Dihydrogenmonoxid
Dihydrogenmonoxid (Abkürzung DHMO) ist eine zwar chemisch korrekte, aber ausschließlich ironisch als wissenschaftlicher Witz benutzte Bezeichnung für Wasser (H2O). Die fachsprachlich-abstrakte Bezeichnung für einen alltäglichen, lebenswichtigen Stoff suggeriert eine gefährliche Substanz und wurde mit der Absicht geprägt, die verbreitete Angst vor der chemischen Industrie zu karikieren und zu verdeutlichen, wie leicht sich Menschen durch einseitige Information manipulieren lassen.[1]
Ursprungsform
Erstmals 1989 kursierten auf dem Campus der Universität von Kalifornien in Santa Cruz Flugblätter, die vor einer Chemikalie namens „Dihydrogenmonoxid“ warnten und die von dieser Substanz ausgehenden Gefahren in drastischer Weise präsentierten.[1][2] Mehrfach ist es so gelungen, etliche Menschen davon zu überzeugen, dass diese Substanz verboten werden muss (siehe unter „Bekannte Kampagnen“).
1994 wurde der Scherz im beginnenden World Wide Web zu einer Website aufbereitet, die schnell Bekanntheit erlangte und in den folgenden Jahren auch von der Presse wahrgenommen wurde.
Die in DHMO-Kampagnen getroffenen Feststellungen über die Gefahren von Wasser sind an sich korrekt, der Witz besteht in der einseitigen und plakativen Darstellung:
Ursprungsform von 1994[3] | Deutsche Übersetzung |
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The dangers of dihydrogen monoxide include:
Nevertheless, governments and corporations continue using it widely, heedless of its grave dangers. |
Dihydrogen-Monoxid birgt unter anderem folgende Gefahren:
Trotz dieser schwerwiegenden Gefahren halten Regierungen und Konzerne dennoch an dem verbreiteten Einsatz fest. |
Diese ursprüngliche Form wurde später oft um weitere Eigenschaften des Wassers erweitert, die an sich jedermann bekannt sind, aber ebenfalls in provozierender oder schockierender Weise dargestellt werden:[4]
- DHMO wird in der Industrie als konkurrenzlos billiges Universallösungsmittel eingesetzt.
- Weltweit werden jedes Jahr etliche hundert – unbestritten – durch DHMO verursachte Todesfälle nachgewiesen.
- DHMO erscheint bisher nicht auf den amtlichen Listen gefährlicher Stoffe.
- Die Einleitung von DHMO ins Abwasser wurde bislang nicht gesetzlich verboten.
- Die Behörden sind nicht bereit, die Konzentration von DHMO im Abwasser systematisch zu messen.
- In Kläranlagen ist es nicht möglich, DHMO aus dem Abwasser zu entfernen.
- DHMO dient vielfach als „Trägersubstanz“ für eine unbekannte Anzahl weiterer Giftstoffe.
- DHMO wird in Nuklearanlagen als Kühlmittel eingesetzt.
- Wenn Schwangere DHMO einnahmen, übertrug sich die Abhängigkeit in allen untersuchten Fällen auch auf das Kind.
- Unter Einwirkung von elektrischer Spannung entwickelt DHMO hochexplosives Knallgas.
Die Aussagen sind an sich korrekt: Jährlich ertrinken Hunderte von Menschen in Wasser, beim Erhitzen von Wasser entsteht heißer Dampf, der Verbrennungen verursachen kann, Wasser darf ins Abwasser eingeleitet werden und saurer Regen besteht hauptsächlich aus Wasser. Dennoch verleitet die einseitige Darstellung der Gefahren einer Substanz mit unvertrauter Bezeichnung immer wieder Menschen dazu, die Forderung nach einem Verbot oder zumindest schärferen gesetzlichen Regeln wie die Einstufung als Gefahrgut oder eine Grenzwertfestlegung zu unterstützen.[5]
Wissenschaftliche Terminologie
Die chemische Summenformel für Wasser lautet H2O, also bestehend aus zwei Wasserstoffatomen verbunden durch ein Sauerstoffatom. Die chemisch-wissenschaftliche Vorsilbe „Di“ bedeutet „Zwei“, „Mono“ bedeutet „Eins“. In chemischen Stoffen mit Wasserstoff wird dieser mit seinem griechisch-lateinischen Namen als Hydrogenium („Hydro“ = griech. für „Wasser“, „-genium“ = lat. für „-bildner“; Wasserbildner) aufgeführt, während Oxide die Verbindung mit Sauerstoff infolge Oxidation bezeichnet, meist einer Korrosion bzw. Verbrennung am Sauerstoff der Luft (bei Wasserstoff: Knallgasreaktion). Die wissenschaftlich korrekte Wortschöpfung Di-Hydrogen-Mono-Oxid heißt also wörtlich Zwei-Wasserstoff-Ein-Sauerstoff-Verbindung.
