Josef Joffe
Josef Joffe (* 15. März 1944 in Łódź/Polen, damals unter deutscher Besatzung „Litzmannstadt“) ist ein deutscher Publizist, Verleger und Dozent. Er ist seit April 2000 Herausgeber der deutschen Wochenzeitung Die Zeit.[1]
Leben
Jugend und Studium
Joffe kam während der deutschen Besetzung in der polnischen Stadt Łódź zur Welt, die von den Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges in Litzmannstadt umbenannt worden war. Seine Familie war jüdischen Glaubens und zog nach Kriegsende ins von den Alliierten besetzte West-Berlin, wo er den Rest seiner Jugend verbrachte. Anschließend studierte Joffe in den USA, wo er 1967 den M.A. in International Studies an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University und 1975 den Ph.D. in Politologie an der Harvard University erlangte.[2]
Journalismus
Seine journalistische Karriere begann Joffe 1976 bei der Wochenzeitung Die Zeit, erst als politischer Redakteur, dann als Chef des Ressorts Dossier. Von 1985 bis 2000 war Joffe Leiter des Ressorts Außenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung. Im April 2000 wurde er neben Helmut Schmidt Herausgeber der Zeit, während Theo Sommer die Aufgabe des „Editor at large“ übernahm. Im Januar 2001 wurde Michael Naumann ebenfalls Zeit-Herausgeber. Von 2001 bis 2004 war Joffe gemeinsam mit Naumann auch Chefredakteur der Zeitung.[1]
Im Ausland sind seine Aufsätze und Artikel in namhaften Medien erschienen: dem New York Review of Books, dem New York Times Book Review, dem Times Literary Supplement, in Commentary, im New York Times Magazine, in der New Republic, dem Weekly Standard, in Prospect (London) und Commentaire (Paris). Er ist regelmäßig Autor im Wall Street Journal, der New York Times und der Washington Post, in Time und Newsweek.[3]
Eine starre Zuordnung zu bestimmten Gruppen versucht Joffe nach eigener Aussage zu vermeiden. Er finde „Ideen interessanter als Identitäten“.[4] Mit der Redaktionsleitung der Zeitdossiers und in seiner heutigen Position als Herausgeber war Joffe lange nicht auf ein bestimmtes Themenfeld festgelegt. Ein Schwerpunkt seiner Artikel, Bücher und Forschungstätigkeit liegt aber auf außenpolitischen Themen und der internationalen Stellung der Bundesrepublik und Europas im Verhältnis zu den USA und Israel. Die Bandbreite seiner Arbeiten zeigt u. a. seine Beteiligung, zusammen mit seiner Frau, an der Übersetzung von Art Spiegelmans Comic Maus – Die Geschichte eines Überlebenden ins Deutsche. In der Zeit-Beilage veröffentlicht er auch Automobilkolumnen[5]
Joffe galt bei Beginn des Irak-Krieges als Befürworter[6][7] der US-amerikanischen Politik und Kritiker der Position der deutschen Bundesregierung. Angesichts möglicher Bedrohungen durch den Iran hat er diese Position mittlerweile geändert und hält den Irakkrieg für einen strategischen Fehler speziell der US-Amerikaner.[8] In der Ukraine-Krise bezeichnete er Kritiker der amerikanischen Außenpolitik als „Russlandversteher“ und warf ihnen Verharmlosung, Zweckoptimismus und Hilflosigkeit vor.[9]
Mitgliedschaften
Joffe war und ist in zahlreichen Organisationen, Kuratorien und Gremien engagiert, so beim Deutschen Museum in München, dem Aspen Institute Berlin, der Jacobs University Bremen, der Atlantik-Brücke (bis 2008) der Hoover Institution und der American Academy in Berlin. Als Vertreter einer Wiederherstellung des traditionsreichen deutschen Reformjudentums engagiert er sich unter anderem als Kuratoriumsvorsitzender des nach Abraham Geiger benannten Rabbinerseminars.[10] Er ist auch Mitglied im Verwaltungsrat des Leo Baeck Institut New York, bei der Ben-Gurion-Universität des Negev sowie des Jugendbildungswerks Humanity in Action in Berlin. Er ist Beirat der Hypovereinsbank, der Goldman Sachs Foundation, Mitglied der Trilateralen Kommission, dem International Institute for Strategic Studies und der Münchner Sicherheitskonferenz.[3] Er ist Beirat des Aspen Institut[11], Autor und im Vorstand im American Institute for Contemporary German Studies.[12][13]
Er ist zudem Mitglied in den folgenden Redaktionsbeiräten: „International Security“ (Harvard/MIT),[14] „The American Interest“[15] (Washington), „Prospect“ (London)[16] und „Internationale Politik“ (Berlin).
