Nawahrudak

Nawahrudak (belarussisch Навагрудак oder – altertümlich – Наваградак Nawahradak, russisch Новогрудок Nowogrudok, polnisch Nowogródek, litauisch Naugardukas, jiddisch נאַוואַראַדאָק Navaradok, historisch Nowogrudek) ist eine Stadt mit etwa 29.300 Einwohnern (2010) im westlichen Belarus in der Hrodsenskaja Woblasz. Sie ist Hauptsitz und größter Ort des Rajon Nawahrudak.

Nawahrudak | Nowogrudok
Навагрудак | Новогрудок
(belarus.) | (russisch)
Wappen
Wappen
Flagge
Flagge
Staat: Belarus Belarus
Woblasz: Hrodna
Koordinaten: 53° 35′ N, 25° 49′ O
Höhe: 292 m
 
Einwohner: 29.300 (2010)
Zeitzone: Moskauer Zeit (UTC+3)
Telefonvorwahl: (+375) 1597
Postleitzahl: 231400
Kfz-Kennzeichen: 4
 
Webpräsenz:
Nawahrudak (Belarus)
Nawahrudak

Geschichte

Die Stadt kam Ende des 10. Jahrhunderts unter die Kontrolle der Kiewer Rus. Nach deren Zerfall durch die Angriffe der Mongolen im 13. Jahrhundert geriet das Gebiet unter die Herrschaft des Großfürstentums Litauen. 1444 erhielt Nowogródek die Stadtrechte nach Magdeburger Recht. Der Name der Stadt bedeutet "kleine Neustadt" oder salopp "Neustädtl". Nowogródek entwickelte sich zur bedeutendsten Stadt Schwarzrutheniens, so dass sie schließlich 1507 der Sitz einer Woiwodschaft und 1581 eines der Gerichtshöfe Litauens innerhalb der durch die Union von Lublin 1569 umgestalteten polnisch-litauischen Adelsrepublik wurde.

Infolge der 3. Teilung Polens 1795 gehörte die Stadt als Sitz einer Kreisverwaltung im Gouvernement Minsk zum Russischen Reich. Nach 1918/1921 fiel Nowogródek an die Zweite Polnische Republik, wurde erneut Hauptstadt einer gleichnamigen Woiwodschaft Nowogródek.

Die infolge des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts im September 1939 einrückende Rote Armee behielt die Stadt als Teil der Weißrussischen SSR bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 unter Kontrolle. Am 3. Juli 1941 ermordete die Einsatzgruppe B in Nawahrudak etwa 100 Juden.[1] Während der deutschen Eroberung erfolgte 1943 die Erschießung der Schwestern von der Heiligen Familie von Nazareth in Nowogródek. Nawahrudak ist heute unter Historikern vor allem für das Zentrum der jüdischen Partisanenbewegung der Bielski-Brüder bekannt. Durch einen selbst gegrabenen Tunnel entflohen 350 Juden[2] aus dem Ghetto, von denen die meisten anschließend mit Hilfe der Bielski-Brüder im Wald von Naliboki überlebten. Darunter befand sich auch Rae Kushner, die Großmutter von Jared Kushner, dem Schwiegersohn von Donald Trump.[3] Jahrzehntelang war diese Geschichte im Dorf und im Land weitestgehend unbekannt, auch auf Grund der bis vor kurzem noch sowjetisch geprägten Geschichtsschreibung unter Präsident Aljaksandr Lukaschenka, welche die jüdische Herkunft der Opfer verschweigt.[4] Mittlerweile entstehen aus Eigenregie auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos der Stadt verschiedene Denkmäler zu einzelnen Opfern und Geretteten. Auch der Tunnel wurde mittlerweile entdeckt und soll archäologisch aufgearbeitet werden.

Nach der Rückeroberung 1944 wurde die politische Zuordnung von 1939 wiederhergestellt.

Die 1648 erbaute Synagoge wurde im Zweiten Weltkrieg angezündet und die Ruine nach dem Krieg endgültig abgerissen.

Seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 gehört Nawahrudak zur Republik Belarus.

Wappen

Beschreibung: In Rot steht en face (dem Betrachter zugewandt) auf dem grünen aufgebogenem Schildfuß ein blaugeflügelter schwarzgekleideter Mann mit silbernem Schwert in der rechten und einer silbernen Balkenwaage in der linken Hand.

Bevölkerung und Kultur

Die Kommunikation in Nawahrudak findet auf Belarussisch und Russisch statt. Es gibt orthodoxe und katholische Gottesdienste. In der Stadt lebt auch eine Minderheit muslimischer Lipka-Tataren, die über eine Moschee verfügen.

Sehenswürdigkeiten

  • Ruinen der Burg des Litauerfürsten Mindaugas aus der Mitte des 13. Jahrhunderts
  • orthodoxe ehemalige Kathedrale St. Boris und Gleb aus dem frühen 15. Jahrhundert, eine Hallenkirche der Weißrussischen Gotik
  • katholische Pfarrkirche der Verklärung des Herrn, 1719–1723 im Barockstil errichtet
  • verschiedene Wohnhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert
  • Adam-Mickiewicz-Haus

Städtepartnerschaften

Personen

  • Adam Mickiewicz (1798–1855), polnischer Nationaldichter, wurde 1799 in Nawahrudak getauft. Geboren war er am 24. Dezember 1798 in Zaosie, einem Dorf südlich der Stadt. In Nawahruadak verbrachte er seine Kindheit und erlebte 1812 zunächst den glänzenden Einmarsch und wenige Monate später das furchtbare Elend der geschlagenen Napoleonischen Soldaten.
  • Alexander Harkavy 1863–1939, geboren in Nawahrudak, wurde Schriftsteller, Lexikograph und Linguist. Besonders nach seiner Emigration in die USA machte er sich um die Erforschung und Pflege der jiddischen Sprache verdient.
  • Die jüdischen Brüder Bielski, mit Vornamen Tuvia (1906–1987), Asael (1908–1945), Alexander Zeisal (1912–1995) und Aharon (geb. 12. Juli 1927), geboren in Stankiewicze, einem Dorf in der Nähe,[5] gründeten 1941/42 die Bielski-Partisanen.
  • Lazar Gulkowitsch (1898–1941), jüdischer Philologe, geboren in Zirin.

Literatur

  • Nowogródek, in: Guy Miron (Hrsg.): The Yad Vashem encyclopedia of the ghettos during the Holocaust. Jerusalem : Yad Vashem, 2009 ISBN 978-965-308-345-5, S. 528ff.
Commons: Navahrudak – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. The Case of the Byelorussian Central Council. University of Vermont Graduate College Dissertations and Theses, Nr. 424, 2015, S. 39.
  2. Jared Kushner’s family is a legend in this Belarus town. In: The Times of Israel. 10. Juli 2017, abgerufen am 19. Oktober 2017.
  3. Andrea Bernstein: Der dunkle Prinz, in: Focus Nr. 31, 25. Juli 2020, S. 24–29, hier 26. Vgl. auch Jared Kushner’s family is a legend in this Belarus town. In: The Times of Israel. 10. Juli 2017, abgerufen am 19. Oktober 2017.
  4. Weißrussland: Per Dekret. Staat, Historiker und Schulen beginnen, sich für den Holocaust zu interessieren. In: Jüdische Allgemeine. 31. März 2011, abgerufen am 19. Oktober 2017.
  5. In Online-Karten findet sich nur ein Stankiewicze/Станкевічы (53.2954198 N, 25.9767115 O) südöstlich. Die in manchen WPs angegebenen Koordinaten nordwestlich im Rajon Lida führen ins Leere, der angebliche heutige Name Vuhli ebenso. Wurde der Geburtsort etwa von der Wehrmacht ausradiert? Nordwestlich von Nawahrudak liegen die großen Wälder, in die die Partisanen sich zurückzogen.
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