Gynäkomastie
Gynäkomastie (aus griechisch γυνή (gynē) = Frau und μαστός (mastos) = Brust) ist die ein- oder doppelseitige Vergrößerung der Brustdrüse beim Mann. Die echte Gynäkomastie durch Vermehrung des Drüsengewebes muss dabei von einer unechten Gynäkomastie (Pseudogynäkomastie) durch Fetteinlagerung – wie sie bei Übergewicht und Fettsucht (Adipositas) auftritt – unterschieden werden (Lipomastie, Adipomastie).
Klassifikation nach ICD-10 | |
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N62 | Gynäkomastie |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Gynäkomastie ist keine Krankheit im eigentlichen Sinne, sondern eine Anomalie. Diese Brustveränderung kann von betroffenen Männern je nach sozialem Umfeld als peinlich empfunden werden und zu teilweise erheblichen Störungen des Selbstvertrauens führen.
Arten der Gynäkomastie
Normale physiologische Veränderung
- mit Vergrößerung des Brustdrüsenkörpers
- Pubertätsgynäkomastie: entsteht bei etwa 40–70 % der Jungen im Verlauf der Pubertät[1] und bildet sich in aller Regel, aber nicht immer, vollständig zurück. Lange Zeit glaubte man, dass dieses pubertäre Brustwachstum durch die erhöhte Östrogenbildung und eine dadurch bedingte Verschiebung des Östrogen/Testosteron-Verhältnisses in Richtung Östrogen verursacht ist. Durch eine Studie in Dänemark konnte diese Annahme nicht bestätigt werden. Vielmehr sprechen neue Befunde dafür, dass der signifikant erhöhte insulinähnliche Wachstumsfaktor Insulin-like growth factor 1 (IGF-1) zusammen mit den erhöhten Östrogenen dieses Brustwachstum bewirkt, bei ebenfalls erhöhtem Testosteronspiegel und damit einem unveränderten Verhältnis von Östrogenen zu Testosteron.[3]
- mit oder ohne Vergrößerung des Brustdrüsenkörpers
- Altersgynäkomastie: Bei Erwachsenen wird das Auftreten von 30–40 % eher geringer Befunde festgestellt.[1]) Mit zunehmendem Alter erhöht sich der Anteil der Fettgewebsmasse im Vergleich zur abnehmenden Körpermasse, dadurch erhöht sich auch die Umwandlung von männlichen Hormonen (Androgene) in weibliche Hormone (Östrogene) im Fettgewebe. Gleichzeitig dazu nimmt die männliche Hormonbildung im Hoden ab, was dazu führt, dass die hormonelle Unterdrückung der Ausbildung eines Brustdrüsenkörpers unterbleibt.
- ohne Vergrößerung des Brustdrüsenkörpers
- Pseudogynäkomastie (auch Lipomastie resp. bei allgemeiner Fettsucht (Adipositas) Adipomastie genannt). Der Übergang vom Übergewicht zur Adipositas wird etwa bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 erreicht.
