Marie Laurencin
Marie Laurencin (* 31. Oktober 1883[1] oder 1885[2] in Paris; † 8. Juni 1956 ebenda) war eine französische Lyrikerin und Malerin. Laurencin war bekannt als Muse des Dichters Guillaume Apollinaire.
Leben
Marie Laurencin wurde als uneheliches Kind geboren; ihre Mutter war Mélanie-Pauline Laurencin, ihr Vater Alfred-Stanislas Toulet, ein Steuerrevisor, zu dem sie wenig Kontakt hatte.[3] Bereits mit 18 Jahren wurde sie von ihrer Mutter nach Sèvres geschickt, um in der dortigen Manufaktur die Kunst der Porzellanmalerei zu erlernen. Ihre weitere Ausbildung erfolgte in Paris am Lycee Lamartine. Zu ihren frühen Förderern gehörten ihre Mutter und ihr Zeichenlehrer, die sie in ihren nächtlichen künstlerischen Studien und dem Vorhaben, Malerin zu werden, unterstützten, bis sie schließlich Aufnahme an der Académie Humbert in Paris fand. Hier traf sie auf Georges Braque und machte durch ihn die Bekanntschaft mit Picasso und Guillaume Apollinaire. Diese wurden zu ihren weiteren Förderern, und schon bald wurde sie in kunsttheoretische Diskussionen eingebunden, die später zum Kubismus führten. 1905 veröffentlichte Laurencin eine Reihe von lyrischen Werken unter dem Pseudonym Louise Lalanne.
Laurencin war mit ihrer Mutter eng verbunden:
“Marie and her mother acted toward each other exactly as a young nun with an older one”
„Marie und ihre Mutter agirten miteinander genau so wie eine junge Nonne mit einer älteren“[4]
Sie war seit 1907 mit Apollinaire verbunden, den sie während einer Ausstellung ihrer Bilder bei Clovis Sagot kennengelernt hatte.[5] Im selben Jahr hatte sie ihre erste Ausstellung im Salon des Indépendants. Ihre erste Einzelausstellung fand 1908 in der Galerie von Berthe Weill statt.[6] Im selben Jahr begleitete sie Apollinaire zu dem von Picasso ausgerichteten „Bankett für Rousseau“ im Bateau-Lavoir[7]. Das Bild, das Henri Rousseau von beiden malte, entstand im Jahr darauf. 1912 hatte sie eine Ausstellung in der Galerie Barbazanges zusammen mit Robert Delaunay, sowie 1913 auf der Armory Show in New York. Die Beziehung zu Apollinaire endete nach dem Tod der Mutter im Jahr 1913. Sie blieben jedoch bis zu seinem Tod, der sie in Verzweiflung stürzte, – er erlag der Spanischen Grippe im November 1918 – in Verbindung.[8] Ebenfalls 1913 schloss sie einen Vertrag mit dem bekannten Kunsthändler Paul Rosenberg, der sie bis zum Jahr 1940 vertrat. Im selben Jahr erschienen Apollinaires Gedichtband Alcools, in dem sich mehrere Gedichte auf sie beziehen, sowie Les Peintres Cubistes, in dem sie vertreten war.[5]
Die Kunstsammlerin Gertrude Stein kaufte das erste Bild aus der Serie Apollinaire et ses amis aus dem Jahr 1908. Es zeigt Picasso, Laurencin, Apollinaire, Fernande Olivier und Picassos Hund Fricka (heute im Baltimore Museum of Art).[9] Dieser Kauf machte Laurencin in der Avantgarde bekannt. Jean Cocteau formulierte freundschaftlich: „Arme Hindin, zwischen den Fauves und den Kubisten gefangen“, und Rodin bezeichnete sie als „Fauvette“.[10] Stein vermerkte später in ihrer Autobiografie über Laurencin:
“Everybody called Gertrude Stein Gertrude, or at most Mademoiselle Gertrude, everybody called Picasso Pablo and Fernande Fernande and everybody called Guillaume Apollinaire Guillaume and Max Jacob Max but everybody called Marie Laurencin Marie Laurencin”