Diese Bezeichnung ist wissenschaftlich eindeutig, allerdings würde sie nach chemischer Systematik so gar nicht eingesetzt, da hier die doppelte Bindung an Wasserstoff der Normalfall ist, womit die systematische Bezeichnung Hydrogenoxid bzw. Wasserstoffoxid schon hinreichend ist, ähnlich wie auch H2S schlicht Schwefelwasserstoff heißt, ohne auf das doppelte Auftreten des Wasserstoffs hinzuweisen. Ebenso wäre die Bezeichnung als Hydroxylsäure wie der einer Verbindung eines Wasserstoffatoms mit einer Hydroxy-Gruppe wissenschaftlich niemals gängig. Dennoch haben Wassermoleküle wissenschaftlich einen Sonderstatus, da sie gewöhnlich nicht mit einem systematischen Namen, sondern mit dem Trivialnamen „Wasser“ in der Literatur geführt werden, der sich allerdings weltweit in den verschiedenen Sprachen unterscheidet.
Häufig wird die Bezeichnung absichtlich als „Dihydrogen-Monoxid“ mit Bindestrich ausgeschrieben, um auf das bekanntermaßen giftige Kohlenmonoxid anzuspielen.[6] Zudem erinnert die Bezeichnung an die ebenfalls in gesundheitsschädlichen Abgasen enthaltenen Stickoxide, insbesondere an Stickstoffmonoxid.
Bekannte Kampagnen „gegen“ DHMO
Über die Jahre gab es einige sehr ernst geführte Kampagnen gegen DHMO, die die Öffentlichkeit teils erst spät als Scherz erkannte.
- 1989 verbreiteten drei amerikanische Studenten Flugblätter mit Warnungen vor der Verseuchung mit Dihydrogenmonoxid auf dem Campus der UC Santa Cruz.[7] Die drei berichteten, dass die Idee auf einem Artikel einer Lokalzeitung, dem Durand Express, beruht – wobei dort von „hydrogen hydroxide“ gesprochen wurde. Sie entwickelten daraus den Namen „-monoxide“, da es nach ihrer Meinung gefährlicher klang.
- 1994 richtete Craig Jackson eine Website für die Coalition to Ban DHMO („Initiative zum Verbot von DHMO“) ein. Sie verbreitete sich im Internet und darüber hinaus, so wurde sie beispielsweise 1995 als scheinbare Werbung im Analog Magazine veröffentlicht.
- 1997 schaffte es Nathan Zohner, ein 14-jähriger Schüler aus Idaho Falls, 43 von 50 befragten Mitschülern für ein Verbot der Chemikalie stimmen zu lassen. Zohner erhielt für die Analyse dieser Befragung den ersten Preis im wissenschaftlichen Schülerwettbewerb des Kreises.[8]
- 1997 richtete Tom Way die Website DHMO.org der angeblichen Dihydrogen Monoxide Research Division („DHMO-Forschungsinstitut“) ein, von Jacksons Website und Zohners Untersuchung inspiriert. Er hält die Website absichtlich ernst, um sie als Lehrmittel zum kritischen Denken und Umgang mit Informationen in der Informationsgesellschaft zu gebrauchen.
