Jürgen Wittdorf
Jürgen Wittdorf (* 25. Juli 1932 in Karlsruhe; † 2. Dezember 2018 in Berlin) war ein deutscher Maler und Grafiker. Er wurde vor allem durch seine Buchillustrationen und seine zum Teil großformatigen Holz- und Linolschnitte bekannt.
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Leben
Jürgen Wittdorf absolvierte seine schulische Ausbildung in Königsberg. Bereits 1950 wurde er Mitglied eines Grafikzirkels in Stollberg im Erzgebirge. Er studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und arbeitete anschließend von 1952 bis 1957 freischaffend in Leipzig. 1957 wurde er Mitglied des Verbands Bildender Künstler der DDR (VBK). Zugleich begann er eine Lehrtätigkeit an der Volkshochschule Leipzig, die er von 1959 bis 1964 als Lektor am Pädagogischen Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig fortsetzte.[1]
Nachdem er erneut freischaffend in Leipzig gearbeitet hatte, zog Wittdorf 1970 nach Ost-Berlin und war bis 1970 Meisterschüler an der dortigen Akademie der Künste bei Lea Grundig. Anschließend arbeitete er als Zirkelleiter im Haus der jungen Talente (HdjT) und lehrte von 1975 bis zu seinem Ruhestand 1991 im Haus des Lehrers.[1]
Wittdorf verbrachte seinen Lebensabend in einer Berliner Behinderten-Wohngemeinschaft und starb dort im Alter von 86 Jahren.[2]
Alle Bilder aus dem künstlerischen Nachlass wurden nach seinem Tod in zwei Sammelposten versteigert. Die gerahmten Bilder, die in Wittdorfs Wohnung hingen, ersteigerte der Galerist Jan Linkersdorff und die zahlreichen Mappen mit den ungerahmten Werken sind heute Teil der Sammlung Kollek.[3]
Werk
1961/62 schuf Wittdorf den aus neun Holzschnitten bestehenden Zyklus Für die Jugend, der ihn in den darauf folgenden Jahren in der gesamten DDR bekannt machte. Wittdorfs Darstellung von Jugendlichen als sogenannte Halbstarke stellte einen Bruch mit den gängigen Konventionen der Kunst in der DDR dar, da sie Moralvorstellungen und Geschlechterrollen der Zeit zu hinterfragen schien.[4] Jenseits von mythischer Überhöhung spiegelt das Werk den Wunsch der Jugend nach Veränderung und einem Leben jenseits der deutschen Nachkriegsspießigkeit.[5] 1963 wurde Wittdorf der Kunstpreis der FDJ verliehen. Im selben Jahr wurde Für die Jugend als großformatige Grafikmappe im Verlag Junge Welt in einer Auflage von 10.000 Stück herausgegeben.[6]
1964 entwarf Wittdorf den Zyklus Jugend und Sport, eine Auftragsarbeit für den Neubau der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Die Arbeit stellt den männlichen Körper in den Mittelpunkt und trägt klar homoerotische Züge, die so wohl einzig in der Kunst der DDR dasteht.[4] Im selben Jahr kaufte er ein über hundert Jahre altes Fachwerkhaus in Carwitz, das er selbst sanierte und von da an in den Sommermonaten bewohnte.
2004 fand im Schwulen Museum die erste Ausstellung nach 1989 zu Jürgen Wittdorfs Schaffen statt, wodurch eine Wiederentdeckung des Künstlers eingeleitet wurde.[4][7] Eine von Wittdorf gestaltete Keramikwand im Sportforum Hohenschönhausen wurde in der Zeit nach der Wende zerstört.[5]
Werke (Auswahl)
- 1959 Holzschnitt Paar
- 1961 Zyklus Für die Jugend (9 Holzschnitte; ausgestellt 1962/63 auf der 5. Deutschen Kunstausstellung in Dresden)[8]
- 1963/64 Holzschnitt Brigade der Sportstudenten[9]
- 1963/64 Holzschnitt Unter der Dusche
- 1964 Zyklus Jugend und Sport
- 1964 Wandbild Mädchen mit Tauben am Verwaltungsgebäude des VEB Molkerei Döbeln (Sgraffitotechnik)
- 1973 Zyklus Jugend * DDR 25
- Umschlaggestaltung mehrerer Bände der Insel-Bücherei
- Beiträge für die Greifenkalender im Greifenverlag (u. a. 1953, 1959, 1957)
Ausstellungen (Auswahl)
Einzelausstellungen von Jürgen Wittdorf wurden in Polen, der CSSR, Finnland und der Sowjetunion gezeigt. Ausstellungen der letzten Jahre:
- 2007 Galerie Pohl, Berlin-Pankow: Jürgen Wittdorf – Holzschnitte
- 2007 Kunstverein Feldberger Land e. V.: 75 Jahre Jürgen Wittdorf, 55 Jahre Künstler, 44 Jahre Carwitzer
- 2007 Kutscherhaus, Berlin: Jürgen Wittdorf – Jubiläumsausstellung mit Malerei, Grafik und Fotografie zum 75.
