Heroes (Projekte zur Gewaltprävention)
Heroes – gegen Unterdrückung im Namen der Ehre (Eigenschreibweise HEROES, dt.: Helden) nennen sich Projekte zur Gewaltprävention in verschiedenen Städten Deutschlands, in denen sich junge Männer mit Migrationshintergrund aus sozialen Milieus mit strikten Ehrvorschriften und patriarchalen Strukturen für die Gleichberechtigung der Geschlechter und Menschenrechte engagieren. Das Projekt in Berlin wurde in den ersten Jahren von der World Childhood Foundation gefördert. Vorangegangen war die Unterstützung gleichnamiger Projekte durch die Foundation in Schweden.
Konzept
Heroes wurde 2007 als Projekt des Berliner Vereins Strohhalm e.V. durch die Soziologin Dagmar Riedel-Breidenstein nach schwedischem Vorbild in Berlin-Neukölln gegründet. Projektleiterinnen sind die Genderwissenschaftlerin Jenny Breidenstein und die Soziologin Anna Rinder von Beckerath, die in einem ähnlichen Projekt in Schweden gearbeitet hat.[1] Heroes richtet sich an junge Männer, die sich mit überkommenen Vorstellungen von Ehre und Männlichkeit auseinandersetzen und Stellung beziehen wollen gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. Das Projekt arbeitet mit deutschen jungen Männern im Alter von 16 bis 23 Jahren in zweiter oder dritter Generation vor allem aus der Türkei, arabischen Welt, aus Albanien und dem Kosovo zusammen. Pädagogische Fachkräfte bilden über mehrere Monate kleine Gruppen darin aus, in Schulen und Freizeiteinrichtungen Vorträge zu halten und Workshops durchzuführen, in denen über Themen wie Identität, Gleichberechtigung und Rechte von Frauen, Gewalt in Familien und Familienehre diskutiert und in Rollenspielen für selbstverständlich gehaltene Annahmen zu Fragen von Geschlechterverhältnis und Geschlechterrolle infrage gestellt werden.[2][3] Die Rollenspiele werden von den Jugendlichen selbst entwickelt. Nach etwa einem dreiviertel Jahr wöchentlicher Gruppenarbeit erhalten sie ein Zertifikat und leiten in Schulklassen und Jugendgruppen eigenständig Workshops, um nach der Methode der Peer-Education als Vorbild für andere Jugendliche zu wirken.[4] Für ihre Mitwirkung in den Workshops erhalten die Jugendlichen eine Vergütung.[5] Das Projekt wurde von 2009 bis 2012 wissenschaftlich begleitet.[6] Heroes führt auch Fortbildungen für Lehrer von Schulklassen mit multikultureller Zusammensetzung durch.
Seit April 2011 existiert ein weiteres Heroes-Projekt in Duisburg, getragen und begleitet vom Verein Jungs mit Unterstützung des Jugendamtes der Stadt,[7] und seit November 2011 in München, hier unter dem Dach der Arbeiterwohlfahrt.[8][9] Weiteres Heroes gibt es seit 2012 über den Verein Brücke in Augsburg,[10] seit Anfang 2013 in Köln, nachdem das Projekt ab Herbst 2012 durch den Verein HennaMond aufgebaut wurde,[11] und seit Oktober 2014, aufgebaut ab Ende 2013, über den Verein DEGRIN in Nürnberg.[12][13] Seit Mai 2015 ist das Projekt auch in Offenbach an den Start gegangen. Hier ist der Träger das Deutsche Rote Kreuz – Kreisverband Offenbach e.V.[14]
Hintergrund
In einem Interview mit der Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei erläuterte Ahmad Mansour, dass es unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit muslimischer Prägung auch in dritter oder vierter Generation oft Risikofaktoren für einen gelebten Islamismus gebe, der nichts mit spirituell gelebter Religiosität zu tun habe, sondern identitätsstiftend verstanden werde. Dies führe zur Entwertung anderer, die zur eigenen Identifikation als „Moslem“ als nicht zugehörig empfunden werden. „Solche meist männliche Jugendliche lehnen Gesellschaft und Demokratie ab, leben Macht durch Unterdrückung aus und pochen auf ein überzogenes Ehrempfinden.“ Die rasante Entwicklung der Radikalisierung in den letzten Jahren sei zudem, so Mansour, nicht nur islamistisch, sondern auch ultranationalistisch. Teile der gelebten Lebensvorstellungen widersprächen einem demokratischen Weltbild und dem rechtlich geschützten Individualismus in unserer Gesellschaft.[15]
Barbara Kavemann spricht in ihrem Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts in Berlin im Auftrag der World Childhood Foundation von einer jahrelangen Diskussion zum Thema „Ehrenmorde“ und Zwangsverheiratung. Das Projekt Heroes unterstütze dabei die Schutz- und Unterstützungseinrichtungen, wie Mädchennotdienst und Frauenhäuser, durch den wichtigen Aspekt der Arbeit mit den Söhnen und Brüdern aus Familien mit entsprechendem kulturellen Hintergrund. Das Selbstverständnis der am Projekt Beteiligten greife „die eigenen Diskriminierungserfahrungen der jungen Männer als Mitglieder eingewanderter Familien auf, sensibilisiert für die Unterdrückung anderer und spricht Mut und Tatkraft an“.[16]
Für Ursula G. T. Müller ist Heroes ein Beispiel, wie „Antisexismus betrieben werden kann“. In dem Projekt gehe es darum, „Mädchen und Frauen ein gleichberechtigtes Dasein in unserer Gesellschaft zu ermöglichen“.[2]
Preise
Heroes wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Darunter im März 2012 mit dem Preis „Berliner Tulpe“ der Körber-Stiftung und am 23. Mai als „Botschafter für Demokratie und Toleranz“.[3][17][18] Im Dezember desselben Jahres widmete der Rabbiner Daniel Alter seinen Fernsehpreis Bambi in der Kategorie „Integration“ dem Neuköllner Projekt für sein Engagement gegen Hass und Gewalt.[19] 2013 erhielt das Projekt den Hildegard Hamm-Brücher Preis "Demokratie lernen und erfahren" und 2014 den zweiten Preis des Hatun Sürücü-Preises des Landesverbands Berlin von Bündnis 90/Die Grünen.
