Hereditärer Adenosindesaminase-Mangel
Der Hereditäre Adenosindesaminase-Mangel ist eine sehr seltene angeborene, zu den schweren kombinierten Immundefizienzen (SCID) gehörende Immunmangelerkrankung (ADA-SCID) mit den Hauptmerkmalen ausgeprägter Lymphopenie und sehr niedrigen Immunglobulin-Spiegeln und wiederholten schweren Infektionen.[1][2][3]
Klassifikation nach ICD-10 | |
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D81.3 | Adenosindesaminase[ADA]-Mangel |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Synonyme sind: Chondrodysplasie, metaphysäre mit Thymolymphopenie; ADA-Mangel; Adenosin-Desaminase-Mangel, Schwere kombinierte Immundefizienz durch Adenosin-Desaminase (ADA)-Mangel; ADA-defiziente SCID; Lymphoplasmozytäre hereditäre Dysgenesie; englisch Adenosine deaminase deficient SCID; Adenosine deaminase deficient severe combined immunodeficiency
Die Erstbeschreibung stammt aus dem Jahre 1961 durch den schweizerischen Pädiater W. H. Hitzig und H. Willi.[4]
Verbreitung
Die Häufigkeit wird mit 1–9 zu 1.000.000 angegeben, die Vererbung erfolgt autosomal-rezessiv. Beide Geschlechter sind betroffen, bei etwa 10–15 % der SCID-Erkrankungen liegt ein Adenosindesaminase-Mangel vor.[2]
Ursache
Dem Mangel liegen Mutationen im ADA-Gen auf Chromosom 20 Genort q13.12 zugrunde, welches für das Enzym Adenosin-Desaminase kodiert.[5] Bei diesem Enzymmangel ist die Synthese von dADP, dGDP, dUDP und dCDP gestört aufgrund einer indirekten Hemmung der Ribonukleotid-Reduktase. Die Adenosin-Desaminase desaminiert Adenosin zu Inosin und Desoxyadenosin zu Desoxyinosin. Bei einem Enzymmangel wird Desoxyadenosin angereichert und vermehrt zu dATP phosphoryliert. Erhöhte Konzentrationen von dATP hemmen die Ribonukleotid-Reduktase, wodurch die Synthese der anderen Desoxyribonukleotide gehemmt wird. Infolgedessen kommt es zu einer Störung der DNA-Synthese, die vor allem die Proliferation der Lymphozyten behindert, was einen schweren Immundefekt verursacht. Der ADA-Mangel führt außerdem zu giftigen Konzentrationen von Purin-Metaboliten.[2]
Einteilung
Je nach Auftreten der ersten Krankheitszeichen (und Ausmaß der Enzymhemmung) werden folgende klinische Formen unterschieden:[2][3]
- Early onset (klassischer ADA-Mangel), (in 80 %): überwiegende Manifestation in den ersten 3 Lebensmonaten. ADA-Aktivität < 0,01 %, zusätzlich mit Fehlbildungen oder Störungen an Skelett, Nieren und Nervensystem sowie Schwerhörigkeit.
- Delayed onset (in 15 %): Manifestation im1.-2,LJ; ADA-Aktivität 1–2 %
- Late onset (in 5 %): Manifestation im 3.-15. LJ. ADA-Aktivität bei 3–5 %; rezidivierende oder auch persistierende Herpes-simplex-Infektionen, Bakterielle Infektion der Nasennebenhöhlen und der Bronchien, Autoimmunerkrankungen
- Partieller ADA-Mangel (selten): Manifestation zwischen 4. LJ und Erwachsenenalter; ADA-Aktivität 5 to 80%
Bei höherer Enzymaktivität verlaufen Infektionen weniger schwer.[2][6]
Klinische Erscheinungen
Klinische Kriterien sind:[1][2]
- Manifestation im Kleinkindalter, zur Neugeborenenzeit
- kombinierter zellulärer und humoraler Immundefekt mit verminderten Immunglobulinen, gestörte Funktion der B-Lymphozyten und T-Lymphozyten
- Gedeihstörung, chronische Durchfälle, Kleinwuchs, chronische Candidose
- fehlender Thymus in der Sonografie, auch fehlender Thymusschatten auf dem Röntgen-Thorax
- Bild einer metaphysären Chondrodysplasie mit quadratischem Becken, kurzen und in der Metaphyse aufgetriebenen Röhrenknochen und kurzen Rippen
Diagnose
Die Diagnose basiert auf der Messung der ADA-Enzymaktivität in Erythrozyten und kann durch erhöhte dATP-Spiegel im Blutplasma und vermehrtes Deoxy-Adenosin im Urin bestätigt werden.