Ein besonders häufiges Vorkommen wurde bei Soldaten des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung festgestellt. Eine mögliche Erklärung soll in den repetitiven Karabineranschlägen an die linke Brust beim Ausführen des formalen Protokolls im Wachdienst liegen.[4] Die 211 operierten Patienten zeigten im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe einen signifikant anderen Hormonstatus.[4]
Die jeweiligen Häufigkeitsangaben in der medizinischen Literatur unterscheiden sich stark, da möglicherweise methodische Probleme in der Erfassung und Klassifikation der unterschiedlichen Gynäkomastiearten bestehen.[1]
Krankhafte (pathologische) Gynäkomastie
Auch eine echte Gynäkomastie mit Vergrößerung des Brustdrüsenkörpers ist keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Symptom einer Störung, die zu einer Östrogen-Androgen-Imbalance des Organismus geführt hat.[1] So können verschiedene hormonale Störungen beziehungsweise Erkrankungen, eine Kastration oder auch Nebenwirkungen von Medikamenten können zu einer Brustvergrößerung führen:
- Mangel an männlichen Hormonen (Hypogonadismus)
- Erhöhte Östrogenbildung (Hyperöstrogenismus)
- Chronische Erkrankungen (Nierenversagen, Leberversagen, Alkoholmissbrauch)
- Medikamente: Zu den häufigsten Auslösern gehören – neben Hormonen – Säureblocker wie Cimetidin, Ranitidin und Omeprazol, der Aldosteronantagonist Spironolacton, das Prostatamittel Finasterid, Herzglykoside wie Digoxin und Calciumantagonisten vom Typ Nifedipin und Verapamil sowie Neuroleptika vom Phenothiazintyp, Risperidon oder Sulpirid.[5][6]
- Brustkrebs (sehr selten)
- angeborene Erkrankungen wie Aromatase-Exzess-Syndrom
Bei einer unechten Gynäkomastie entstehen vergrößerte Brustdrüse durch Lipideinlagerung bei Adipositas (Lipomastie) oder durch regionale Tumoren wie beispielsweise bei einem Lipom.[7]
Ursachen
Ursachen der echten Gynäkomastie sind in der Regel Störungen im Hormonhaushalt. Dabei lassen sich im Wesentlichen unterscheiden:
- die erhöhte Ansprechbarkeit des Brustgewebes auf weibliche Geschlechtshormone
- das Vorhandensein von erhöhten Mengen an weiblichen Geschlechtshormonen, z. B. bei der Hormontherapie des Prostatakarzinomes, bei östrogenproduzierenden Hodentumoren und Erkrankungen der Hypophyse und des Hypothalamus. Auch in der Pubertät kann ein Überschuss an Östrogen entstehen, der die Brust anwachsen lässt (Pubertätsgynäkomastie).
- die verringerte Produktion von männlichen Geschlechtshormonen (wie bei Unterfunktion der Keimdrüsen oder bei Altersgynäkomastie durch verringerte Hormonbildung im Hoden bei gleichzeitigem Östrogenüberschuss)
- davon unabhängige Ursachen wie Schilddrüsenerkrankungen, Leberzirrhose und die Dialyse bei Niereninsuffizienz (Nierenversagen)
- die Aufnahme hoher Hormonkonzentrationen durch die Ernährung, insbesondere durch hormonbehandeltes Fleisch.
- die Substitution von Testosteron (medizinisch indiziert oder als Anabolika), da dieses im Fett- und Muskelgewebe mittels des Enzyms Aromatase teilweise in Östrogen umgewandelt wird.
- eine Nebenwirkung von Spironolacton (Aldosteron-Antagonist).
- das Vorliegen des Karyotyps 47,XXY mit Gynäkomastie als ein Phänotyp des Klinefelter-Syndroms.
Beim einseitigen Befund der Gynäkomastie ist auch beim Mann das Vorliegen eines Mammakarzinomes (Brustkrebs) nicht auszuschließen. Meist handelt es sich jedoch um ein Fibroadenom der Brust.
In Europa ist beschrieben, dass der übermäßige Genuss von mit Hopfen gebrautem Bier durch den Gehalt der Hopfenblüten an Phytoöstrogenen an der Entstehung einer Gynäkomastie beteiligt sein kann. Gleichwohl ist die hohe Zufuhr von Nahrungsenergie bei der Aufnahme alkoholischer Getränke wesentlich (Zunahme des Körperfettes – sogenannte „falsche Gynäkomastie“).
Behandlung
Bei der echten Gynäkomastie ist aus gesundheitlicher Sicht in der Regel kein operativer Eingriff nötig. Da die psychische Belastung bei vielen Betroffenen durch äußere Einflüsse jedoch oft sehr hoch ist, wird häufig versucht, die Rückbildung der Brust durch Einnahme von Hormonpräparaten herbeizuführen, was jedoch nicht in allen Fällen zum gewünschten Erfolg führt. Wird die Brust durch einen operativen Eingriff verkleinert, geschieht dies meist durch einen kurzen Schnitt am Rand des Brustwarzenhofes, durch den das Drüsengewebe und eventuell überschüssiges Körperfett entfernt werden.