Kritik
Kritisiert wurden die Heroes von Ali Candemir von der DIDF-Jugend. Er verwies darauf, dass dem Projekt ein defizitärer und kulturalistischer Charakter anhänge. Seiner Ansicht nach richte sich die Arbeit des Projekts nicht gegen ein kulturelles, sondern ein soziales, durchaus reales Problem. „Ehrenmorde und Zwangsverheiratung sind nicht zu befürworten, aber sie sind auch nicht so verbreitet, wie das Projekt Heroes einem glauben machen will.“ Jungen Männern mit Migrationshintergrund, von denen die meisten in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, in einem Projekt „richtige Werte“ vermitteln zu wollen, sei ein Armutszeugnis für die Integrationspolitik, die Sozialpolitik, die Arbeitsmarktpolitik und die Bildungspolitik in Deutschland.[20]
Einzelnachweise
- Die „Heroes“ von Berlin-Neukölln, Website des Goethe Instituts, Februar 2010
- Ursula G. T. Müller: Dem Feminismus eine politische Heimat – der Linken die Hälfte der Welt, Springer VS 2013, ISBN 978-3-531-19453-0, S. 350.
- Im Namen der Ehre. (Nicht mehr online verfügbar.) Märkische Oderzeitung, 10. Mai 2012, archiviert vom Original am 7. Januar 2015 .
- Jenny Breidenstein: HEROES® – Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. In: ARCHIV für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1/2010, pdf S. 3 (Memento des Originals vom 10. Januar 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Abschlussbericht, S. 12.
- Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts HEROES – Gegen Unterdrückung im Namen des Ehre. Prof. Dr. Barbara Kavemann im Auftrag der World Childhood Foundation, Berlin Dezember 2012 (pdf)
- Alfons Winterseel: In Duisburg startet Heroes-Projekt für Migranten nach Vorbild aus Berlin. Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 21. April 2011, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Heroes München. Arbeiterwohlfahrt Kreisverband München-Stadt e.V., abgerufen am 14. August 2021.
- Corinna Anton: „Am Anfang wollte keiner die Mädchenrolle spielen“. Projekt zur Gewaltprävention. Süddeutsche Zeitung, 25. November 2013, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Sarah Ehrmann: „Baba, meine Freundin heißt Anna“. Schulprojekt. Süddeutsche Zeitung, 27. Dezember 2012, abgerufen am 31. Dezember 2014.
- Heroes Köln. Projektbeschreibung. www.heroes-koeln.de, abgerufen am 31. Dezember 2014.
- Heroes Nürnberg. Projektbeschreibung. heroesnuernberg.wordpress.com, 14. November 2013, abgerufen am 31. Dezember 2014.
- HEROES – gegen Unterdrückung in Namen der Ehre – Ein Projekt für Gleichberechtigung von Strohhalm e.V. (Nicht mehr online verfügbar.) www.heroes-net.de, archiviert vom Original am 1. Juli 2013; abgerufen am 30. Dezember 2014. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- HeRoes Offenbach. In: HeRoes. Abgerufen am 4. Juli 2016.
- Dorothee Dienstbühl: „Mich überrascht die Ahnungslosigkeit der Behörden“. Interview mit Ahmad Mansour. In: Deutsche Polizei. Januar 2015. Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei, Berlin Dezember 2014, S. 21/22 (PDF-Datei, 22.303,16 kB).
- Barbara Kavemann: Heroes – Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. (PDF) Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts. Dezember 2012, S. 4/5, abgerufen am 5. Januar 2015.
- Hatice Akyün: Was hat der Ehrenmord mit Ehre zu tun? Kolumne „Meine Heimat“. Der Tagesspiegel, 23. März 2012, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Botschafter/-innen für Demokratie und Toleranz 2012. Bündnis für Demokratie und Toleranz, 2012, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Kerstin Hense: Integrationsprojekt erinnert an getötete Hatun Sürücü. Gedenkfeier für Deutsch-Kurdin. Der Tagesspiegel, 7. Februar 2013, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Ali Candemir: Heroes – doch zu viel des Guten? Yeni Hayat – Neues Leben, 13. Mai 2013, abgerufen am 31. Dezember 2014.
Weblinks
- Heroes – Gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, abgerufen am 30. Januar 2018.
- HEROES – gegen Unterdrückung in Namen der Ehre – Ein Projekt für Gleichberechtigung von Strohhalm e.V. www.heroes-net.de, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Heroes Projektbeschreibung Duisburg
- Ahmad Mansour über den traditionellen Ehrbegriff in vielen Migrantenfamilien. Zeit Online 27. Februar 2013
- Regina Friedrich: Die „Heroes“ von Berlin-Neukölln. Goethe-Institut, Februar 2010, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Mathias Hamann: Junge Muslime: Echte Helden gegen falsche Ehre. Der Spiegel, 25. März 2010, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Annett Heide: Im Namen der Ehre. Muslime in Berlin. Berliner Zeitung, 7. Juli 2013, abgerufen am 30. Dezember 2014.
- Junge Helden für Gleichberechtigung. ZDF, 25. Januar 2014, abgerufen am 30. Dezember 2014.