Kernkraftwerk Tihange
Das Kernkraftwerk Tihange bei Huy (niederländisch: Hoei) in der Wallonischen Region von Belgien besteht aus drei Blöcken mit Druckwasserreaktoren, die von 1975 bis 1985 ans Stromnetz gingen; Block 1 mit einer Nettoleistung von 962 MW(e) 1975, Block 2 mit einer Nettoleistung von 1.008 MW(e) und Block 3 mit 1.038 MW(e) folgten bis 1985.
Kernkraftwerk Tihange | ||
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Lage | ||
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Koordinaten | 50° 32′ 5″ N, 5° 16′ 21″ O | |
Land: | Belgien | |
Daten | ||
Eigentümer: | Engie Electrabel, EDF Luminus | |
Betreiber: | Engie Electrabel | |
Projektbeginn: | Juni 1970 (Tihange 1)
April 1976 (Tihange 2) November 1978 (Tihange 3) | |
Kommerzieller Betrieb: | Oktober 1975 (Tihange 1)
Juni 1983 (Tihange 2) September 1985 (Tihange 3) | |
Aktive Reaktoren (Brutto): |
3 (3153 MW) | |
Eingespeiste Energie im Jahr 2009: | 23.719 GWh | |
Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme: | 614.561,192 GWh | |
Stand: | 31. Dezember 2009 | |
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation. |
Das Kernkraftwerk liegt an der Maas, ca. 25 km südwestlich von Lüttich und 57 km west-südwestlich des Aachener Stadtgebiets.
Seit 2005 verliert Tihange-1 pro Tag etwa 2 Liter radioaktiven Wassers, ein Problem das bis dato nicht behoben werden konnte.
Im Juni 2012 wurden tausende Wasserstoffflocken am Reaktordruckbehälter von Tihange 2 entdeckt, die laut der Atomaufsichtsbehörde „höchstwahrscheinlich“ schon bei der Herstellung 1979 entstanden sind.
Seit Dezember 2016 läuft eine Sammelklage der Städteregion Aachen, Maastricht sowie Wiltz mit Unterstützung der Landesregierung NRW und Landesregierung Rheinland-Pfalz gegen den Betreiber vor dem europäischen Gerichtshof erster Instanz in Brüssel.
Allgemeiner Hintergrund
Tihange ist einer von zwei in Betrieb befindlichen Kernkraftwerksstandorten in Belgien; der andere ist das Kernkraftwerk Doel im Hafen von Antwerpen. Die drei Kernreaktoren in Tihange und vier in Doel werden von Engie Electrabel betrieben, dem belgischen Tochterunternehmen des französischen Konzerns Engie.
Geschichte
Das Kernkraftwerk Tihange besteht aus drei Kraftwerksblöcken, die von 1975 bis 1985 ans Netz gingen: Block 1 mit einer Nettoleistung von 962 MW(e) 1975, Block 2 mit einer Nettoleistung von 1.008 MW(e) und Block 3 mit 1.038 MW(e) folgten bis 1985.
Belgien beschloss 2003 den Ausstieg aus der Kernkraft bis 2025. Die belgischen Reaktoren sollten demzufolge nach jeweils 40 Jahren endgültig abgeschaltet werden. Für Tihange-1 war die Abschaltung am 1. Oktober 2015 vorgesehen.[1] Der Betreiber Electrabel erklärte im November 2011, Block 1 gemäß dem Gesetz 2015 vom Netz nehmen zu wollen, da sich weitere Investitionen nicht mehr lohnen würden.[2]
Am 4. Juli 2012 entschied die damalige Regierung Di Rupo jedoch gemäß den Möglichkeiten, die das Atomausstiegsgesetz Belgiens bietet, dem Betreiber für Tihange-1 eine Laufzeitverlängerung um zehn Jahre – bis 2025 – zu gewähren. Man fürchte Engpässe in der Stromversorgung.[3] Für die Blöcke 2 und 3 erlischt die Genehmigung unverändert nach 40 Jahren, also 2023 bzw. 2025.