Eine Operation ist jedoch nur eine Behandlung des Symptoms, nicht der Ursachen der Gynäkomastie. Eine nachhaltige Behandlung erfordert deshalb je nach Ursache der Brustvergrößerung:
- Änderung der Ernährung (Gewichtsreduktion, weniger Alkohol)
- Nach Möglichkeit Absetzen von Medikamenten
- Bei bestehendem Androgenmangel kann männliches Hormon substituiert werden, Nebenwirkungen sind zu beachten (siehe auch Testosteronzufuhr).
Vorbeugung vor Medikamenteneinsatz
Durch eine radiologische Bestrahlung des Brustgewebes kann die Bildung einer Gynäkomastie durch den Einsatz von Antiandrogenen teilweise oder ganz verhindert werden. Die Erfolgsrate dieser Prophylaxe liegt zwischen 60 und 92 %.[8]
Linderung von Beschwerden
Bei einer ausgeprägten Gynäkomastie können sich Beschwerden wie Mastodynie (Druckgefühl, Schmerzen in der Brust), Überempfindlichkeit der Brustwarzen oder Hautreizungen in der Brustfalte einstellen. Auch die Bewegung des Gewebes wird oftmals als unangenehm empfunden. Beim Sport kann diese Bewegung des Gewebes zu starken Schmerzen führen. Kompressionsshirts oder Büstenhalter (insbesondere ein Sport-BH) können in diesen Fällen Linderung verschaffen.
Siehe auch
- Weibliche Brust
- Lipomastie (Lipomatosen: Fettanhäufungen an bestimmten Körperstellen[9])
Literatur
- Nadine Slevogt: Pubertätsgynäkomastie: Androgenrezeptorbestimmung bei Pubertätsgynäkomastie und Kontrollgewebe. (Pathophysiologie und Histologie), Hamburg 2005, DNB 976523833 (Dissertation, Universität Hamburg 2005).
- Gerhard Schreiber: Differenzialdiagnose und Therapie der Gynäkomastie. In: Gerd Plewig, Peter Thomas: Fortschritte der praktischen Dermatologie und Venerologie 2006. Springer-Medizin-Verlag, Heidelberg 2007, ISSN 0071-7932, S. 309–314.
Weblinks
Einzelnachweise
- S1-Leitlinie Gynäkomastie im Erwachsenenalter, Stand 2016 (Volltext als PDF) (Memento vom 13. Juli 2017 im Internet Archive)
- E. Kauf: Gynäkomastie im Kindesalter. In: Fortschritte der Medizin. 1. Dezember 1998, Band 116, S. 23–26, PMID 10023187.
- Copenhagen Puberty Study → Mikkel G. Mieritz, Lars Lau Rakêt, Casper P. Hage u. a.: A longitudinal study of growth, sex steroids and insulin-like growtht factor I in boys with physiological gynaecomastia. In: The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, veröffentlicht online 19. August 2015, doi:10.1210/jc.2015-2836; endocrine.org (PDF).
- Hans-Peter Kuhne, Sandy Egler, Stefan Lenz u. a.: GMS Interdisciplinary Plastic and Reconstructive Surgery DGPW 2012/ Gynecomastia in German soldiers: etiology and pathology. egms.de; abgerufen am 5. Mai 2016. 2012.
- Gynäkomastie durch Arzeneimittel. In: arznei-telegramm. Nr. 03/ 1998, S. 31–33; Auf: arznei-telegramm.de; zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022.
- Gynäkomastie durch Ketoconazolexternum (TERZOLIN)? In: arznei-telegramm. Nr. 12/ 1992, S. 126; Auf: arznei-telegramm.de; zuletzt abgerufen am 26. Februar 2022.
- Jens Jacobeit, Sabine Kliesch: DMW, Gynäkomastie: Diagnostik und Therapie. (Volltext als PDF abgerufen am 31. Januar 2022).
- B. Neu, V. Sautter, M.-L. Sautter-Bihl: Strahlentherapie zur Prophylaxe und Therapie einer antiandrogenbedingten Gynäkomastie bei Prostatakarzinom. Magdeburg 2010 (degro.wcenter.de (Memento vom 21. Februar 2014 im Internet Archive; PDF; 640 kB)).
- Lipomatosen. (Memento vom 10. Januar 2007 im Internet Archive) In: Medizinisches Wörterbuch. m-press münchen