worden und nicht explosiv gewesen – wobei u. a. der Autor Edward Lucas fragte, wozu Zucker getestet werden müsse und warum der FSB ein gestohlenes Auto benutzte.[7] Der öffentliche Untersuchungsausschuss konnte kein endgültiges Ergebnis zu diesem Ereignis vorlegen, da von verschiedenen Behörden der Russischen Föderation widersprüchliche Auskünfte erteilt wurden. Der Generalstaatsanwalt schloss die Untersuchung des Vorfalls in Rjasan im April 2000 ab.
Offizielle Untersuchung
Nach den Ergebnissen der offiziellen Untersuchung wurden die Bombenanschläge auf die Wohnhäuser von Ibn al-Chattab und Abu Umar, einem arabischen Kämpfer, der in Tschetschenien kämpfte, geplant und organisiert. Beide wurden später getötet. Die Planung wurde in al-Chattabs Guerillalagern „Kaukasus“ in Schatoi (Шато́й) und „Taliban“ in Avtury (auch: Aleroy, Алерой) in Tschetschenien durchgeführt. Am 4. Mai 2000 tötete ein russisches Spezialkommando bei einem Angriff aus dem Hinterhalt auf einen tschetschenischen Rebellen-Trupp in der Nähe des Dorfes Avtury 19 Personen.
Die offizielle russische Untersuchung ergab, dass die Operation für Bombenanschläge auf die Wohnhäuser von Achemez Gotschijajew (dem Turkvolk der Karatschaier angehörend) geführt wurde. Der Sprengstoff wurde in Urus-Martan (Tschetschenien; russisch: Уру́с-Марта́н) in einer Düngemittelfabrik vorbereitet. Dazu wurden Hexogen, TNT, Aluminium-Pulver und Salpeter mit Zucker gemischt. Von dort wurde er an ein Nahrungsmittellager in Kislowodsk verfrachtet, das von Yusuf Krymschachalow – einem Onkel eines der mutmaßlichen Terroristen – geführt wurde. Ein weiterer Verschwörer (Ruslan Magajajew) hatte einen Lastkraftwagen der Marke KAMAZ gemietet, in dem die Säcke für zwei Monate gelagert wurden. Nachdem die Planungen abgeschlossen waren, wurden die Teilnehmer in verschiedene Gruppen aufgeteilt, um den Sprengstoff in verschiedene Städte zu bringen. Die meisten Beteiligten waren keine ethnischen Tschetschenen.
Nach der offiziellen russischen Version wurden die Terroranschläge ausgeführt, um die Aufmerksamkeit der russischen Streitkräfte von Dagestan abzulenken, wo zu dieser Zeit Kämpfe zwischen russischen Streitkräften und 1400 eingedrungenen separatistischen Kämpfern aus Tschetschenien (angeführt von Bassajew und Ibn al-Chattab) stattfanden.
Die folgenden Personen lieferten demnach den Sprengstoff, lagerten ihn oder gewährten anderen Verdächtigen Zuflucht:
- Moskauer Bombenanschläge – 8. und 13. September 1999.
- Achemez Gotschijajew (nicht verhaftet, wird vom FSB gesucht)[8]
- Denis Saitakow (in Tschetschenien getötet)
- Chakim Abajew (im Mai 2004 von Spezialtruppen des FSB getötet – in Inguschetien)
- Rawil Achmjarow (in Tschetschenien getötet)
- Jusuf Krymschachalow (in Georgien verhaftet und an Russland ausgeliefert, im Januar 2004 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt)
- Bombenanschlag in Wolgodonsk – 16. September 1999.
- Timur Batschajew (bei einem Zusammenstoß mit der Polizei in Georgien getötet, wobei Krymschachalow verhaftet wurde – siehe oben)
- Zaur Batschajew (in Tschetschenien getötet)
- Adam Dekkuschew (in Georgien verhaftet – bei der Verhaftung warf er eine Handgranate auf die Polizisten, an Russland ausgeliefert, im Januar 2004 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt)
- Bombenanschlag in Buinaksk – 4. September 1999.
