Gläserner Mensch (Dresden)
Gläserner Mensch und Gläserne Frau sind vom Deutschen Hygiene-Museum in Dresden entwickelte anatomische Menschenmodelle aus Kunststoff. Im Hygiene-Museum in der sächsischen Landeshauptstadt sind derzeit zwei Modelle ausgestellt. Zahlreiche weitere Gläserne Menschen exportierte das Museum seit den 1930er Jahren in die ganze Welt.
Eigenschaften
Die lebensgroßen dreidimensionalen Modelle bestehen nicht aus Glas, sondern aus dem durchsichtigen Kunststoff Cellon. Zu ihrem Namen kamen sie, weil „gläsern“ ein Synonym für „transparent“ ist. Das Haut- und Muskelgewebe ist durchsichtig, so dass der Blick ins detailliert gestaltete Körperinnere – Skelett, innere Organe mit Blutgefäßen sowie Nervenbahnen – frei wird. Das Skelett ist aus Aluminium gegossen. Die inneren Organe sind aus Plastik; mehr als 40 eingebaute Glühlampen lassen die Organe auf Knopfdruck aufleuchten. Museumsbesucher können diese Beleuchtung aktiv benutzen. Nervenbahnen und Blutgefäße sind aus 0,2 Millimeter starkem Draht mit einer Gesamtlänge von mehr als zwölf Kilometern geformt. Für die Herstellung eines Exemplars sind 1800 Arbeitsstunden nötig.[1] Bei einer Körperhöhe von 1,67 Metern wiegt eine Gläserne Frau etwa 28 Kilogramm.[2]
Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum
Das 1912 gegründete und seit 1930 im Museumsgebäude in der Pirnaischen Vorstadt ansässige Deutsche Hygiene-Museum Dresden widmet den Gläsernen Menschen in seiner Dauerausstellung „Abenteuer Mensch“ einen eigenen Raum. Zu sehen sind zwei Gläserne Frauen. Eine davon ist die erste in dem Museum produzierte Gläserne Frau. Der Textilfabrikant S. H. Champ aus Jackson, Michigan hatte sie 1935 gestiftet. Ein Jahr später kam sie ins New Yorker Museum of Science, anschließend ging sie jahrelang auf Tournee durch die Vereinigten Staaten. Von seinem letzten Standort in Nordamerika, dem Science Center in St. Louis, gelangte das Modell 1988 als Schenkung an das Deutsche Historische Museum in Berlin.[3] Dieses stellt die Gläserne Frau als Dauerleihgabe dem Deutschen Hygiene-Museum zur Verfügung, das sie in einer Spezialvitrine ausstellt. Skelett, Adern und die inneren Organe sind bei der Gläsernen Frau sehr gut herausgearbeitet, allerdings ist der Kunststoff im Laufe der Jahrzehnte vergilbt. Ein Anfang der 1980er Jahre gebautes funktionsfähiges Modell mit farbloser Kunststoffschicht gehört ebenso zur Ausstellung. Die Gläserne Frau gilt als berühmtestes Exponat des Museums.[4]
Geschichte
Der Modellbauer Franz Tschackert, Präparator im Deutschen Hygiene-Museum, entwickelte und fertigte 1927 in Dresden einen ersten Prototyp des Gläsernen Menschen – eine dreidimensionale männliche Figur mit durchsichtiger Hülle. Zur II. Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden im Jahr 1930 wurde der Gläserne Mensch erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Für Fachwelt, internationale Presse und Publikum war das Modell zur Zeit seiner Entwicklung eine technische und wissenschaftliche Sensation. Es wurde in einem verdunkelbaren Raum präsentiert. Die inneren Organe leuchteten, angefangen mit dem Herzen, nacheinander auf und eine per Grammophon abgespielte Stimme erläuterte dazu deren Funktionsweise.
Waren vor dieser Erfindung immer nur einzelne Organe präsentiert worden, ist der Gläserne Mensch das erste Anschauungsmodell, das alle wesentlichen Bestandteile des Körpers in originaler Lage, im funktionellen Zusammenhang und integriert in einen kompletten Körper zeigt. Sie waren sichtbar, ohne dass die Oberfläche abgenommen oder Gewebe verletzt werden musste. Er markierte damit den vorläufigen Höhepunkt der jahrhundertealten Tradition der Darstellung der menschlichen Anatomie. Sie hatte mit den Studien großer Künstler des 16. Jahrhunderts, unter ihnen Albrecht Dürer und Michelangelo, begonnen und 1895 in Wilhelm Conrad Röntgens Entdeckung der Röntgenstrahlung, die den Körper durchleuchten konnte, eine Fortsetzung gefunden.[5] Zweck war die Aufklärung über den eigenen Körper und die Krankheitsprävention, jedoch spielt auch die Vorstellung von einer funktionierenden, normierten Menschenmaschine eine Rolle.