2012 wurden „tausende feine Risse im Reaktorbehälter“ zunächst im Kernkraftwerk Doel und im September 2012 auch in Tihange bekannt.[4]
Im Februar 2015 teilten der Betreiber Engie Electrabel und die belgische Atomaufsichtsbehörde FANK mit, man habe tausende weitere Wasserstoffflocken in den Reaktoren Tihange-2 und Doel-3 gefunden. In Tihange stieg die Zahl von 2000 auf 3150.[5][6]
Eine grenzüberschreitende Bürgerinitiative engagiert sich seitdem mit wissenschaftlicher Unterstützung gegen das ihrer Einschätzung nach unsichere Kernkraftwerk.[7]
Am 28. März 2017 wurde bekannt, dass Tihange-2 seit Juli 2016 mit Brennelementen aus der Brennelementfertigungsanlage Lingen in Deutschland beliefert wurde.[8][9] Das dem Bundesumweltministerium unterstellte Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) erteilte 50 Transportgenehmigungen,[10] darunter auch, 68 Brennelemente für Tihange-2 zu liefern.
Störfälle, Schäden und Reaktionen
2002–2011
Am 22. November 2002 ereignete sich ein Störfall im Block 2 (INES 2). Der Reaktor – zu dieser Zeit heruntergefahren und nicht mehr kritisch – produzierte noch Nachzerfallswärme, die wie im Leistungsbetrieb durch zirkulierendes Kühlmittel im Primärkreislauf abgeführt wurde. Bei einem Test wurde irrtümlich ein Sicherheitsventil des Druckhalters geöffnet, wodurch der Druck im Primärkreislauf sehr schnell von 155 bar auf 85 bar fiel. Der hohe Druck im Primärkreislauf während des Betriebs bewirkt, dass das Wasser auch bei hoher Temperatur nicht siedet, sondern flüssig bleibt. Sinkt der Druck, dann sinkt auch die Siedetemperatur des Wassers. Dann kann die Nachzerfallswärme der Brennelemente nicht mehr abtransportiert werden und es besteht die Gefahr einer Kernschmelze. Im konkreten Fall wurden aufgrund des rapiden Druckabfalls mehrere Sicherheitssysteme aktiviert, die Wasser in den Primärkreislauf hineinpumpten und so die Brennelemente weiter kühlten. Das irrtümlich geöffnete Überdruckventil wurde nach drei Minuten wieder geschlossen.[11]
Am 25. Oktober 2006 gelangten etwa 30 Greenpeace-Aktivisten auf das Kraftwerksgelände und besetzten es. Sie stellten auf der Kuppel einen riesigen Riss dar. Mit der Aktion an dem über 30 Jahre alten Kraftwerk wollte Greenpeace auf das Alter(n) der belgischen Kernkraftwerke aufmerksam machen.[12][13]
Am 4. Oktober 2010 kurz nach 18 Uhr liefen rund 600 Liter säurehaltigen Wassers aus einem Graben in die Maas. Laut Betreiberangaben trat bei dem Unfall kein radioaktives Material aus; die Säure soll sich im Flusswasser schnell neutralisiert haben.[14][15]
Am 5. Dezember 2011 kam es zu nicht näher erläuterten Abweichungen bei Kontrollen des Kühlsystems (INES 1). Laut Angaben der belgischen Atomaufsichtsbehörde FANK wurde das Problem behoben.[16]
2012–2013
Am 7. Februar 2012 wurde erkannt, dass eine Gruppe von Heizstäben des Druckhalters von Tihange-1 außer Funktion war, was die FANK am 15. Februar 2012 bekannt gab. Der Vorfall wurde als INES-1-Ereignis eingestuft.[17][18][19] Der Druckhalter mit den integrierten Heizstäben und Sprühsystemen ist relevant, um den notwendigen Druck im Primärkreislauf aufrechterhalten zu können. Dies kann beispielsweise bei Unterkühlungstransienten, die eine Reduktion der Kühlmitteldichte zur Folge hat (und somit eine Füllstandabnahme im Druckhalter), relevant werden. Durch Zuschaltung von Druckhalterheizstufen (was normalerweise über die Reaktordruckregelung automatisch erfolgt) kann der Druck stabilisiert werden, da im Druckhalter immer Sättigungsbedingung herrscht (z. B. 155 bar / 354 °C).
Bei einer im Juni 2012 begonnenen Routineinspektion mit neuen Ultraschall-Messgeräten wurden laut FANK tausende Wasserstoffflocken am Reaktordruckbehälter von Tihange 2 und im Reaktor Doel-3 entdeckt.[20] Die FANK stellte fest, die Wasserstoffflocken seien „höchstwahrscheinlich“ schon bei der Herstellung der Druckbehälters entstanden und daher unbedenklich.