„Jeder nannte Gertrude Stein Gertrude, oder zumeist Fräulein Gertrude, jeder nannte Picasso Pablo und Fernande Fernande und jeder nannte Guillaume Apollinaire Guillaume und Max Jacob Max aber jeder nannte Marie Laurencin Marie Laurencin“[11]
1912 machte Laurencin die Bekanntschaft des deutschen Schriftstellers Hanns Heinz Ewers, der ihr im selben Jahr sein Stück Das Wundermädchen von Berlin (La Jeune fille miraculeuse de Berlin), ein Revolutionsdrama aus dem Jahr 1848, widmete. Mit ihm hatte sie eine Beziehung, die bis 1920 andauerte.[12] Im Herbst 1913 lernte sie den deutschen Maler Otto von Wätjen kennen, der Stammgast im Café du Dôme war. Am 22. Juni 1914 heiratete das Paar in Paris und Laurencin wurde deutsche Staatsangehörige. Um einer Ausweisung zuvorzukommen, zogen beide zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach Spanien, wo Laurencin in Andalusien im Sommer 1915 und im Sommer 1916 mit Ewers zusammentraf. Zwischen Januar und März 1917 gab sie zusammen mit Francis Picabia, Albert Gleizes und Arthur Cravan die dadaistische Zeitschrift 391 heraus, in der ihre Gedichtsammlung Le petit Bestiaire veröffentlicht wurde.[13] 1918 zog das Ehepaar nach Düsseldorf. 1921 ließ Laurencin sich scheiden und kehrte nach Paris zurück. Am 18. April 1922 wurde ihr die französische Staatsbürgerschaft wieder zuerkannt.[14]
Ab 1924 beschäftigte sich die Künstlerin mit Bühnenbildentwürfen. In dieser Zeit entstanden beispielsweise eine Bühnendekoration zu Djagilews Ballett Les Biches, aufgeführt von den Ballets Russes, oder 1928 ein Bühnenbild für die Comédie-Française. Außerdem veröffentlichte sie einige Buchillustrationen, unter anderen zu Lewis Carrolls Kinderbuch Alice im Wunderland. Von 1932 bis 1935 gab sie Unterricht an der Kunstakademie Villa Malakoff im 16. Arrondissement von Paris. Am 31. Juli 1935 wurde ihr das Band der Légion d’honneur verliehen.[15] 1942 erschien ihr Memoiren- und Gedichtband Le Carnet des nuits.[5] Marie Laurencin starb in der Nacht zum 8. Juni 1956 an Herzversagen. Wunschgemäß wurde sie in einem weißen Kleid bestattet, in der einen Hand hielt sie eine Rose, und Liebesbriefe Apollinaires bedeckten ihr Herz. Ihre Grabstätte liegt auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise. Der Nachlass ging zum Teil an Suzanne Moreau-Laurencin, die 1925 als Dienstmädchen eingestellt worden war und die sie 1954 adoptiert hatte, zum größeren Teil an die Stiftung der Waisen von Auteuil.[16]
Werk
Apollinaire et ses amis |
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Marie Laurencin, 1909 |
Öl auf Leinwand, zweite Fassung |
Centre Georges Pompidou, Paris |
Link zum Bild |
Trotz der langen Zeit, die Laurencin mit den kubistischen Künstlern geteilt hatte, entwickelte sie ihren eigenen Stil, der frei von den kunsttheoretischen Überlegungen des Kubismus blieb. Sie beschäftigte sich in ihren Bildern auf luftige und fast blasse Art mit lyrischen Motiven, wie zum Beispiel grazilen jungen Mädchen, umsäumt von Blumen oder begleitet von Katzen und Hunden. Laurencin ist bekannt für die zarte Abstufung ihrer pastellartigen Farbauswahl. Hierfür verwendete sie eine einfache Palette von Farben, die nur Schwarz, Weiß, Kobaltblau, Ocker und smaragdgrünes Grün enthielt. Meist bediente sie sich der Wasser- oder Pastellfarbe.
