Geschlechtsüberprüfung beim Sport

Geschlechtsüberprüfungen beim Sport sind medizinische und genetische Tests, die bei Sportwettkämpfen, in denen eine Startberechtigung weiblichen Athleten vorbehalten ist, zur Feststellung des Geschlechts durchgeführt werden.

Geschichte

Geschlechtstests in Form eines „ärztlichen Eignungsscheins“ wurden bereits im Jahr 1946 bei den British Commonwealth Games sowie im selben Jahr bei der Leichtathletik-Europameisterschaft der Frauen durchgeführt. Wie Dennis Krämer in seiner Doktorarbeit Intersexualität im Sport beschreibt, beruhte dieser Test auf einer gynäkologischen Untersuchung der äußeren Geschlechtsorgane, derer sich Frauen im Vorfeld des Turniers unterziehen mussten und die bei einer 'unauffälligen' Erscheinung die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht belegten.[1] Geplant waren diese Tests bereits für die Olympischen Spiele 1940, wurden aber aufgrund des Zweiten Weltkriegs und der Aussetzung der Spiele verschoben.

Verpflichtende Geschlechtstests, die im Frauensport systematisch von der Medizinkommission des IAAF und IOC durchgeführt wurden, fanden erstmals bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Budapest 1966 statt. Zu jener Zeit wurden verschiedene Athletinnen der Sowjetunion und aus mehreren Ländern Osteuropas verdächtigt, Männer zu sein.[2] Der Test bestand aus einer einfachen körperlichen Untersuchung. Die Frauen standen nackt vor einem Ärztegremium und traten vor, um ihre Körper und Genitalien abtasten zu lassen. Es musste eine echte Vagina vorhanden sein, und es durfte kein Penis zu finden sein. Einige Frauen fühlten sich durch die Untersuchung stark herabgesetzt und äußerten dies auch. Ihre Länder protestierten beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC).[3]

Ewa Kłobukowska, die erste bekannte Sportlerin, die nach mehreren Goldmedaillen und Weltrekorden 1967 wegen eines Chromosomentests disqualifiziert wurde. Abbildung aus Lekka Atletyka, Dezember 1964.

Das IOC reagierte auf die Kritik und ordnete 1967 eine neue, weniger aufdringliche Technik an. Ein Abstrich von der Wangeninnenseite wurde bezüglich der Geschlechtschromosomen getestet. Wurden unter dem Mikroskop zwei X-Chromosomen gefunden, so erhielt die Athletin die Zulassung. Bei einer Abweichung wurde sie verweigert. Das IOC gestand den Athletinnen zu, eine plötzliche Krankheit oder Verletzung vorzugeben und sich still aus dem Sport zurückzuziehen.[3] Erstmals wurden diese Tests für die Olympischen Winterspiele 1968 in Grenoble und die Olympischen Sommerspiele 1968 in Mexiko-Stadt durchgeführt. Andere bedeutende Verbände und Veranstaltungen übernahmen diese Praxis, darunter die International Association of Athletics Federations (IAAF). Somit war eine sportliche Karriere für nicht der chromosomalen Norm entsprechende Athletinnen ausgeschlossen. In der Leichtathletik waren neun im Jahr 1967 gültige Weltrekorde durch intergeschlechtliche Personen aufgestellt worden.[4]

Mitte der 1970er Jahre wurde der inzwischen als unzuverlässig erachtete Barr-Test (Buccal Smear, Sex Chromatin Test, Barr Body), ein Geschlechts-Chromatin-Test, durch eine DNA-Analyse ersetzt.[3]

Ab 1990 wurde die Geschlechtsüberprüfung bei der IAAF hinterfragt und ab 1992 nicht mehr generell angewandt.[3] Sie ist dort nur mehr für einzelne Athletinnen vorgesehen, wenn Fragen zum Geschlecht auftauchen. Andere Organisationen folgten diesem Beispiel. In Norwegen sind solche Tests verboten. Bei den Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer weigerten sich die Norweger, Geschlechtskontrollen durchzuführen. Das IOC ließ daher Experten aus Frankreich einfliegen.[5] Bei den Olympischen Sommerspielen 1996 in Atlanta wurden 3387 Athletinnen getestet, was einen großen finanziellen Aufwand bedeutete. Bei acht Frauen fiel der erste Test positiv aus, und es wurden weitere Überprüfungen vorgenommen. Bei sieben von diesen wurde eine Androgenresistenz festgestellt, bei vier davon eine partielle und bei dreien eine komplette Androgenresistenz. Bei der achten Athletin war eine Gonadektomie vorgenommen worden, und es wurde ein Defekt der Steroid-5α-Reduktase vermutet. Nach Beratungen wurden ihnen die Geschlechtsverifikationszertifikate ausgestellt, und es wurde allen erlaubt, anzutreten.[6]