Im Juli 2012 wurde bekannt, dass das Abklingbecken von Tihange-1 pro Tag etwa 2 Liter radioaktiven Wassers verliere, ein Problem das seit 2005 besteht und bis dato nicht behoben werden konnte (Stand Juli 2012).[21]
Im August 2012 wurde Block 2 heruntergefahren, nachdem – wie auch am Reaktor Doel-3 – tausende Wasserstoffflocken am Reaktordruckbehälter gefunden worden waren. Nachforschungen ergaben, dass diese Flocken schon 1979 während des Baus entstanden waren.[22] Die seit 1996 nicht mehr bestehende Firma Rotterdamsche Droogdok Maatschappij (Rotterdam) hatte 22 Reaktorbehälter dieses Typs gefertigt, darunter Tihange-2 und Doel-3[23][24] Die beiden anderen Druckwasserreaktoren in Tihange stammen von Framatome und sind von dem Problem nicht betroffen.
Die Atomaufsicht FANK ordnete 2012 an, dass das Notkühlwasser (über 1 Million Liter) auf über 40 °C vorgeheizt werden muss. Anlass ist der schon mit Wasserstoffeinschlüssen durchsetzte Reaktordruckbehälter, der durch zu kaltes Kühlwasser einen thermischen Schock erleiden könnte. Die maximale Vorlauftemperatur beträgt 50 °C. Ab dieser Temperatur wird der Reaktor nicht mehr ausreichend gekühlt.[25]
Im Februar 2013 wurde auf dem Kraftwerksgelände eine Weltkriegsbombe in der Nähe eines Verwaltungsgebäudes entdeckt, das vorsichtshalber evakuiert wurde; die Bombe wurde vom Kampfmittelräumdienst der belgischen Armee abtransportiert.[26] Es soll sich um eine deutsche Granate aus dem Ersten Weltkrieg gehandelt haben.[27]
Im Mai 2013 erteilte die FANK die Erlaubnis für den Weiterbetrieb der Kernreaktoren. Jan Bens, Leiter der FANK seit Januar 2013, der von 2004 bis 2013 auch Leiter des Kernkraftwerk Doel gewesen war, schloss aus, dass es in Belgien überhaupt zu einem Reaktorunfall kommen könne.[28] Anfang Juni 2013 wurde der Reaktor von Tihange-2 wieder hochgefahren.
In den Jahren 2013 bis 2015 sind insgesamt acht sogenannte Precursor (engl. precursor „Vorläufer, Vorbote“), d. h. Zwischenfälle, welche unter bestimmten Voraussetzungen zu schweren Schäden am Reaktorkern bis hin zur Kernschmelze führen können, in Tihange-1 vorgekommen – mehr als die Hälfte aller Precursor-Fälle in ganz Belgien. Dies wurde erst Anfang Februar 2018 in Medienberichten laut einem Schreiben der belgischen Atomaufsicht FANK bekannt. Allerdings seien diese Precursor-Analysen laut FANK nicht geeignet, Rückschlüsse auf den Sicherheitszustand einzelner Reaktoren zu ziehen. Die Behörde erklärte gegenüber dem WDR-Hörfunk und dem Politmagazin Monitor man könne garantieren, dass der Betreiber und die FANK die Sicherheit dieses Reaktors gewährleisten.[29]
2014–2015
Im März 2014 mussten Doel-3 und Tihange-2 auf behördliche Anordnung erneut heruntergefahren werden. Tests im Studienzentrum für Kernenergie in Mol mit dem Reaktorbehälter-Material der beiden Reaktoren Doel-3 und Tihange-2 hätten „unerwartete Resultate“ bezüglich mechanischer Resistenz erbracht. Der Stillstand dauerte vorläufig bis Sommer 2015. Deutsche Medien vermuteten, die endgültige Stilllegung der Blöcke stünde – angesichts der Defekte und der Tatsache, dass ein Tausch des Reaktordruckbehälters nicht möglich ist – bevor.[30] Belgische Medien betonten im Februar 2015, es sei noch keine endgültige Entscheidung gefallen.[31]
Am 30. November 2014 ereignete sich außerhalb des nuklearen Bereichs des Blocks 3 eine Explosion mit anschließendem Feuer an einem Transformator, was zu einer Abschaltung des Blocks 3 führte.[32] Nach einer Reparatur wurde der Reaktor am 2. Dezember 2014 wieder angefahren.[33]
Am 23. Februar 2015 wurde öffentlich bekannt, dass die Defekte weiter gewachsen sind (siehe Einleitung).[34]
