Herzogtum Aquitanien
Das Herzogtum Aquitanien war eines der wichtigsten Feudalterritorien im mittelalterlichen Frankreich.
Geschichte
Historische Grundlage dieses Landes war die antike römische Provinz Gallia Aquitania, die damals das gesamte Zentral- und Südwestfrankreich umfasste. In der Spätantike wurde die Provinz in Aquitania prima, Aquitania secunda und Aquitania tertia geteilt, die nach der Völkerwanderung zum Reich der Westgoten gehörten. Nach deren Niederlage in der Schlacht von Vouillé 507 wurde Aquitanien in das Reich der Franken aufgenommen.
Während des 6. bis 8. Jahrhunderts entsprach das Territorium des aquitanischen Dukats noch dem der alten römischen Provinz, also alles Land südlich der Loire bis zu den Pyrenäen mit Ausnahme der Provinz Gallia Narbonensis. Zum Ende des 8. Jahrhunderts ging das Gebiet von Aquitania tertia um Bordeaux an die zuziehenden Basken (Vasconen) verloren, die darauf das Herzogtum Gascogne gründeten.
Am Anfang des 10. Jahrhunderts hatte sich das Toulousain, das Land um der Stadt Toulouse, vom übrigen Aquitanien separiert. Aquitanien verlor damit seine Grenzlage zu den Pyrenäen und deshalb umfasste das Herzogtum bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts weitestgehend die heutigen Regionen Poitou-Charentes, Limousin und Auvergne, sowie die Départements Vendée, Dordogne und Lot.
Im 13. Jahrhundert zerfiel das hochmittelalterliche Aquitanien. Dem Inhaber des herzoglichen Rechtstitels verblieb lediglich mit der Saintonge und dem Périgord zwei Landschaften Aquitaniens, auf der sich nun das Herzogtum beschränkte. Zusammen mit der südlich gelegenen Gascogne setzte sich für dieses Gebilde im späten Mittelalter die Bezeichnung „Guyenne“ durch. Das Gebiet der Guyenne entsprach dabei dem der heutigen französischen Region Aquitanien.
Herzöge von Aquitanien unter fränkischen Herrschern
Die Herrschaft der fränkischen Könige aus dem Geschlecht der Merowinger war in Aquitanien nur schwach ausgeprägt, da sich das Zentrum ihres Reiches in Neustrien und Austrasien nördlich der Loire befand. Stattdessen regierten von den Königen eingesetzte Herzöge (dux). Seit dem frühen 8. Jahrhundert war Aquitanien dem Zuzug der Basken ausgesetzt, die im Südwesten mit der Gascogne ein eigenes Herrschaftsgebiet gründeten. Gleichzeitig mussten die Herzöge das Land gegen die Raubzüge der Mauren verteidigen, die über die Pyrenäen vordrangen und die benachbarte Narbonensis (Septimanien) besetzten.
Aufgrund der Schwäche der späten Merowingerkönige während der Abwehrkämpfe gelang es der Familie des Herzogs Eudo, sich als erbliche Fürsten in Aquitanien zu etablieren.
