Kurt Reutti
Kurt Reutti (Pseudonym: Karl Rodemann, * 31. März 1900 in Berlin-Schöneberg; † 19. November 1967 in Berlin-Buch) war ein deutscher Maler, Bildhauer, Grafiker, Autor, Kunsthistoriker, Kunstsammler, -stifter und -händler, 1945 freier Angestellter der Zentralstelle zur Erfassung und Pflege von Kunstwerken, 1947 Referent der Abteilung Volksbildung beim Magistrat von Groß-Berlin und Initiator des späteren Berlin Museums.
Leben und Wirken
Kurt Reutti wurde am 31. März 1900 in Berlin-Schöneberg als jüngster von drei Söhnen, des Ingenieurs Carl Reutti und seiner Ehefrau Martha geb. Schwabe geboren. In seiner Schulzeit besuchte er die Oberrealschule bis zur dreizehnten Klasse. Nach dem Abschluss der Schulzeit nahm er 1919 bis 1921 eine Bürotätigkeit als Angestellter auf, bis Reutti 1921–1924 die Akademie der Künste (Berlin) und die Reimann Schule für angewandte und freie Künste in Schöneberg besuchte. Hier erhielt er seine Ausbildung als Bildhauer und Maler. Zu einem seiner berühmten Lehrer gehörte Moriz Melzer. Anschließend war er bis 1939 freischaffender Maler und Gebrauchsgrafiker.
In den Jahren 1939 bis 1940 diente Reutti vier Monate in einem Landesschützenbataillon des Heeres der Wehrmacht, anschließend war er bis 1945 bei der Firma Essler und Co., in Mühlenbeck, als Betriebstechniker dienstverpflichtet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach autobiographischen Angaben war Kurt Reutti im Jahre 1945 zunächst als freischaffender Bildhauer tätig und ehrenamtlicher Kurator des Schlosses Schönhausen, im Auftrage des Finanzamtes für Liegenschaften, eingesetzt.
Zentralstelle zur Erfassung und Pflege von Kunstwerken
Am 10. August 1945 wurde er freier Mitarbeiter der von Adolf Jannasch geleiteten und beim Magistrat von Groß-Berlin eingerichteten Zentralstelle zur Erfassung und Pflege von Kunstwerken, einer Bergungsstelle für Kulturschätze. Ein spezielle Aufgabe kam im Oktober 1946 auf ihn zu, denn in der sowjetischen Besatzungszone wurde sogenannte Entartete Kunst, im Nachlass von Bernhard Aloysius Böhmer und im Besitz von Ferdinand Gerhard Möller einem Berliner Kunsthändler, gefunden. Ihm oblag die Sicherung gegen Verlagerung und Veräußerung und die Inventarisierung dieser Kunstobjekte.[1]
Kurt Reutti war verheiratet mit Dora geb. Schultz (* unbekannt; † 5. Juni 1975).
Am 24. Oktober 1945 wurde Reutti, damals wohnhaft in Berlin-Niederschönhausen, Buchholzerstraße 12, von der Finanzabteilung des Berliner Magistrats ein Ermächtigungsschreiben ausgestellt, dass ihn berechtigte,
„In den staatlichen Grundstücken und Gebäuden der Stadt Berlin den dort herumliegenden Kunstbesitz sicherzustellen und ihn vor der Zerstörung zu bewahren". Eine ähnliche Bescheinigung wird Reutti auch am 13. November 1946 von der Provinzialverwaltung der Mark Brandenburg - Abt. Volksbildung - ausgestellt. Zusammenfassend bestätigt ihm die Zentralstelle am 8. April 1947 noch einmal, dass er den Auftrag hat, Kunst- und Kulturgut, dass herrenlos ist, zu retten oder es im Zusammenhang mit der Verordnung über die Bodenreform in der Mark Brandenburg unter den Schutz der Provinzialregierung zu stellen.“
Im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 1950 war er noch als ehrenamtlicher Mitarbeiter der vormals Staatlichen Museen zu Berlin unter Direktor Ludwig Justi tätig. Sein Auftrag, vom 3. Februar 1950, war auch hier die Rückführung und Sicherung von gefährdetem Kunstgut. Nachfolgend hatte sich Reutti bei seinen Vorgesetzten unbeliebt gemacht, da er mehrfach Räume des Museums ohne Erlaubnis betrat, die für die Öffentlichkeit geschlossen waren. Seine weitere freiwilligen Mitarbeit wurde am 16. Mai 1950 abgelehnt und ein Hausverbot für die Staatlichen Museen ausgesprochen.
Der Löwe, ein Fundstück 1949
Kurt Reutti hatte 1949 ein Fundstück katalogisiert: „Großer liegender Panther, Marmor. Sichergestellt aus einem Garten in der Voßstraße“.