Auf der International Olympic Committee (IOC) World Conference on Women and Health wurde 1996 eine Resolution beschlossen, welche ein Einstellen des aktuellen Geschlechtsverifikationsprozesses während der Olympischen Spiele forderte.[7] In der Zeit danach sprachen sich verschiedene Berufsverbände für eine Aufhebung der Geschlechtsüberprüfung aus, darunter die American Medical Association, die American Academy of Pediatrics, das American College of Physicians, das American College of Obstetrics and Gynecology, die Endocrine Society, die Lawson Wilkins Pediatric Endocrine Society und die American Society of Human Genetics. Es wurde damit argumentiert, dass es bei der heutigen Sportbekleidung und durch die Notwendigkeit der Abgabe einer Urinprobe unter Aufsicht für die Dopingkontrollen quasi unmöglich sei, dass ein verkleideter Mann einer Entdeckung entgehe. Darüber hinaus sei die Prozedur der Geschlechtsüberprüfung komplex, teuer und kontraproduktiv.[6] Schließlich verlangte 1999 die Athletenkommission des IOC vom Vorstand einen Teststopp. Der generelle Test wurde daraufhin eingestellt, das Komitee behält sich aber wie die IAAF vor, in Einzelfällen Athletinnen zu überprüfen. Diese Regelung griff erstmals bei den Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney und bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City.

Bei der Volleyball-Weltmeisterschaft 2002 in Berlin wurde der vom Fédération Internationale de Volleyball vorgeschriebene Geschlechtstest als Barr-Test bei allen Athletinnen durchgeführt, die noch nicht bei einer Weltmeisterschaft oder bei Olympischen Spielen angetreten waren.[8]

Neue Vorschriften wurden bei den Olympischen Spielen nach 1996 eingeführt, die es transsexuellen Athleten nach einer geschlechtsangleichenden Operation ermöglichten, an den Olympischen Spielen teilzunehmen.[9] Die Kontroversen um dieses Thema setzten sich in den folgenden Jahren international bis zu den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking fort.[10]

Mit Wirkung zum Mai 2011 regelte die IAAF ihre Richtlinien zum Umgang mit geschlechtsangleichend operierten Sportlern neu. Während ursprünglich weibliche Sportler nach einer Operation ohne Weiteres in Männerwettbewerben antreten können, können von ursprünglich männlichen Sportlerinnen, die nach einer Operation bei Frauenwettbewerben antreten möchten, in einer im Einzelnen geregelten Prozedur Hormontests und daraus folgend Hormonbehandlungen verlangt werden, um eine mögliche Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden.[11] Gleichzeitig wurden ähnliche Regeln für den Umgang mit Sportlerinnen eingeführt, die Symptome von Hyperandrogenismus aufweisen.[12][13]

Verfahrensanpassung

Am 19. Januar 2018 entschied der Internationale Sportgerichtshof (CAS), dass die umstrittene Regel zum Hyperandrogenismus des Leichtathletikweltverbandes IAAF für weitere sechs Monate ausgesetzt bleibt, und die IAAF bis dahin mitteilen solle, wie der Verband seine Vorschrift umzusetzen gedenkt.[14] Der CAS hatte am 24. Juli 2015 wegen der Klage der indischen Sprinterin Dutee Chand die IAAF-Regelung zum Hyperandrogenismus ausgesetzt und wissenschaftliche Beweise dafür gefordert, dass hyperandrogene Athletinnen einen deutlichen Leistungsvorteil haben. Am 29. September 2017 reichte die IAAF die angeforderten Unterlagen ein, und ein Fristaufschub bis zum 19. Juni 2018 zur Nachbesserung wurde gewährt.

Ende April 2018 gab der IAAF bekannt, dass ab dem 1. November 2018 drei Kriterien für die Zulassung in den Frauenklassen in den Disziplinen von 400 Meter (einschließlich der Hürdenläufe) bis hin zu einer Meile und in kombinierten Wettkämpfen wie Staffeln über diese Distanzen erfüllt werden müssen: Leichtathletinnen, die künftig bei internationalen Wettkämpfen antreten oder einen Weltrekord erzielen wollen, müssen vom Gericht als weiblich oder intergeschlechtlich (oder äquivalent) anerkannt sein, ihren Blut-Testosteron-Spiegel über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten auf unter fünf nmol/L senken (etwa durch Verwendung von hormonellen Kontrazeptiva) und, solange sie an internationalen Wettkämpfen teilnehmen wollen, diesen danach kontinuierlich unter dem Richtwert halten.[15]