Name | Regierungszeit | Verwandtschaft | Anmerkungen |
---|---|---|---|
Merowinger | |||
Chlodwig I. | 507–511 | ohne offiziellen Titel | |
Kondominium der fränkischen Könige | 511–555 | ||
Chram | 555–560 | Sohn von Chlothar I. | Unterkönig |
Chlothar I. | 560–561 | ohne offiziellen Titel | |
Kondominium der fränkischen Könige | 561–583 | ||
Desiderius & Bladast | 583–584 | Herzöge | |
Gundowald | 584–585 | Gegenkönig Guntrams | |
Desiderius & Bladast | 585–587 | Herzöge nach der Episode Gundowalds | |
Astrobald | 587–589 | ||
Sereus | 589–592 | ||
Chlothar II. | 592–629 | Personalunion, alleiniger König der Franken | |
Charibert II. | 629–632 | Sohn von Chlothar II. | Unterkönig in Aquitanien |
Chilperich | 632 | Sohn Chariberts II. | † kurz nach seinem Vater; als Herrscher nur in der Charta von Alaon angedeutet[1] |
Verschiedene Häuser | |||
Boggis | vielleicht um 640/650 | in der Vita Landberti episcopi Traiectensis erwähnt[2] | |
Felix | 660–675 | ||
Gascogne | |||
Lupus I. | 675–676/710 | ||
Eudo | 700–735 | eventuell Sohn von Lupus | |
Hunold | 735–745 | Sohn seines Vorgängers | |
Waifar | 745–768 | Sohn seines Vorgängers | |
Hunold (II.) | 769 | wohl naher Verwandter Waifars | siehe Artikel Hunold |
Das karolingische Unterkönigtum Aquitanien
Nachdem die Karolinger durch Pippin den Kurzen und vor allem durch Karl den Großen zum Ende des 8. Jahrhunderts Aquitanien ihrer Herrschaft unterwerfen konnten, richteten sie dort ein Unterkönigtum ihrer Dynastie ein. Dabei wurden meist unmündige oder jüngere Söhne der Dynastie als Könige eingesetzt, über ihnen gebot der König des Gesamtreichs bzw. seit der Teilung von Verdun 843 der König des westfränkischen Reichs. König Pippin II. versuchte Aquitanien als ein Teilreich, gleichberechtigt mit dem West-, Mittel- und Ostreich, zu etablieren, unterlag aber gegen seinen Onkel Karl den Kahlen. In dieser Zeit wurde Aquitanien besonders von den Raubzügen der Normannen gezeichnet.
Name | Regierungszeit | Verwandtschaft | Anmerkungen |
---|---|---|---|
Karolinger | |||
Ludwig der Fromme | 781–814 | Sohn Karls des Großen | 778–790: Chorso (dux) 790–806: Wilhelm von Aquitanien (dux) |
Pippin I. | 814–838 | Sohn seines Vorgängers | |
Karl der Kahle | 838–845 | Sohn Ludwigs des Frommen | In Personalunion |
Pippin II. | 845–848 | Sohn Pippins I. | |
Karl der Kahle | 848–855 | Sohn Ludwigs des Frommen | 2. Mal in Personalunion |
Karl das Kind | 855–863 | Sohn Karls des Kahlen | |
Karl der Kahle | 863–865 | Sohn Ludwigs des Frommen | 3. Mal in Personalunion |
Karl das Kind | 865–867 | Sohn Karls des Kahlen | |
Ludwig der Stammler | 867–879 | Sohn Karls des Kahlen | In Personalunion |
Karlmann | 879–884 | Sohn seines Vorgängers | seit 882 König im gesamten Westfränkischen Reich |
Das Herzogtum Aquitanien
Unter den letzten karolingischen Königen des westfränkischen Reichs zerfiel, zusätzlich verstärkt durch ihren Machtkampf mit den Robertinern/Kapetingern, die königliche Zentralmacht und in den Provinzen etablierten sich selbstständige Dynastien, erblich gewordene Grafen, welche die Könige allenfalls nur noch nominell als Oberherren anerkannten. Im aquitanischen Regnum waren es vor allem die Wilhelmiden (auch Gellones genannt) mit ihrem Zentrum in der Auvergne und die Ramnulfiden im Poitou, von denen letztere zeitweise den Titel eines "dux" führten. Die Wilhelmiden nahmen dabei aber die führende Position des Landes ein, so dass Wilhelm der Fromme 909 den Titel eines „Herzogs von Aquitanien“ ("dux Aquitanorum") annehmen konnte, der 919 auch von König Karl III. dem Einfältigen anerkannt wurde. 927 konnten schließlich die Ramnulfiden das Erbe der Wilhelmiden antreten. Das Herzogtum umfasste neben dem Poitou, die Saintonge, das Angoumois, das Périgord, die Marche, das untere Berry, die Auvergne und das Limousin. Die ursprünglich zu Aquitanien gehörende Grafschaft Toulouse hatte sich hingegen zu Beginn des 10. Jahrhunderts separiert und bildete fortan ein eigenständiges Fürstentum. Die Herzogsgewalt in Aquitanien war im Gegensatz zur Normandie wenig gefestigt, da das Herzogtum stark feudalisiert war. Das heißt, dem Herzog waren große Land besitzende Vasallen untertan, die jede Gelegenheit nutzten, um die herzogliche Gewalt zu beschneiden. Im Jahr 1052 konnte die Gascogne in Personalunion mit Aquitanien vereint werden.
