Elektrische Bahnen
Elektrische Bahnen ist ein Gattungsbegriff, der alle spurgeführten, elektrisch angetriebenen Verkehrssysteme bezeichnet, speziell aber auch die elektrischen Triebfahrzeugarten und dazugehörige Stromversorgungen innerhalb eines gemischt betriebenen Verkehrssystems. Der Begriff ist formal eine Verknüpfung der Gattungsbezeichnungen "elektrisch" und "Bahnen" und in der Fachwelt allgemein verbreitet, sowie auch ein Fachbereich an einigen Technischen Hochschulen.
Sachlicher Einzugsbereich
Im Rahmen des Fachgebiets Elektrische Bahnen werden in der Konstruktion und Ausführung vor allem die mit dem elektrischen Antrieb und der Antriebssteuerung zusammenhängenden Betriebssysteme und Anlagen behandelt. Primär fahrzeugtechnische Komponenten wie etwa das Fahrwerk und Bremsen fallen nur dann mit in den sachlichen Einzugsbereich, wenn sie mit dem elektrischen Antrieb oder der verfügbaren elektrischen Energie zusammenhängen, wie das etwa beim elektromotorischen Einzelachsantrieb oder elektrischen Magnetschienenbremsen der Fall ist.
Da die elektrische Energie für den Fahrbetrieb teilweise von den Eigenschaften des allgemeinen Energieversorgungsnetzes abweicht und vor allem in Mitteleuropa inzwischen großen Umfang angenommen hat, ist die eigene Bahnstrom-Versorgungstechnik vom Kraftwerk über Verteilerstationen bis zu der Ausführung der Oberleitungen ebenfalls ein Arbeitsgebiet des Bereichs Elektrische Bahnen.
Einbezogene Bahnsysteme und Fahrzeuge
Als einbezogene Bahnsysteme können in sich geschlossene, rein elektrisch betriebene Bahnen vorkommen, wie dies vor allem bei Straßenbahnen, U-Bahnen, Hochbahnen und Einschienenbahnen der Fall ist.
Bei Bahnen mit gemischten Antriebssystemen gehören die mit elektrischer Energie arbeitenden Triebfahrzeuge wie elektrische Triebwagen und Triebzüge sowie Elektrolokomotiven ebenfalls zum Arbeitsbereich der Elektrischen Bahnen. Es ergibt sich ohnehin wegen des Aufwandes für die streckenbegleitende Stromversorgung, dass innerhalb eines gemischten Betriebssystems elektrische Triebfahrzeuge in vergleichbarer Zahl vorhanden sind wie in rein elektrisch betriebenen Bahnsystemen. Umgekehrt gibt es selbst bei "rein elektrischen" Bahnsystemen auch rein wagenbauliche Komponenten wie etwa Personen- und Güterwagen ohne eigenen Antrieb. Insofern ist eine zielrein exklusive Zuordnung von Bahnsystemen zum Bereich Elektrische Bahnen eher praxisfern.
Einige Eisenbahnunternehmen benutzen die Gattungsbezeichnung auch als Namensbestandteil, vor allem dann, wenn das Bahnsystem sich nicht begrifflich explizit dem Schema von Straßen-, U-, S-, Hoch- oder S-Bahnen zuordnen lässt, jedoch als hervorstechendes Merkmal den elektrischen Antrieb hat.
Beispiele:
- Elektrische Bahnen der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg-Kreises
- Elektrische Bahn St. Gallen–Gais–Appenzell
- Elektrische Bahn Dornbirn–Lustenau
- Elektrischen Bahn Türkheim–Drei Ähren
- Elektrische Lokalbahn Unterach–See
- Elektrische Kleinbahn Alt-Rahlstedt–Volksdorf–Wohldorf
- Elektrische Bahn Altona–Blankenese
- Elektrische Oberleitungsbahn Liesing–Kalksburg (gleislose Bahn)
Technisch-wissenschaftlicher Fachbereich
Die Besonderheiten des elektrischen Bahnbetriebes lassen sich nur begrenzt mit den Kenntnissen der allgemeinen Elektrotechnik und Antriebstechnik praxisgerecht mit höherem Ansprüchen und ohne Rückgriff auf langjährig erworbene praktische Erfahrungen abdecken. Ein eigener Fachbereich in der Ingenieursausbildung kommt dabei den Erwartungen sowohl der Industrie als auch der potentiell interessierten Arbeitnehmern entgegen.
Ein erster Lehrstuhl für den Bereich Elektrische Bahnen wurde 1904 an der Technischen Hochschule Berlin eingerichtet und auf diesen Walter Reichel als erster Lehrstuhlinhaber berufen.[1] Dieser war zuvor 15 Jahre in der Elektrotechnischen Industrie tätig. Dementsprechend bieten weiterhin einige Technische Universitäten und Technischen Hochschulen Elektrische Bahnen als eigenes Fachgebiet an:
- Technische Universität Berlin, Fachgebiet Betriebssysteme elektrischer Bahnen.