- Isa Sainutdinow (im März 2001 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt)
- Alisultan Salichow (im März 2001 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt)
- Magomed Salichow wurde im November 2004 in Aserbaidschan verhaftet und an Russland ausgeliefert; von dem Anklagepunkt wegen Terrorismus wurde er am 24. Januar 2006 freigesprochen; er wurde jedoch wegen Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Gruppe und illegalem Grenzübertritt verurteilt.[9] Das Oberste Gericht ordnete wegen Verfahrensfehlern eine Wiederaufnahme des Prozesses an. Er wurde jedoch am 13. November 2006 erneut freigesprochen – dieses Mal von allen Anklagepunkten.[10]
- Sijawutdin Sijawutdinow (wurde in Kasachstan verhaftet und an Russland ausgeliefert, im April 2002 zu 24 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt)
- Abdulkadyr Abdulkadyrow (im März 2001 zu 9 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt)
- Magomed Magomedow (im März 2001 zu 9 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt)
- Zainutdin Zainutdinow (im März 2001 zu 3 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und sofort begnadigt und freigelassen)
- Machach Abdulsamedow (im März 2001 zu 3 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und sofort begnadigt und freigelassen)
Ein gewisser „Gotschijajew“ hat an russische Zeitungen geschrieben, dass er als unwissender Teilnehmer an einer Verschwörung des russischen Geheimagenten Ramasan Dyschekow vom FSB verwickelt war. Der ehemalige FSB-Offizier Litwinenko, der später im Londoner Exil vergiftet wurde, erklärte, Gotschijajew in seinem Versteck getroffen und eine eidesstattliche Versicherung erhalten zu haben, wonach Gotschijajew gutgläubig für einen Freund (ein FSB-Agent) den Tatort angemietet habe.[11]
Versuche von nichtstaatlichen Untersuchungen
Die russische Duma hat zwei Anträge auf eine parlamentarische Untersuchungskommission zur Untersuchung des Zwischenfalls in Rjasan abgewiesen. [12][13]
Eine unabhängige Untersuchungskommission (vier Dumaabgeordnete), unter Vorsitz des Dumaabgeordneten Sergei Kowaljow, zur Untersuchung der Explosionen erwies sich als ineffektiv, weil die Regierung es ablehnte, auf entsprechende Anfragen Auskünfte zu erteilen. [14] [15]
Zwei führende Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses (Sergei Juschenkow und Juri Schtschekotschichin), beide Dumaabgeordnete, starben seitdem – augenscheinlich bei Mordanschlägen (April 2003 und Juli 2003). Sie hatten die These vertreten, dass der FSB in die Anschläge verwickelt war. [16] [17]
Juri Schtschekotschichin starb nach offizieller Angabe zwar an einem Lyell-Syndrom, aber es wird vermutet, dass er durch radioaktives Polonium-210 getötet wurde. Beim späteren Mordattentat auf Alexander Litwinenko spekulierte man deshalb anfangs auf die gleiche Tötungsmethode. Juri Schtschekotschichin war Journalist bei der Nowaja Gaseta, wo er auch ein Interview mit Anna Politkowskaja führte. Sie wurde ebenfalls ermordet.
Der Anwalt der unabhängigen Untersuchungskommission, Michail Iwanowitsch Trepaschkin (russisch: Михаил Иванович Трепашкин), wurde im Oktober 2003 wegen illegalen Waffenbesitzes verhaftet und war bis November 2007 in der Strafkolonie Nischni Tagil zur Verbüßung einer vierjährigen Haftstrafe inhaftiert.