Die Mitgliedschaft in, nicht jedoch die Teilnahme („Participant“) an einigen der genannten Institutionen wird von Joffe bestritten.[17] Joffe wurde in der ZDF-Kabarett-Sendung „Die Anstalt“ vom 29. April 2014 in diesem Zusammenhang Vernetzung mit Thinktanks und politischen Eliten vorgeworfen. Joffe wies dies zurück und bezeichnete die der Sendung zugrunde liegende Untersuchung von Uwe Krüger als „keine gute Wissenschaft“.[18] Er erwirkte beim Landgericht Hamburg eine vorübergehende einstweilige Verfügung gegen das ZDF, wonach dieses nicht behaupten dürfe, er sei Mitglied, Beirat oder Vorstand von acht Organisationen,[19] wobei die Verfügung wieder aufgehoben wurde.[20] Im Hauptsacheverfahren wurde seine Klage im Hinblick auf den satirischen Charakter der Sendung im November 2014 abgewiesen.[21][22] Das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg hob dieses Urteil auf Joffes Berufung hin am 9. September 2015 auf.[23][24] Am 10. Januar 2017 verwarf der Bundesgerichtshof das Urteil des OLG Hamburg und folgte der Auffassung der ersten Instanz, dass die satirische Darstellung eines Sachverhalts auch Ungenauigkeiten enthalten dürfe.[25] Demnach wurden Joffes Klage letztinstanzlich abgewiesen.
Lehrtätigkeit
Als Dozent für internationale Politik lehrte Joffe in München, an der Johns-Hopkins-Universität, in Harvard sowie in Stanford.[3]
Privates
Joffe lebt in Hamburg, ist mit der Journalistin Christine Brinck verheiratet und hat zwei Töchter, das Model Jessica Joffe und die Kuratorin Janina Joffe.[26][27]
Auszeichnungen
- 1983: Theodor-Wolff-Preis
- 1996: Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland
- 1998: Ludwig-Börne-Preis
- 2012: Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik
Werke
- Friede ohne Waffen? Der Streit um die Nachrüstung. Heyne, München 1981, ISBN 3-453-01524-X.
- Das waren die Achtziger Jahre. Rückblick auf ein Jahrzehnt, das uns bevorsteht. Rowohlt, Reinbek 1982, ISBN 3-499-14887-0 (zusammen mit Michael Naumann u. a.)
- Eroding Empire. Western relations with Eastern Europe. The Brookings Institution, Washington, D.C. 1987, ISBN 0-8157-3213-9.
- The Limited Partnership. Europe, the United States, and the burdens of alliance. Ballinger, Cambridge, Mass. 1987, ISBN 0-88730-216-5.
- A Century's Journey. How the great powers shape the world. Basic Books, New York 1999, ISBN 0-465-05475-7 (zusammen mit Robert A. Pastor u. a.).
- Die Hypermacht. Warum die USA die Welt beherrschen. Hanser, München 2006, ISBN 3-446-20744-9.
- Schöner denken. Wie man politisch unkorrekt ist. Piper, München 2007, ISBN 3-492-05016-6 (zusammen mit Dirk Maxeiner, Michael Miersch, Henryk M. Broder).
- Hypermacht und Friedensmacht: Die Zukunft der europäisch-amerikanischen Beziehungen. Robert-Bosch-Stiftung, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-939574-07-1.
- Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß. Der jüdische Humor als Weisheit, Witz und Waffe. Siedler Verlag, 2015.
