Geschichte der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs
Die Geschichte der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs beschreibt insbesondere den Zeitraum der Geschichte der Ukraine ab dem 1. September 1939, als mit dem Überfall der Deutschen auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, bis zur frühen Nachkriegszeit. Mit dem sowjetischen Angriff am 17. September 1939 auf Ostpolen wurde eine Aufteilung des Landes zwischen den beiden Staaten, die bereits in geheimen Zusatzprotokollen des Molotow-Ribbentrop-Paktes vorgesehen war, vorgenommen.
Vorgeschichte
Die gegenwärtige Ukraine setzt sich aus Teilen zusammen, die ehemaliges Staatsgebiet der folgenden Staaten der Zwischenkriegszeit waren: der Tschechoslowakei, Rumäniens und Polens einerseits und zum Hauptteil der Sowjetunion.[1] Die heutige Ausdehnung sollte die Ukraine erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Form der Ukrainischen SSR erlangen.
Dies ist gerade in Anbetracht der unterschiedlichen Entwicklung der Bevölkerung entscheidend. So wurden in den westlichen Gebieten, die in der Zwischenkriegszeit nicht unter der Herrschaft der Sowjetunion standen, Parteien und Vereine gegründet, die nationalen ukrainischen Charakter hatten und die oftmals auch die Gründung eines eigenen selbstständigen Nationalstaates zum Ziele hatten. Die Umsetzung dieses Planes schien in den östlichen Gebieten, welche den Großteil ausmachten, nicht möglich.
In diesem Kontext ist auch der Kollaborationswille mit den Deutschen zu sehen. Streng genommen darf dieser Begriff nicht nur für die Unterstützung der deutschen Besatzer verwendet werden, denn die Sowjetunion wurde, zumindest in den westlichen Teilen, ebenso als fremd betrachtet. Der Begriff „Kollaboration“ ist an sich schon schwierig zu definieren bzw. anzuwenden, genauso auch wie Widerstand, denn dieser konnte sich sowohl gegen die Deutschen, als auch gegen die Sowjetunion richten.
In Polen fanden die Ukrainer, denen 1931 offiziell 13,9 % der Bevölkerung angehörten,[2] Zugang zur Demokratie und somit zur Herausbildung von Gruppierungen, die ihr Vorgehen koordinieren konnte, womit auch deren Ziele definiert wurden. Hier war eine längere politische Tradition gegeben, die noch aus der Habsburgermonarchie stammte, womit ukrainische Parteien sich rasch konstituieren konnten. An dieser Stelle ist beispielhaft die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) zu nennen, die aus der 1920 gegründeten Ukrainischen Militärischen Organisation (UVO) und einem Bund der Ukrainischen Nationalistischen Jugend 1929 in Wien hervorgegangen war.[3] Diese ist deswegen erwähnenswert, weil diese Partei für den Widerstand gegen die Politik Polens einerseits steht, aber auch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges bedeutsam war.
Auf höchster Ebene konnte zwar ab 1926 eine Annäherung erfolgen, hingegen in Galizien trat eine Radikalisierung ein, wodurch circa 250.000 Ukrainer vorrangig nach Übersee auswanderten.[4] In dieser Zeit wurde der Nationalismus immer stärker und die eben genannten Organisationen gewannen durch den Zulauf von Jugendlichen an Bedeutung und Stärke. Dies äußerte sich auch in terroristischen Anschlägen auf polnisches Gut sowie ranghoher Politiker und sich mitunter in Gewalt und Gegengewalt hochschaukelte.[5] Daneben gab es einzelne Pogrome, womit bereits in der Zwischenkriegszeit ein Grundstein für Kommendes gelegt wurde.