Laut IAAF haben die meisten Spitzenathletinnen einen Testosteronspiegel von 0,12 bis 1,79 nmol/L im Blut, bei Männern läge der Wert nach der Pubertät im Bereich von 7,7 bis 29,4 nmol/L.[15] Im Juli 2017 hatte die IAAF eine Studie veröffentlicht, der zufolge Frauen mit hohen Testosteronwerten Vorteile im Bereich von 1,8 bis 4,5 Prozent in den Disziplinen 400-Meter-Lauf, 400-Meter-Hürdenlauf, 800-Meter-Lauf, Hammerwurf und Stabhochsprung haben.[14]

Bekannte Einzelfälle

Positive Tests bei Olympischen Spielen[16]
JahrOrtPos. TestsFrauen
insges.
gerundet
1972München31280
1976Montreal01800
1984Los Angeles62500
1992Albertville15>2000
1996Atlanta83000

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Dennis Krämer: Intersexualität im Sport: Mediale und medizinische Körperpolitiken. [1. Auflage]. Bielefeld 2020, ISBN 978-3-8376-5035-8, S. 462.
  2. Robert Pool: Eve’s Rib. Searching for the biological roots of sex differences, Crown Publishers, New York 1994, ISBN 0-517-59298-3
  3. Patricia Nell Warren: The Rise and Fall of Gender Testing (Memento vom 19. August 2006 im Internet Archive), Outsports.com, 2003; im Internet-Archiv in der Version vom 19. August 2006
  4. Andreas Singler, Gerhard Treutlein: Doping im Spitzensport: Sportwissenschaftliche Analysen zur nationalen und internationalen Leistungsentwicklung. Aachen 2007, ISBN 978-3-89899-192-6, S. 30
  5. Barbara Klimke: Olympische Spiele 2000 – Das Ende der Katastrophe. In: Berliner Zeitung. 14. September 2000, abgerufen am 15. Juni 2015.
  6. Myron Genel: Gender Verification No More? (Nicht mehr online verfügbar.) In: Medscape Women’s Health 5(3), 2000. Women’s Sports Foundation, Januar 2001, archiviert vom Original am 1. September 2009; abgerufen am 12. Mai 2014.
  7. Katia Mascagni: World conference on women and sport (PDF-Datei; 696 kB), Olympic Review XXVI No. 12, S. 23–27, 1996/97 (englisch; Punkt 10 der Resolution)
  8. Sportlerinnen müssen Geschlechtstest abliefern, Handelsblatt.com, 27. August 2002
  9. Cecil Adams: If a man has a sex change, can he compete in the Olympics as a woman?, The Straight Dope, 22. August 2008 (englisch)
  10. Katie Thomas: A Lab is Set to Test the Gender of Some Female Athletes, The New York Times, 30. Juli 2008 (englisch)
  11. IAAF Regulations Governing Eligibility of Athletes Who Have Undergone Sex Reassignment to Compete in Women's Competitions vom 1. Mai 2011, abzurufen über die offizielle Webseite der IAAF (englisch)
  12. IAAF legt Geschlechterregel fest, in: Leichtathletik vom 12. April 2011, abgerufen am 26. August 2013
  13. Amended IAAF Rules and new & updated IAAF Regulations - in force as of 1 May 2011, Meldung auf IAAF.org vom 1. Mai 2011, abgerufen am 26. August 2013 (englisch/französisch)
  14. Testosteron-Debatte: IAAF-Regel bleibt weitere sechs Monate ausgesetzt, CAS-Mitteilung, auf: leichtathletik.de, vom 19. Januar 2018, abgerufen 20. Januar 2018
  15. Hyperandrogenismus: IAAF schafft zum 1. November neue Regel, Startrecht, auf: leichtathletik.de, vom 26. April 2018, abgerufen 13. Juni 2018
  16. Ross Tucker: Hermaphroditism in sport: More on the latest Caster Semenya allegations (Memento des Originals vom 14. September 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sportsscientists.com, The Science of Sport, 11. September 2009 (englisch)
  17. Martin Einsiedler: Die erste Istaf-Weltrekordlerin war zu maskulin für ihre Zeit. In: Der Tagesspiegel. 12. September 2021, abgerufen am 26. Oktober 2021.
  18. Stanislawa Walasiewicz - amerikanische Leichtathletin polnischer Herkunft. In: Munzinger Online/Sport - Internationales Sportarchiv. 25. Januar 2011, abgerufen am 26. Oktober 2021.
  19. María José Martínez-Patiño: Personal Account: A woman tried and tested (Memento des Originals vom 29. Dezember 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.aissg.org (PDF-Datei; 158 kB), The Lancet Medicine and Sport 366, 2005, S. S38.
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