Friedrich Theodor Vischer
Friedrich Theodor Vischer, ab 1870 von Vischer (* 30. Juni 1807 in Ludwigsburg; † 14. September 1887 in Gmunden am Traunsee), Pseudonyme Philipp U. Schartenmayer und Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky, war ein deutscher Literaturwissenschaftler und Philosoph im Feld der Ästhetik, Schriftsteller und Politiker. Wegen der unüblichen Schreibweise seines Namens wurde er auch als der „V-Vischer“ zitiert.[1]
Kindheit und Jugend
Vischer wurde als Sohn des evangelischen Stadtpfarrers von Ludwigsburg – im Range eines Oberhelfers (vgl. Superintendent) – Christian Friedrich Benjamin Vischer und der Christiane Stäudlin, Schwester des Dichters Gotthold Stäudlin geboren. Der Vater war ein frei denkender Theologe, humorvoll, wohlwollend und erzog seine Kinder mit Liebe und Strenge. Als württembergischer Patriot hasste er Napoleon und schrieb leidenschaftliche Gedichte gegen den Imperator. Während seines Einsatzes als Militärseelsorger erkrankte er an Flecktyphus und starb 1814, 46 Jahre alt. Die Stadt Ludwigsburg errichtete ihm zu Ehren ein Grabdenkmal.
Die Mutter musste das Pfarrhaus verlassen und bezog mit den Kindern in Stuttgart einige Dachzimmer in der Hospitalstraße. Vischer besuchte das Eberhard-Karls-Gymnasium und lernte dort vor allem Latein und das Verfassen lateinischer Texte. Er hatte eine Neigung für die Malerei und das Theater. Die Mutter ermöglichte ihm in Werkstätten von Künstlern, die sie kannte, eigene Malversuche zu machen und am Stuttgarter Theater Vorstellungen zu besuchen. Doch reichte seine Begabung nicht aus – wie der Maler Eberhard von Wächter meinte –, um Maler zu werden. Außerdem forderten die ärmlichen finanziellen Verhältnisse der Familie, einen einträglichen Beruf anzustreben.
Vischer sollte wie der Vater Pfarrer werden. Ab 1821 besuchte er mit David Friedrich Strauß, einem Freund aus Ludwigsburg, das niedere Seminar Blaubeuren für zukünftige Pfarrer. Hier wurde er bei freier Unterkunft und Verpflegung in einer gymnasialen Oberstufe aufs Abitur vorbereitet, das Vischer 1825 ablegte. Während seiner Zeit in dieser evangelischen Klosterschule fiel er durch seinen Witz und Humor sowie durch sein zeichnerisches Talent, v. a. mit Karikaturen auf.
Studium und Theologie
Danach begann Vischer in Tübingen das Studium der Theologie, Philosophie und Philologie. Vischer hörte u. a. Dogmatik bei Johann Christian Friedrich Steudel und wurde von Ferdinand Christian Baur beeinflusst. 1825 schloss er sich der Alten Tübinger Burschenschaft (später Germania Tübingen) an.[2] 1829 lernte Vischer Ludwig Uhland und Justinus Kerner kennen und freundete sich mit Eduard Mörike an. Auch ein Besuch bei Friedrich Hölderlin fällt in diese Zeit. 1830 legte er das Erste Theologische Examen mit der bestmöglichen Note Ia ab, erhielt zudem eine Silbermedaille für seine Predigt. 1832 wurde Vischer promoviert und legte das Zweite Theologische Examen ab.
Nach dem ersten Examen ging Vischer in das Vikariat nach Horrheim. 1831 wurde er Repetent am Evang.-theol. Seminar in Maulbronn. Nach der Promotion begab er sich auf eine Magisterreise über Göttingen, Berlin, Dresden, Prag und Wien nach München. 1834 wurde Vischer Repetent am Tübinger Stift, wozu er eine erfolgreiche Bewerbung auf eine Pfarrstelle in Herrenberg rückgängig machen musste. Bei Antritt der Repetentenstelle war Vischer innerlich bereits der Universitätstheologie entfremdet.