- Im März 2004 kam in Aliso Viejo im Orange County ein Verbot des Einsatzes von Schaumstoffverpackungen bei städtischen Veranstaltungen auf die Tagesordnung des Gemeinderates, nachdem ein städtischer Justiziar gelesen hatte, dass bei der Schaumstoffproduktion DHMO eingesetzt wird, ohne zu begreifen, dass es sich um einen Scherz handelte. Der Tagesordnungspunkt konnte zwar noch vor einer Abstimmung zurückgezogen werden, hatte jedoch der öffentlichen Reputation des Stadtrates bereits geschadet.[8][9]
Ähnliche Aktionen
- 2006 kam der leitende Direktor der städtischen Anstalt zum Ufer- und Gewässerschutz in Louisville auf die Idee, das Baden in den öffentlich zugänglichen Springbrunnen im Uferpark zu unterbinden, indem er auf Rechnung der Stadt ein Schild mit der Aufschrift DANGER – WATER CONTAINS HIGH LEVELS OF HYDROGEN – KEEP OUT anbringen ließ (deutsch: „Achtung – Wasser enthält hohe Dosen Hydrogenium – nicht betreten“). Nach eigener Aussage zählte er dabei „auf die mangelnde Verbreitung des Wissens über die chemische Zusammensetzung von Wasser“.[10]
Weitere ungewöhnliche Namen für Wasser
Die nomenklatorischen Empfehlungen der IUPAC gestatten außer „Wasser“ auch die Bezeichnung Oxidan.[11] Weitere alternative Bezeichnungen für Wasser sind Diwasserstoffoxid oder Mon(o)oxan. Aufgrund der amphoteren Eigenschaften (als Brønsted-Base bzw. -Säure) sind auch die Bezeichnungen Hydrogenhydroxid und Hydroxylsäure möglich. Betrachtet man die beiden Wasserstoffatome des Wassermoleküls als Organylreste, kann auch von Dihydrogenether gesprochen werden. Betrachtet man eines der Wasserstoffatome als Alkylgruppe, so sind die Bezeichnungen wie Hydrogenol, Protonol oder Hydrogenylalkohol denkbar. Eine weitere Möglichkeit ist die Assoziation mit gefährlichen radioaktiven Substanzen auf -um wie etwa Plutonium; daraus wird dann Diprotiummonoxid. Protium ist die Bezeichnung der Kernphysik für das häufigste und einfachste Wasserstoff-Isotop.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- Karl S. Kruszelnicki: Mysterious Killer Chemical. Australian Broadcasting Corporation. 2006. Abgerufen am 21. Dezember 2010.
- Erich Lechner: Warning! Dangerous Contamination! (original usenet posting). Usenet rec.humor.funny archive. 23. Februar 1990. Abgerufen am 21. Dezember 2010.
- Craig Jackson: Ban Dihydrogen Monoxide!. Coalition to ban DHMO. 1994. Archiviert vom Original am 31. Oktober 1996. Abgerufen am 21. Dezember 2010.Anmerkung: Die Quelle entspricht nicht exakt der nicht mehr verfügbaren Originalversion, weshalb sich geringe Unterschiede zeigen.
- dhmo.org
- Penn And Teller Get Hippies To Sign Water Banning Petition. Ausschnitt aus der Fernsehsendung Bullshit! (Staffel 1, Folge 13: Environmental Hysteria, Erstausstrahlung: 18. April 2003) als Beispiel für eine Spaß-Petition mit dem Ziel, DHMO abzuschaffen (YouTube-Video).
- vgl. Bernhard Knight: Lawyers Guide to Forensic Medicine. 2. Auflage. Cavendish Publishers, London 1998, ISBN 978-1-85941-159-9, S. 63
- Contamination Warning! (PDF; 8 kB) – Original des Posters, das an der UC Santa Cruz verbreitet wurde
- Dihydrogen Monoxide in den Urban Legends Reference Pages, Zugriff 25. September 2006.
- Local officials nearly fall for H2O hoax, bei MSNBC 15. März 2004, Zugriff 25. September 2006. Archiviert im Internet Archive
- Water without hydrogen would warrant warning, Louisville Courier-Journal, 17. Juli 2006
- G. J. Leigh, H. A. Favre, W. V. Metanomski: Principles of Chemical Nomenclature – A Guide to IUPAC Recommendations. Blackwell Science, 1998 (PDF), S. 34