Am 4. Mai 2015 wurden nach einem Störfall die Überdruckventile im Containmentgebäude des Reaktors Tihange-1 geöffnet und nicht radioaktiver Dampf abgelassen (Venting).[35]
Im August 2015 wurde bekannt, dass die belgische Atomaufsichtsbehörde aufgrund von Mängeln im AKW die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat.[36]
Mitte November 2015 gab die belgische Atomaufsichtsbehörde ihre Erlaubnis für das Wiederanfahren des Reaktorblocks Tihange-2; die Wasserstoffeinschlüsse würden kein Risiko für die Sicherheit des Reaktors darstellen.[37] Der Betreiber Electrabel bereitete dies für die Zeit um den 15. Dezember 2015 vor[38] und nahm den Reaktor am Abend des 14. Dezember wieder in Betrieb.[39][40] Die belgische Zeitung De Morgen meldete dies unter der Überschrift „Belgische regering speelt Russische roulette met Tihange 2“ („Belgische Regierung spielt russisches Roulette mit Tihange 2“)[41] und zitierte damit den Umweltminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Remmel.[42]
Am 18. Dezember 2015 um 22:35 Uhr wurde Block 1 nach einem Brand im nicht-nuklearen Bereich abgeschaltet.[43] Eine Woche später, am 26. Dezember 2015, wurde der Reaktor wieder hochgefahren.[44]
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) schrieb am 24. Dezember 2015, die Bundesregierung werde speziell die Wiederinbetriebnahme der Kernreaktoren Tihange-2 und Doel-3 kritisch hinterfragen. Ein baldiges Gespräch mit der belgischen Atomaufsicht sei terminiert.[45] Das Gespräch fand zwischen Hendricks und dem belgischen Innenminister Jan Jambon, einem Kernkraftbefürworter, statt.[46]
2016–2017
Am 14. Januar 2016 stellten Rebecca Harms, die Ko-Vorsitzende der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament, und Jean-Marc Nollet, Abgeordneter des belgischen Parlaments, der FANK eine Auswertung der Materialwissenschaftlerin Ilse Tweer von Dokumenten zu Materialfehlern in den Druckbehältern der Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 sowie einen Kommentar zur Abschlussbewertung vor.[47][48]
Am 1. Februar 2016 machte der WDR publik, dass bei den Kernreaktoren Tihange-2 und Doel-3 das für eine Notkühlung vorgehaltene Kühlwasser vorgewärmt wird. Damit wird der Fall berücksichtigt, dass durch eine nicht ausgeschlossene Restunsicherheit die Flockenbildung doch relevant sein sollte.[49]
Die Städteregion Aachen reichte am 9. Februar 2016 beim belgischen Staatsrat Klage gegen den Weiterbetrieb von Tihange-2 ein.[50][51][52] Zielrichtung der Klage ist u. a. die fehlende grenzüberschreitende Beteiligung bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung und eine Nichtbeachtung der Bestimmungen des EURATOM-Vertrages, insbesondere hinsichtlich der Verpflichtung nach Artikel 37, bestimmte Angaben zur Freisetzung radioaktiver Stoffe der Europäischen Kommission zu übermitteln.[53] Die NRW-Landesregierung schloss sich im April 2016 der Klage an.[54]
Am 23. Februar 2016 wurde Block 1 erneut heruntergefahren, nachdem Unregelmäßigkeiten an einer Pumpe festgestellt wurden.[55][56]
Anfang März 2016 kündigte der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel an, NRW und Rheinland-Pfalz würden gemeinsam Beschwerden bei der UN und bei der EU-Kommission gegen die Laufzeitverlängerungen für die beiden Reaktoren in Doel sowie den ersten Reaktor in Tihange einlegen.[57][58] Ein Rechtsgutachten im Auftrag der beiden Länder kam zu dem Schluss, die Laufzeitverlängerung der Kernreaktoren Tihange 1 und Doel 1 & 2 sei nicht mit europäischem Recht vereinbar.[59]
Anfang Juni 2016 wurde bekannt, dass die Städte Aachen, Maastricht (Niederlande) und Wiltz (Luxemburg) stellvertretend für andere Kommunen eine offizielle Beschwerde einreichen werden, da „das Prinzip der Vorsorge“ beim Wiederhochfahren von Tihange 2 nicht respektiert worden sei.[60]
