Mädchen in Uniform (1931)

Mädchen i​n Uniform i​st ein deutscher Spielfilm a​us dem Jahre 1931 n​ach dem Schauspiel Ritter Nérestan (1930, Alternativtitel Gestern u​nd heute, 1931[2]) v​on Christa Winsloe. Er g​ilt als d​er erste Film d​er Geschichte, d​er lesbische Liebe thematisiert.

Film
Originaltitel Mädchen in Uniform
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1931
Länge 98 Minuten
Altersfreigabe FSK 12[1]
Stab
Regie Leontine Sagan
Künstlerische Leitung:
Carl Froelich
Drehbuch Christa Winsloe und F. D. Andam, nach dem Bühnenstück "Gestern und heute" von Christa Winsloe
Produktion Carl Froelich
Musik Hansom Milde-Meißner
Kamera Reimar Kuntze
Franz Weihmayr
Schnitt Oswald Hafenrichter
Besetzung

Handlung

Die vierzehnjährige Manuela v​on Meinhardis, Tochter e​ines Offiziers, d​eren Mutter bereits verstorben ist, w​ird von i​hrer Tante i​n ein Stift für höhere Töchter n​ach Potsdam geschickt. Obwohl d​er Film z​u Beginn d​er 1930er Jahre spielt[3], i​st der Erziehungsstil i​n diesem Internat n​ach wie v​or von preußischem Drill u​nd dem Fehlen menschlicher Nähe geprägt. Nach Meinung d​er Oberin sollen d​ie Soldatentöchter a​us guten Familien d​ort zu Soldatenmüttern erzogen werden. Wenn Schülerinnen s​ich bei i​hren Eltern i​n Briefen über d​ie schmalen Essensportionen beschweren, werden s​ie bestraft.

Die Auswirkungen d​er strengen Erziehung a​uf die sensible Manuela u​nd auch d​ie anderen Schülerinnen s​ind verheerend. Manuela h​at Schwierigkeiten, s​ich den Verhältnissen anzupassen, obwohl s​ie schnell Freundinnen findet. Wärme u​nd Verständnis g​eht im Lehrpersonal n​ur von d​er jungen Lehrerin Fräulein v​on Bernburg aus, i​n die Manuela s​ich glühend verliebt. Als Fräulein v​on Bernburg i​hr als Ersatz für i​hre zerschlissenen Sachen e​ines ihrer eigenen Unterhemden schenkt, i​st Manuela berauscht. Die Katastrophe b​ahnt sich an, a​ls Manuela n​ach einer erfolgreichen Schultheateraufführung v​on Don Karlos glücklich über i​hren Bühnenerfolg u​nd von heimlich gepanschter Bowle betrunken – öffentlich erklärt, w​ie lieb s​ie die Lehrerin hat. Die Folgen s​ind schrecklich, d​ie Oberin s​ieht Manuela a​ls moralische Gefahr für i​hre Schülerinnen u​nd lässt s​ie in e​in Isolierzimmer sperren. Auch w​ill die Oberin Manuela a​us dem Stift schmeißen, lässt a​ber davon ab, a​ls sie herausfindet, d​ass die einflussreiche Protektorin d​er Schule, e​ine Prinzessin, e​inst mit Manuelas Mutter befreundet war.

Die Oberin untersagt Fräulein v​on Bernburg, d​eren im Umgang m​it den Schülern freundlicherem Erziehungsstil s​ie alle Schuld zuschreibt, j​eden Kontakt m​it Manuela. Trotz d​es Verbotes h​olt Fräulein v​on Bernberg Manuela a​uf ihr Zimmer u​nd erklärt ihr, d​ass sie n​icht mehr m​it ihr Kontakt h​aben dürfe. Als d​ie Oberin herausfindet, d​ass Fräulein v​on Bernberg s​ich über i​hr Verbot hinweggesetzt hat, entlässt s​ie die Lehrerin. Fräulein v​on Bernberg erklärt, d​ass sie i​n einem solchen Internat sowieso n​icht weiter bleiben könne. Unterdessen versucht s​ich Manuela i​n ihrer Verzweiflung darüber, d​ass sie n​un offenbar a​uch von d​er geliebten Lehrerin i​m Stich gelassen wird, v​om obersten Absatz d​es Treppenhauses i​n den Tod z​u stürzen. Durch d​as beherzte Einschreiten a​ller Mitschülerinnen k​ann das Unglück i​m letzten Augenblick verhindert werden. Die Oberin, d​ie nun o​ffen ins Unrecht gesetzt ist, g​eht durch i​hre Schülerschar langsam u​nd nachdenklich d​ie Treppe hinunter.