- 2009 Eisenherz Buchladen, Berlin: Zeitfenster, Zeichnungen aus den Jahren 1958 bis 2007
- 2011 Stiller Don, Berlin: Jugend und Sport, Holzschnitte
- 2011 Ausstellungsräume HS-SOLID, Berliner Town & Country -Lizenzpartner: Zyklus für die Jugend (aus Anlass des 50. Jahrestages wurden die Original-Holzschnitte des Zyklus gezeigt)
- 2012 Kino Krokodil, Berlin: Mannsbilder
- 2012 Bar jeder Sicht, Mainz: Druckgrafiken von Jürgen Wittdorf
- 2012/13 Schwules Museum: Chronist des DDR-Alltags. Dem Grafiker Jürgen Wittdorf zum 80. Geburtstag, kuratiert von Andreas Sternweiler
- 2012/13 SCHMIT-Z, Trier: Druckgrafiken von Jürgen Wittdorf
- 2013 GBM -Galerie, Berlin: Jürgen Wittdorf – Zeugnisse aus sechs Jahrzehnten
- 2013 Stadthaus – Museum Lichtenberg: Durchs Leben gezeichnet, Zeichnungen aus sechs Jahrzehnten
- 2020 Jürgen Wittdorf: Lieblinge, Arbeiten von 1952 – 2003, KVOST, Berlin (Kunstverein Ost. e.V.)[10][11], kuratiert von Stephan Koal, Katalog: Jürgen Wittdorf: Lieblinge: (Deutsch/Englisch), Stephan Koal, Jan Linkersdorff (Hrsg.): Berlin: DISTANZ Verlag 2020, ISBN 978-3-95476-340-5
Ausstellungen im Rahmen der Kunstausstellung der DDR in Dresden
1958 – Vierte Deutsche Kunstausstellung
- Zyklus „Tiermütter“, Blatt 1–3 und Kreidezeichnung Ruhende Ponyherde
1962 – Fünfte Deutsche Kunstausstellung
- Zyklus „Für die Jugend“ und Holzschnitt Für Abschluss eines Friedensvertrages
1972/73 – VII. Kunstausstellung der DDR
- Tuschezeichnung Dolmetscherin Tamara (aus der Folge Porträts aus der Sowjetunion)
Weitere Ausstellungsbeteiligungen
- 1961 Akademie der Künste Jahresausstellung
- 1963 Kunstkaten Ahrenshoop: Ausstellung junger Künstler
- 1964/65 Museum der Stadt Greifswald (zusammen mit Gabriele Meyer-Dennewitz, Helmut Maletzke und Werner Schinko)
- 1965 500 Jahre Kunst in Leipzig (Ausstellung zur 800-Jahr-Feier der Stadt)
Literatur (Auswahl)
Buchillustrationen
- 1959 Witali Walentinowitsch Bianki Der Einzelgänger (Verlag Kultur und Fortschritt, Berlin)
- 1959 Richard Krumbholz: Auf Orchideenjagd (Verlag Neues Leben, Berlin)
- 1963 Anatoli Anatoljewitsch Durow Tiere im Zirkus (Der Kinderbuchverlag, Berlin)
- 1966 Oleg Erberg Der Elefantentreiber (Verlag Kultur & Fortschritt, Berlin)
- 1967 Klaus Hallacz Die goldene Brücke. Märchen und Sagen aus dem Spreewald (Der Kinderbuchverlag, Berlin)
Sekundärliteratur
- 1965 Volker Braun: Provokation für mich (Mitteldeutscher Verlag Halle). In der ersten Auflage des Buches sind Gedichte zu Wittdorfs Zyklus Für die Jugend zu finden.
