Eponymer Fundort
Als eponymen Fundort (englisch type site) bezeichnet man in der Archäologie den Ort, der für eine Ära, archäologische Kultur, Gruppe oder Stilrichtung namengebend wurde, also ein Eponym ist. Dieser Ort muss nicht typisch für die jeweilige Kultur sein oder im Zentrum ihrer Verbreitung liegen, sondern war zumeist der erste Platz, an dem die spezifischen Artefakte gefunden wurden. Begründet wurde dieses Prinzip vom französischen Archäologen Gabriel de Mortillet in einer Publikation von 1869, in der er archäologische Kulturen des Paläolithikums nach eponymen Fundplätzen Frankreichs benannte.[1] Neben Fundorten werden auch eponyme Flüsse (Criș-Kultur, Indus-Kultur, Körös-Kultur, Theiß-Kultur), Berge (Wartberg-Kultur), Seen (Mondseekultur), Regionen (Kykladenkultur) oder Landschaften (Lausitzer Kultur, Wessex-Kultur) für die Namensgebung gewählt.
Der Bedeutung des eponymen Fundortes in der Archäologie vergleichbar ist die Bedeutung der Typlokalität in der Geologie.
Kulturen und Gruppen nach eponymen Fundorten
Folgende archäologische Kulturen wurden nach eponymen Fundorten benannt (die Ableitung von den Fundorten wird in den verlinkten Artikeln erklärt):
Altsteinzeit
Epipaläolithikum und Mittelsteinzeit
Jungsteinzeit
- Baalberger Kultur, Badener Kultur (auch Ossarner oder Péceler Kultur), Bernburger Kultur, Bischheimer Kultur, Chamer Kultur, Gaterslebener Kultur, Großgartacher Kultur, Horgener Kultur, Jordansmühler Kultur, Lapita-Kultur, Lengyel-Kultur, Majiabang-Kultur, Michelsberger Kultur, Mondseekultur, Obed-Kultur, Pișcolt-Kultur, Pfyner Kultur, Remedello-Kultur, Rössener Kultur, Salzmünder Kultur, Samarra-Kultur, Schönfelder Kultur, Schussenrieder Kultur, Vinča-Kultur, Vučedol-Kultur, Walternienburger Kultur, Wartberg-Kultur, Yangshao-Kultur
- Aichbühler Gruppe, Altheimer Gruppe, Goldberg-III-Gruppe, Oberlauterbacher Gruppe, Pollinger Gruppe,
Bronzezeit
- Adlerbergkultur, Aunjetitzer Kultur, Lausitzer Kultur, Maikop-Kultur, Laugen-Melaun-Kultur, Mykenische Kultur, Wessex-Kultur
- Singener Gruppe, Straubinger Gruppe
In der Bronzezeit werden in dem chronologischen System Hermann Müller-Karpes auch zeitliche Stufen nach wichtigen Fundorten benannt, wie
- Stufe Wölfersheim (Wetterau)
- Stufe Bessunger Wald bei Darmstadt
Eisenzeit
- Hallstattzeit/-kultur: Ära und Kultur nach Hallstatt im Salzkammergut
- Latènezeit/-kultur: Ära und Kultur nach La Tène am Neuenburgersee
- Jastorf-Kultur mit den ebenfalls nach Orten benannten Stufen Jastorf, Ripdorf und Seedorf
- Ananino-Kultur, Este-Kultur, Golasecca-Kultur
Andere Außereuropäische Kulturen
- Lapita-Kultur nach Lapita auf Neukaledonien
Eponyme archäologische Typen
Für bestimmte Werkzeug-, Schmuck- und Waffentypen werden von eponymen Fundorten abgeleitete Bezeichnungen verwendet.
Beispiele:
Eponyme in der Paläoanthropologie
Die Ahnenreihe des Menschen wird teilweise durch eponyme Fundorte bezeichnet, wie Homo heidelbergensis (Heidelberger Mensch), Homo floresiensis (Flores-Mensch) und Homo neanderthalensis (Neandertaler Mensch).
Alternatives Konzept
Das dem eponymen Fundort entgegenstehende Prinzip ist die Benennung archäologischer Kulturen nach Leitformen, das den Leitfossilien der Paläontologie entlehnt und zuerst 1861 vom französischen Paläontologen Édouard Armand Lartet eingeführt wurde.[2] In dieser Tradition wurden später auch keramische Leitformen (Trichterbecherkultur, Kugelamphorenkultur, Glockenbecherkultur, Bocca Quadrata), prägende Verzierungsstile (Cardial- oder Impressokultur, Bandkeramik, Schnurkeramik) oder Bestattungssitten (Einzelgrabkultur, Hügelgräberkultur, Urnenfelderkultur, Jamnaja-Kultur, Ockergrabkultur, Kurgankultur) für die Benennung archäologischer Kulturen herangezogen.
Einzelnachweise
- Gabriel de Mortillet: Essai d’une classification des cavernes et des stations sous abri fondée sur les produits de l’industrie humaine. In: Materiaux pour l’histoire de l’Homme 5, Paris 1869, S. 172–179.
- Édouard Lartet: Nouvelles recherches sur la coexistence de l’homme et des grands mammifères fossiles réputés caractéristiques de la dernière période géologique. In: Annuaire Sciences Naturelles, quatrième série 15. Paris, 1861, S. 177–253.