Sondervermögen (Haushaltsrecht)

Ein Sondervermögen (volkswirtschaftlich Extrahaushalt, engl. Extra Budget) ist im deutschen Haushaltsrecht ein wirtschaftlich verselbständigter Nebenhaushalt zur Erfüllung bestimmter Aufgaben. Bei Sondervermögen brauchen nur die Zuführungen oder die Ablieferungen in den Haushaltsplan eingestellt zu werden (Art. 110 Abs. 1 Satz 1 HS 2 GG). Sondervermögen dürfen jedoch – wie der Haushaltsplan selbst – nur durch Gesetz errichtet werden und unterliegen der Kontrolle durch den Bundestag, den Bundesrat und den Bundesrechnungshof (§ 114 GG). Sie werden entsprechend den Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung (BHO) aufgestellt und bewirtschaftet (§ 113 BHO).[1]

Bedeutung

Das Grundgesetz (GG) schreibt in Art. 110 GG verschiedene haushaltsrechtliche Grundsätze fest und ist damit die zentrale Vorschrift des parlamentarischen Budgetrechts. Die Kompetenz zur Feststellung des Haushaltsplans steht ausschließlich dem Gesetzgeber zu (parlamentarisches Budgetrecht). Die Grundsätze der Vollständigkeit des Haushaltsplanes und der Grundsatz der Haushaltseinheit füllen dieses Budgetrecht aus.

Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit sind im Haushaltsplan alle im Haushaltsjahr voraussichtlich zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben zu veranschlagen, so dass keine voraussichtliche Einnahme oder Ausgabe bewusst außer Ansatz bleiben darf (§ 11 BHO).[2] Das Vollständigkeitsprinzip soll eine umfassende Kontrolle der Haushaltsplanung sichern.

Mit dem Grundsatz der Haushaltseinheit soll eine umfassende Übersicht über die Bundesfinanzen erreicht werden. Deshalb sind die Einnahmen und Ausgaben des Bundes in einem einzigen Haushaltsplan zu veranschlagen.[3] Für die Rechnungsperiode dürfen nicht zwei oder mehrere Haushaltspläne aufgestellt oder Teile des Haushaltsplans verselbständigt werden. Der Grundsatz der Haushaltseinheit verbietet ebenso wie das Gebot der Vollständigkeit die Bildung von sog. Schattenhaushalten.

Ausnahmsweise sind nur die in Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG genannten Nebenhaushalte (Bundesbetriebe und Sondervermögen) zulässig.[4]

Sondervermögen des Bundes sind abgesonderte Teile des Bundesvermögens, die ausschließlich zur Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben des Bundes bestimmt sind und daher von dem sonstigen Bundesvermögen getrennt verwaltet werden.[5] Da sie einer eigenständigen Wirtschafts- und Rechnungsführung bedürfen, werden Sondervermögen zwangsläufig außerhalb des Bundeshaushalts bewirtschaftet.[6]

Die Durchbrechung der Grundsätze der Haushaltseinheit und Haushaltsvollständigkeit muss durch hinreichend gewichtige verfassungsrechtliche Gründe gerechtfertigt sein.[7]

Ein zwingender Grund für die Bildung eines Sondervermögens ist vor allem gegeben, wenn eine gesonderte Mittelverwaltung aufgrund rechtlicher Verpflichtung unabweisbar vorgegeben ist. Ein Beispiel ist das ERP-Sonderkonto für die amerikanischen Hilfeleistungen zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.[8][9]

Sondervermögen des Bundes

Es wird unterschieden zwischen Sondervermögen, die über den Bundeshaushalt oder andere Einnahmen mitfinanziert werden, und Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung.[10] Für Sondervermögen werden Kredite des Bundeshaushalts erst in dem Jahr aufgenommen, in dem die Ausgaben tatsächlich getätigt werden.[11] Die Kreditaufnahme der Sondervermögen trägt zur Staatsverschuldung Deutschlands bei.[12] Die Obergrenze für die Nettokreditaufnahme im Sinne der Schuldenbremse gilt indessen auch für die Sondervermögen des Bundes, die ab 1. Januar 2011 errichtet worden sind.[13][14] Seitdem „können die Regelgrenzen des Artikels 115 nicht mehr durch die Einrichtung von Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung überschritten werden.“[15]

Durch Bundeszuschüsse mitfinanzierte Sondervermögen

Zu den durch Bundeszuschüsse mitfinanzierten Sondervermögen gehören:

Das für 2022 geplante „Sondervermögens Bundeswehr“ soll einmalig mit 100 Mrd. Euro für Rüstungsvorhaben ausgestattet werden.[20][21]

Sondervermögen mit Kreditermächtigung

Die Sondervermögen mit Kreditermächtigung sind:

  • Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS)[22] (seit 2008); Kreditermächtigung: 90 Mrd. Euro. Am 31. Dezember 2020 hatte der FMS Schulden in Höhe von insgesamt 55,48 Mrd. Euro.
  • Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF);[23] Teil des staatlichen Schutzschildes gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie; Kreditermächtigung: insgesamt 150 Mrd. Euro,[24] Garantierahmen für Kreditbürgschaften: 400 Mrd. Euro.[25]
  • Investitions- und Tilgungsfonds (ITF) (seit 2009);[26] Kreditermächtigung: 25 Mrd. Euro. Am 31. Dezember 2020 hatte der ITF Schulden in Höhe von 16,00 Mrd. Euro.
  • Restrukturierungsfonds (RSF)[27] (seit 31. Dezember 2010). Am 31. Dezember 2020 hatte der RSF keine Schulden.