Ein weiteres Mitglied der Untersuchungskommission, Otto Latsis, wurde im November 2003 brutal zusammengeschlagen.[18]
Weitere Erkenntnisse
Der Dumaabgeordnete Sergei Juschenkow verwies im April 2002 während eines Besuches in Washington auf die mysteriöse Bemerkung des Dumasprechers Gennadi Selesnjow (russisch: Геннадий Николаевич Селезнёв), aus der hervorging, dass Selesnjow bereits drei Tage im Voraus, am 13. September von der Explosion am 16. September wusste.[19][20]
Der Vorfall in Rjasan am 22. September 1999 beflügelte anfängliche Spekulationen in der westlichen Presse, dass die Bombenanschläge in Moskau vom russischen Inlands-Geheimdienst FSB organisiert worden sein könnten.[21] Unter westlichen Fachleuten wird die Theorie, dass der FSB in die Bombenanschläge verwickelt ist, von David Satter, dem ehemaligen Korrespondenten der Financial Times in Moskau, vertreten. Diese Theorie vertritt er in seinem Buch Darkness at Dawn: the Rise of the Russian Criminal State (Die Dunkelheit der Dämmerung: Das Aufkommen des russischen Verbrecherstaates; Yale University Press). Nach Recherchen der beiden französischen Journalisten Jean-Charles Deniau und Charles Gazelle wurden die Explosionen vom FSB durchgeführt, um eine Rechtfertigung für die Fortsetzung des Tschetschenienkrieges zu haben, der wiederum Putin half, die Kommunisten bei den Präsidentschaftswahlen am 26. März 2000 zu schlagen. Am 24. September sagte der Chef des FSB, Nikolai Patruschew, dass die Sprengladung im Keller des Wohnhauses eine Attrappe gewesen sei, die nur Zucker enthielt, und dass der FSB einen Test durchgeführt hätte. Der FSB behauptete, dass das verwendete Gasanalysegerät eine Fehlfunktion gehabt hätte.[22] Der Sprengstoffexperte, der die Bombe entschärfte (Juri Tkatschenko) bestand jedoch weiter darauf, dass es eine echte Bombe war. Er sagte, dass die Sprengvorrichtung einen Timer, eine Energieversorgung und Zünder hatte, die ausschließlich Militärausrüstungen waren und offensichtlich von Profis vorbereitet waren. Das Gasanalysegerät testete die Dämpfe aus den Säcken unzweideutig als Hexogen. Nach Tkatschenko stand es außer Frage, dass das Gasanalysegerät keine Fehlfunktion gehabt habe, da es regelmäßig gewartet wurde. Der Polizist, der als Erster am Tatort eintraf und die Bombe entdeckte, bestand auch darauf, dass dieser Vorfall keine Übung gewesen sei und dass schon dem Augenschein nach die Substanz in der Bombe kein Zucker war.[22]
Putin, der vom 25. Juli 1998 bis August 1999 Direktor des FSB war, bekam in Russland den Spitznamen „Herr Hexogen“ [23][24]
Ein Dokumentarfilm[25] des russischen Regisseurs Andrei Nekrassow (russisch: Андрей Львович Некрасов) über die Bombenattentate wurde 2004 auf dem Sundance Film Festival ausgezeichnet. Der Film zeigt chronologisch die Geschichte von Tatjana und Aljona Morosowa, zwei russisch-amerikanischen Schwestern, die ihre Mutter bei dem Bombenattentat verloren haben, und nun versuchten die Schuldigen zu finden.
Schicksale von Beteiligten
Der ehemalige Geheimagent und spätere Privatermittler Michail Trepaschkin, wurde, kurz bevor er im öffentlichen Gerichtsverfahren seine Ergebnisse publik machen konnte, wegen eines Waffenvergehens verhaftet und von einem Militärgericht verurteilt. Einem seiner Anwälte zufolge hätten Trepaschkin und zwei weitere Zeugen in einer Phantomzeichnung des Mannes, der den Keller in einem der zerbombten Häuser angemietet hatte, den FSB-Agenten Wladimir Romanowitsch erkannt. Romanowitsch war einige Monate nach dem Bombenanschlag bei einem Autounfall auf Zypern ums Leben gekommen.[26]
Juri Petrowitsch Schtschekotschichin starb als Kritiker des Tschetschenienkrieges unter mysteriösen Umständen nach einer Reise nach Rjasan.[27]
Sergei Nikolajewitsch Juschenkow, Leiter des Untersuchungsausschusses, wurde 2003 erschossen.
Alexander Litwinenko, ein ehemaliger russischer FSB-Agent, der in London im Exil lebte, behauptete ebenfalls in seinem Buch Blowing up Russia: Terror from Within (engl. Ausgabe); russisch ФСБ взрывает Россию (russ. Ausgabe), dass der FSB hinter den Bombenanschlägen stecke. Er starb am 23. November 2006 in London, dreieinhalb Wochen nachdem ihm bei einem Anschlag die hoch radioaktive Substanz Polonium 210 verabreicht wurde.