Lehre
Im November 1835 nahm Vischer eine Stelle als Privatdozent für Ästhetik und deutsche Literatur an der Universität Tübingen an. Er habilitierte sich mit der Schrift Über das Erhabene und das Komische. 1837 wurde er gegen einigen Widerstand zum außerordentlichen Professor ernannt. In diesem Jahr begann er auch, mit David Friedrich Strauß den gegen den orthodoxen Hegelianismus Berlins aufbegehrenden Arnold Ruge in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik zu unterstützen und selbst die linkshegelianischen Hallischen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst herauszubringen. Über diese Mitarbeit und einen Streit über dessen Werk Der alte und der neue Glaube kam es dann zum Bruch mit Strauß. Zuletzt führte Ruges indifferente Haltung gegenüber Bruno Bauer dann zum Ende der Mitarbeit an den Jahrbüchern.
Vom Sommer 1839 bis in den Herbst 1840 bereiste Vischer Italien und Griechenland und hielt darauf dann Vorlesungen zur Kunstgeschichte und Malerei, aber auch viel beachtete Kollegien zu Goethe, insbesondere zum Faust, und über Shakespeare. 1844 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt und erhielt den neu geschaffenen Lehrstuhl für Ästhetik und deutsche Literatur. Das in der Antrittsvorlesung hervorgebrachte Bekenntnis zum Pantheismus führte zu einer zweijährigen Suspendierung bei vollen Bezügen.
Politik
Eine kurz darauf folgende erste Sammlung politischer Beiträge erschien unter dem Titel Kritische Gänge. Sie wurde nach der Veröffentlichung indiziert. Ab 1847 hielt Vischer wieder Vorlesungen. 1848 wurde er als Abgeordneter der Oberamtsbezirke Reutlingen/Urach für die Linksdemokraten in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt.
Zurück an der Universität
1849 kehrte Vischer nach Tübingen zurück. 1855 ging er als Dozent für Ästhetik und deutsche Literatur an das Polytechnicum in Zürich. 1857 vollendete er seine Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen (6 Bde.) und freundete sich mit Gottfried Keller, Jacob Burckhardt, Gottfried Semper, Mathilde Wesendonck und Richard Wagner an.
Kurz nach der Ästhetik der Roman Auch Einer, in dem er unter anderem den Ausdruck „Die Tücke des Objekts“ prägte.
In den Jahren 1858 und 1860 unternahm Vischer weitere Studienreisen nach Italien. 1862 begab er sich zu einem Kur-Aufenthalt nach Norderney. In diesen Jahren verfasste er die Satire auf Goethes Faust II mit dem Titel Faust. Der Tragödie dritter Teil.
Darüber hinaus schrieb Vischer das Theaterstück Nicht Ia in schwäbischer Mundart, in dem er die Prüfung und Anstellung eines württembergischen Pfarrers satirisch darstellte. Dieses Stück erschien zuerst 1884 und erlebte mehrere Auflagen.
1864 wurde Vischer in die Königlich Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. 1866 wurde er erneut als ordentlicher Professor nach Tübingen berufen. 1867, 1870 und noch einmal 1881 unternahm Vischer weitere Reisen in den Norden Italiens. 1870 erfolgte eine (erfolglose) Kandidatur für den württembergischen Landtag. Im selben Jahr verlieh ihm der Württembergische König das Ritterkreuz I. Klasse des mit dem Personaladel verbundenen Orden der Württembergischen Krone. Anlässlich seines 80. Geburtstages erhielt Vischer von König Karl das Komturkreuz des Friedrichsordens. Vischer, der bis ins hohe Alter lehrte, verstarb auf dem Weg nach Venedig in Gmunden nach einer schweren Infektion.
Ein Teil-Nachlass befindet sich in der Universitätsbibliothek Tübingen.[3]
Werke
- Ueber das Erhabene und Komische und andere Texte zur Philosophie des Schönen. Imle & Krauß, Stuttgart 1837.