Am 6. Juni 2016 forderte das niederländische Unterhaus Belgien auf, seine Atomkraftwerke zu schließen.[61][62]
Am 7. September 2016 wurde wegen durch Bauarbeiten im nichtnuklearen Teil entstandenen Schäden der Reaktor Tihange-1 abgeschaltet, am 9. September 2016 auch Reaktor Tihange-2. Am 15. November 2016 wurde zu dem Vorfall am 7. September berichtet, es handele sich bei den Gebäudeschäden um eine Hebung der Bodenplatte. Der Betreiber Electrabel müsse den Boden unter der Bodenplatte verstärken und ihre Stabilität auch für den Fall eines Erdbebens garantieren. Der belgische Innenminister Jan Jambon forderte, auch den Boden unter den anderen Gebäuden von Tihange 1 zu untersuchen. Die für den 31. Dezember angekündigte Wiederinbetriebnahme wurde verschoben.[63]
Im Dezember 2016 hatte die Städteregion Aachen gemeinsam mit Maastricht und Wiltz sowie mit natürlichen und juristischen Personen aus den drei Staaten eine zivilrechtliche Klage vor dem Gerichtshof erster Instanz in Brüssel gegen den Betrieb des Reaktors Tihange 2 und Stilllegungsforderung eingereicht.[64] Im März 2017 traten auch die Landesregierung NRW und die Landesregierung Rheinland-Pfalz dieser Klage bei.[65]
Am 1. September 2017 begann die Stadt Aachen vorsorglich Jodtabletten an die Bevölkerung in der Region Aachen und den Kreisen Düren, Heinsberg und Euskirchen auszugeben. Damit setzte sie ein klares Zeichen, wie ernst die Lage in Tihange aus ihrer Sicht eingeschätzt wird.[66] Darüber hinaus wurden Notfallpläne mit Kindergärten und Schulen der Stadt Aachen ausgearbeitet, die Eltern wurden aufgefordert, Kontaktdaten und Notfallkontaktdaten in Listen einzutragen.
Im Oktober 2017 wurde wegen einer Panne Tihange-1 vorübergehend vom Netz genommen. In der Nacht zum 10. November 2017 wurde der Block 3 wegen Problemen mit einem Ventil im nichtnuklearen Teil automatisch abgeschaltet.[67]
2018–2019
Im August 2018 wurde im Block 2 des AKW Tihange bei Wartungsarbeiten maroder Beton entdeckt. Der Reaktor ging daraufhin bis Ende Juni 2019 vom Netz.[68]
Im September 2018 wurde bei einer geplanten Überprüfung durch Engie Electrabel Betonzerfall (Alkali-Kieselsäure-Reaktion) in den Bunker-Gebäuden von Doel 3 und Tihange 3, wo sich die Notfall-Systeme befinden, festgestellt. Laut der FANC habe der Betonzerfall keine Auswirkungen auf das direkte Umfeld der Reaktoren, doch die Reaktoren sollen erst nach weiteren Untersuchungen wieder angefahren werden. Das Wiederanfahren der Reaktoren Doel-1 und Doel-2 war wegen einer Wartung von Oktober auf Dezember 2018 verschoben worden.[69] Auch in Doel-4 und Tihange-2 fand sich in den Decken der Gebäude Betonzerstörung.[70]
Am 24. September 2018 sagte Energieministerin Marie-Christine Marghem, dass sie sich wegen zusätzlicher Kapazitäten im Notfall an ihre Kollegen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland gewendet habe. Engie Electrabel hatte berichtet, dass einige Reaktoren länger abgeschaltet blieben, weil die Reparatur der Betonschäden länger als erwartet dauere, was im November einen Stromausfall bedeuten könne. Weil nur einer der sieben belgischen Kernreaktoren aktiv sei, könne es sein, dass bestimmte Bereiche für kurze Zeit vom Netz genommen werden müssen. Die Ministerin kritisierte Engie Electrabel, weil sie die Probleme zu spät mitgeteilt hätten und für einen möglichen Stromausfall verantwortlich seien.[71][72]
Proteste
Am 17. September 2011 demonstrierten rund 2000 Menschen aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland vor dem AKW Tihange und forderten die Schließung der Kernreaktoren.[73]