Der russische Oligarch Boris Beresowski unterstützte 2002 den Dokumentarfilm Der FSB sprengt Russland in die Luft. (Untertitel: Ein Angriff auf Russland?) durch eine 25%ige Finanzierung. Der Film beschuldigt die russischen Geheimdienste, die Explosionen in Wolgodonsk und Moskau organisiert zu haben. Es gibt einige Zweifel an Beresowskis Unabhängigkeit in diesem Fall, da er angeblich umfangreiche Geschäftsbeziehungen mit tschetschenischen Rebellen hatte. Trotzdem hielten 40 % der Russen eine Verwicklung des FSB in die Attentate für möglich. Beresowski starb 2013 nach mehreren vorangegangenen Mordanschlägen unter ungeklärten Umständen. Der deutsche Rechtsmediziner Professor Bernd Brinkmann, der als Gutachter im Auftrag der Tochter Elizaveta Berezovskaya vor dem Untersuchungsgericht in Berkshire aussagte,[28] zweifelte die Version „Tod durch Erhängen“ an. Fotos und Obduktionsberichte führten ihn zu dem Schluss, dass Beresowski erdrosselt wurde. Denn die Strangulationsmarkierung verlief waagerecht um Hals und Nacken und sei mit einer Aufhängung nicht vereinbar, bei einem Selbstmord durch Erhängen hätte sie zum Nacken hin steil ansteigen müssen. Und das tiefrote Gesicht von Beresowski sei etwas, das er bei einem Selbstmord durch Hängen nie zuvor gesehen habe.[29][30][31]
Spekulationen über eine Verwicklung Putins
Beobachter, die die offizielle russische Version anzweifeln und eine Täterschaft des FSB für wahrscheinlich halten, gehen meist auch von einer Verwicklung Wladimir Putins aus. So sagte der oben erwähnte Duma-Abgeordnete Kowaljow:[32]
„Ich kann nicht beweisen, dass diese Anschläge in Moskau vom Kreml organisiert waren. Aber ich meine, diese Anschläge waren für die Macht sehr nützlich. Sie haben eine allgemeine Empörung ausgelöst. Die Entscheidung des damaligen Regierungschefs und künftigen Präsidenten, einen neuen Krieg zu beginnen, wurde mit Begeisterung begrüßt. Das alles hatte eine mächtige Grundlage für Wladimir Putin geschaffen. Wer ist Putin? Vor dem September 1999 konnte nicht einmal ein Politiker darauf antworten, geschweige ein Mensch auf der Straße. Niemand wusste was von ihm. Doch danach schoss sein Rating in die Höhe. Die Anschläge auf die Wohnhäuser spielten dabei eine äußerst wichtige Rolle.“
Zudem entsprachen die Anschläge in keiner Weise dem Schema der tschetschenischen Geiselnahmen, welche immer ein konkretes Ziel verfolgten.[7]
Einzelnachweise
- Patrick E. Tyler: 6 Convicted in Russia Bombing That Killed 68. In: The New York Times. 20. März 2001, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 29. Januar 2020]).
- Marcel Baumann: Schlechthin böse? - Tötungslogik und moralische Legitimität von Terrorismus, Seite 185, ISBN 978-3-531-17333-7
- Wochenzeitschrift Die Zeit, Johannes Voswinkel: Russland: Der Terror von oben. 17. September 2007, abgerufen am 12. November 2016.
- Палачей Буйнакска взяли в Баку. Segodnya.ru, 22. September 2000 (russisch).
- Mitteldeutscher Rundfunk: Phänomen Putin Wladimir Putin: Die Geburt des "starken Mannes". 13. September 2019, abgerufen am 5. März 2022.
- World Socialist Web Site, Julie Hyland: Observer behauptet Beteiligung des russischen Geheimdienstes an Bombenanschlägen in Moskau, 21. März 2000, als Memento gespeichert am 22. Juni 2013
- Edward Lucas: Der Kalte Krieg des Kreml: Wie das Putin-System Russland und den Westen bedroht. 2008, ISBN 978-3-570-50095-8.