Dieser Panther entpuppte sich später als Löwe aus Kalkstein und wurde nach Reuttis Bergung und Übergabe auf der Berliner Museumsinsel eingelagert.
Durch Nachforschungen im Jahre 2010, durch Petra Winter Leiterin der Provenienzforschung der Staatlichen Museen Berlin, konnte er als Nachlass vom jüdischen Verleger Rudolf Mosse identifiziert werden. Dies führte zur Suche in Berliner Museen nach weiteren durch die Nazis 1933 beschlagnahmten Kunstsammlungsgegenstände der Moose Erben Adoptivtochter Felicia Lachmann-Moose, ihrem Ehemann und ihrer drei Kindern. Ihnen als Juden war in dieser Zeit die Auswanderung in die Schweiz gelungen.
Der Löwe von August Gaul steht seit 2019 in der oberen Eingangshalle der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel. Zuvor wurden wiedergefundene Kunstwerke der Moose-Sammlung in den Jahren 2015 und 2016 an die Moose Erben rückübertragen oder angekauft.[2]
Dokumentation über die Zerstörung des Berliner Schlosses
Die letzten Aktivitäten in Ost-Berlin richtete Reutti auf die fotografische Dokumentation der Zerstörung des Berliner Stadtschlosses und siedelte dann mit seiner Frau am 13. Dezember 1950 nach West-Berlin in die Nassauischen Straße 16 a (Stadtbezirk Berlin-Wilmersdorf), über. Hier betätigte er sich als Helfer im Schloss Charlottenburg, beim Einrichten eines Zentraldepots für die Pflege von geretteter Kunst. Gleichzeitig stellt er, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen, sein Material über den Abriss des Stadtschlosses zusammen und veröffentlichte 1951 die Dokumentation unter dem Titel Das Berliner Schloss und sein Untergang.[3][4]
Reutti wendete sich im Jahre 1951 mit einem Vorschlag an den Senator für Volksbildung Joachim Tiburtius. Sein Plan bestand darin, einen Raum im Schloss Charlottenburg für eine Bildergalerie zerstörter Kulturdenkmale Berlins, zu schaffen. In einem Antwortschreiben vom 18. August 1951 bat ihn Kunsthistorikerin Irene Kühnel-Kunze, um die Abstimmung eines Gesprächstermines mit Margarete Kühn, der Direktorin der preußischen Schlösserverwaltung, die ähnliche Pläne verfolgte.[5]
Abschluss seiner Tätigkeit für die öffentliche Hand
Mit der Erstellung einer Generalliste für alle für die öffentliche Hand gerettete Kunstwerke im Osten, schloss Reutti seine Tätigkeit 1955 auf diesem Gebiet ab und wendete sich wieder seinem bildhauerischen Schaffen zu.
Als Experte war Reutti aber noch immer ein wertvoller Ansprechpartner für Fragen der Nachkriegsgeschichte des Denkmal- und des Museumsschutzes. Bei öffentlichen Initiativen, wie Kritiken am Architekturwettbewerb Hauptstadt Berlin und der Kulturpolitik der DDR war Reutti dabei und gilt als Initiator des späteren Berlin-Museums.
Kurt Reutti und seine Frau Dore traten 1967 als Stifter für die Kunsthalle Bremen hervor. Sie übergaben der Sammlung über 450 Druckgrafiken sowie sämtliche Bücher Ernst Barlachs und seine illustrierten Mappenwerke. In einer zweiten Stiftung 1975 wurden aus Kurt und Doras Nachlass 13 Skulpturen von Barlach an die Kunsthalle übergeben.[6]
Kurt Reutti verstarb am 9. November 1967 in Berlin-Buch.[7]
Nachwort
In einem Schreiben vom 9. März 1975 an Dora Reutti, würdigte Martin Sperlich ihren Ehemann Kurt Reutti:
„"… Ich habe Ihren Mann gut gekannt und oft Gelegenheit gehabt, sein erstaunliches Präsenzwissen zum Schicksal der umgetriebenen Berliner Kunstwerke zu bewundern, ja manchmal, wenn seine Kenntnis auch entlegenster Details ins schlechthin Phantastische einschnitt, fassungslos zu belächeln. Seine von grenzenlosem Temperament angetriebene Arbeitsleistung, deren Ursache und Ziel nichts anderes war, als die Rettung öffentlichen Kunstbesitzes, seine rigorose Ehrenhaftigkeit, die ihn Feindschaften männlich in Kauf nehmen ließ, haben in eigenem Auftrag eine Leistung erbracht, die nur dem Kundigen sichtbar, Kunstwerke, Dokumente und Faktenwissen zur Kunst und Stadtgeschichte aufbewahrt hat, ohne die unsere Kunstwerke beträchtlich geringer wäre …".“
