Oberstrombegrenzung

Oberstrombegrenzung ist eine Limitierung des maximalen Stroms, den elektrische Triebfahrzeuge im Speisebereich eines Unterwerkes aufnehmen dürfen. Da die Fahrdrahtspannung (im Fernbahnnetz von Deutschland, Österreich, der Schweiz, Schweden und Norwegen 15kV) innerhalb zulässiger Toleranzen als konstant angesehen werden darf, wird mit der Oberstrombegrenzung auch die maximale Leistung limitiert, die elektrische Lokomotiven und Triebwagen in Traktionsenergie umsetzen können.

Als Oberstrom wird dabei der von einem elektrischen Triebfahrzeug insgesamt aus der Fahrleitung über den Stromabnehmer aufgenommene Strom bezeichnet, der der Primärseite des Haupttransformators zugeführt wird.[1]

Realisierung

Beim Aufschalten der Zugkraft darf zulässige Oberstrombegrenzung nicht überschritten werden. Der für den Zug maximal zulässige Wert ist im Fahrplan bekanntgegeben. Ist infrastrukturbedingt mit niedrigeren Oberströmen zu fahren, wird dies in der Zusammenstellung der vorübergehenden Langsamfahrstellen und anderen Besonderheiten, in einer Fahrplan-Mitteilung oder beim Rangieren mündlich bekannt gegeben.[2] Beschränkungen können auch in Weisungen des Eisenbahnverkehrsunternehmens festgelegt werden.

Bei Mehrfachtraktion, Vorspann sowie beim Einsatz von Schiebelokomotiven oder weiterer Fahrzeuge im Zug, die Energie direkt aus der Fahrleitung beziehen, darf die Summe der entnommenen Oberströme den zulässigen Höchstwert nicht überschreiten.[2]

Bei modernen Fahrzeugen wird der Wert auf dem maschinentechnischen Display ausgewählt. Bei elektrischen Triebfahrzeugen älterer Bauart muss die maximale Stromaufnahme vom Triebfahrzeugführer hingegen am Oberstrom-Amperemeter überwacht werden. Nähert sich die Stromaufnahme der Oberstromgrenze, hat er den Fahrschalter herunterzuschalten.

In Deutschland können über die linienförmige Zugbeeinflussung oder ETCS höhere Geschwindigkeiten als die mit PZB zulässigen 160km/h freigegeben werden. In beiden Fällen überwacht die Fahrzeugtechnik selbsttätig die Einhaltung der Oberstromgrenze. Der Triebfahrzeugführer kann einen niedrigeren als den durch ETCS oder LZB freigegebenen Wert auswählen.

Durch die linienförmige Zugbeeinflussung können bis zu 1000A Oberstrom freigegeben werden, mit CIR-ELKE (I) bis zu 1500A.

ETCS

ETCS erlaubt mit der 10-Bit-Variable M_CURRENT die Freigabe von 0 bis 10.000A (in 10-Ampere-Schritten) sowie die Freigabe beliebiger Oberströme.[3]

Die Oberstrombegrenzung je Zug bzw. Stromabnehmer sind darüber hinaus 2 von 15 Eigenschaften, durch die ein nationales Traktionssystem (mittels der Variable NID_CTRACTION) in ETCS beschrieben wird.[4] Das Traktionssystem wiederum ist, neben dem Lademaß und der Achslast eine von drei Eigenschaften, die ein Zug erfüllen muss, um eine Strecke zu befahren. Stimmt wenigstens eine von der Infrastruktur geforderte Eigenschaft nicht mit dem Zug überein, soll die Fahrterlaubnis auf den Beginn jenes Streckenabschnitts verkürzt und der Triebfahrzeugführer informiert werden.[5] Die Liste der für das Fahrzeug zulässigen Traktionssysteme kann vom Triebfahrzeugführer nicht verändert werden[6] und wird nach dem Verbindungsaufbau zum RBC vom Zug an die Infrastruktur übermittelt.[7] Insgesamt sind 39 derartige Systeme in der von der Europäischen Eisenbahnagentur verwalteten Liste beschrieben.[4]

Vorausliegende Wechsel des Traktionssystems (NID_CTRACTION) werden, zusammen mit der zugehörigen Spannung (M_VOLTAGE) mittels des ETCS-Pakets 39 angekündigt.[8] Die Ankündigung des zulässigen Oberstroms (M_CURRENT) erfolgt mittels der ETCS-Pakets 40.[9] Die beiden Eigenschaften sind 2 von 15 in ETCS definierbaren Arten von Streckeneigenschaften (track conditions). Werden keine derartigen Informationen übermittelt, bleiben Traktionssystem bzw. Oberstrombegrenzung auf dem Fahrzeug unverändert.[10]

Auswirkungen des Oberstromes

Betriebliche Auswirkungen

Die Begrenzung der maximalen Energieumsetzung beeinflusst das Beschleunigungs- oder Anfahrverhalten der Züge, da dafür die meiste Energie verbraucht wird. Die Oberstrombegrenzung begrenzt auch die erreichbare Geschwindigkeit des Zuges. Diese Höchstgeschwindigkeit hängt von der absoluten Stromobergrenze sowie der Zuglast, den Neigungsverhältnissen, den Bogenradien und dem Wind ab. Unter einer bestehenden Oberstrombegrenzung fahren die Züge langsamer an, erreichen unter Umständen nicht die sonst zulässige Geschwindigkeit und belegen damit Gleis- und Streckenabschnitte länger. Zusätzlich können Oberstrombegrenzungen die zulässigen Zuglasten reduzieren.