Aus Anlass der bekannt gewordenen Wasserstoffeinschlüsse im Reaktorbehälter gab es am 12. Januar 2013 eine Demonstration in Maastricht, an der rund 1000 Personen teilnahmen.[74]
Im Dezember 2015 demonstrierten in Aachen hunderte Bürger für eine sofortige Abschaltung, unterstützt von Oberbürgermeister Marcel Philipp und allen Stadtratsfraktionen.[75] Philipp nannte die Wiederinbetriebnahme von Tihange-2 „bedrohlich“ und „unverantwortlich“.[76]
Im Oktober 2016 wurden in der Städteregion Aachen Säulen mit dem Motto „Tihange AUS“ aufgestellt. An diesen „interaktiven Mahnmalen“ können die Bürger ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen und mit einem Hebel Tihange symbolisch ausschalten. Jede Hebelbewegung wird gezählt und wöchentlich an die Verantwortlichen in Belgien übermittelt. Die Initiatoren sind Rolf Jägersberg und Lars Harmens.[77]
Am 12. November 2016 spielte der Fußballverein Alemannia Aachen gegen die U21-Mannschaft des 1. FC Köln. Die Spieler beider Mannschaften trugen bei diesem Spiel auf ihren Trikots statt Sponsorenwerbung die Aufschrift „stoppt Tihange“.[78][79]
Am 25. Juni 2017 bildeten 50.000 Demonstranten eine fast 90 Kilometer lange Menschenkette von Aachen (D) über Maastricht (NL) bis nach Tihange (B). Sie demonstrierten damit für die sofortige Abschaltung der Kernreaktoren Tihange-2 und Doel-3.[80]
Daten der Reaktorblöcke
Das Kernkraftwerk Tihange hat drei Blöcke:
Reaktor- block[81] |
Reaktortyp | Netto- leistung |
Brutto- leistung |
Baubeginn | Netzsyn- chronisation |
Kommerzieller Betrieb |
Abschal- tung |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Tihange-1 | Druckwasserreaktor | 962 MW | 1009 MW | 1. Jun. 1970 | 7. Mrz. 1975 | 1. Okt. 1975 | (2025) |
Tihange-2 | 1008 MW | 1055 MW | 1. Apr. 1976 | 13. Okt. 1982 | 1. Jun. 1983 | (2/2023)[82] | |
Tihange-3 | 1038 MW | 1089 MW | 1. Nov. 1978 | 15. Jun. 1985 | 1. Sep. 1985 | (2025) |
Literatur
Der Roman Wolke sechs von Roland Siegloff entwickelt das Szenario eines gravierenden Störfalls im Atomkraftwerk Tihange.
Weblinks
- Deutschlandfunk.de, Europa heute, 21. April 2016: Hendricksen bittet um Abschaltung von Atomreaktoren
- Das Wochenendjournal, 23. April 2016: Wachsende Angst vor dem belgischen GAU
- Berichte von Greenpeace über eigene Aktionen, verfügbar in französisch und niederländische
- stop-tihange.org: Belgisch-niederländisch-deutsches Bündnis gegen das AKW Tihange
- Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e. V. (FIfF), tdrm.fiff.de: Tihange Doel Radiation Monitoring (Tihange-Doel-Strahlungs-Überwachung)
- tihange-alarm.eu: Tihange AUS-schalten – symbolisch
- www.5vor12.nrw: seit Januar 2017: Samstags-Demo Menschen gegen Tihange um 5 vor 12
- http://www.aachener-nachrichten.de: Link-Liste zu Tihange-Artikeln
- Verlagsinfo zum Roman Wolke sechs
Fußnoten
- Informationen zum Atomausstieg des Föderalen Öffentlichen Dienst für Wirtschaft, KMB, Mittelstand und Energie. (Memento des Originals vom 3. Januar 2018 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Abgerufen am 17. Februar 2015.
- Reaktor 1 vom Kernkraftwerk Tihange geht vom Netz. WDR, abgerufen am 7. November 2011.
- Atomausstieg wie geplant – außer für Tihange I, grenzecho.net, 4. Juli 2012
- Atomkraftwerk Tihange: Probleme mit Kühlung und Elektrik, aachener-zeitung.de, 14. September 2012
- Atomkraftwerke: Tausende Risse in belgischen Reaktoren entdeckt. In: spiegel.de, 26. Februar 2015.
- Größere Risse: Aus für Doel 3 und Tihange 2?. In: Aachener Zeitung. 26. Februar 2015.
- stop-tihange.org
- tagesschau.de: Tagesschau-Meldung. Abgerufen am 30. März 2017.