In der Pränataldiagnostik kann der Nachweis aus Amnion- oder Trophoblasten-Kulturen erfolgen.[2]
Differentialdiagnose
Abzugrenzen sind andere Formen von SCID.[2]
Therapie
Zur Behandlung kommen Allotransplantation hämatopoetischer Stammzellen, Enzymersatztherapie mit pegylierter Adenosin-Desaminase oder Gentherapie mit transformierten Knochenmarkszellen infrage.[2]
Heilungsaussichten
Die Prognose wird durch die Schwere der Erkrankung bestimmt. Bei frühzeitig erfolgender Behandlung können hohe Überlebensraten erreicht werden.[2]
Literatur
- E. South, E. Cox, N. Meader, N. Woolacott, S. Griffin: Strimvelis for Treating Severe Combined Immunodeficiency Caused by Adenosine Deaminase Deficiency: An Evidence Review Group Perspective of a NICE Highly Specialised Technology Evaluation. In: PharmacoEconomics - open. Band 3, Nummer 2, Juni 2019, S. 151–161, doi:10.1007/s41669-018-0102-3, PMID 30334168, PMC 6533345 (freier Volltext) (Review).
- D. B. Kohn, M. S. Hershfield, J. M. Puck, A. Aiuti, A. Blincoe, H. B. Gaspar, L. D. Notarangelo, E. Grunebaum: Consensus approach for the management of severe combined immune deficiency caused by adenosine deaminase deficiency. In: The Journal of allergy and clinical immunology. Band 143, Nummer 3, März 2019, S. 852–863, doi:10.1016/j.jaci.2018.08.024, PMID 30194989, PMC 6688493 (freier Volltext).
- A. M. Flinn, A. R. Gennery: Adenosine deaminase deficiency: a review. In: Orphanet Journal of Rare Diseases. Band 13, Nummer 1, 04 2018, S. 65, doi:10.1186/s13023-018-0807-5, PMID 29690908, PMC 5916829 (freier Volltext) (Review).
Einzelnachweise
- Bernfried Leiber (Begründer): Die klinischen Syndrome. Syndrome, Sequenzen und Symptomenkomplexe. Hrsg.: G. Burg, J. Kunze, D. Pongratz, P. G. Scheurlen, A. Schinzel, J. Spranger. 7., völlig neu bearb. Auflage. Band 2: Symptome. Urban & Schwarzenberg, München u. a. 1990, ISBN 3-541-01727-9.
- Immundefekt, kombinierter schwerer, durch Adenosin-Desaminase-Mangel. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
- Enzyklopädie Dermatologie
- W. H. Hitzig, H. Willi: Hereditary lymphoplasmocytic dysgenesis (Alymphocytose mit Agammaglobulinämia). In: Schweizerische Medizinische Wochenschrift 1961, Bd. 91, S. 1625–1633
- Severe combined immunodeficiency due to ADA deficiency . In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch)
- F. X. Arredondo-Vega, I. Santisteban, E. Richard, P. Bali, M. Koleilat, M. Loubser, A. Al-Ghonaium, M. Al-Helali, M. S. Hershfield: Adenosine deaminase deficiency with mosaicism for a "second-site suppressor" of a splicing mutation: decline in revertant T lymphocytes during enzyme replacement therapy. In: Blood. Band 99, Nummer 3, Februar 2002, S. 1005–1013, doi:10.1182/blood.v99.3.1005, PMID 11807006.