In Rumänien wurden Organisationen und Zeitungen der Ukrainer verboten und eine Assimilierungspolitik betrieben, womit das Leben der nationalen Minderheiten denen in Polen ähnelte. Hingegen in der Tschechoslowakei wurde der Karpato-Ukraine Autonomie garantiert, womit auch die ukrainische Kultur profitieren konnte. Als der Staat aber 1938/39 aufgeteilt wurde, erlangte dieses Gebiet nicht die gewünschte Unabhängigkeit, sondern wurde unter ungarische Verwaltung gestellt.[2]
Zweiter Weltkrieg
Die Ukraine war neben Weißrussland und dem Baltikum einer der Hauptkriegsschauplätze des Zweiten Weltkrieges, wovon Millionen von Toten und verwüstete Landstriche Zeugnis geben. Es kam nicht nur zu Auseinandersetzungen zwischen den regulären Truppen der Roten Armee und der deutschen Wehrmacht sowie deren Verbündeten, sondern ebenso Waffen-SS-Verbänden und Partisanen.
Einer der Pläne der Deutschen, in späterer Folge in der Ukraine 20 Millionen Deutsche anzusiedeln, sollte nicht seine Umsetzung finden.
Widerstand allgemein
Der Widerstand in der Ukraine richtete sich während des Zweiten Weltkrieges, in der historischen bzw. zeitlichen Abfolge, gegen Polen, Kommunisten bzw. die Rote Armee und/oder die Deutschen. Das Problem hierbei ist vor allem, dass teilweise gerade durch das gekoppelte Auftreten der feindlichen Truppen eine Reihung vorgenommen werden musste und teilweise sogar eigenartige Bündnisse zustanden kommen, wie auch der Kampf einzelner Organisationen, die schließlich zeitlich parallel gegen alle, also Russen, Polen und Deutsche, vorgingen.[6]
Widerstand gegen die Sowjetunion
Bereits im Oktober 1939, also unmittelbar nach der Eroberung der westukrainischen Gebiete, wurden Volksabstimmungen abgehalten. Diese hatten beispielsweise zum Ergebnis, dass eine „gewählte“ „Westukrainische Nationalversammlung“ um den Beitritt zur UdSSR „bat“, welches auch schließlich mittels Gesetz beschlossen wurde. Dieses sollte auch die Rechtsgrundlage für die spätere Annexion 1944 darstellen.[7]
Wenn die sowjetische Herrschaft anfangs von der ukrainischen Bevölkerung in den ehemals polnischen Gebieten als Verbesserung wahrgenommen wurde, so änderte sich dies im Laufe des Jahres 1940. Es gab eine Kollektivierung der Landwirtschaft, die auf wenig Gegenliebe bei den Bauern stieß, wodurch Widerstand aufkeimte.[8] Weitere sowjetische Aktionen waren Verbote ukrainischer Organisationen, zahlreiche Deportationen, die schätzungsweise zwischen 125.000 und 150.000 Menschen betrafen, sowie Massenerschießungen. Dies schürte den Hass sowie den Widerstandswillen weiter.
Bis Ende 1939 entschlossen sich circa 30.000 Ukrainer, die antisowjetisch eingestellt waren, zur Flucht in die von den Deutschen besetzten Gebiete.[7]
In den übrigen Teilen des Landes wurde von Seiten der ukrainischen Bevölkerung, auch aufgrund des Bürgerkriegs und darauf folgenden stalinistischen Terrors, eine Besserung der Situation sowie der Befreiung von der sowjetischen Herrschaft bzw. der polnischen Bevormundung erhofft. Dadurch gab es eine grundlegende Sympathie gegenüber dem Deutschen Reich.[9]
Die einzige ukrainische Einrichtung, die sich gegen die neuen sowjetischen Herrscher aussprach, war die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN)[10]. Zwei Einheiten, die von der OUN organisiert wurden, wirkten 1941 an der Seite von Wehrmacht-Truppen beim Angriff auf die Sowjetunion mit und marschierten in den sowjetischen Teil der Ukraine ein.[11]