- dpa: Bundesregierung billigt Brennelemente-Lieferung nach Tihange. In: handelsblatt.com. 28. März 2017.
- Genehmigung beim Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit. Abgerufen am 30. März 2017.
- Nuclear issues information service – Serious incident vindicates Belgian nuclear phaseout. (englisch)
- Bericht, contratom.de
- Greenpeace voert actie rond kerncentrale in Tihange. In: Indymedia.be 25 Oktober 2006. Meldung mit Bildern der Aktion.
- Meldung auf www.antenne-ac.de (Memento des Originals vom 13. Februar 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Meldung (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , tageblatt.lu
- FANC: Website, siehe auch französische Wikipedia
- http://www.anti-akw-ac.de/de/tihange/stoerfaelle.html/-/asset_publisher/GJf1/content/ines-1-tihange-1-heizstabe-im-druckhalter-des-primarkreislaufs-ausser-funktion@1@2Vorlage:Toter+Link/www.anti-akw-ac.de (Seite+nicht+mehr+abrufbar,+Suche+in+Webarchiven) Datei:Pictogram+voting+info.svg Info:+Der+Link+wurde+automatisch+als+defekt+markiert.+Bitte+prüfe+den+Link+gemäß+Anleitung+und+entferne+dann+diesen+Hinweis.+
- Niederländisch: Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 22. Februar 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Französisch: Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 25. Januar 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Belgique: la fiabilité de deux réacteurs nucléaires remise en cause, Le Monde (französische Tageszeitung), 8. August 2012
- AKW Tihange ist seit Jahren nicht mehr dicht. Aachener Nachrichten, 13. Juli 2012, Titelseite
- Meldung in Grenzecho, 23. August 2012
- In Belgien könnten bald die Lichter ausgehen.
- spiegel.de 16. November 1016: Deutsche Kernkraftwerke frei von belgischer Krankheit
- tagesschau.de: Zu marode für kühles Kühlwasser
- BRF – Bombe aus dem Ersten Weltkrieg am Atommeiler Thinge entdeckt
- www.aachener-zeitung.de: Tihange: Weltkriegsbombe auf Akw-Gelände
- Aachener Zeitung Nr. 124 v. 1. Juni 2013.
- Tihange. Risse, Pannen, aber kein Plan zum Katastrophenschutz. In: Zeit online. 4. Januar 2018, abgerufen am 4. Februar 2018.
- Zwei belgische Atommeiler vor der definitiven Abschaltung? In: heise.de, 20. August 2014. Abgerufen am 20. August 2014.
- Tihange 2 und Doel 3 – Mehr Materialschwächen, Belgischer Rundfunk, 14. Februar 2015.
- Reaktor in Tihange nach Explosion abgeschaltet In: aachener-nachrichten.de, 30. November 2014.
- Tihange 3: Reaktor wieder angefahren. In: Belgischer Rundfunk. 14. Februar 2015.
- Scheuren tot 6 centimeter in reactorvat Tihange
- Aachener Zeitung, 15. Mai 2015
- Malte Pieper:„Schlamperei“ in belgischem AKW Alle Mitarbeiter müssen zur Nachschulung. In: tagesschau.de. 8. August 2015. (archive.org)
- Flaw indications in the reactor pressure vessels of Doel 3 and Tihange 2. Final Evaluation Report 2015 (PDF, 1 MB)
- FANK gibt grünes Licht für Wiederhochfahren von Doel 3 und Tihange 2, Belgischer Rundfunk, 17. November 2015.
- Belgien fährt umstrittenen Atomreaktor wieder hoch. Spiegel Online, 15. Dezember 2015, abgerufen am 15. Dezember 2015
- Alexandra Endres: Ein ziemlich sicheres AKW zeit.de, 18. Dezember 2015.
- demorgen.be
- Regering Noord-Rijnland-Westfalen eist ontmanteling van Tihange na incident. In: demorgen.be. 20 Dezember 2015.
- http://www.demorgen.be/binnenland/brand-in-niet-nucleaire-deel-van-kerncentrale-legt-tihange-1-stil-b95257eb/
- Atomreaktor in Belgien: 40 Jahre alter Meiler nach Feuer wieder hochgefahren. In: spiegel.de. 26. Dezember 2015, abgerufen am 27. Dezember 2015.
- zeit.de 24. Dezember 2015: Deutsche Regierung besorgt über Weiterlaufen belgischer Atommeiler
- Jörg Münchenberg: Ein Treffen mit überschaubarem Ergebnis. In: deutschlandfunk.de. 2. Februar 2016.