Rezeption
In Heimito von Doderers Roman Ein Mord, den jeder begeht (1938) heißt es in Kapitel 16: „Irgendwer hatte Conrad einmal Frauenbildnisse der Pariser Malerin Marie Laurencin gezeigt: hier saß eines lebend: eine junge reizende Frau, als alte Dame verkleidet. Leicht in die Welt gelehnt, unbestimmt und unerforschlich, gemalt in Pastell. Und Conrad nannte Frau Manon Veik von da ab bei sich Madame Laurencin.“[17]
Im Jahr 1975 bezog sich der Sänger Joe Dassin in seinem Chanson L’Été Indien auf Marie Laurencins Werk:
« […] avec ta robe longue tu ressemblais à une aquarelle de Marie Laurencin »
„[…] mit deiner langen Robe sahst du aus wie ein Aquarell von Marie Laurencin“[18]
Zum 100. Geburtstag von Marie Laurencin im Jahr 1983 eröffnete das Musée Marie Laurencin in Nagano, Japan. 100 Werke entstammten bei der Gründung der Sammlung ihres Direktors Masahiro Takano. Das Museum wurde Ende September 2011 geschlossen und wurde im Juli 2017 in Tokio neu eröffnet. Gegenwärtig umfasst es mehr als 600 Exponate der Künstlerin.[19] Ein Gemälde der Sammlung, das den Kunsthändler Alfred Flechtheim darstellt, soll sich als Fälschung aus dem Umkreis der Sammlung Jägers herausgestellt haben.[20]
Werke (Auswahl)
- 1904: Chanson de Bilitis, Grafik
- 1908: Apollinaire et ses amis, Baltimore Museum of Art, Baltimore, 1. Fassung
- 1909: Apollinaire et ses amis, Centre Georges Pompidou, Paris, 2. Fassung
- 1915: Zwei Mädchen, Tate Gallery, London
- 1920: Sommer, vier Lithographien zu Gedichten von Adolf von Hatzfeld, Alfred Flechtheim, Düsseldorf
- 1923: Mademoiselle Coco Chanel, Musée de l’Orangerie, Paris Abb.
- 1925: Nancy Cunard, Privatsammlung
- 1948: Mädchen mit Blumen, Privatsammlung, New York
Literatur
- Laurencin, Marie. In: Hans Vollmer (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker. Band 22: Krügner–Leitch. E. A. Seemann, Leipzig 1928, S. 444–445.
- Das große Lexikon der Malerei. Zweiburgen Verlag, Weinheim 1982.
- Fernande Olivier: Picasso und seine Freunde: Erinnerungen aus d. Jahren 1905–1913. Diogenes, Zürich 1982, ISBN 3-257-26029-6 (französisch: Picasso et ses amis. 1933. Übersetzt von Gertrud Droz-Rüegg, Nachdruck der deutschen Erstausgabe von 1957).
- Flora Groult: Marie Laurencin. Ein Leben für die Kunst. Droemer Knaur, München 2000, ISBN 3-426-03245-7.
- Elizabeth Louis Kahn: Marie Laurencin: Une femme inadaptée. In Feminist Histories of Art. Ashgate Publishing, Aldershot 2003, ISBN 0-7546-0715-1 (englisch).
Weblinks
- Literatur von und über Marie Laurencin im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Artcyclopedia: Marie Laurencin
- Kunstaspekte: Marie Laurencin, Ausstellungen und Sammlungen
- artnet: Marie Laurencin
Einzelnachweise
- Das Musée Marie Laurencin und andere Quellen.
- Maurice Raynal: Modern French Painters. Tudor Publishing, New York 1934, S. 109–111 (Textarchiv – Internet Archive).
- Flora Groult: Marie Laurencin. Ein Leben für die Kunst. S. 22 f.
- Gertrude Stein: The autobiography of Alice B. Toklas. New York 1933, S. 75 (englisch, Textarchiv – Internet Archive).
- Marie Laurencin, rogallery.com, abgerufen am 3. September 2013
- Marie Laurencin (Memento vom 31. Mai 2015 im Internet Archive), www.artfortune.com, abgerufen am 18. Januar 2012.
- Marie Laurencin, ngv.vic.gov., abgerufen am 7. April 2011
- Flora Groult: Marie Laurencin. Ein Leben für die Kunst. S. 110, 150
- Apollinaire, maremurex.net, abgerufen am 15. April 2011.
- Flora Groult: Marie Laurencin. Ein Leben für die Kunst. S. 82 f.
- Gertrude Stein: The autobiography of Alice B. Toklas. New York 1933, S. 74 (englisch, Textarchiv – Internet Archive).
- Wilfried Kugel: Der Unverantwortliche. Das Leben des Hanns Heinz Ewers. Grupello, Düsseldorf 1992, ISBN 3-928234-04-8, S. 180 ff.
- Flora Groult: Marie Laurencin. Ein Leben für die Kunst. S. 140.
- Flora Groult: Marie Laurencin. Ein Leben für die Kunst. S. 168, 171.
- Flora Groult: Marie Laurencin. Ein Leben für die Kunst. S. 194–197.
- Flora Groult: Marie Laurencin. Ein Leben für die Kunst. S. 194, 234 f.
- Heimito von Doderer: Ein Mord, den jeder begeht. Biederstein, München 1969, S. 114.
- L’Été Indien, musique.ados.fr, abgerufen am 12. April 2011.
- Zitiert nach Musée Marie Laurencin
- Niklas Maak: Kunstskandal auf japanisch. Wolfgang Beltracchi ist überall. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 21. Januar 2012 (m.faz.net).