Werke
- Ernst Barlach in Berlin Bildwerke und Zeichnungen, Ausstellung im Haus am Lützowplatz 6. Mai – 30. Juni 1964
- Das Berliner Schloss und sein Untergang – ein Bildbericht über die Zerstörung Berliner Kulturdenkmäler – Im Auftrag des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen. Rodemann, Karl (Hg), Verlag Tauber, Berlin 1951
Erinnerungen von Kurt Reutti Gesamtarchivalien Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
- Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), VI. HA, Nl Reutti, K., Nr. 1 Kurt Reutti, Erinnerungen. Bd. 1S. 1-25
- GStA PK, VI. HA, Nl Reutti, K., Nr. 2 Kurt Reutti, Erinnerungen. Bd. 2 S. 252-496
- GStA PK, VI. HA, Nl Reutti, K., Nr. 3 Konzepte und Unterlagen Reuttis zu verschiedenen Kapiteln seiner Erinnerungen
- GStA PK, VI. HA, Nl Reutti, K., Nr. 4 Konzepte und Unterlagen Reuttis zu verschiedenen Kapiteln seiner Erinnerungen
- GStA PK, VI. HA, Nl Reutti, K., Nr. 5 Zeitungsausschnitt-Sammlung zu den Themen: - Baudenkmäler Berlin (v. a. Stadtschloss), - Kunstraub, - Neugestaltung von Berlin-Mitte
- GStA PK, VI. HA, Nl Reutti, K., Nr. 6 Korrespondenz, Teil I
- GStA PK, VI. HA, Nl Reutti, K., Nr. 7 Korrespondenz, Teil II
- GStA PK, VI. HA, Nl Reutti, K., Nr. 8 Fotoalbum des zerstörten Ägyptischen Museums
Literatur
- Maike Steinkamp, Ute Haug (PDF): Über das Handeln und Sammeln von Kunst im Nationalsozialismus. In: »Eine Rückführung an die Museen ist dringend erforderlich ...« Kurt Reutti und der Umgang mit "entarteter" Kunst nach 1945. Maike Steinkamp, Ute Haug, 2010, abgerufen am 9. Januar 2022.
- Sammlungsverluste der Museen im Zweiten Weltkrieg Auslagerung, Plünderung und Zerstörung Bergung, Rettung und Rückführung Perspektiven: Die Suche geht weiter. In: Museumsblätter Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg (PDF). Museums Verband Brandenburg, 2020, abgerufen am 9. Januar 2022.
Weblinks
Einzelnachweise
- Meike Hoffmann: Ein Händler "entarteter" Kunst Bernhard A. Böhmer und sein Nachlass, (Artikel - Sicherung im Dienste der Kunst - Kurt Reutti und die Werke Entarteter Kunst in Güstrow und Rostock, Dorothee Grafahrend). De Gruyter, 2012, S. 133 (google.de).
- Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz: Provenienzforschung Biografie der Objekte: Der Löwe aus der Voßstraße. Museum and the City Blog der Staatlichen Museen zu Berlin, abgerufen am 4. März 2022.
- Franziska Klemstein: Denkmalpflege Zwischen System und Gesellschaft Vielfalt Denkmalpflegerischer Prozesse in der DDR (1952-1975). Transcript Verlag, 2021, ISBN 978-3-8394-5779-5, S. 64 (google.de).
- Mitteilungsblatt des Fördervereins Berliner Schloss e.V.: Die Vernichtung des Schlosses. In: Berliner Schloss Extrablatt 2011. issuu.com/, abgerufen am 9. Januar 2022.
- Kurt Reutti: VI.HA, NI Reutti, K. Nr. 7. In: Korrespondenz, Teil II. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, abgerufen am 2. Februar 2022.
- Siehe Ausstellungsbuch Kaviar statt Brot. Kurt Reutti. Sammler und Stifter. Kunsthalle Bremen Okt. 2001 – Jan. 2002. Seemann, Leipzig 2001.
- Meike Hoffmann: Ein Händler "entarteter" Kunst Bernhard A. Böhmer und sein Nachlass, ( Artikel - Sicherung im Dienste der Kunst - Kurt Reutti und die Werke entarteter Kunst in Güstrow und Rostock, Dorothee Grafahrend). De Gruyter, 2012, S. 133 bis S. 149 (google.de).
- Geheimes Staastsarchiv Preußischer Kulturbesitz (archivdatenbank.gsta.spk-berlin.de) GStA PK, VI. HA, Nl Reutti, K. Einleitung