Ehemalige Sondervermögen

Zu den ehemaligen Sondervermögen des Bundes gehören:

Sondervermögen der Länder

Auch die Landesverfassungen enthalten Vorschriften über Sondervermögen.[31]

Hessen

Das anlässlich der COVID-19-Pandemie in Hessen verabschiedete Gesetz über das Sondervermögen „Hessens gute Zukunft sichern“ vom 4. Juli 2020 wurde zwar vom Hessischen Staatsgerichtshof für verfassungswidrig, aber bis zum 31. Dezember 2021 für weiter anwendbar erklärt.[32][33]

Nordrhein-Westfalen

Ehemalige Sondervermögen

Zu den ehemaligen Sondervermögen des Landes Nordrhein-Westfalen zählt:

Literatur

Einzelnachweise

  1. Sonder- und Treuhandvermögen des Bundes. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung vom 9. Januar 2012.
  2. Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 57. Aufl., München 2010, Art. 110 Rn. 28.
  3. Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 57. Aufl., München 2010, Art. 110 Rn. 39; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), Art. 110 GG Rn. 19.
  4. Reimer, in: Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: 1. Juni 2010), Art. 110 Rn. 24.
  5. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), § 113 BHO Rn. 1.
  6. Gröpl, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 110 Rn. 99; Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht (43. EL, Dez. 2008), § 113 BHO Rn. 1.
  7. vgl. Kube, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 110 Rn. 106 (Stand: Januar 2021).
  8. Art. IV des Abkommens über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl. S. 10
  9. Art. III des Gesetzes betreffend das Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 15. Dezember 1949, BGBl. S. 9
  10. Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage: Kre­dit­auf­nah­me des Bun­des und sei­ner Son­der­ver­mö­gen. Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht Februar 2021.
  11. Kreditaufnahmebericht des Bundes 2020. Bericht des Bundesministeriums der Finanzen über die Kreditaufnahme des Bundes im Jahr 2020, S. 26.
  12. vgl. Klaus Gründler et al.: Rekordverschuldung nach Corona – wie steht es um die Belastung der Länderhaushalte? ifo Schnelldienst 11/2020, S. 40–49.
  13. Art. 115 Abs. 2 GG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d) vom 29. Juli 2009, BGBl. I S. 2248. buzer.de
  14. Bundesministerium der Finanzen: Kompendium zur Schuldenregel des Bundes (Schuldenbremse). 25. Februar 2022, S. 26 f.
  15. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d) BT-Drs. 16/12410 vom 24. März 2009, S. 7.
  16. § 1 des Gesetzes zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378; BGBl. 1994 I S. 2439)
  17. Gesetz über die Errichtung des Deutschen Binnenschifffahrtsfonds vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2266)
  18. § 6 des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes vom 16. Juli 1998 (BGBl. I S. 1842)
  19. errichtet durch das Gesetz über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens vom 31. August 1953 (BGBl. I S. 1312); Rechtsgrundlage seit 2007: Gesetz über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens vom 26. Juni 2007
  20. Christian Rath: Bundesregierung plant Sondervermögen: Grund­ge­setz­än­de­rung für Bun­des­wehr-Mil­li­arden. Legal Tribune Online, 28. Februar 2022.
  21. Hanno Kube: Optionen und Perspektiven eines Bundeswehr-Sondervermögens. 28. Februar 2022.
  22. Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds (Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz – FMStFG) vom 17. Oktober 2008, BGBl. I S. 1982; Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz – WStFG) vom 27. März 2020, BGBl. I S. 543
  23. Gesetz zur Errichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz – WStFG) vom 27. März 2020, BGBl. I S. 543
  24. Sondervermögen Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH, abgerufen am 28. Februar 2022.
  25. Martin Greive: Instrumente des Bundes: Finanzhilfen über den WSF. Handelsblatt, 30. März 2020.
  26. Gesetzestext
  27. Gesetz zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute (Restrukturierungsfondsgesetz - RStruktFG) vom 9. Dezember 2020, BGBl. I S. 1900
  28. § 2 des Gesetzes zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378; BGBl. 1994 I S. 2439)
  29. § 2 des Gesetzes zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (PostUmwG)
  30. Gesetz über die Errichtung eines Erblastentilgungsfonds vom 23. Juni 1993.
  31. vgl. Alexandra Jarchau: Corona-Länderhilfen für die Kommunen 2021. Der Neue Kämmerer, 7. Dezember 2021.
  32. Leitsätze zum Urteil des Staatsgerichtshofes vom 27. Oktober 2021 - P.St. 2783, P.St. 2827.
  33. Nach Urteil des StGH Hessen: Corona-Son­der­ver­mögen auf dem Prüf­stand. Legal Tribune Online, 29. Oktober 2021.
  34. Bau- und Liegenschaftsbetriebsgesetz
  35. Zukunftsinvestitions- und Tilgungsfondsgesetz
  36. Pensionsfondsgesetz Nordrhein-Westfalen
  37. Gesetz zur Eingliederung von Landesoberbehörden, Unteren Landesbehörden und Einrichtungen des Landes

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