Mit dem Angriff des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion 1941 wurden die Wolgadeutschen und etwa ein Viertel der Schwarzmeerdeutschen, die sich im „alten“ Herrschaftsgebiet befanden, weiter ins Landesinnere deportiert. Circa 300.000 so genannte Ukrainedeutsche blieben zurück. Sie begrüßten mehrheitlich den Einmarsch deutscher Truppen. Einige von ihnen wurden von deutschen Behörden eingestellt, einige von ihnen traten der Wehrmacht oder der SS bei, womit sie an Massenermordungen von Juden teilnahmen. Beim Rückzug der Wehrmacht mussten auch diese fliehen, wurden aber großteils von der Roten Armee eingeholt und schließlich in andere Teile der Sowjetunion deportiert.[12]
Die Zeit unter deutscher Besatzung
Mit dem schnellen Vordringen der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion 1941 wurde auch der Wunsch nach Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit der Ukraine bestärkt. Viele sahen nun diesen Zeitpunkt gekommen, womit bereits am 30. Juni in Lemberg ein eigener Staat durch Mitglieder der OUN, allen voran Stepan Bandera und Jaroslaw Stezko, proklamiert wurde. Dies sollte jedoch nicht von deutscher Seite aus toleriert bleiben, womit diese Begründer wenige Tage später verhaftet und in das KZ Sachsenhausen deportiert wurden.[13]
Nachdem sich die Hoffnungen der anfangs den Deutschen durchaus positiv gegenüberstehenden Ukrainer nicht nur keineswegs bewahrheiten sollten, sondern für die meisten sogar eine Schlechterstellung als unter der Sowjetunion darstellte, wurde innerhalb der Bevölkerung auch der Widerstandswille gegen die deutsche Besatzungsmacht eröffnet.
Die Gebiete mit ukrainischer Bevölkerung wurden in einzelne Verwaltungsbezirke mit unterschiedlicher Herrschaftsausübung aufgeteilt. Galizien wurde ein Teil des Generalgouvernements, die Bukowina, Bessarabien, Transnistrien[14] sowie das Gebiet zwischen Dnjestr und dem südlichen Bug inklusive Odessa (als „Transnistria“ bezeichnet) rumänisch[15] und schließlich wurde für den Rest ein eigenes Reichskommissariat Ukraine[16] geschaffen, welches von Erich Koch gemeinsam mit Ostpreußen geführt wurde. Die östlichsten Gebiete, die frontnah waren, wurden vom deutschen Militär direkt verwaltet.[17] Somit bedeutete dies, dass trotz prinzipieller Vereinigung alle Ukrainer, dies nicht unter einer gemeinsamen Herrschaftseinheit geschah.
Vor allem in den ersten Monaten nahmen viele Ukrainer als Hilfspolizisten oder weil diese aufgehetzt wurden, auch an den Pogromen gegen Juden Teil.[18] So wurden diese bereits nach dem Abzug der Roten Armee verübt. Dies wurde nach dem Einmarsch der SS und der Sicherheitspolizei noch verstärkt, und eine planmäßige Tötung konnte mit Hilfe der Ukrainer erfolgen. Das erste größere Pogrom fand bereits im Sommer mit geschätzten 5.000 ermordeten Juden in Lemberg statt.[19] Diese Anzahl an Toten sollte bei dem Massaker von Babyn Jar bei Kiew am 29./30. September 1941 noch übertroffen werden, wo über 30.000 Juden den Tod fanden.[20]
Die SS, welche sogleich hinter der vorrückenden Wehrmacht und somit in relativer Frontnähe agierte, hatte den Auftrag, nach jeder eroberten Ansiedlung die jüdischen Bewohner auszuselektieren und möglichst zu liquidieren. Bereits nach wenigen Monaten waren schätzungsweise ungefähr 850.000 Juden ermordet worden.[21]
Auch Mitglieder der antijüdisch eingestellten OUN beteiligten sich an solchen Aktionen.[22] An dieser Stelle ist der regionale Unterschied hervorzukehren, denn in Galizien waren mehr Ukrainer in der staatlichen Verwaltung tätig, aber auch in der Polizei, womit deren Beteiligung am Holocaust bis zum Ende deutlich höher war als im Osten. Hierbei erwähnenswert, dass allein 1943 circa 80.000 Ukrainer als Freiwillige anwarben, wobei 17.000 in der SS-Division „Galizien“ zusammengefasst wurden und für die Deutschen kämpften.[6]
