Sgraffito
Der Begriff Sgraffito (Plural: Sgraffiti) ist vom italienischen Verb sgraffiare oder graffiare, deutsch kratzen, abgeleitet.[1] Es handelt sich um eine Dekorationstechnik zur Bearbeitung von Wandflächen. Nach der Auflage verschiedenfarbiger Putzschichten werden Teile der oberen Putzschicht abgekratzt und Teile der darunterliegenden Putzschicht freigelegt, sodass durch den Farbkontrast ein Bild erzeugt wird.[2] Die Technik wurde besonders im Italien und Böhmen des 16. Jahrhunderts benutzt, findet aber bis in die heutige Zeit Verwendung durch Stuckateurhandwerker. Sgraffito wird daher zu den Stucktechniken gezählt. Analog dazu werden auch bestimmte „Kratztechniken“ bei anderen Farbauftragsarten als Sgraffito bezeichnet (z. B. in der Aquarellistik).
Verbreitung
Eine große Rolle spielte die Sgraffitotechnik Jahrzehnte hindurch während der Renaissance in Italien. Im 16. Jahrhundert wurde sie von den Renaissancebaumeistern nach Deutschland und Österreich gebracht und von den gestaltenden Handwerkern mit Begeisterung aufgenommen. Auch wurde die Putztechnik in Thüringen, Sachsen sowie in Vierlanden, in Österreich und in Siebenbürgen angewandt. Vor allem aber ist sie in Bayern verbreitet, z. B. im Innenhof des Stadtschlosses in Neuburg an der Donau. Auch bei der St. Gallus-Kirche in Neugalmsbüll (Schleswig-Holstein) ist mit der Technik gearbeitet worden. Im Kanton Graubünden, speziell im Engadin und den Südtälern (Engadinerhaus), ist das Sgraffito ein sehr häufiges Element an historischen wie auch neueren Bauten und gilt als Teil der Baukultur.
Vorherrschend sind heimatliche Motive. Des Weiteren sind Sgraffiti für die Gestaltung von Hausfassaden zu Reklamezwecken gebräuchlich. In Kombination mit ornamentalem Schmuck bedeutete diese Gestaltungstechnik eine Alternative zur üblichen Wandmalerei.
Technik
Der handwerkliche Vorgang ist einfach, aber zeitkritisch. Die Vorbedingungen sind die gleichen wie bei der Freskomalerei: Über einen groben, dünnflüssig gehaltenen Spritzbewurf wird eine nicht zu starke Ausgleichschicht aus Sumpfkalk und scharfem Sand 1:3 angeworfen und nur mit der Richtlatte abgezogen. Darüber zieht man, nicht stärker als 0,5 cm, eine Mörtelschicht von gleichem oder nur wenig kalkreicherem Mischungsverhältnis auf, die mit einem licht- und kalkechten Pigment durchgefärbt ist.
Dieser Schicht folgt eine weitere, bei welcher meistens der natürliche Mörtel-Farbton belassen wird, der lediglich durch die Farbe des Sandes verschieden ausfällt. An deren Stelle darf auch eine einfache Kalktünche treten, die mit breiter Bürste in zwei bis drei Lagen aufgestrichen wird und gegebenenfalls noch abgefilzt oder mit einer Glättscheibe sauber abgezogen wird. Der Stuckateur ritzt, schneidet oder kratzt in den frischen, weichen Putz Linien und Flächen, so dass die durchgefärbte Schicht gerade sichtbar wird. Dazu dienen verschieden geformte Schlingen und geschmiedete Kratzeisen. Das Problem für den Handwerker ist dabei, dass die Arbeit fertig sein muss, bevor die oberen Putzschichten abgebunden sind, weshalb die Größe der in einem Zug bearbeiteten Fläche begrenzt ist.
Bei mehrfarbigen Sgraffiti ist die Technik schwierig, da der Bildaufbau umgekehrt werden muss: Zuerst werden die Details angelegt, die Umrisse werden erst zum Schluss sichtbar. Daher ist zur Erstellung eine umfangreiche Vorausplanung erforderlich. Beliebt ist die Technik wegen ihrer langen Haltbarkeit auch unter ungünstigen Witterungsbedingungen.
Neuerdings besteht ein unverkennbar gesteigertes Interesse für diese alte Technik, da man sie sehr gut als künstlerisches Ausdrucksmittel in ihren verschiedenen Ausführungsarten einsetzen kann. Gleichzeitig sind alte Sgraffiti durch die nachträgliche Wärmedämmung von Gebäuden gefährdet, da sie häufig durch die Dämmung und anschließenden neuen Verputz bzw. Verkleidung verdeckt werden.
- Sgraffito-Haus in Weitra
- Riederhaus in Althofen, Kärnten, Österreich
- Sgraffito in Guarda (Graubünden, Schweiz)
- Mehrfarbiges Sgraffito in Steyr
- Hermann Glöckner und Frau beim Anbringen der Wandsonnenuhr an einem Wohnhaus, 1938
- Chasa da L`Üja in Scuol (Sgraffito von Steivan Liun Könz, erstellt 1992)
- Sgraffito von Albert Wider, 1952, am Kindergarten in Widnau, SG
Siehe auch
Eine dem Sgraffito ähnliche Technik ist der in Hessen und Umgebung verbreitete Hessische Kratzputz, bei dem zwar auch an einer Putzschicht gekratzt wird, zu dem aber doch einige Unterschiede bestehen.
Eine vereinfachte Variante des Sgraffito ist die Listeltechnik. Hierbei werden die aus einer dicken Putzschicht, meist mit Hilfe einer Listelschiene ausgeschnittenen Motive mit andersfarbigem Putz ausgefüllt und die Oberfläche kann auch ohne Relief erscheinen.[3]
Hingegen werden durch Farbauftrag, zum Beispiel mittels Sprühdosen erzeugte Wandbilder Graffiti genannt.
Literatur
- Kurt Wehlte: Werkstoffe und Techniken der Malerei, Otto Maier Verlag, Ravensburg 1967, ISBN 3-473-61157-3, spätere Auflagen: ISBN 3-473-48359-1, bearbeitet: Urania-Verlag Stuttgart, ISBN 978-3-332-01665-9.
- Albert Knoepfli; Oskar Emmenegger: Wandmalerei bis zum Ende des Mittelalters. In: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Band 2, Wandmalerei und Mosaik. Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1990, ISBN 3150103452, S. 106–109.
Weblinks
- Julia Ricker: Gekratzte Idylle. Fassaden-Sgraffiti der 1950er- und 1960er-Jahre, in: Monumente 1.2017
Einzelnachweise
- Urs Oskar Keller: Das Sgraffito: Mehr als nur Dekoration oder Volkskunst. In: Applica: Zeitschrift für das Maler- und Gipsergewerbe. Nr. 17, 2007, S. 28 (Download [PDF]).
- Sgraffito. In: Angela Weyer et al. (Hrsg.): EwaGlos. European Illustrated Glossary Of Conservation Terms For Wall Paintings And Architectural Surfaces. English Definitions with translations into Bulgarian, Croatian, French, German, Hungarian, Italian, Polish, Romanian, Spanish and Turkish. Michael Imhof, Petersberg 2015, ISBN 978-3-7319-0260-7, S. 102, doi:10.5165/hawk-hhg/233 (Download).
- Georg J. Kolbe: Sgraffito und Listeltechnik, in: Saint-Gobain-Weber (Hrsg.): Die Kunst der Putzfassade, Leinfelden-Echterdingen: Konradin, 2018, S. 62–65.