Der Gesang der Flusskrebse
Der Gesang der Flusskrebse ist ein Roman der US-amerikanischen Zoologin Delia Owens, der im Juli 2019 bei hanserblau in der Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann in deutscher Sprache erschienen ist. In der Heimat der Autorin erschien der Roman 2018 unter dem Titel Where the crawdads sing beim Verlag G. P. Putnam’s Sons.
Handlung
Im Roman lernt der Leser Catherine, genannt Kya, als ein 7jähriges Mädchen kennen, das mit ihren vier Geschwistern und ihren Eltern in einer armseligen Hütte in den Sumpfgebieten von North Carolina lebt. Gleich zu Beginn des Romans verlässt die Mutter die Familie, weil der Vater wiederholt Alkohol trinkt und gegenüber ihr sowie den anderen Familienmitgliedern gewalttätig wird. Auch die anderen Geschwister – Kya ist mit Abstand das jüngste Familienmitglied – verlassen die Familie, so dass sie alleine mit ihrem Vater zurück bleibt. Ihr Vater bezieht aus seiner Zeit beim Militär eine Rente. Er versucht sie bei der Hausarbeit zu unterstützen. Umgekehrt versucht sie, mit ihm auszukommen, was ihr eine Zeit lang auch gelingt.
Das Mädchen, das immer noch sehnsüchtig auf die Rückkehr ihrer Mutter wartet, freut sich sehr, als eines Tages ein Brief von dieser die Hütte erreicht. Sie wagt es nicht, diesen zu öffnen und gibt ihn ihrem Vater. Sie hofft, dass die Mutter wieder zurückkommt und sie wieder als Familie leben. Doch der Vater wird wütend als er den Brief liest und verbrennt ihn. Bald darauf wird auch er nicht mehr von einem seiner Trinkgelage zurückkommen und Kya ist somit allein im Sumpfgebiet.
Von der dem Sumpfgebiet nicht weit entfernten (fiktiven) Stadt Barkley Cove war Kya einmal von Mitarbeiterinnen des Jugendamtes abgeholt worden, um die dortige Grundschule zu besuchen. Als sie jedoch am ersten Tag von den anderen Schülern gehänselt wird, flüchtet sie danach immer, wenn die Jugendamtsmitarbeiterinnen sie abholen möchten. Menschen, die im Sumpfgebiet leben, haben bei den Bewohnern von Barkley Cove einen schlechten Ruf und gelten als nicht vertrauenswürdig. Diese ablehnende Erfahrung wird Kya ihr Leben lang prägen und ihre Beziehungsfähigkeit zu Menschen beeinträchtigen.
Nach dem Fernbleiben ihres Vaters ist das Mädchen in der Natur auf sich allein gestellt und auch die Rente des Vaters für den Kauf von Lebensmitteln fällt nun weg. Von ihrem Bruder Jodie hatte Kya schon einiges über das Leben in der Natur und wie sie mit dem Boot durch den Sumpf fahren kann, erfahren. Jumpin, ein schwarzer Händler aus der von Barkley Cove etwas entfernten Schwarzensiedlung des Ortes, wird sie unterstützen, indem er ihr im Sumpf gesammelte Muscheln sowie gefangenen Fisch abkauft.
Mit der Zeit lernt sie auch den ein paar Jahre älteren Tate kennen, der oft im Sumpf ist, weil er sich sehr für die Natur interessiert. Tate hat Mutter und Schwester bei einem Autounfall verloren und lebt allein mit seinem Vater, der Krabbenfischer ist. Beide freunden sich an und als Tate erfährt, wie wissbegierig Kya ist, bringt er ihr das Lesen bei und versorgt sie mit den von ihr besonders geliebten Büchern über Biologie. Tate möchte nach der Schule an die Universität, um Biologie zu studieren, weshalb sich die Wege der beiden für einige Zeit trennen werden. Ein letztes Treffen im Sumpf kann Tate nicht einhalten, weil er schon an Vorbereitungen an der Universität involviert ist. Kya ist sehr verletzt, dass Tate nicht zu dem versprochenen Treffen erschienen ist, und erst Jahre später wird sie wieder auf seine Kontaktversuche reagieren.
Durch Einkäufe in Barkley Cove wird das Mädchen mehr im Ort bekannt und fällt dabei auch dem populären, etwas älteren Chase Andrews auf. Er möchte das „Marschmädchen“ gern erobern und versucht zu ihr Kontakt aufzunehmen. Kya kann sich den Kontaktversuchen nicht entziehen, zumal sie bei der Beziehung mit ihm auch die Erwartung entwickelt, endlich von den Menschen in der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Chase verspricht ihr, sie in seine Familie einzuführen und zu heiraten, woraufhin Kya sich ihm auch sexuell hingibt. Kurz darauf liest sie in der Regionalzeitung von der Heirat Chases mit einer anderen Frau.