Dieser Antisemitismus war keineswegs ein plötzlich auftretendes Phänomen, sondern hatte eine jahrhundertelange Tradition, genauso wie die Abneigung gegenüber den Polen, welche die Ukrainer mit den Deutschen verbunden hatte und somit förderlich für die Kollaboration war. Dies kam in Aktionen zum Vorschein, die gegen Polen und Juden gerichtet waren. Gewisse scheinbare Autonomie, zumindest Verwaltung und Rechtsprechung, gab es unter dem Ukrainischen Zentralkomitee, welches 1940 in Krakau gegründet wurde und für die Ukrainer in Ostpolen zuständig war.[23] Dieser Antisemitismus wurde nicht nur von den Ukrainern ausgelebt, sondern ebenso von der Sowjetunion, die auch Judendeportationen vornahm.[24]
Mit der Eroberung der Ukraine durch das Deutsche Reich begann die Ausbeutung und Unterdrückung der Bevölkerung durch die Deutschen und deren Verbündete. Die Ukraine hatte den Status einer Kolonie, die Produkte aus der Landwirtschaft (u. a. Getreide, Fleisch, Vieh) ins Dritte Reich zu liefern hatte.[25] Hierbei spielte auch die Differenzierung und Einteilung nach den Nürnberger Rassengesetzen, wonach Slawen „Untermenschen“ seien, eine gewichtige Rolle. Zahlreiche ukrainische Kriegsgefangene starben in deutscher Gefangenschaft, meist durch Hunger, Seuchen und Misshandlungen.[26]
Während der Besatzung der Ukraine durch die Deutschen wurden ebenso über eine Million Ukrainer zur Zwangsarbeit ins Reich verfrachtet[27] und waren als Industrie- oder Landarbeiter tätig.[28] Diese Transporte wurden sogar noch während des Rückzugs der deutschen Wehrmacht durchgeführt.[29]
Diese Maßnahmen, die die Deutschen gesetzt hatten, schürten den Widerstandswillen der Ukrainer, womit dies auch die Gründung der Ukrajinska Powstanska Armija (UPA) 1942 zur Folge hatte, welche von Mitgliedern der OUN gegründet wurde. Somit begann ein Partisanenkrieg in Polesien und Wolhynien,[30] der sich gegen Polen, Sowjetunion sowie Deutschland richtete. 1943/44 wurden immer mehr Teil des Abwehrkampfes und es bildete sich eine breite Partisanenbewegung heraus, die offen gegen die deutschen Besatzer ankämpften: Jedoch war der Widerstand in sich keineswegs geeint, sondern es gab neben den national ukrainisch Gesinnten ebenso Kommunisten, die wiederum im Westen keine Unterstützung fanden.[31] Schließlich sollte die UPA auch nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Sowjetunion bis in die 1950er Jahre kämpfen.[32]
Im Osten arbeiteten die Partisanen auch mit der Roten Armee zusammen, aber unter den Widerstandskämpfern, die mit dem Kommunismus sympathisierten, waren neben Russen und Weißrussen deutlich weniger Ukrainer zu finden. Diese konstituierten sich 1944 in von UPA-Anführern gegründeten „Obersten ukrainischen Befreiungsrat“.[33]
Deportationen
Deportationen betrafen einige nationale Ethnien und umfassten sowohl Juden, Ukrainer, aber auch Deutsche und in späterer Folge ebenso zahlreich Polen. Dadurch war auf diesem Gebiet eine starke Fluktuation gegeben.
Die Haager Landkriegsordnung hatte bereits in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ihre Gültigkeit und in den Artikeln 42 bis 56 wird über die Befugnisse ausgeführt. So heißt es im Artikel 46, dass die Okkupanten verpflichtet waren in den von ihnen besetzten Gebieten, insbesondere die Rechte sowie das Eigentum der Bürger zu schützen und Kollektivstrafen verbat (Artikel 50). Damit waren Vertreibungen unvereinbar. Aus diesem Grunde wurden auch die von Deutschen durchgeführten Aktionen dieser Art als Kriegsverbrechen und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt.[34]
Die ersten Deportationen betrafen bereits 1939 nach dem fast gleichzeitigen erfolgten Angriff der Sowjetunion auf Polen die neu eroberten Gebiete. Es wurden sehr rasch die alten Führungsstrukturen aufgelöst oder verboten, aber auch deren Vertreter verhaftet sowie in den Osten des Landes verfrachtet. Dies betraf vorrangigerweise Polen, jedoch auch Juden und Ukrainer.[35] Viele sollten in der weiteren Folge des Krieges folgen.
