Cultural Marxism (Schlagwort)
Cultural Marxism (auf Deutsch etwa Kulturmarxismus) ist ein politisches Schlagwort der „Alt-Right“-Bewegung und der politischen Rechten, das eine angebliche Verschwörung der politischen Linken beziehungsweise der (Neo-)Marxisten beschreibt.
Bezugspunkte
Als Kampfbegriff der US-amerikanischen neuen Rechten beschreibt laut Thomas Grumke
„‚Cultural Marxism‘ einen angeblichen konspirativen Versuch der ‚Linken‘, durch Angriffe auf den American Way of Life die Kultur und Moral der USA zu zerstören. Man kann den Begriff auch als eine Art ‚gedopte political correctness‘ beschreiben.“[1]
Vertreter der Alt-Right-Bewegung wie Andrew Breitbart, Stephen Bannon und Paul Joseph Watson verbreiten die Verschwörungstheorie, jüdische Emigranten wie Theodor W. Adorno oder Herbert Marcuse, die in der NS-Zeit in die USA kamen, hätten den Cultural Marxism importiert, um die amerikanischen Werte zu unterminieren und eine Weltregierung zu ermöglichen.[2] Die Entwicklung lässt sich nach Grumke auf die 1930er Jahre zurückführen, als eine kleine Gruppe jüdischer Philosophen aus dem Deutschen Reich in die Vereinigten Staaten flüchtete. Diese wurden als Vertreter der Frankfurter Schule an der Columbia University tätig, wo sie eine Form des (Neo-)Marxismus (weiter-)entwickelten, der sich nicht mit dem Wirtschaftssystem, sondern mit der Kultur auseinandersetzte. Dieser Gruppe werde nun vorgeworfen, sie habe sich seitdem zum Ziel gesetzt, den weißen US-Amerikanern den Stolz auf ihre europäische Abstammung und Ethnie auszureden sowie christliche bzw. konservative Familienwerte als reaktionär und rückständig, sexuelle Befreiung stattdessen als gut darzustellen. William Sturgiss Lind definiert neben den Philosophen der Frankfurter Schule auch Feministen, Homosexuelle, Multikulturalisten, Migranten und Umweltschützer als feindliche „Kulturkrieger“.[1] Die Verschwörungstheorie stellt somit „Kulturmarxisten“ als charismatische Gurus dar, „die leicht zu beeindruckende Studierende faszinieren, während sie diese finanziell ausnutzen und durch ihre Unterstützung von Immigration heimlich und berechnend die westliche Zivilisation zerstören.“[3]
Geschichte
Laut dem Politikwissenschaftler Thomas Grumke hat die US-amerikanische neue Rechte eine Umdeutung des Feindbildes vorgenommen, da die klassische rote Angst nicht mehr funktioniere. Teil dieser Strategie sei es, Kampfbegriffe wie „Cultural Marxism“ in die Debatte einzuführen.[1] Als Verschwörungstheorie über die Frankfurter Schule gewann die Cultural-Marxism-These in den 1990er Jahren in konservativen und radikalen Zirkeln in den USA an Popularität. Diese bezogen sich vor allem auf die Texte des konservativen Intellektuellen William Sturgiss Lind, der sich in seinen Texte gegen Political Correctness und Cultural Marxism insbesondere an Colleges aussprach, die in der Tradition des Marxismus z. B. Weiße als „böse“ darstellen sollten. Anfang der 2000er Jahre wurde die Verschwörungstheorie auch prominent von Pat Buchanan aufgegriffen, der als prominenter Vertreter des Paläokonservatismus gilt.[4]
Die Anschläge in Norwegen 2011 wurden von dem norwegischen Rechtsextremisten Anders Behring Breivik unter anderem damit begründet, Norwegen gegen den Islam und den „Kulturmarxismus“ verteidigen zu wollen.[5] Auch politische Parteien wie die Australian Tea Party oder die British National Party griffen die Verschwörungstheorie auf.[4] Innerhalb der Alt-Right und der globalen extremen Rechten spielt die Verschwörungstheorie insbesondere durch die Verbreitung durch Breitbart im US-Wahlkampf 2016 eine bedeutende Rolle.[6][7] Die Verwendung durch den kanadischen Psychologieprofessor Jordan Peterson leistete dem Eingang der Verschwörungstheorie in den Mainstream weiteren Vorschub.[8][9][10] In Deutschland wurde der Begriff „Kulturmarxismus“ u. a. von Alice Weidel, Björn Höcke und Rainer Meyer verwendet.[11]
Einordnung
Das Southern Poverty Law Center bezeichnete 2003 die Erzählung vom „Kulturmarxismus“ als antisemitische Verschwörungstheorie, die Juden eine zerstörerische Kraft auf Gesellschaften nachsage.[12] Viele Kommentatoren verweisen auf den antisemitischen Gehalt der Verschwörungstheorien und auf die Parallelen zur nationalsozialistischen Theorie des „Kulturbolschewismus“.[7][13] Auch Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung von Baden-Württemberg gegen Antisemitismus, sieht im Kulturmarxismus-Begriff einen gefährlichen antisemitischen Verschwörungsmythos.[14] Heins et al. sehen misogynen Antifeminismus, Neo-Eugenik, die Idee genetischer und kultureller weißer Überlegenheit, gegen Linke gerichteter McCarthyismus, der auf Postmodernismus fixiert ist, und einen auf die Sozialwissenschaften fokussierten Anti-Intellektualismus als zentrale Bestandteile der Verschwörungstheorie, die aber durchaus im politischen und gesellschaftlichen Mainstream anschlussfähig sei.[8]
Einzelnachweise
- Thomas Grumke: “Take this country back!” Die neue Rechte in den USA. In: Die Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie? Vs Verlag, 2004. ISBN 3-8100-4162-9. S. 175–181 (Auszug in der Google-Buchsuche)
- Roger Schawinski: Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt. NZZ Libro, Zürich 2018, S. 168 f.