- recorded European Parliament press conference: Evaluation of safety risks of nuclear power plants Doel and Tihange
- Flawed Reactor Pressure Vessels in the Belgian NPPS Doel 3 and Tihange 2. Comments on the FANC Final Evaluation Report 2015: Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 12. März 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Zu marode für kühles Kühlwasser
- Aachener Klage gegen Tihange 2 eingereicht (Memento vom 3. März 2016 im Internet Archive), WDR.de, 9. Februar 2016
- Aix-la-Chapelle au Conseil d'Etat pour faire annuler le redémarrage de Tihange 2, LaMeuse.be, 9. Februar 2016
- Belgischer Reaktor Tihange 2 – Ute Jasper im Interview bei Westpol, Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek
- Heuel-Fabianek, B., Lennartz, R. (2009): Die Prüfung der Umweltverträglichkeit von Vorhaben im Atomrecht. StrahlenschutzPRAXIS, 3/2009. Vollständiger Artikel ().
- NRW klagt gegen belgisches Atomkraftwerk Tihange WAZ vom 12. April 2016
- Belgische Pannen-Reaktoren: Druck auf Behörden steigt. Aachener Nachrichten, 23. Februar 2016, abgerufen am 23. Februar 2016.
- Huy: le réacteur de Tihange 1 à l'arrêt pour s'assurer du fonctionnement des 3 pompes de charge, LaMeuse.be, 23. Februar 2016
- ruhrnachrichten.de: NRW legt Beschwerde gegen Atomkraftwerke ein (Memento des Originals vom 9. März 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. vom 8. März 2016
- Kölner Stadt-Anzeiger: NRW will Beschwerde gegen Atomkraftwerke in Belgien einlegen vom 8. März 2016
- BBH legt im Auftrag von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Beschwerde gegen die Laufzeitverlängerung der belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel ein. (Nicht mehr online verfügbar.) 16. März 2016, archiviert vom Original am 20. Mai 2016; abgerufen am 20. Mai 2016. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- L'essentiel Online: Wiltz führt Luxemburg in den Kampf gegen Tihange vom 2. Juni 2016
- Borkener Zeitung: Niederländisches Parlament will Atomkraftwerke schließen (Memento des Originals vom 9. Juni 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. vom 7. Juni 2016
- Antrag vom 31. Mai 2016 (PDF)
- Nucléaire: il va falloir renforcer le sous-sol de Tihange. Le Soir, 15. November 2016, abgerufen am 15. November 2016 (französisch).
- www.land.nrw: Pressemitteilung
- Rheinland-Pfalz tritt der Klage gegen Tihange 2 bei In: aachener-nachrichten.de, 7. März 2017.
- Vorverteilung Jodtabletten - serviceportal.aachen.de. Abgerufen am 1. September 2017.
- Panne im belgischen Atomkraftwerk : Greenpeace ortet schwere Mängel orf.at, 11. November 2017, abgerufen am 11. November 2017.
- Atomreaktor Tihange 2 geht wieder ans Netz Zeit Online vom 24. Juni 2019
- AD.nl (19. September 2018)Betonrot in reactoren Doel en Tihange
- De Tijd (19. September 2018) Auch konkrete Zerfall in Kernreaktoren doel 4 de tihange 2
- AD.NL (24-09-2018) Belgien bittet zusätzlichen Strom, Kapazität
- Deutschlandfunk: Droht in Belgien der Blackout?
- BRF – Proteste von Atomkraftgegnern in Tihange.
- BRF – Risiko Atomkraft: Gespaltene Ansichten.
- FAZ.net / Peter Carstens 18. Januar 2015: Aachen probt die Atomkatastrophe
- wdr.de (Memento vom 15. Februar 2016 im Internet Archive)
- Tihange Alarm – Schalten Sie jetzt Tihange aus! Jetzt. Sofort. Symbolisch. In: tihange-alarm.eu. Abgerufen am 13. Dezember 2016.
- www.alemannia-aachen.de
- Deutschlandfunk: Alemannia Aachen protestiert gegen belgisches AKW
- spiegel.de 25. Juni 2017: 50.000 Menschen bilden Kette für Abschaltung von AKW
- Power Reactor Information System der IAEA: „Belgium, Kingdom of : Nuclear Power Reactors“ (englisch)
- wdr.de