- Technische Universität Dresden, Professur für Elektrische Bahnen[2]
- Technische Universität München, Modul[3]
Siehe auch
Literatur
- Siegfried Altmann: Oberleitungsanlagen elektrischer Bahnen – Berechnungsgrundlagen. Selbstverlag S. Altmann, Leipzig 2014, ISBN 978-3-00-045375-5, 251 Seiten, 22 Anlagen (Lehr- und Arbeitsbuch, Inhalt: http://profaltmann.24.eu)./
- Siegfried Altmann: Der Wiederaufbau des 15-kV-Oberleitungsnetzes nach 1945 in Mitteldeutschland. Selbstverlag S. Altmann, Leipzig 2013, ISBN 978-3-00-035817-3 (Inhalt: http://profaltmann.24.eu)./
- Max Schiemann: Bau und Betrieb Elektrischer Bahnen. Nabu Press, 2010, ISBN 978-1-143-75824-9.
- Karl G. Baur: Die elektrischen Nahverkehrstriebzüge der Deutschen Bahn. Ek-Verlag, 2010, ISBN 978-3-88255-229-4.
- Friedrich Kiessling, Rainer Puschmann, Axel Schmieder, Egid Schneider: Contact Lines for Electrical Railways. Publicis Publishing, 2009, ISBN 978-3-89578-322-7.
- Andreas Steimel: Elektrische Triebfahrzeuge und ihre Energieversorgung. Oldenbourg Industrieverlag, München, 2006, ISBN 978-3-8356-3090-1.
- Hartmut Biesenack, Gerhard George, Gerhard Hofmann: Energieversorgung elektrischer Bahnen. Vieweg+Teubner, 2006, ISBN 978-3-519-06249-3.
- Žarko Filipović: Elektrische Bahnen: Grundlagen, Triebfahrzeuge, Stromversorgung. Springer-Verlag, 2004, ISBN 978-3-540-55093-8.
- Siegfried Altmann: Der elektrische Eisenbahnbetrieb in den Besatzungszonen, in der DDR und in der BRD – Der Fahrleitungsbau nach 1945. Geschichte der Elektrotechnik, Band 17. VDE-Verlag, Berlin/Offenbach 2002, ISBN 3-8007-2732-3, S. 211–252 und mit Georg Schwach: Demontagebefehl für die mitteldeutschen Bahnenergieanlagen im Jahre 1946. eb-Elektrische Bahnen 99 (2001), H. 3, S. 130–135.
- Anton Schwaiger: Elektrische Bahnen. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1927 und Dumjahn Verlag, 1981.
- Siegfried Altmann: Fahrleitungen. In: VEM-Handbuch Energieversorgung elektrischer Bahnen. Verlag Technik, Berlin 1975, S. 365–453.
- Internationaler Congress Elektrische Bahnen. Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE), Fachgruppe Elektrische Bahnen. VDE-Verlag, Berlin/Offenbach 1971.
- Siegfried Altmann: Das Durchhangsverhalten moderner Verbundkettenwerksfahrleitungen für hohe Geschwindigkeiten. In: Deutsche Eisenbahntechnik, Jg. 18, H. 12, 1970, S. 583–585.
- Walter Deisler: Elektrische Bahnen: Eine Einführung in Technik und Betrieb. Maier, 1948.
- Franz Moeller: Elektrische Bahnen. Boness & Hachfeld, 1940.
- D. Otto Höring: Elektrische Bahnen. Siemens-Handbücher, Band 15, ZDB-ID 634596-7. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1929.
- Hermann Zipp: Elektrische Vollbahnlokomotiven für einphasigen Wechselstrom. Leiner, Leipzig 1915. – archive.org.
- Wilhelm Kübler (Hrsg.): Elektrische Bahnen. In: Zeitschrift für das gesamte elektrische Beförderungswesen. Zweiter Jahrgang, mit 472 Abbildungen und 24 Tafeln. R. Oldenbourg, München/Berlin 1904. – archive.org.
- Wilhelm Kübler (Hrsg.): Elektrische Bahnen und Betriebe. Zeitschrift für Verkehrs- und Trasportwesen. Vierter Jahrgang, mit 900 Abbildungen und 6 Tafeln. R. Oldenbourg, München/Berlin 1904. – archive.org.
- Hermann Zipp: Elektrische Bahnen. Erster Band, erster Teil: Der Motorwagen. Mit 26 Abbildungen. Buchhandlung der Litterarischen Monatsberichte, Berlin-Steglitz 1904. – archive.org.
- Karl Hochenegg: Ueber die Entwicklung der elektrischen Bahnen. Vortrag, gehalten am 17. Februar 1902 (…). In: Vorträge über Elektrotechnik. Zeitschrift des Oesterreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines, Wien 1903, S. 54–64. – Volltext online (PDF; 72 MB).
- Franz von Krenn: Über einige elektrische Bahnen im deutschen Reiche. Waldheim, Wien 1897. – archive.org.
Weblinks
- Enzyklopädie des Eisenbahnwesens: Elektrische Eisenbahnen
Einzelnachweise
- Archiv der TU Berlin
- Professur Elektrische Bahnen – Elektromobilität auf der Schiene seit 1879.
- Modul "Elektrische Bahnen". In: ei.tum.de. Abgerufen am 22. Juli 2021.