Nemirseta
Nemirseta (litauisch auch Nemerzatė oder Nimerzatė; kurisch Nimersata; deutsch Nimmersatt; russisch Немирсета) ist ein Ortsteil des litauischen Kurortes Palanga an der baltischen Ostseeküste nördlich von Klaipėda (deutsch Memel).
Nemirseta | |||
Staat: | Litauen | ||
Bezirk: | Klaipėda | ||
Gemeinde: | Palanga | ||
Amt: | Palanga | ||
Gegründet: | vor 1430 | ||
Koordinaten: | 55° 53′ N, 21° 5′ O | ||
Höhe: | 16 m | ||
Zeitzone: | EET (UTC+2) | ||
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Der Ort liegt in der kurischen Landschaft Megowe und bedeutet frei übersetzt „Gehöft, auf dem Unfrieden herrscht“ (niemirs + sata). Möglich wäre auch ein Hinweis auf sumpfiges Gelände: „nemiršele“: = Sumpfvergissmeinnicht (+ „satar“: = Gehöft)
Beschreibung
Nemirseta liegt in einem küstennahen Waldgebiet an einer Nebenstraße der A13. Eine richtige Ortschaft bilden die wenigen zerstreut liegenden Häuser allerdings nicht.
Aus der deutschen Zeit sind nur noch wenige Gebäude erhalten: Auffällig an der Durchgangsstraße (Klaipėdos pl. 6A) ist das sogenannte „Kurhaus Nimmersatt“, das ein Teil der Gaststätte „John Karnowsky“ war. Es galt als der nördlichste Gasthof des Deutschen Reiches. Zum Grenzübergang waren es etwa 2,5 km. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Haus zweckentfremdet, nach der Loslösung von der Sowjetunion aufgegeben und in jüngerer Vergangenheit als Steinbruch ausgeplündert. Die verbliebene Ruine ist aus Sicherheitsgründen derzeit mit Planen und Zäunen abgesperrt, die Fenster sind zugemauert. Am 20. Januar 2009 wurde die Ruine als Baudenkmal unter Schutz gestellt,[1] Witterungseinflüsse und Vandalismus sorgen jedoch für den weiteren Verfall der Gebäudereste. Eine Erneuerung und Nutzung ist nicht geplant. Das ehemalige Zollhaus unmittelbar vor der ehemaligen deutschen Reichsgrenze ist nicht mehr zu finden.[2]
Am Strand steht beim weit sichtbaren Stahlmast der damalige Rettungsschuppen des Seenotrettungsdienstes. Zwar befindet sich auch dieses Bauwerk nicht in bestem Zustand, doch trägt es immerhin die Marke der litauischen Behörden, wonach es als geschütztes Baudenkmal ausgewiesen wird.[3]
Der einstige deutsch-russische Grenzverlauf ist vor Ort nur schwer bestimmbar. Es gibt ein Hinweisschild und einen ausgewiesenen Fahrradweg, der am teilweise stark überwucherten Grenzgraben entlang führt.[4] Umgewidmet als litauisches Ehrenmal, steht der deutsche Grenzstein heute im Skulpturenpark von Klaipėda.
Geschichte
Während der Kreuzzüge (Preußenfahrten) ab der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wurden die Ostseegebiete im Bereich der als Heiden angesehenen Schalauer und Kuren von Militärorden erobert, zunächst durch die Schwertbrüderorden, nach der Schlacht von Schaulen (1236) durch die Ritterorden. Das stark bewaldete Gebiet um Nimmersatt war dünn besiedelt, galt als gefährlich und unfriedlich, möglicherweise ein Hinweis auf den Ortsnamen.
In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts befand sich der Staat des Deutschen Ordens mit dem benachbarten Großherzogtum Litauen und dem Königreich Polen in Gebietsstreitigkeiten und kriegerischen Auseinandersetzungen, die erst 1422 mit dem Frieden vom Melnosee beendet werden konnten. Im Friedensvertrag kam Samogitien unter litauische Verwaltung.[5]
Im Zuge der Reformation kam im Jahr 1525 das preußische Ordensland zu einem erheblichen Teil unter polnische Lehnshoheit. Der nemirsetische Bereich wurde zum nördlichsten Vorposten des säkularisierten Herzogtums Preußen, ab dem Jahre 1618 zu Brandenburg-Preußen mit dem lutherischen Haus Hohenzollern.
Durch den Vertrag von Oliva 1660 konnte sich der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg von der polnischen Oberhoheit lösen. Als das Königreich Preußen 1871 in das Deutsche Reich einging, wurde Nimmersatt die nördlichste Siedlung des Kaiserreiches (Schülerreim: „Nimmersatt, wo das Reich sein Ende hat“). Der Grenzort mit dem Zollhaus und einer Gastwirtschaft wurde von Reisenden aus den und in die litauischen Provinzen des kaiserlichen Russlands belebt.