Inzwischen hat Tate sein Studium abgeschlossen und leitet ein neu gegründet biologisches Forschungszentrum in der Nähe des Sumpfgebietes. Kya, die schon immer die Pflanzen und Tierwelt des Sumpfgebietes gesammelt hat, unterstützt er beim Schreiben eines Buches über die Sumpfnatur und vermittelt ihr auch einen Verlag für die Veröffentlichung.
Eines Tages, Kya ist inzwischen Mitte 20, erhält sie Besuch von ihrem 7 Jahre älteren Bruder Jodie. Dieser lebt mittlerweile in Georgia und ist bei der United States Army. Jodie berichtet Kya auch vom Tod ihrer beider Mutter vor zwei Jahren. Die Mutter war nach ihrer Flucht aus dem Sumpf zu ihrem Elternhaus in New Orleans zurückgekehrt, wo ihre Eltern eine Schuhfabrik besitzen. Sie war nie darüber hinweg gekommen, dass sie die Familie verlassen hatte und lebte depressiv, verwirrt und zurückgezogen im Haus ihrer Eltern.
Kurze Zeit darauf, im Jahr 1969, wird Chase Andrews tot unter dem Feuerwachturm in Barkley Cove gefunden. Im Ort ist die Beziehung von Chase und Kya bekannt und als einige Indizien für eine Beteiligung von Kya in diesem Fall vorliegen, wird ein Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet. Hier berichten Fischer, dass sie beobachtet haben, wie Chase versucht hat, auch nach seiner Heirat dem Marschmädchen im Sumpf aufzulauern und wie er sie sexuell belästigte, so dass diese fliehen musste. Andere Fischer berichten, wie sie Kya in der Todesnacht in ihrem Boot in der Nähe des Tatorts gesehen haben. Chases Mutter, die niemals einer Beziehung ihres Sohnes mit dem Marschmädchen zugestimmt hätte, verweist darauf, dass ein Muschelhalsband welches Chase immer trug, nicht mehr beim toten Chase zu finden war. Dieses Muschelhalsband war ein Geschenk von Kya an ihn. Kya war in der besagten Nacht zu einem Treffen mit dem Verleger ihres Buches in Greenville. Auch wenn es möglich gewesen wäre, mit dem Bus in der Nacht zum Tatort zu kommen, kann der Pro bono-Anwalt von Kya die Verdächtigungen entkräften und die Jury spricht sie vom Tatverdacht frei.
Danach werden Kya und Tate, dessen Vater kurz nach dem Prozess verstarb, zusammen im Sumpfgebiet leben und die dortige Natur erforschen. Als Kya 2009 stirbt, wird Tate zum einen aus deren Hinterlassenschaft erfahren, dass sie es war, welche die in der Lokalzeitung veröffentlichten Gedichte verfasste und anonym an die Zeitung gesandt hatte. Des Weiteren wird er in ihren Unterlagen auch das Muschelhalsband von Chase entdecken. Ein von ihm entdecktes Gedicht legt nah, das Kya doch für Chases Tod verantwortlich war.
Schreibstil und Hintergrund
Gleich zu Beginn des Buches wird der Leser mit dem Tod von Chase Andrews konfrontiert und damit dem Wissen, dass dieses Ereignis ein wichtiges Thema in dem Buch einnehmen wird.
Weiterhin ist der Erzählstil des Buches von der Zoologin und Afrika-Kennerin, welche sich dort insbesondere für den Schutz der Elefanten engagiert hatte, von Vergleichen und Beschreibungen aus der Natur geprägt. Die Autorin lässt den Leser durch Kya die Natur erkunden und vor allem die biologischen Beweggründe der Beziehungen von Lebewesen untereinander entdecken. Die vereinsamte Romanheldin zieht aus den Verhaltensweisen, die sie in der Natur beobachtet, ständig Rückschlüsse auf die Beziehungen zwischen Menschen, deren Verhalten in Gruppen und lernt für sich daraus mit ihnen umzugehen. Damit schlägt Owens immer wieder Brücken von den Tieren zum Menschen und deren gemeinsamen Ursprung.