Bereits bei der Konferenz von Jalta im Februar 1945 wurde die Curzon-Linie als die Westgrenze der Sowjetunion festgelegt und schließlich mit Abänderungen auch nach den Friedensverhandlungen von Potsdam realisiert. Damit konnte die heutige Grenze der Ukraine entstehen, aber dies diente auch als eine Grundlage für die Deportationen ab 1944.
Umsiedlungen erfolgten in Osteuropa vorrangig aufgrund eines am 8. September 1944 geschlossenen polnisch-sowjetischen Abkommens, womit dies eine Legitimation für die Deportationen darstellen sollte und betraf vor allem Polen und Ukrainer.[36] Hiervon wurde auch zahlreich Gebrauch gemacht und diese „Umsiedlungen“ sind als „ethnische Säuberungen“ zu bezeichnen bzw. betrachten. So wurden vorrangig in den Westen des heutigen Polens, wo bis dahin die Deutschen ansässig waren, in etwa eine Million Polen vertrieben. Außerdem wurden etwa eine halbe Million Ukrainer in den ehemals polnischen Gebieten angesiedelt, die aus anderen Gebieten des nach Westen verschobenen Polens kamen.[37] Von diesen „Umsiedlungsaktionen“ waren zunächst die Lemken ausgenommen, welches sich jedoch 1947 änderte. Nach einem Anschlag wurden diese aufgrund einer Anordnung in der so genannten „Operation Weichsel“[38] in ehemals deutsche Gebiete Polen deportiert und diese Aktion umfasste in etwa 150.000 Personen und entzog den im Untergrund operierenden ukrainischen Partisanen ihren Rückhalt.[39]
Ebenso gab es zwischen 1946 und 1949 einerseits hunderttausende Ukrainer, die nach Sibirien deportiert wurden und andererseits den Beginn einer Einwanderungswelle der Russen.[40]
Im heute gültigen Völkerrecht werden Zwangsumsiedlungen verboten und sind nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei zwingenden militärischen Gründen sowie um die Bevölkerung durch eine Evakuierung zu schützen, vorübergehend gestattet. (Artikel 49 der IV. Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949)[34] Auch aus diesem Grunde sind diese Vertreibungen der Bevölkerung in 1945 ehemals bzw. zukünftigen Gebieten ebenso als völkerrechtswidrig zu betrachten, wenn nicht sogar, da diese, zwar noch in kleineren Ausmaßen, bereits während des Weltkrieges erfolgten, bereits als Kriegsverbrechen anzusehen.
Die Ukraine nach dem Zweiten Weltkrieg
Das Staatsgebiet der heutigen Ukraine wurde bis Oktober 1944 durch die Rote Armee von der deutschen Wehrmacht befreit und erobert,[41] wodurch auch die Konferenz von Jalta im Februar 1945 auf der Halbinsel Krim stattfinden konnte, welche die Neuordnung Europas zum Inhalt hatte. Hierbei wurde wie in früheren Treffen (Teheran 1943 sowie im Sommer 1945 in Potsdam) über die Curzon-Linie, die durch die geheimen Zusatzprotokolle des Molotow-Ribbentrop-Abkommens vom August 1939 entstand, verhandelt. Letztlich wurde die Westverschiebung des Zwischenkriegs-Polens mit Abweichungen zur Curzon-Linie in die Tat umgesetzt, womit die heute gültigen Grenzen der Ukraine zu seinen westlichen Nachbarstaaten entstehen konnten. Von dieser Abweichung war auch die Karpato-Ukraine betroffen, die ursprünglich wieder ungarisches Gebiet, aber 1944 erstmals sowjetisches Staatsgebiet wurde. Damit waren erstmals fast alle Ukrainer in einem Staat vereinigt.[42]
Somit wurde in mehreren Konferenzen wie in Teheran, Jalta und schließlich in Potsdam über die zukünftigen Grenzen Deutschlands, aber auch Polens und somit ebenso über das territoriale Schicksal der Ukraine beratschlagt und schlussendlich beschlossen. Die Anerkennung sollte diese jedoch erst später erfahren. Da sich die Verhandlungspartner der Konsequenzen dieser Beschlüsse durchaus bewusst waren, sollten die Ausweisungen in „geregelter und humaner“ Weise durchgeführt werden. Historische Berichte von Augenzeugen, welchen zumeist zweifelsohne Glauben geschenkt werden kann, beweisen, dass diese nicht so abliefen. Eigentlich waren diese Beschlüsse nur eine weitere Legitimation für das sich abzeichnende Unglück, das seine Fortsetzung finden sollte. Aufgrund der geplanten Ausweisungen kam es immer wieder zu Behinderungen der potentiellen Heimkehrer in ihre Heimat durch polnische und sowjetische Behörden[43] und stellt ebenso eine Vertreibung dar.