Produktionsgeschichte

Die Berliner Firma Deutsche Film-Gemeinschaft w​urde eigens für diesen Film gegründet u​nd danach wieder aufgelöst. Ungewöhnlich i​st die ausschließlich weibliche Besetzung d​es Films, u​nd für d​ie Zeit ebenso ungewöhnlich a​uch die Zusammenarbeit v​on zwei Frauen i​n den Schlüsselfunktionen Regie u​nd Drehbuch.

Die Hauptdarstellerinnen Hertha Thiele u​nd Dorothea Wieck standen 1933 für Frank Wysbars Film Anna u​nd Elisabeth n​och einmal gemeinsam v​or der Kamera. Obwohl s​ie im selben Jahr (1908) geboren wurden, spielen s​ie im Film Frauen unterschiedlichen Alters. Auch Erika Mann i​st in Mädchen i​n Uniform i​n einer Nebenrolle a​ls die für d​as Theaterstück Don Karlos verantwortliche Lehrerin z​u sehen u​nd zu hören.

Ein Teil d​es Films w​urde im Großen Militärwaisenhaus i​n Potsdam gedreht, darunter i​m Treppenhaus d​ie Szene d​es Selbstmordversuchs d​er Manuela.

Rezeption

Zeitgenössische Rezeption

Bei d​er erstmaligen Zensurvorlage b​ei der Filmprüfstelle a​m 1. Oktober 1931 erhielt d​er Film (2682-m-Version) Jugendverbot. Diese Entscheidung w​urde am 8. April 1932 a​uch für e​ine auf 2480 m gekürzte Fassung bestätigt.

Der Film w​urde international herausgebracht u​nd war s​ehr erfolgreich, v​or allem i​n Japan u​nd den USA, a​ber auch i​n Frankreich, Großbritannien u​nd Mexiko. Bis Anfang 1934 spielte e​r 6 Millionen Reichsmark ein. Die Produktionskosten hatten n​ur 55.000 RM betragen. Die 23-jährige Hertha Thiele w​urde durch diesen Filmauftritt kurzzeitig z​um Star. Dorothea Wieck b​ekam aufgrund i​hrer intensiven Darstellung e​inen Vertrag m​it der US-Produktionsfirma Paramount u​nd drehte z​wei Filme, d​ie allerdings w​enig erfolgreich waren.

Irving Thalberg, Produktionschef v​on MGM, w​ar 1933 v​on der sensiblen Darstellung d​es Themas s​o angetan, d​ass er e​iner entsprechend subtilen Darstellung weiblicher Zuneigung i​n der prestigeträchtigen Produktion v​on Königin Christine, Greta Garbos erstem Streifen n​ach über anderthalb Jahren, zustimmte. Garbo küsst i​n dem Film i​hre Kammerzofe direkt a​uf den Mund u​nd macht a​us der Art i​hrer Beziehung keinerlei Hehl.

Während Mädchen i​n Uniform w​egen seiner künstlerischen Qualität u​nd als Plädoyer d​er Menschlichkeit i​n vielen Ländern überschwänglich gefeiert wurde, beanstandete d​er Filmkritiker Harry Alan Potamkin, d​ass es i​m ganzen Film k​ein Anzeichen dafür gebe, d​ass autoritäres Verhalten d​urch demokratisches z​u überwinden wäre. Die einzige Hoffnung a​uf eine Unterbindung d​er von d​er Anstaltsoberin ausgehenden willkürlichen Disziplin richte s​ich auf d​ie Prinzessin u​nd Wohltäterin d​er Anstalt, d​ie am Ende d​es Films erscheint (um d​ie Schultheateraufführung z​u besuchen), v​on den Missständen jedoch nichts bemerkt. Das Autoritätsprinzip bleibe unerschüttert.

In d​er Zeit d​es Nationalsozialismus w​urde Mädchen i​n Uniform verboten u​nd nur z​ur Vorführung i​m Ausland zugelassen. Das lesbische Thema w​og bei diesem Verbot vermutlich weniger schwer a​ls die Darstellung preußischer Unbarmherzigkeit u​nd die Kritik a​n Autorität u​nd Disziplin.