Andererseits verhindern Oberstrombegrenzungen, dass bei Fahrten zu vieler elektrischer Triebfahrzeuge der gesamte Speisebereich wegen Überlastung abgeschaltet wird. Eine Abschaltung hätte zur Folge, dass im Speisebezirk kurzzeitig gar keine Züge mehr verkehren könnten, egal welches Triebfahrzeug letztendlich zur Überschreitung des maximalen Speisestroms des Unterwerkes beigetragen hat.

Induktive und kapazitive Beeinflussung

Die Stromstärke, die durch Speise- und Oberleitung sowie Schienen und Erdreich (als Rückstrom) fließt, beeinflusst kapazitiv und induktiv in der Nähe verlaufende Freileitungen und Kabel. Dies kann z.B. bei Fernmeldeleitungen und -kabeln zur Störung der energieschwachen Fernmeldeströme führen, also zur Störung deren Übertragung. Das betrifft Telefon-, TV-, Funk-, Mobiltelefon-, Daten- u.a. Verbindungen.

Regelbegrenzung

Zweck

Der Maximalstrom wird für die einzelnen Bahnstrecken konkret definiert. Ausgangspunkt ist dabei die maximal gewünschte Leistung für die Züge auf dieser Strecke, die sich aus der Höchstgeschwindigkeit, der Maximallast, den Neigungs- und Bogenverhältnissen u.a. ergibt. Grundsätzlich gilt, je höher der maximale Traktionsstrom ist, desto höher ist auch der Kurzschlussstrom des Systems. Sind der maximale Traktions- und Kurzschlussstrom damit bestimmt, sind die Anlagen und Bauteile der Bahnenergieversorgung, der Oberleitung, der Erdung und Rückstromführung entsprechend zu dimensionieren.

Parallel muss man die Beeinflussung von in der Nähe verlaufenden Fernmelde- und Steuerungsanlagen ableiten und deren Abschirmungswiderstände gegen induktive und kapazitive Beeinflussung durch den maximalen Traktions- und Kurzschlussstrom dimensionieren.

Oberstromklassen pro Zug bei der DB Netz AG

Die Oberstrombegrenzung im Netz der Deutschen Bahn (ohne S-Bahn-Strecken) lag 2000 bei 600A. Auf Schnellfahrstrecken sind 1000 bis 1500A zugelassen, auf Ausbaustrecken in der Regel 900A.[11] Inzwischen sind die minimalen Oberstromgrenzwerte streckenspezifisch in den Netzzugangsbedingungen Netz (NBN) hinterlegt.[12]

1 – bis 600 A für alle Züge (i.d.R. Personenzüge mit max. 160–200km/h)

2 – bis 900A für schnellfahrende Reisezüge (i.d.R. max. 160–230km/h) und 600A für alle übrigen

3 – bis 1200A für schnellfahrende Reisezüge und 600A für alle übrigen (Klasse 3 wird bei der DB AG z.Z. nicht genutzt – Stand 2007)

4 – bis 1500A für schnellfahrende Reisezüge (i.d.R. max. 230–300km/h) und 600A für alle übrigen

5 – Oberstrombegrenzung in konkreten Sonderfällen

  • Eine dauernde Beschränkung des Oberstroms auf 400A pro Zug besteht auf den Strecken Ingolstadt–Donauwörth bei Umleitungsverkehr (Stand 2007)
  • In den S-Bahn-Netzen der Regionen Rhein-Main, Stuttgart und München wurden für die Triebzüge der Baureihe 420 1050A pro Zug freigegeben (Stand: 2007).
  • auf den Bahnsteiggleisen des Bahnhofs Birkenwerder (b Berlin), die sowohl mit Fahrleitung als auch Stromschienen für die Berliner S-Bahn ausgerüstet sind, aufgrund der Einspeisung über einen Trenntransformator, dauerhaft auf 250A.
  • in zeitlich begrenzten Ausnahmefällen (s.u.)