- Sabine Rennefanz, Katja Tichomirowa: Kalter Krieg an der Themse. Berliner Zeitung, 21. November 2006.
- Присяжные оправдали обвиняемого в организации взрыва дома в Буйнакске. Lenta.Ru, 24. Januar 2006 (russisch).
- Присяжные повторно оправдали обвиняемого во взрыве дома в Буйнакске. Lenta.Ru, 13. November 2006 (russisch).
- Fritjof Meyer: Brisanter Zucker für Putins Wiederwahl. Der Spiegel, 16. Januar 2004.
- www.eng.terror99.ru/publications/049.htm (auf Englisch) (Memento vom 10. März 2006 im Internet Archive)
- www.eng.terror99.ru/publications/042.htm (auf Englisch) (Memento vom 10. März 2006 im Internet Archive)
- www.eng.terror99.ru/publications/107.htm (auf Englisch) (Memento vom 10. März 2006 im Internet Archive)
- www.eng.terror99.ru/publications/087.htm (auf Englisch) (Memento vom 10. März 2006 im Internet Archive)
- www.nupi.no/cgi-win/Russland/krono.exe?6200 (auf Englisch) (Memento vom 30. September 2007 im Internet Archive)
- www.eng.terror99.ru/publications/118.htm (auf Englisch) (Memento vom 26. April 2007 im Internet Archive)
- В Москве жестоко избит Отто Лацис. NEWSru.com, 11. November 2003 (russisch)
- http://www.jamestown.org/single/?tx_ttnews%5Bswords%5D=8fd5893941d69d0be3f378576261ae3e&tx_ttnews%5Bany_of_the_words%5D=yushenkov&tx_ttnews%5Btt_news%5D=28112&tx_ttnews%5BbackPid%5D=7&cHash=aefec89c6eef0c5080363698cbe47dd0#.VTVZuiHtlHw (auf Englisch)
- Johnson's Russia List (Memento vom 10. März 2012 im Internet Archive) 26. Januar 2006 (englisch).
- John Sweeney: Take care Tony, that man has blood on his hands. The Guardian, 12. März 2000 (englisch).
- David Satter: The Shadow of Ryazan. National Review, 30. April 2002 (englisch).
- Alexandr Nemets, Thomas Torda: Gospodin Geksogen (Mr. Hexogen). (Memento vom 27. März 2006 im Internet Archive) newsmax.com, 19. Juli 2002 (englisch).
- Alexandr Nemets, Thomas Torda: Mr. Hexogen (continued). (Memento vom 27. März 2006 im Internet Archive) newsmax.com, 23. Juli 2002 (englisch).
- Disbelief. IMDb, 2004 (englisch).
- Kim Murphy: Russian Ex-Agent's Sentencing Called Political - Investigator was about to release a report on 1999 bombings when he was arrested. Los Angeles Times vom 20. Mai 2004
- War Critic Is Mourned, Jamestown Foundation, 10. Juli 2003.
- https://www.nytimes.com/2014/03/28/world/europe/coroner-unable-to-establish-cause-of-russian-businessmans-death.html
- GROSSBRITANNIEN: Putin-Gegner ermordet? In: Der Spiegel. Nr. 14, 2014 (online – 31. März 2014).
- http://www.dailymail.co.uk/news/article-2590778/Boris-Berezovskys-daughter-says-feared-poisoned.html
- https://www.channel4.com/news/factcheck/factcheck-high-profile-deaths-on-british-soil-with-alleged-links-to-the-kremlin
- Karla Engelhard: Top Secret! Geheimdienste - Der FSB. WDR 5, 26. Oktober 2008.
Weblinks
- terror1999.narod.ru/sud/delokd/prigovor.html (auf Russisch)
- www.somnenie.narod.ru/sent.html (auf Russisch) (Memento vom 13. September 2005 im Internet Archive) (bezweifelt die offizielle staatliche Version)
- Wladimir Putin: Why We Must Act. In: New York Times. 14. November 1999.
- Russian Apartment Bombings: The Story of Ryazan Sugar. In: Medium. 28. Oktober 2018.