Sofort nach der Rückeroberung bzw. „Befreiung“ des ukrainischen Gebietes wurde von Seiten der Sowjetunion eine Eingliederung und Gleichschaltung praktiziert, die unter anderem durch eine nach außen hin scheinbare Autonomie hergestellt werden sollte, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen, und so wurde die Ukraine neben Weißrussland auch Gründungsmitglied der Vereinten Nationen.[44] Stalin erhoffte sich durch den Eintritt der einzelnen Teilrepubliken der Sowjetunion eine größere Macht innerhalb dieser Organisation. Dadurch wurde nämlich die Anzahl der Stimmberechtigten erhöht, die mit ziemlicher Sicherheit loyal an seiner Seite stehen würden, weil die Außenpolitik weiterhin in der Kompetenz der Sowjetunion verblieb.[45]
Innenpolitisch wurde gegen die national gesinnten Ukrainer, welche Autonomiebestrebungen verfolgten und sich vor allem im Westen des Landes aufhielten sowie gegen die Unierte Kirche, vorgegangen. So wurden Letztere zur Aufkündigung der Anerkennung des Papstes als deren kirchliches Oberhaupt gezwungen. Deren Gläubige unterstanden nunmehr der Russisch-Orthodoxen Kirche, konnten aber weiter im Untergrund operieren.[46]
Neben diesen Maßnahmen, die sich unmittelbar gegen die Bevölkerung richteten, gab es noch ab 1946 Kampagnen des Zentralkomitees gegen den „bürgerlichen ukrainischen Nationalismus“ sowie gegen „die feindliche bürgerlich-nationale Ideologie“. Dies betraf vorrangig die Intellektuellen, also Historiker, Komponisten, Literaturwissenschafter sowie Schriftsteller und gegen diese wurde vorgegangen. Das Ziel dieser Aktionen war die Einschüchterung, Gleichschaltung und teilweise bewusste Inkaufnahme der Vernichtung dieser Bevölkerungsgruppe. So wurden circa 10.000 Angehörige dieser Eliten, die auch Juden betraf, verhaftet und nach Sibirien deportiert. Viele von ihnen fielen den neuerlichen stalinistischen Säuberungen zum Opfer.[47] Ebenso wurde an Stelle des Sowjetpatriotismus ein alleiniger russischer Nationalismus gesetzt, wodurch das im Westen des Landes in der Zwischenkriegszeit langsam herausgebildete ukrainische Nationalbewusstsein nicht Fuß fassen konnte. Dies gipfelte in einer Lobpreisung des „großen russischen Volkes“ und der Unterricht war ausschließlich in der Grundschule ukrainischsprachig.[48]
Als deutlich schwieriger und fühlbar offensichtlicher war der Kampf gegen die Ukrainische Aufständische Armee (UPA), deren Anzahl mehrere Zehntausend Mann umfasste. Diese war auch nach dem Kriegsende weiterhin im Westen des Landes aktiv und es wurden Sabotageakte sowie Attentate auf Funktionäre der Sowjetunion durchgeführt, wodurch Tausende zu Tode kamen.[49] Diese massiven Probleme für die Sowjetunion konnten auch nicht schnell gelöst werden, weil diese Organisation auf die Hilfe der ukrainischen Zivilbevölkerung zählen konnte. Dadurch konnte sich der Widerstand in den galizischen sowie in den karpatischen Wäldern erfolgreich halten und weiterhin gegen die Sowjetunion vorgegangen werden. Schließlich gelang es ab 1948 nachhaltig diesen Widerstand zu brechen.[50] Hierfür waren auch „Umsiedlungsaktionen“ hilfreich. So wurden ein Jahr zuvor die Lemken, die eine Volksgruppe der in Polen, genauer gesagt in den Karpaten lebenden Ukrainer bezeichnete und in etwa 150.000 Personen waren, deportiert. Damit war den im Untergrund operierenden ukrainischen Partisanen ein wichtiger Rückhalt entzogen worden.[51] Außerdem fiel 1950 im Widerstandskampf der Kommandeur der UPA Roman Schuchewytsch, womit die Partisanen weiter geschwächt wurden. Dennoch konnten sich die Auseinandersetzungen noch einige Jahre fortsetzen. Somit waren zwar die meisten Ukrainer in einem Staat vereint, aber dennoch nicht frei.
Literatur
- Britta Böhme: Grenzland zwischen Mythos und Realität. Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums. Berliner Debatte Wissenschaftsverlag, Berlin 1999, ISBN 3-931703-33-9.
- Franziska Bruder: „Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben!“ Die Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) 1928–1948. Metropol, Berlin 2007, ISBN 978-3-938690-33-8.
- Frank Grelka: Die ukrainische Nationalbewegung unter deutscher Besatzungsherrschaft 1918 und 1941/42. Harrassowitz, Wiesbaden 2005, ISBN 3-447-05259-7.