Hauptpersonen
Folgende Personen spielen im Roman eine entscheidende Rolle:
Catherine Danielle Clark
Catherine, welche im Roman immer als „Kya“ oder von den Bewohnern des Ortes als „Marschmädchen“ bezeichnet wird, wächst schon als Kind von ihrer Familie verlassen, allein in einer Hütte im Sumpfgebiet an der Atlantikküste im Bundesstaat North Carolina auf
Tate Walker
Ist der Sohn eines Krabbenfischers, ein paar Jahre älter als Kya und sehr an der Natur interessiert. Er fischt gern im Sumpfgebiet und lernt dabei auch das Marschmädchen kennen. Nach der Schule wird er Biologie studieren und später ein Forschungsinstitut in der Nähe des Sumpfgebietes leiten.
Chase Andrews
Ist der Sohn einer der einflussreichsten Familien des Ortes und Quarterback des örtlichen Footballteams. Chase baut eine Beziehung zur etwas jüngeren Kya auf, obwohl er mit einem anderen Mädchen aus dem Ort liiert ist, welches er später auch heiraten wird.
Jeremy Andrew Clark
Wird von allen nur Jodie genannt und ist der sieben Jahre ältere Bruder von Kya. Auch er wird das Sumpfgebiet verlassen, aber seiner Schwester vorher viel über die Natur erzählen und ihr auch zeigen, wie man mit dem Boot fährt. Jodie wird nach Jahren wieder Kontakt mit Kya aufnehmen, er lebt dann in Georgia und ist bei der US Army.
Rezeption
Kommerzieller Erfolg
Das Buch, welches nach seinem Erscheinen im Sommer 2018 in der populären Literatursendung Hello Sunshine von Hollywood-Schauspielerin Reese Witherspoon präsentiert wurde, war mit 4,5 Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste Buch in den USA im Jahr 2019.[1]
Auch in Deutschland konnte es sich direkt nach seiner Veröffentlichung im Jahr 2019 auf der Spiegel-Bestsellerliste platzieren, war im Jahr 2020 jede Woche unter den Top-20 dieser Auflistung aufgeführt und im Jahr 2021 auch sechsmal auf der Spitzenposition dieser Charts gelistet.[2]
Zeitgenössische Kritik
Mark Lawson im Guardian bestätigt der Autorin ein Talent in der Beschreibung von Natur und Personen
“But these themes will reach a huge audience though the writer’s old-fashioned talents for compelling character, plotting and landscape description.”
In der Washington Post sieht Rachel Rosenblit die Autorin besonders stark, wenn sie ihre Heldin in der Natur beschreibt, dagegen nimmt sie einen Bruch in der Darstellung des Gerichtsverfahrens wahr:
“The courtroom scenes are a stark contrast of milieu — no more oak-lined lagoon channels to explore under the stars; now Kya’s world comprises a locked cell, a pro bono lawyer and a slick prosecutor with damning theories for days. And it’s here that Owens’s writing, like her protagonist, seems ripped from its comfort zone. Don’t get me wrong, Owens crafts a compelling court case, with twisty interrogations and loudly overruled objections, all the makings of good legal drama. But the richness of Kya’s inner life, so evocative in earlier chapters, seems absent in the courtroom. For such an astute observer of living things, having spent years mesmerized by the feathers of night herons and mating patterns of bullfrogs, there’s little observation of the fresh humanity around her.”
Catrin Lorch in der Süddeutschen Zeitung sieht insbesondere in den Naturbeschreibungen die Verwendung von ungeeigneten sprachlichen Mittel, welche für sie wie Einschübe aus einem Biologiebuch klingen.[5]
Im Spiegel liest Marcus Müntefering dagegen gerade die Naturpassagen als Darstellungen mit viel Gefühl aber ohne Sentimentalität, als lyrische Panoramen der Stille und Einsamkeit. Dabei sieht er die Romanheldin Kya in der Tradition von anderen Helden amerikanischer Coming of Age Romane, wie aus den Werken von Mark Twain, Harper Lee oder J. D. Salinger.[6]
Weblinks
- Buchvorstellung des Verlags
- Empfehlung des Buches durch Elke Heidenreich in der Sendung Literaturclub vom 17. Dezember 2019
- Der Roman bei Perlentaucher.de
Einzelnachweise
- Alexandra Alter: The long tail of ‚Where the crawdads sing‘. The New York Times, 19. Dezember 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Das sind die Spiegel-Jahresbestseller. Buchreport, 29. Dezember 2020, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Mark Lawson: Where the crawdads sing by Delia Owens review – in the swamps of North Carolina. In: The Guardian. 12. Januar 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Rachel Rosenblit: Now that we have all read ‚Where the crawdads sing‘, can we talk About the ending? In: The Washington Post. 17. April 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Catrin Lorch: Heiß wie Wildschweinatem. Süddeutsche Zeitung, 23. Oktober 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Marcus Müntefering: Allein mit der Sehnsucht. Der Spiegel, 24. Juli 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.