- Alan Finlayson: Neoliberalism, the Alt-Right and the Intellectual Dark Web. In: Theory, Culture & Society. 6. September 2021, ISSN 0263-2764, S. 026327642110367, hier: S. 12, doi:10.1177/02632764211036731 (sagepub.com [abgerufen am 16. Oktober 2021]): „The Cultural Marxist is a jargonising guru mesmerising impressionable students, exploiting them financially while covertly and calculatedly destroying Western culture by encouraging immigration“
- Jérôme Jamin: Cultural Marxism: A survey. In: Religion Compass. Band 12, Nr. 1-2, Januar 2018, S. e12258, doi:10.1111/rec3.12258 (wiley.com [abgerufen am 16. Oktober 2021]).
- Thomas Assheuer, Evelyn Finger, Özlem Topcu: Bomben für das Abendland. Eine Analyse von Anders Breiviks terroristischen Programm. In: Die Zeit. 28. Juli 2011, S. 3 f.
- Rachel Busbridge, Benjamin Moffitt, Joshua Thorburn: Cultural Marxism: far-right conspiracy theory in Australia’s culture wars. In: Social Identities. Band 26, Nr. 6, 1. November 2020, ISSN 1350-4630, S. 722–738, doi:10.1080/13504630.2020.1787822 (tandfonline.com [abgerufen am 16. Oktober 2021]).
- Andrew Woods: and : Two Perspectives on Critical Theory. In: Critical Theory and the Humanities in the Age of the Alt-Right. Springer International Publishing, Cham 2019, ISBN 978-3-03018752-1, S. 39–59, doi:10.1007/978-3-030-18753-8_3 (springer.com [abgerufen am 16. Oktober 2021]).
- Elke Heins, James Rees, Catherine Needham: Social Policy Review 31: Analysis and Debate in Social Policy, 2019. 1. Auflage. Policy Press, 2019, ISBN 978-1-4473-4398-1, doi:10.1332/policypress/9781447343981.001.0001 (universitypressscholarship.com [abgerufen am 16. Oktober 2021]).
- Tanner Mirrlees: The Alt-right's Discourse on "Cultural Marxism": A Political Instrument of Intersectional Hate. In: Atlantis: Critical Studies in Gender, Culture & Social Justice. Band 39, Nr. 1, 3. August 2018, ISSN 1715-0698, S. 49–69 (msvu.ca [abgerufen am 16. Oktober 2021]).
- Matthew Sharpe: Is 'cultural Marxism' really taking over universities? I crunched some numbers to find out. In: The Conversation. 7. September 2020, abgerufen am 16. Oktober 2021 (englisch).
- Matthias Quent: Ambivalenzen und Rechtsradikalismus. In: Edition Kulturwissenschaft. 1. Auflage. Band 222. transcript Verlag, Bielefeld, Germany 2021, ISBN 978-3-8376-5065-5, S. 277–292, hier: S. 287, doi:10.14361/9783839450659-013 (transcript-verlag.de [abgerufen am 17. Oktober 2021]).
- Matthias Quent: Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können. Piper Taschenbuch, München 2021, S. 200
- Samuel Moyn: The Alt-Right’s Favorite Meme Is 100 Years Old. In: The New York Times. 13. November 2018, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 16. Oktober 2021]).
- Michael Blume: Warum der Verschwörungsmythos vom „Kulturmarxismus“ so gefährlich ist. In: Belltower.news. 3. Dezember 2020, abgerufen am 6. Juli 2021.