- 1844: Kritische Gänge
- 1846: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. 6 Teile
- 1860: Kritische Gänge. Neue Folge. 6 Hefte
- 1862: Faust. Der Tragödie dritter Theil. Treu im Geiste des zweiten Theils des Goethe'schen Faust gedichtet von Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky.
- 1874: Mein Lebensgang
- 1879: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. 2 Bde.
- 1881: Altes und Neues. 3 Hefte
- 1882: Lyrische Gänge
- 1884: Nicht Ia. Schwäbisches Lustspiel in drei Aufzügen
- 1889: Altes und Neues. Neue Folge
Siehe auch das ausführliche, chronologische Werkverzeichnis.
Literatur
- Richard Weltrich: Vischer, Friedrich Theodor. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 40, Duncker & Humblot, Leipzig 1896, S. 31–64.
- Klaus-Gunther Wesseling: Vischer, Friedrich Theodor. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 12, Bautz, Herzberg 1997, ISBN 3-88309-068-9, Sp. 1464–1482.
- Kindlers Neues Literatur Lexikon XVII (1988–1996), S. 199–201.
- Alexander Reck: Friedrich Theodor Vischer. In: Christoph König (Hrsg.), unter Mitarbeit von Birgit Wägenbaur u. a.: Internationales Germanistenlexikon 1800–1950. Band 3: R–Z. De Gruyter, Berlin/New York 2003, ISBN 3-11-015485-4, S. 1953–1956.
- Barbara Potthast, Alexander Reck: Friedrich Theodor Vischer. Leben – Werk – Wirkung. Heidelberg 2011 (Beihefte zum Euphorion 61).
- Petra Mayer: Zwischen unsicherem Wissen und sicherem Unwissen. Erzählte Wissensformationen im realistischen Roman: Stifters 'Der Nachsommer' und Vischers 'Auch Einer'. Bielefeld 2014.
- Fritz Schlawe: Friedrich Theodor Vischer. Stuttgart 1959.
- Gustav Keyßner (Hrsg.): Einleitung zu Ausgewählte Werke, Bd. 3 (1918), S. 9–122.
- Friedrich T. Vischer: Mein Lebensgang. In: Kritische Gänge, Bd. 6 (1922), S. 439–505.
- Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker. Teilband 6: T–Z. Winter, Heidelberg 2005, ISBN 3-8253-5063-0, S. 138–140.
Siehe auch das ausführliche Verzeichnis der Sekundärliteratur.
Weblinks
- Literatur von und über Friedrich Theodor Vischer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Friedrich Theodor Vischer in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Suche nach „Friedrich Theodor Vischer“ im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Achtung: Die Datenbasis hat sich geändert; bitte Ergebnis überprüfen und
SBB=1
setzen) - Werke von Friedrich Theodor Vischer bei Zeno.org.
- Werke von Friedrich Theodor Vischer im Projekt Gutenberg-DE
- Werke (als Digitalisat und Volltext) von Friedrich Theodor Vischer im Deutschen Textarchiv.
- Werke von Vischer als eingescannte PDFs bei hegel.net
- Manuskripte und Briefe Vischers in Bibliotheken und Archiven
- Die Gedichte auf zgedichte.de
- Vischer: Die lyrische Dichtung, 1857
- Vischer: Rezension zu Herwegh, Gedichte eines Lebendigen I, 1843 und II, 1844
- Vischer-Tagung 2009, Universität Stuttgart
- Übersicht der Lehrveranstaltungen von Friedrich Theodor Vischer an der Universität Zürich (Wintersemester 1855 bis Sommersemester 1866)
- Friedrich Theodor Vischer im Internet Archive
Einzelnachweise
- Kurt Tucholsky: Das Telefon ist keine Erfindung der Herren Bell und Reis – der V-Vischer hat die ganze Tücke des Objekts in diesen Kasten gelegt. In: Ders.: ‘n Augenblick mal –! In: Vossische Zeitung vom 1. Januar 1927
- Peter Kaupp: Burschenschafter in der Paulskirche
- Bundesarchiv, Zentrale Datenbank Nachlässe. Abgerufen am 11. September 2019.