- Bert Hoppe, Imke Hansen, Martin Holler (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 8: Sowjetunion mit annektierten Gebieten, Teil 2: Generalkommissariat Weißruthenien und Reichskommissariat Ukraine. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2015, ISBN 978-3-486-78119-9.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. C.H. Beck, München 1994, ISBN 3-406-37449-2.
- Ernst Lüdemann: Ukraine. C.H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-35181-6.
- Paul Robert Magocsi: A History of Ukraine. University of Toronto Press, Toronto 1996, ISBN 0-8020-0830-5.
- Anna Reid: Borderland. A Journey Through the History of Ukraine. Phoenix 1997, ISBN 1-84212-722-5.
- Timothy Snyder: Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin. C.H. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-62184-0.
- Alfred-Mauris de Zayas: Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. W. Kohlhammer, Stuttgart, 3. verbesserte Auflage 1993, ISBN 3-17-012580-X.
- Harald Bösche (Hg.): „Meine liebe Elli ...!“ Fotos, Briefe und Berichte aus der Gebietslandwirtschaft Iwankow (Ukraine) 1942 und 1943. Fachhochschule Münster, Münster 2010, ISBN 978-3-938137-24-6.
Einzelnachweise
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 306–309.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 206.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 209.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 309.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 213 f.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 345.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 341.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 216.
- Ernst Lüdemann Ukraine. C. H. Beck, München 1995, S. 57.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 216.
- Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 217.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 220.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 217.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 57.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 218.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 57.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 218.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 221.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 58.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 219.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 58.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 221.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 342.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 58.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 343.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 219.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 219.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 58.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 223.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 222.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 57.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 59.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 222.
- Alfred-Mauris de Zayas: Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, W. Kohlmaier, Stuttgart 1993, S. 212.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 215.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 347.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 224.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 226.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 347 f.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 224.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 346.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 339.
- Alfred-Mauris de Zayas: Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, W. Kohlmaier, Stuttgart 1993, S. 120.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 223.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 348.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 225.
- Ernst Lüdemann: Ukraine, C. H. Beck, München 1995, S. 60.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 227.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 225.
- Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, C. H. Beck, München 1994, S. 225 f.
- Britta Böhme: „Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums“ Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 347 f.