- 1965 Wolfgang Hütt: Junge Bildende Künstler der DDR (VEB Bibliographisches Institut Leipzig)
- 2011 Franz Werner: Zyklus für die Jugend und andere Druckgrafiken 1958-1988 (HS – Solid Bautreuhand, Berlin, ISBN 3981411927)
- 2013 Michael Sollorz: Meisterschüler in der Braunkohle. Der Grafiker Jürgen Wittdorf (Friedrichshainer Chronik, Titel und Seiten 18 bis 23, März 2013)
- 2013 Franz Werner: Von Tiermüttern und Kindern – Tischkalender 2014 (HS – Solid Bautreuhand, Berlin, ISBN 978-3-9814119-9-7)
Rezeption
Der Schriftsteller und Dramatiker Volker Braun thematisierte Wittdorfs Zyklus in der ersten Ausgabe seines Buches Provokation für mich, die 1965 im Mitteldeutschen Verlag herauskam. Der Komponist Helmut Kontauts nahm den Zyklus als Basis für sein Musical Junge Leute in einer großen Stadt (Ein Zyklus wird lebendig).[1]
Auszeichnungen
- 1960, 1974, 1977: Aktivist der sozialistischen Arbeit
- 1963: Erich-Weinert-Medaille (Kunstpreis der FDJ)
- 1974: Medaille für hervorragende Leistungen bei der sozialistischen Erziehung in der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“
- 1984: Arthur-Becker-Medaille in Gold und Ehrennadel für Verdienste im sozialistischen Bildungswesen
- 1986: Medaille „Für hervorragende propagandistische Leistungen“
- 1988: Kurt-Barthel-Medaille
Weiteres
2020 Katalog: Jürgen Wittdorf: Lieblinge, Arbeiten von 1952 – 2003 : (Deutsch/Englisch), Stephan Koal, Jan Linkersdorff (Hrsg.): Berlin: DISTANZ Verlag 2020, ISBN 978-3-95476-340-5
Jürgen Wittdorf ist einer der Protagonisten des Dokumentarfilms Unter Männern – Schwul in der DDR von Ringo Rösener und Markus Stein.
Weblinks
- Sammlung Jürgen Wittdorf
- Literatur von und über Jürgen Wittdorf im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Jürgen Wittdorf in der Internet Movie Database (englisch)
- Peter Michel: Ein Zyklus wird lebendig. In: jungewelt.de. 29. Dezember 2018 (Nachruf).
- Information zur Ausstellung Durchs Leben gezeichnet
- Informationen zum künstlerischen Nachlass
Einzelnachweise
- Vgl. Peter Michel: Ein Zyklus wird lebendig. Lebenswerk für Junggebliebene: Eine Erinnerung an Jürgen Wittdorf (25.7.1932–2.12.2018). In: jungewelt.de. 29. Dezember 2018, abgerufen am 29. Dezember 2018.
- Unter Männern. Abgerufen am 13. Mai 2020.
- Wittdorf, Jürgen, auf www.juergen-wittdorf.de
- Vier Jahrzehnte — Vier Künstler – SMU. Abgerufen am 13. Mai 2020 (deutsch).
- Drucke von Jürgen Wittdorf im SMU-Archiv – SMU. Abgerufen am 13. Mai 2020 (deutsch).
- Schwuler Chronist des DDR-Alltags: Zum Tod des Künstlers Jürgen Wittdorf. Abgerufen am 13. Mai 2020.
- https://www.tagesspiegel.de/kultur/im-osten-erfolgreich-im-westen-frei-die-geschichte-des-schwulen-ddr-malers-juergen-wittdorf/26148218.html
- Bildindex der Kunst & Architektur
- Ingeborg Ruthe: Die schwule Baubrigade. In: Berliner Zeitung, Berlin, 28. August 2020, S. 16
- Pirckheimer-Blog, 5. August 2020
- Bilder für die Schwulen der DDR, queer.de, 28. August 2020, abgerufen am 29. August 2020.