In der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde das Herzogtum durch die Ehe der Herzogin Eleonore mit Heinrich Plantagenet in das Territorialkonglomerat der Dynastie Plantagenet aufgenommen, heute bekannt als das „angevinische Reich“. Durch ihre Machtfülle gerieten die Plantagenets in einen Konflikt mit den Königen von Frankreich, welche die Oberlehnsherren ihres Besitzes in Frankreich waren.
Name | Regierungszeit | Verwandtschaft | Anmerkungen |
---|---|---|---|
Wilhelmiden (Gellones) | |||
Wilhelm I. der Fromme | 909–918 | Urenkel Wilhelms von Gellone | |
Belloniden | |||
Wilhelm II. der Jüngere | 918–926 | Neffe seines Vorgängers | |
Acfred | 926–927 | Bruder seines Vorgängers | |
Ramnulfiden (Haus Poitiers) | |||
Ebalus Mancer | 927–935 | ||
Wilhelm III. Werghaupt | 935–963 | Sohn seines Vorgängers | Gegenherzog: Raimund Pons Gegenherzog: Raimund von Rouergue Gegenherzog: Hugo Magnus |
Wilhelm IV. Eisenarm | 963–995 | Sohn seines Vorgängers | Gegenkönig: Ludwig der Faule |
Wilhelm V. der Große | 995–1030 | Sohn seines Vorgängers | |
Wilhelm VI. der Dicke | 1030–1038 | Sohn seines Vorgängers | |
Odo | 1038–1039 | Bruder seines Vorgängers | |
Wilhelm VII. der Adler | 1039–1058 | Bruder seines Vorgängers | |
Wilhelm VIII. | 1058–1086 | Bruder seines Vorgängers | |
Wilhelm IX. der Troubadour | 1086–1127 | Sohn seines Vorgängers | |
Wilhelm X. der Toulousaner | 1127–1137 | Sohn seines Vorgängers | |
Eleonore | 1137–1204 | Tochter ihres Vorgängers | |
Kapetinger | |||
Ludwig VII. der Jüngere | 1137–1152 | erster Ehemann von Eleonore | König von Frankreich |
Plantagenets | |||
Heinrich Plantagenet | 1152–1172 | zweiter Ehemann von Eleonore | seit 1154 König von England Herzog von Normandie |
Richard Löwenherz | 1172–1196 | Sohn von Eleonore und Heinrich | seit 1189 König von England |
Otto von Braunschweig | 1196–1198 | Neffe seines Vorgängers/Welfe | Römisch-Deutscher Kaiser |
Richard Löwenherz | 1198–1199 | ||
Johann Ohneland | 1199–1216 | Bruder seines Vorgängers | König von England |
Heinrich III. | 1216–1224 | Sohn seines Vorgängers | König von England |
Das Herzogtum Guyenne
Schon im Jahr 1204 hatte König Philipp II. von Frankreich während des Französisch-Englischen Kriegs ab 1202 die Plantagenets per Parlamentsurteil all ihrer Besitzungen in Frankreich für verlustig erklärt. Im Jahr 1224 führte sein Sohn König Ludwig VIII. von Frankreich einen Feldzug nach Aquitanien, worauf die Herrschaft der Plantagenets dort endete. Das Poitou und die Saintonge wurden unmittelbares Kronland, die Grafen von La Marche, Périgord, Angoulême und Auvergne wurden direkte Kronvasallen. Damit war die territoriale Integrität Aquitaniens zerstört. König Heinrich III. von England erkannte diesen Verlust im Vertrag von Paris 1259 an. Im Gegenzug erhielt er mit der Saintonge eine aquitanische Provinz zurück, auf die sich das Herzogtum seither beschränkte. Das Land blieb ein Lehen Frankreichs, für das die Plantagenets in die Reihen seiner Pairs aufgenommen wurden. Allerdings verzichtete er nicht auf den Titel Herzog von Aquitanien. Die verbliebenen Gebiete von Aquitanien wurden mit der südlich gelegenen Gascogne auch als Guyenne bezeichnet, wobei im 13. Jahrhundert Aquitanien, Guyenne und Gascogne synonym bezeichnet wurden.[3] In den nächsten Jahren hatten England und Frankreich ein gutes Verhältnis miteinander, und 1279 erhielt der englische König Eduard I. im Vertrag von Amiens das Agenais zurück, während er schließlich gegen eine Entschädigung auf das Quercy verzichtete.[4] Das gute Verhältnis wurde durch den Französisch-Englischen Krieg von 1294 bis 1298 beendet, in dem die Franzosen fast die ganzen verbliebenen englischen Besitzungen erobern konnten. Englische Gegenangriffe führten Ende 1297 zu einem Waffenstillstand, und 1303 mussten die Franzosen im Vertrag von Paris auf fast alle Eroberungen verzichten.[5] Das Verhältnis zwischen England und Frankreich blieb weiter gespannt, und im Krieg von Saint-Sardos von 1323 bis 1325 konnten die Franzosen das Agenais gewinnen.[6]