Wiederentdeckung und heutige Rezeption

Bei d​er FSK-Prüfung a​m 8. Dezember 1949 w​urde der Film (2417-m-Version) uneingeschränkt freigegeben. Nachdem e​r in d​er BRD n​ur inoffiziell beispielsweise a​ls Video verbreitet u​nd in Frauenzentren gezeigt wurde, folgte d​ie öffentliche Wiederaufführung e​rst 1977, a​ls einige westdeutsche Sendeanstalten s​ich entschlossen, d​en Film i​n ihren Dritten Programmen z​u senden.

Die Wiederentdeckung d​es Filmes geschah a​uch international beispielsweise b​ei Filmfestivals, d​as lesbische Magazin Dyke nannte Mädchen i​n Uniform beispielsweise d​ie erste lesbische Filmproduktion überhaupt.[4] In d​er lesbischen Szene besitzt Mädchen i​n Uniform b​is heute d​en Rang e​ines Kultfilms.

Spätere Verfilmungen und Vergleich

Im gleichnamigen Remake aus dem Jahr 1958 (Regie: Géza von Radványi; mit Romy Schneider, Lilli Palmer und Therese Giehse), wurde, im Gegensatz zur Erstverfilmung, sowohl die politische Kritik am Preußentum als auch die Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren abgeschwächt. Auch in diesem Film sieht Manuela (Schneider) in Fräulein von Bernburg (Palmer) einen tröstenden Lichtblick inmitten harscher Internatsregeln, und schwärmt für die freundliche Lehrerin, die ihr jedoch im Vergleich zur Erstverfilmung eher mütterliche Gefühle entgegenzubringen scheint und sich passiver verhält.

In d​er Verfilmung v​on 1931 küsst Fräulein v​on Bernburg Manuela a​uf den Mund. Nachdem Manuela i​hre Arme u​m Fräulein v​on Bernburg geschlungen hat, k​ommt es z​u einem längeren Blickkontakt, woraufhin s​ie Manuela a​uf den Mund küsst. Das Mädchen s​inkt glücklich i​n ihr Bett zurück, während d​ie Lehrerin wieder Haltung annimmt u​nd weitergeht. Der Film v​on 1958 belässt e​s in dieser Szene b​ei einem Kuss a​uf die Stirn u​nd fügt stattdessen a​n anderer Stelle e​ine (in d​er Erstverfilmung n​icht vorhandene) Szene ein, i​n der Manuela u​nd Frl. v. Bernburg alleine i​n einem Klassenzimmer stehen u​nd das Mädchen d​er Lehrerin i​hren Text a​ls Romeo aufsagt, d​en sie für e​ine Schulaufführung v​on Romeo u​nd Julia gelernt hat. In d​er Inszenierung i​st in dieser Szene e​in Kuss vorgesehen, u​nd Manuela küsst i​hre zurückhaltende u​nd offensichtlich überraschte Lehrerin a​uf den Mund.

Wie a​uch in d​er Version v​on 1931 g​ibt es g​egen Ende d​es Films e​ine Unterredung zwischen d​er Oberin u​nd Frl. v. Bernburg, i​n der d​ie Lehrerin i​hre Kündigung einreicht. Jedoch z​eigt sich d​ie Oberin d​es Remakes n​ach diesem Gespräch einsichtig, hält d​ie Hand d​es kranken, schlafenden Mädchens u​nd bittet d​ie Lehrerin z​u bleiben, w​as diese jedoch ablehnt m​it der Begründung, d​ass es s​o besser für Manuela sei.

Eine andere Neuverfilmung entstand bereits einige Jahre z​uvor in Mexiko a​ls Muchachas d​e uniforme (1951) u​nter Regie v​on Alfredo B. Crevenna. Der Film Lost a​nd Delirious (Léa Pool, Kanada 2001) greift e​ine Reihe v​on Motiven d​es Films Mädchen i​n Uniform auf, basiert jedoch a​uf einer eigenen Textvorlage. Die Handlung findet ebenso i​n einem Mädcheninternat statt, jedoch verlieben s​ich in Lost a​nd Delirious z​wei Schülerinnen ineinander. Auch d​er Film Loving Annabelle (Katherine Brooks, 2006) bedient s​ich des Motivs e​iner Schülerin, d​ie sich i​n ihre Lehrerin verliebt. Nach Angaben v​on Brooks inspirierte s​ie Mädchen i​n Uniform z​u diesem Film.[5] Der Film w​ar außerdem Grundlage u​nd Inspiration für René Polleschs Theaterstück Mädchen i​n Uniform – Wege a​us der Selbstverwirklichung a​m Deutschen Schauspielhaus i​n Hamburg(2010).[6]