Ein Teil der reichsdeutschen Provinz Ostpreußen ging nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag verloren. Ab dem 10. Januar 1920 kam Nemirseta mit dem Memelland (litauisch Klaipėdos kraštas) unter die Verwaltung des Völkerbundes und wurde von den Franzosen verwaltet. Es dominierten weiterhin Deutsche und Kulturdeutsche. Nach der „Klaipėda-Revolte“ wurde 1923 das Gebiet von Litauen annektiert.
Für eine kurze Zeit wurde Nimmersatt wieder ein Grenzübergang, als der litauische Außenminister Juozas Urbšys unter dem Druck des nationalsozialistischen Deutschlands am 22. März 1939 eine Vereinbarung traf, nach der das Memelgebiet wieder an das Deutsche Reich fiel. Durch das Geheimprotokoll des Molotow-Ribbentrop-Pakts wurde die Region dem deutschen Einflussbereich zugeordnet. Zwei Jahre später wurde das Reichskommissariat Ostland gegründet; damit erübrigte sich hier die Grenze.
Im Oktober 1944 wurde Nimmersatt von der Roten Armee besetzt. Die Stadt Memel fiel am 28. Januar 1945. Bald darauf wurde das Memelland der Litauischen SSR angeschlossen. Die deutschen Bewohner wurden vertrieben, der Ort verlor ohne Grenze und mit seinen wenigen verbliebenen Einheimischen an Bedeutung und verfiel. Die meisten Gebäude wurden abgerissen.
Als Testgelände der Sowjetarmee, hier wurden z. B. ZSU Shilka und Strela-10 eingesetzt, war es ein Sperrgebiet. Nur von Militär- und Wachpersonal wurden einige Gebäude genutzt, neue teilweise errichtet.
Der Ort Nemirseta wurde 1975 der Stadt Palanga eingemeindet, die vor 1918 zu Russland gehörte. Seit dem Beitritt der Republik Litauen zur Europäischen Union im Jahre 2004 wird dieses Feriengebiet mit Fördermitteln ausgebaut.
Ehemalige Grenze
Von der ehemaligen deutschen Reichsgrenze[6] sind kaum noch Spuren zu entdecken; die Grenzsteine auf beiden Seiten sind verschwunden. Der Grenzübergang mit dem Zollhaus wurde abgerissen. Lediglich ein deutscher Grenzobelisk ist im Skulpturenmuseum von Klaipėda als litauischer Gedenkstein erhalten. Auf einer Seite ist jetzt das Lothringerkreuz aus dem Wappen Litauens sichtbar, ihm musste die deutsche Beschriftung weichen.
Zwischen der Durchgangsstraße (Vytauto g.)[7] und dem Strand kann man im Wald auf knapp 500 m mit Unterbrechungen einen Graben erkennen. Es ist der letzte Rest der historischen Grenzmarkierung. Die Gräben waren bis zu 0,5 m tief, oben 3 m breit und nach unten auf etwa 0,5 m verengend. Beiderseits des Grabens wurde durch den Aushub ein 0,3 m hoher und 1 m breiter Wall gebildet. Der Graben war mit Wasser gefüllt und eingezäunt.[8]
- Karte von 1659 mit Nimersat an der Grenze
- ehemaliges „Kurhaus Nimmersatt“ in früherem Zustand; im linken Teil des Hauses befand sich die Gaststätte „John Karnowsky“
- ehemaliges Kurhaus Nimmersatt (2017)
- Schuppen der Seenotrettungsstation (Zustand 2011)
- ehemaliger Grenzstein des Deutschen Reiches, umgewidmet als litauisches Ehrenmal
- Nimmersatt im Winter 2011
Siehe auch
Einzelnachweise
- „Nemirsetos kurhauzo pastatas“ mit litauischer Beschreibung und etlichen aktuellen Fotos
- Zahlreiche Bilder und Kartenausschnitte von Nimmersatt bei Genwiki
- Nemirsetos laivų gelbėjimo stotis, illustriert
- Melno sutartimi nustatytos LDK valstybinės sienos atkarpa II, illustriert
- Erstaunlich ist, dass auf einer französischen Karte von 1659 Nimersat nördlich der Grenze liegt
- Kartenforum mit überlagerten historischen Karten
- Grenzgraben Zugang bei 55° 53′ 37,5″ N, 21° 3′ 40,4″ O
- Melno sutartimi nustatytos LDK valstybinės sienos atkarpa II, illustriert.