Weblinks
- Literatur von und über Josef Joffe im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biografie von Josef Joffe auf der Seite der Bosch-Stiftung
- eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
Einzelnachweise
- Chronik. Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, abgerufen am 15. April 2013.
- Dr. Josef Joffe. Robert Bosch Stiftung, abgerufen am 15. April 2013.
- Josef Joffe, PhD. Stanford University, archiviert vom Original am 7. August 2014; abgerufen am 3. Juni 2014 (englisch).
- «Ich bin kein Giordano». Jüdische Zeitung, September 2006, archiviert vom Original am 16. Juli 2010; abgerufen am 12. September 2013.
- Christine Brinck und Josef Joffe: Audi Q3 2.0 TDI quattro: Von A nach B. In: zeit.de. 11. Dezember 2012, abgerufen am 2. Dezember 2014.
- Ein anderer Krieg. Zeit Online, 4. Oktober 2001, abgerufen am 12. September 2013.
- Cowboy-Imperialist, dummer Sozialist, gezügelter Pazifist. Zeit Online, abgerufen am 12. September 2013.
- "Das falsche Schwein geschlachtet". ORF, 5. Oktober 2006, abgerufen am 12. September 2013.
- Josef Joffe: Russlandversteher – Psychologen, Ultra-Realisten, Wirtschaftsvertreter: Eine kleine Typologie von Josef Joffe. In: zeit.de. 20. März 2014, abgerufen am 2. Dezember 2014.
- Gremien. Abraham Geiger Kolleg, archiviert vom Original am 19. November 2013; abgerufen am 12. September 2013.
- Aspen Review — Advisory Board (Memento vom 19. Mai 2014 im Internet Archive)
- AICGS. In: AICGS. Abgerufen am 18. Oktober 2020 (amerikanisches Englisch).
- Josef Joffe in der Notable Names Database (englisch); abgerufen am 18. Oktober 2020
- International Security - Editorial Board. Harvard University, abgerufen am 3. Juni 2014 (englisch).
- Masthead. The American Interest, archiviert vom Original am 10. September 2006; abgerufen am 12. Juni 2014.
- Staff. Prospect, archiviert vom Original am 27. April 2006; abgerufen am 12. Juni 2014.
- Einstweilige Verfügung gegen "Die Anstalt": Zeit-Journalisten wehren sich gegen ZDF-Satire | MEEDIA. 29. Juli 2014, abgerufen am 18. Oktober 2020.
- Marcus Klöckner: Leitartikler und Machteliten. In: Telepolis. 23. Mai 2014, abgerufen am 2. Dezember 2014.
- Einstweilige Verfügung gegen "Die Anstalt": Zeit-Journalisten wehren sich gegen ZDF-Satire. MEEDIA, 29. Juli 2014, abgerufen am 18. Oktober 2020.
- Hamburger Abendblatt - Hamburg: Einstweilige Verfügung gegen „Die Anstalt“ aufgehoben. 6. Oktober 2014, abgerufen am 18. Oktober 2020.
- "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe scheitert mit Klage gegen ZDF. In: Hamburger Abendblatt. 21. November 2014, abgerufen am 13. Dezember 2014.
- LG Hamburg, 21.11.2014 - 324 O 435/14. Abgerufen am 18. Oktober 2020.
- LTO: Die Anstalt verliert vor OLG Hamburg gegen Die Zeit. Abgerufen am 7. Oktober 2019.
- Markus Kompa: OLG Hamburg versteht keinen Spaß: Satiriker müssen genau recherchieren. Abgerufen am 7. Oktober 2019.
- "Zeit"-Journalisten scheitern mit Klage gegen ZDF-Satire, Spiegel-Online vom 10. Januar 2017
- Profil bei der Medientagung M100 in Potsdam (Memento vom 12. September 2012 im Webarchiv archive.today) via Internet Archive
- Sister Act: Jessica and JaninaJoffe. In: Avenue32. 11. Dezember 2011, archiviert vom Original am 22. Februar 2012; abgerufen am 16. Februar 2021.