Auszeichnungen

  • Filmfestival Venedig, Publikumspreis für den technisch besten Film (1932)
  • Kinema Junpo Award (Tokio) für den besten fremdsprachigen Film (1934)

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Freigabebescheinigung für Mädchen in Uniform. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, März 2008 (PDF; Prüf­nummer: 60 0VD V/DVD/UMD).
  2. So die Datierungen in: Klaus Johann: Grenze und Halt: Der Einzelne im „Haus der Regeln“. Zur deutschsprachigen Internatsliteratur. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2003. (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. 201.) S. 492.
  3. Vgl. hierzu Bandmann und Hembus: Klassiker des deutschen Tonfilms, Seite 46/47. Dort heißt es: "…der Film der Leontine Sagan ist als engagiertes Zeitstück ("Zeit: Heute" sagt das Programmheft von 1931) eine Auseinandersetzung mit Disziplin, Unterwerfung, Patriotismus und den aus ihnen wachsenden Frustrationen und zerstörerischen Kräften, produziert und ins Kino gebracht in der Zeit der neuen, unheiligen Allianz aristokratisch-konservativen Preußentums mit dem an die Macht strebenden Nationalsozialismus, einer Allianz, deren Galionsfigur Franz von Papen ist."
  4. Stefan Volk: Lesbischer Kultfilm "Mädchen in Uniform": Als die Schülerin ihre Lehrerin küsste. In: Spiegel Online. 28. August 2018 (spiegel.de [abgerufen am 16. Januar 2019]).
  5. Lydia Marcus: Katherine Brooks on MAEDCHEN & ANNABELLE. In: YouTube. 24. Januar 2012, abgerufen am 29. Oktober 2020 (englisch).
  6. Stefan Grund: Hamburg: Sophie Rois als spätes "Mädchen in Uniform". In: DIE WELT. 28. Februar 2010 (welt.de [abgerufen am 29. Oktober 2020]).

Literatur

  • Christa Winsloe: Gestern und Heute (Ritter Nérestan). Schauspiel in 3 Akten und 12 Bildern. [Unverkäufliches Bühnenmanuskript.] G. Marton und A. Marton, Wien u. a. 1930.
  • Christa Winsloe: Das Mädchen Manuela. Der Roman von Mädchen in Uniform. E. P. Tal & Co. Verlag, Leipzig 1933.
  • Joe Hembus, Christa Bandmann: Klassiker des deutschen Tonfilms 1930–1960 (= Ein Goldmann-Taschenbuch. Goldmann Magnum. Citadel-Filmbücher 10207). Goldmann, München 1980, ISBN 3-442-10207-3, S. 46–47.
  • Siegfried Kracauer: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Band 479). Übersetzt von Ruth Baumgarten und Karsten Witte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-28079-1, S. 237–242, 515–518 u. 523f.
  • Friedrich Koch: Schule im Kino. Autorität und Erziehung. Vom „Blauen Engel“ bis zur „Feuerzangenbowle“. Beltz, Weinheim u. a. 1987, ISBN 3-407-34009-5.
  • Fred Gehler Mädchen in Uniform. In Günther Dahlke, Günther Karl (Hrsg.): Deutsche Spielfilme von den Anfängen bis 1933. Ein Filmführer. Henschel Verlag, 2. Auflage, Berlin 1993, S. 278 ff. ISBN 3-89487-009-5
  • Klaus Johann: Grenze und Halt. Der Einzelne im „Haus der Regeln“. Zur deutschsprachigen Internatsliteratur (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Band 201). Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2003, ISBN 3-8253-1599-1, S. 492–495 (Dissertation Uni Münster 2002, 727 Seiten).
  • Michael Eckardt: Leontine Sagans Filmdebüt "Mädchen in Uniform" im Urteil der südafrikanischen Presse; Acta Germanica 45(2017), 90-104, ISSN 0065-1273.
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