Da zulässige Oberströme in der Regel über der Dauerstromtragfähigkeit der Oberleitung liegen, liegt die Oberstrombegrenzung für Güterzüge in der Regel unterhalb derer von Reisezügen. Während (schnelle und gut beschleunigende) Reisezüge die Oberleitung nur kurzzeitig elektrisch überbelasten, kommt es zu keiner thermischen Überbelastung. Langsamer beschleunigende Güterzüge belasten hingegen die Fahrleitungsanlage länger, womit die thermische Grenzbelastung wahrscheinlicher erreicht wird.

Oberstrombegrenzung in zeitlich begrenzten Ausnahmefällen

Eine Oberstrombegrenzung wird außerdem notwendig, wenn

  • Arbeiten oder Störungen im Speisebezirk die volle Speisung nicht gewährleisten,
  • Unterwerke zu schwache Energieleistungswerte aufweisen oder
  • zu viele Abnehmer (elektrische Triebfahrzeuge, Weichenheizungen, Zugvorheizungen u.a.) im Speisebezirk betrieben werden.

In solchen Fällen wird der Triebfahrzeugführer gesondert durch La-Einträge oder Befehle unterrichtet.

Geschichte

Die im Rahmen der Elektrifizierung entstandenen Fahrleitungsanlagen des deutschen Bestandsnetzes waren für Oberströme von rund 400A je Zug und Höchstgeschwindigkeiten von 140 bis 160km/h ausgelegt. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre stieg für in Doppeltraktion verkehrende Güterzüge und die neuen Lokomotiven der Baureihe 103 der Leistungsbedarf deutlich an. Aus speisungstechnischen Gründen, zur Vermeidung der Beeinflussung sicherungstechnischer Anlagen sowie zur Schonung der neuen Hochleistungslokomotiven wurde der zulässige Oberstrom auf 600A je Zug begrenzt.[11]

Zu den Olympischen Sommerspielen 1972 erstmals eingesetzte Triebzüge der Baureihe 420 benötigten als Langzug (drei gekuppelte Einheiten) beim Anfahren und Beschleunigen 1050A Oberstrom und erforderten umfangreiche Anpassungsmaßnahmen an den Fahrleitungsanlagen und Unterwerken.[11]

Die Neubaustrecke Wolfsburg–Berlin wurde für einen Oberstrom von 1500A je Zug ausgelegt.[1] Nach einer im Jahr 2001 erfolgten Prüfung sollte die Oberstrombegrenzung auf den Neubaustrecken Mannheim–Stuttgart und Hannover–Würzburg auf 1500A angehoben werden.[1] Über die linienförmige Zugbeeinflussung werden gleichwohl nur 1000A freigegeben.

Auch die Schnellfahrstrecken Köln–Rhein/Main, Nürnberg–Ingolstadt sowie die Neubaustrecken des Hochgeschwindigkeitsverkehrs im Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 erlauben 1500A. Damit kann die volle Leistung der ICE-3-Triebzüge auch beim Verkehren von Doppeleinheiten ausgeschöpft werden.

  • GeoViewer. Karte der Oberstrombegrenzung im Netz der Deutschen Bahn (unter Streckenmerkmale => Höchster Zugstrom (Pz))

Einzelnachweise

  1. Elektrischer Betrieb bei der Deutschen Bahn im Jahr 2001. In: Elektrische Bahnen, Heft 1-2/2002, S. 17.
  2. Jochen Brandau: Führen von elektrisch arbeitenden Eisenbahnfahrzeugen. Richtlinie 492.1005. 11. Dezember 2016, S. 3 (im PDF) (PDF).
  3. ETCS-Spezifikation, Subset 026, Version 3.6.0, Abschnitt 7.5.1.62.1.
  4. Assignment of Values to ETCS variables. (PDF) ERA_ERTMS_040001. European Union Agency for Railways, 12. Dezember 2019, S. 6, 26 f., 42, 46–72, abgerufen am 1. Juni 2020 (englisch).
  5. ETCS-Spezifikation, Subset 026, Version 3.6.0, Abschnitt 3.12.2.
  6. ETCS-Spezifikation, Subset 026, Version 3.6.0, Abschnitt 3.18.3.2.2
  7. ETCS-Spezifikation, Subset 026, Version 3.6.0, Abschnitt 3.18.3.4
  8. ETCS-Spezifikation, Subset 026, Version 3.6.0, Abschnitt 7.4.2.8
  9. ETCS-Spezifikation, Subset 026, Version 3.6.0, Abschnitt 7.4.2.8.1.
  10. ETCS-Spezifikation, Subset 026, Version 3.6.0, Abschnitt 3.12.1.3.
  11. Elektrischer Betrieb bei der Deutschen Bahn im Jahr 2000. In: Elektrische Bahnen, Heft 1-2/2001, S. 12.
  12. Thomas Sterzenbach: Technische Netzzugangsbedingungen (TNB). (PDF) gültig ab 12.12.2021. In: fahrweg.dbnetze.com. DB Netz, 1. Mai 2021, S. 15, abgerufen am 21. August 2021.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. The authors of the article are listed here. Additional terms may apply for the media files, click on images to show image meta data.