Nachfragebedingt stellte das Deutsche Hygiene-Museum bis 1945 neun weitere Gläserne Menschen her, darunter 1934 einen für das Museum of Science in Buffalo.[6] Im Jahre 1935 produzierte es auch erstmals eine Gläserne Frau. Die Modelle wurden in der gesamten Welt gezeigt. Ein Gläserner Mensch aus Dresden war auch bei der Weltfachausstellung Paris 1937 zu sehen.[7] Nach 1949 entstanden noch einmal 56 Männer, 68 Frauen, darunter eine Schwangere, sowie fünf Gläserne Pferde, acht Gläserne Kühe und mehrere zwei Meter große Zellen. Die nur für über 16-Jährige freigegebene Mutter-und-Kind-Schau „Die gläserne Frau mit Organbeleuchtung“, die das Deutsche Hygiene-Museum im Delitzscher Rathaussaal zeigte, sorgte Anfang Februar 1954 für einiges Aufsehen.[8]
Eine Gläserne Frau ist seit den 1980er Jahren im Deutschen Röntgen-Museum in Remscheid zu sehen.[9] Seit 2014 wird im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz der Gläserne Neandertaler ausgestellt.[10] Für die Expo 2000 in Hannover entwickelte das Hygiene-Museum im Auftrag des Freistaats Sachsen einen virtuellen Menschen. Das Elbhochwasser 2002 überstand eine der in Dresden ausgestellten Gläsernen Frauen unbeschadet.[11]
Der Begriff des Gläsernen Menschen wird seit einigen Jahren vor allem als Metapher des Datenschutzes verwendet, die für die als negativ empfundene vollständige „Durchleuchtung“ der Menschen und ihres Verhaltens durch einen überwachenden Staat steht.
Literatur
- Rosmarie Beier, Martin Roth (Hrsg.): Der Gläserne Mensch – Eine Sensation. Zur Kulturgeschichte eines Ausstellungsobjekts. Gerd Hatje, Stuttgart 1990, ISBN 3-77570-3187.
- Susanne Roeßiger, Julia Radtke: Der „Gläserne Mann“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. In: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung. 29.1 (2015), S. 5 f. (und dort weitere Artikel zur Geschichte und Materialität der Figuren).
- Christian Sammer: Durchsichtige Ganzkörpermodelle im Krieg der Systeme. Die Gläsernen Figuren aus Dresden und Köln, 1949–1989. In: Sybilla Nikolow (Hrsg.): Erkenne Dich selbst! Strategien der Sichtbarmachung des Körpers im 20. Jahrhundert. Böhlau, Köln u. a. 2015, ISBN 978-3-412-22380-9, S. 179–197.
- Klaus Vogel: The Transparent Man. Some Comments on the History of a Symbol. In: Robert Bud, Bernard Finn, Helmuth Trischler (Hrsg.): Manifesting Medicine. Bodies and Machines. Harwood Academic Publishers, Amsterdam 1999, ISBN 90-5702-408-X, S. 31–61.
Weblinks
Einzelnachweise
- 1800 Arbeitsstunden, abgerufen am 14. März 2013.
- bildindex.de: Die Gläserne Frau, Fotos von 1959, abgerufen am 28. Februar 2013.
- dhmd.de: Pressefotos, abgerufen am 28. Februar 2013.
- Heike Weichler: Die gläserne Welt des Dresdner Hygiene-Museums, welt.de, 13. Februar 2005, abgerufen am 28. Februar 2013.
- wissen-im-museum.de: Die Gläserne Frau (Memento vom 25. April 2013 im Internet Archive), abgerufen am 28. Februar 2013.
- dhm.de: Der gläserne Mensch, abgerufen am 28. Februar 2013.
- Manfred G. Stüting: Alte Dame aus Glas stellt Sachsen vor. Durchsichtiger Mensch als Beitrag bei der Expo 2000 in Hannover / Schommer zog Zwischenbilanz. In: Dresdner Neueste Nachrichten, 24. September 1998, S. 6.
- Gläserne Frau im Rathaussaal. In: Delitzsch-Eilenburger Kreiszeitung, 5. Februar 2004, S. 12.
- rp-online.de: „Gläserne Frau“ wird wiederbelebt, 16. November 2011, abgerufen am 28. Februar 2013.
- Der Tagesspiegel über das smac in Chemnitz
- netzeitung.de: «Gläserne Frau» überstand Hochwasser auf der Toilette, 27. August 2002 (Memento vom 12. April 2013 im Webarchiv archive.today), abgerufen am 28. Februar 2013.