Durch die Feldzüge des „schwarzen Prinzen“ während des hundertjährigen Krieges konnten die Plantagenets im Vertrag von Brétigny 1360 noch einmal den größten Teil des alten Aquitanien unter sich vereinen. Die französische Krone verzichtete dabei sogar auf die Souveränität über die Guyenne zugunsten Englands. Das Land wurde also staatsrechtlich englisches Territorium. Die anschließenden Feldzüge des französischen Marschalls Bertrand du Guesclin führten allerdings bis 1375 zu einer Revision des Vertrages. Zum Ende des hundertjährigen Krieges, nach der Schlacht von Castillon 1453, mussten die Plantagenets ihre Besitzungen in Frankreich gänzlich aufgeben. Das Land wurde mit der Krondomäne vereint und zur Verwaltung in mehrere Sénéchaussées eingerichtet. Zu Beginn der Neuzeit wurden sie durch Généralités, denen Gouvernements übergeordnet waren, ersetzt. Diese wiederum wurden 1789 durch die Départements abgelöst.
Name | Regierungszeit | Verwandtschaft | Anmerkungen |
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Plantagenets | |||
Heinrich III. | 1259–1272 | König von England | |
Eduard I. | 1272–1306 | Sohn seines Vorgängers | König von England |
Eduard II. | 1306–1325 | Sohn seines Vorgängers | König von England |
Eduard III. | 1325–1362 | Sohn seines Vorgängers | Prince of Wales, ab 1327 König von England |
Edward, der Schwarze Prinz | 1362–1375 | Sohn seines Vorgängers | Prince of Wales |
Eduard III. | 1375–1377 | (Zweite Herzogswürde) | König von England |
Richard II. | 1377–1390 | Enkel seines Vorgängers | König von England |
John of Gaunt | 1390–1399 | Sohn von Eduard III. | Duke of Lancaster |
Heinrich IV. | 1399–1413 | Sohn seines Vorgängers | König von England |
Heinrich V. | 1413–1422 | Sohn seines Vorgängers | König von England |
Heinrich VI. | 1422–1453 | Sohn seines Vorgängers | König von England |
Weitere Verwendung des Herzogtitels
Bis zum Ende der französischen Monarchie wurde der aquitanische Herzogstitel noch an zwei königliche Prinzen verliehen:
- 1469–1472: Charles de Valois, duc de Guyenne; von seinem Bruder König Ludwig XI. von Frankreich apanagiert.
- 1753–1754: Xavier Marie Joseph de Bourbon, duc d'Aquitaine; von seinem Großvater König Ludwig XV. von Frankreich mit dem Titel ausgestattet.
1972 verlieh der bourbonische Thronprätendent von Spanien, Jaime de Borbón, seinem zweiten Sohn, Gonzalo de Borbón († 2000), den Titel Herzog von Aquitanien.
Weblinks
Belege
- "Boggiso Ducis Dagobertus Rex concessit post mortem fratris suis Ilderici Aquitaniæ Regis" – König Dagobert gab Aquitanien dem Herzog Boggis nach dem Tod seines (Boggis') Bruders Ildericus (Chilperich)
- Vita Landberti episcopi Traiectensis Auctore Nicolao 12, MGH SS rer. Merov. VI, S. 415.
- Michael Prestwich: Edward I. University of California, Berkeley 1988, ISBN 0-520-06266-3, S. 298
- Michael Prestwich: Edward I. University of California, Berkeley 1988, ISBN 0-520-06266-3, S. 316
- Michael Prestwich: Edward I. University of California, Berkeley 1988, ISBN 0-520-06266-3, S. 397
- John A. Wagner: Encyclopedia of the Hundred Years War. Greenwood, Westport 2006. ISBN 0-313-32736-X, S. 278